Anders als die Bezeichnung vermuten lässt, werden in politisch motivierten Datenbanken nicht nur „Gewalttäter“ oder „Straftäter“ gesammelt, sondern auch Beschuldigte und Verdächtige oder „sonstige Personen“. Hier genügt eine „Prognoseentscheidung“, um jahrelang gespeichert zu bleiben. Von Interesse sind Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus „einschließlich revolutionärem Marxismus“.
Deutsche Kriminalämter können auf Informationen in mindestens sechs verschiedenen Dateien zugreifen, in denen linke AktivistInnen gespeichert sind. Das geht aus parlamentarischen Initiativen und Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz hervor, die das Bundesinnenministerium beantwortet hat. Nicht alle der Staatsschutzdateien werden im Detail beauskunftet, sodass die Zahl der gespeicherten Betroffenen nicht genau ermittelbar ist. Sie dürfte jedoch einige Tausend betragen.
„Gewalttäter Links“
Zu den bekanntesten Datensammlungen gehört die beim Bundeskriminalamt (BKA) geführte Datei „Gewalttäter Links“. In der Verbunddatei werden Informationen gespeichert, die von Landeskriminalämtern, anderen Polizeien oder dem BKA selbst angeliefert werden. Anders als die Bezeichnung vermuten lässt, werden in der Staatsschutzdatei längst nicht nur „Gewalttäter“ gespeichert, sondern auch Beschuldigte und Verdächtige sowie „sonstige Personen“. Gemeint sind nach § 8 des BKA-Gesetz Personen, bei denen „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass diese in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen. Es genügt also der Verdacht, um als „Gewalttäter Links“ gespeichert zu werden.
Ein Eintrag kann mehrere Dutzend Datenfelder enthalten, darunter Personendaten, Lichtbilder, bekannte Aufenthaltsorte, Staatsangehörigkeit, Personenbeschreibung, Beruf, Kenntnisse, Mitgliedschaft in Gruppen, “kriminologische Kurzbeschreibung”, Mail- und IP-Adressen und sonstige Vermerke. In „Gewalttäter Links“ können auch Informationen gespeichert werden, die von ausländischen Polizeidienststellen übermittelt werden. Umgekehrt können Personendaten aus „Gewalttäter Links“ auch an ausländische Behörden „ausgeliehen“ werden.
Mit Stand von September 2017 sind 1.582 Personen als „Gewalttäter Links“ gespeichert. Alle Polizeibehörden des Bundes und der Länder können die Datei abrufen, außerdem Behörden der Zollverwaltung und das Zollkriminalamt. Neben „Gewalttäter Links“ führt das BKA auch die Verbunddateien „Gewalttäter Rechts“, „Gewalttäter Politisch motivierte Kriminalität – Ausländische Ideologie“ und „Gewalttäter Sport “.
„Straftäter linksmotiviert“
Das BKA hat außerdem Zugriff auf „Personengebundene Hinweise“ (PHW), die zu vorhandenen Einträgen in der INPOL-Datei vergeben werden können. Sie sollen bei polizeilichen Maßnahmen dem Schutz der BeamtInnen dienen, indem diese auf „Gefahren“ hingewiesen werden. Die meisten PHW sind bundesweit verfügbar. Wie bei den Gewalttäterdateien erfolgt die Anlieferung durch die Länder, die teilweise eigene, nicht bundesweit über INPOL abrufbare PHW führen. Überall verfügbare PHW-Kategorien lauten beispielsweise auf „bewaffnet”, „gewalttätig”, „Rocker“, „Prostitution”, „Betäubungsmittelkonsument”, „Straftäter” („rechtsmotiviert”, „linksmotiviert”, „Ausländerkriminalität”). Entgegen dem Dateinamen werden auch hier nach nach § 8 BKA-Gesetz nicht nur Straftäter gespeichert, sondern ehemalige Tatverdächtige oder Personen, gegen die ein „Anfangsverdacht“ des Begehens einer politisch motivierten Straftat besteht. Das Bundesinnenministerium nennt dies eine „Prognoseentscheidung“.
Vor vier Jahren waren fast 10.000 Personen als „Straftäter linksmotiviert“ geführt. Die Personendaten werden nicht nur wie vorgegeben zur „Eigensicherung” von Polizeibeamten genutzt, sondern auch in Ermittlungen zur Ausforschung politischer Zusammenhänge. Auch aus diesem Grund geriet die Datensammlung vor einigen Jahren unter Kritik. Einige der PHW-Dateien (darunter die politischen) wurden deshalb nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz der Länder in „Ermittlungsunterstützende Hinweise“ (EHW) ausgelagert. Der EHW zu linkem Aktivismus heißt nunmehr „Politisch motivierter Täter in der Ausprägung PMK – Links“.
„Politisch motivierte Kriminalität – links”
Ebenfalls beim BKA liegen sogenannte Zentraldateien mit dem Kürzel „PMK“ („Politisch motivierte Kriminalität”). Dort darf nur die Staatsschutzabteilung des BKA Einträge anlegen und löschen. Auch diese Informationen stammen jedoch über den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität” (KPMD-PMK) von den Bundes- und Länderpolizeien sowie den Inlandsgeheimdiensten der Länder. Gespeichert werden „relevante Personen“ und „Gefährder“, dazu Informationen aus Ermittlungsverfahren, Durchsuchungen, Telefonüberwachungen, Auswertungen von Computerfestplatten, Reisebewegungen, Kontodaten. Die PMK-Dateien unterteilen sich in die vier Phänomenbereiche „links“, „rechts“, „Ausländerkriminalität“ und „sonstige bzw. nicht zuzuordnen“.
In 2017 waren in „PMK-links-Z“ um die 500 Personen eingetragen, darunter auch Kontakt- und Begleitpersonen. Wie bei den Gewalttäterdateien der Länder muss keine vorherige Straftat oder Verurteilung vorliegen. Gespeichert werden Personen, wenn in Würdigung der Tat oder der „Einstellung des Täters“ Anhaltspunkte gefunden werden, dass diese einer linken Orientierung zuzurechnen seien. Dabei muss nicht einmal eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung drohen, wie es etwa als Definition von „Extremismus“ angenommen wird. Dazu gerechnet werden Taten, „wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus (einschließlich revolutionärem Marxismus) ganz oder teilweise ursächlich“ waren. Im Fokus stehen AktivistInnen, die „die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs“ einnehmen. Das können auch AnmelderInnen von Demonstration sein.
Dateien für „sonstige Personen“
Für Ermittlungen, die in der alleinigen Zuständigkeit des BKA (ohne Bundesländer) liegen, nutzt die Behörde außerdem die Zentraldatei „PMK- links- S“ („Politisch motivierte Kriminalität – links – Strafverfahren“). Dies betrifft etwa jene Verfahren, die das BKA im Auftrag der Generalbundesanwaltschaft durchführt. Außerdem führt das BKA seit 2013 eine „Personenliste Links“, zu deren Unterschied gegenüber den anderen politisch motivierten Dateien wenig bekannt ist. Auch hier werden Informationen des BKA und der Bundesländer gesammelt. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums enthält die „Personenliste Links“ nur „sonstige Personen“, also keine Beschuldigten, Verdächtigen oder rechtskräftig verurteilte Personen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) betrieb bis 2013 eine sogenannte Projektdatei „Gewaltbereite Linksextremisten“, über die auch Kriminalämter mit Informationen beliefert wurden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte dies bei einer Kontrolle ausdrücklich bemängelt. Die Kritik betraf besonders die Speicherung von „sonstigen Personen“. Eigentlich sollte die Projektdatei ausschließlich “gewaltbereite extremistische Personen” führen. Jedoch waren „eine Vielzahl” von Betroffenen gespeichert, die etwa bei einer Anti-Atomkraft-Demonstration lediglich ihr Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ausgeübt hatten. Es ist unklar, ob das BfV die Datei gänzlich eingestellt oder einen Nachfolger mit ähnlicher Zielsetzung betreibt.
Neben Personen speichert das BKA seit dem 1. Januar 2015 rund 1.600 Publikationen mit Bezug zu „PMK-links“ in einer Datei „Mediendatenbank-Links“ („MDB-Links“). Sie soll helfen, Straftaten durch „Schriftgut- und Medienauswertung“ bestimmten Gruppen oder Personen zuzuordnen. Mehrheitlich sind in „MDB-Links“ laut dem Bundesinnenministerium sogenannte Selbstbezichtigungsschreiben gespeichert. Zur Speicherung von Publikationen führte das BKA die Datei „DORIS“, die dortigen 2.000 Datensätze werden aber sukzessive in „MDB-Links“ übertragen.
Datensouveränität mit Auskunftsersuchen
Die Speicherungen in den Dateien haben für die Betroffenen stigmatisierende Folgen. Die teilweise sehr lange Speicherungsdauer widerspricht der geltenden Rechtslage. Nach einer Überprüfung der Datei „PMK – links”, bei der zahlreiche rechtswidrige Erfassungen festgestellt wurden, musste das BKA die gespeicherten Personen von 2.900 zunächst auf 331 eindampfen. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Behörden verpflichtet sind, die Rechtmäßigkeit der Speicherung immer wieder zu prüfen.
Gesetzlich ist nicht vorgesehen, die Betroffenen bereits zum Zeitpunkt der Speicherung in einer Staatsschutzdatei zu informieren. Deshalb ist es unter AktivistInnen verbreitet, Auskunftsersuchen zu den bei Polizeien oder Inlandsgeheimdiensten von Bund und Ländern gespeicherten Daten zu stellen. Das geht am einfachsten über die Webseite des Projekts datenschmutz.de. Die Tendenz solcher Anfragen ist weiter steigend, in 2017 haben mehr als 3.200 Person allein beim BKA hiervon Gebrauch gemacht.