Seit Jahrzehnten fordern Bürgerrechtorganisationen und internationale Menschenrechtsgremien die Einrichtung unabhängiger Polizeibeschwerdestellen in Deutschland. Doch die Vorstellungen, wie diese ausgestaltet sein sollen und was „unabhängig“ heißt, gehen auseinander. In den letzten Jahren wurden Beschwerdestellen in Innenministerien, polizeiexterne Ermittlungsstellen und Polizeibeauftragte bei Landtagen eingerichtet. Ein Überblick.
Spätestens seit dem studentischen Ermittlungsausschuss zum tödlichen Polizeischuss auf Benno Ohnesorg 1967 ist die Forderung nach unabhängiger Polizeikontrolle auf der Agenda der bundesdeutschen Bürgerrechtsbewegung. Ging es dabei ursprünglich bewusst um zivilgesellschaftliche Alternativen zu staatlichen Verfahren in Form von selbstorganisierten Ermittlungsausschüssen oder Initiativen wie „Bürger beobachten die Polizei“, wird seit Ende der 1970er Jahren über die Institutionalisierung und rechtliche Normierung einer unabhängigen Kontrolle der Polizei nachgedacht. Unter dem Eindruck des Hamburger Polizeiskandals versuchte sich erstmals Hamburg von 1998 bis 2001 mit der ehrenamtlichen Polizeikommission an einem Gremium zur unabhängigen Bearbeitung von Beschwerden gegen die Polizei, bis das Intermezzo der Schill-Partei dem Projekt ein Ende setzte.
Etwa zehn Jahre später erkämpfte Amnesty International im Konzert mit anderen Bürgerrechtsorganisationen mit der Kampagne „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ wieder öffentliche Aufmerksamkeit fürs Thema. Bundespolitisch aufgegriffen wurden die Forderungen im Zusammenhang mit dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages: SPD, Grüne und Linke plädierten in ihren Sondervoten zum Abschlussbericht für die Einrichtung von Polizeibeschwerdestellen; in den gemeinsamen Teil schaffte es allerdings nur die Empfehlung zur Stärkung einer „Fehlerkultur“.[1] Bereits zuvor hatten insbesondere grüne und linke Oppositionen in mehreren Bundesländern Vorschläge für unabhängige Polizeibeauftragte oder ‑kommissionen vorgelegt.[2] Auf Bundesebene legte die grüne Fraktion im Februar 2016 den Entwurf für ein Bundespolizeibeauftragtengesetz vor, der jedoch – trotz NSU – relativ geschlossen von der Großen Koalition abgelehnt wurde.[3]
Vielfältige Modelle
Recht unterschiedlich sind die Vorstellungen davon, wie eine unabhängige Polizeikontrolle im Detail ausgestaltet sein soll. Während manche Vorschläge das Mandat solcher Stellen schwerpunktmäßig bei der Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen sehen,[4] geht es anderen primär um den Schutz vor Diskriminierung[5] oder auch ganz allgemein um den Schutz der Grundrechte und die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle des Polizeiwesens.[6] Entsprechend sollen sich einerseits nur von polizeilichem Handeln Betroffene mit Beschwerden an solche Stellen richten können, oder aber andererseits auch Polizeibedienstete. In organisatorischer Hinsicht konkurrieren Vorschläge für divers besetzte und eng an die Zivilgesellschaft angebundenen Kommissionen mit Modellen von Polizeibeauftragten, die ihren Stab alleine leiten. Mal sollen sie Oberste Landesbehörden, mal Hilfsorgane der Parlamente sein. Unterschiedlich sind auch die Vorstellungen zum Verhältnis gegenüber Staatsanwaltschaft und Disziplinarrecht: Während manche Stimmen lediglich wollen, dass nach Abschluss eigener Untersuchungen nur Empfehlungen abgegeben werden, schlagen andere vor, dass die Beschwerdestellen Ermittlungen und Disziplinarverfahren überwachen können, oder, so der Autor, ein Zwei-Säulen-Modell bei dem Ombudsstellen neben unabhängigen strafrechtlichen Ermittlungsstellen existieren.
Nicht eindeutig ist auch, was eigentlich „unabhängig“ meint: So steht einerseits die Forderung im Raum, dass Beschwerdestellen nicht an die Exekutive gebunden sein dürften, wohingegen etwa Amnesty International in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) lediglich empfiehlt, dass sie „nicht über hierarchische oder institutionelle Verbindungen zur Polizei verfügen“ sollten.[7] Wo aber die Grenzen zu ziehen sind, dazu gibt auch der EGMR recht widersprüchliche Antworten: Mehrfach hat das Gericht zwar inzwischen klargestellt, dass die reine Sachleitung der Staatsanwaltschaft über kriminalpolizeiliche Ermittlungen keine hinreichende Garantie für unabhängige Ermittlungen darstellt. Während die Straßburger RichterInnen aber etwa die Unabhängigkeit der SonderermittlerInnen des tschechischen Polizeiinspekteurs infragestellten,[8] weil diese weiterhin im Verantwortungsbereich des Innenministeriums operieren, sahen sie keine hinreichend engen Verbindungen zwischen ermittelnden KriminalbeamtInnen und beschuldigten BereitschaftspolizistInnen des Münchener Polizeipräsidiums, um an der Zuverlässigkeit und Effektivität der Ermittlungen zu zweifeln.[9]
Legt man angesichts der vielfältigen Modelle und begrifflichen Unschärfen zunächst ein weites Verständnis von unabhängig im Sinne von polizeiextern zugrunde, existieren in Deutschland zur Zeit drei Typen von Beschwerde- bzw. Ermittlungsstellen: Erstens, exekutive Beschwerdestellen der Innenministerien in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen, zweitens, polizeiexterne Ermittlungsstellen der Innenbehörden von Hamburg und Bremen und, drittens, Landespolizeibeauftragte in Personalunion mit Bürgerbeauftragtenstellen der Landtage in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg.
Exekutive Beschwerdestellen
Als erste der Beschwerdestellen in einem Innenministerium wurde am 1. September 2009 die Zentrale Beschwerdestelle Polizei unter einer schwarz-roten Landesregierung in Sachsen-Anhalt eingerichtet. Kursierte ursprünglich die Idee, die Stelle beim Landespräventionsrat anzusiedeln, wurde sie letztlich im Innenministerium eingerichtet – allerdings räumlich getrennt, um Distanz gegenüber der Polizeiabteilung des Ministeriums zu signalisieren. Ihr Mandat wurde inzwischen mehrfach erweitert: Seit Oktober 2017 ist sie nicht nur für Beschwerden gegen die Polizei, sondern im gesamten Geschäftsbereich des Ministeriums zuständig und firmiert inzwischen unter dem Namen „Zentrale Beschwerdestelle – Korruptionsprävention – Informationssicherheit“. Ende 2016 beschäftigte die Stelle sechs Personen, davon drei im eigentlichen Beschwerdemanagement. Das Beschwerdeaufkommen bewegt sich zwischen 258 (2011) und 437 (2014) und betrug zuletzt 394 (2016).[10]
Am 1. Juli 2014 folgte Niedersachen. Mit der Einrichtung der Beschwerdestelle setzte SPD-Innenminister Boris Pistorius eine Vereinbarung aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag von 2013 um. Von Anfang an war die Beschwerdestelle für den gesamten Geschäftsbereich des Innenministeriums zuständig, so dass Eingaben zur Polizei nur einen Teil des Beschwerdeaufkommens ausmachen. Die Zahl der Beschwerden blieb weitgehend gleich: Im zweiten Halbjahr 2014 wurden 341 (davon 224 gegen Polizei) eingereicht, in den ganzen Jahren 2015 und 2016 waren es 630 (385) bzw. 634 (375). Die im Herbst 2017 an die Macht gekommene rot-schwarze Koalition plant nun den Umbau der Beschwerdestelle „in ein Qualitätsmanagement für die gesamte Landesverwaltung“,[11] was manche BeobachterInnen als Zeichen dafür deuten, dass man die Stelle eigentlich abwickeln möchte.
In Sachsen nahm die Beschwerdestelle am 5. Januar 2016 ihre Tätigkeit im Innenministerium mit vier Mitarbeitenden auf – hier in Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD von 2014. Nachdem dort im ersten Tätigkeitsjahr 219 Beschwerden eingegangen waren, sank das Aufkommen 2017 auf 202 Vorgänge.[12] Wenig ermutigend waren Meldungen, dass Strafverfahren gegen einzelne BeschwerdeführerInnen eröffnet wurden, nachdem von Beschwerden betroffene PolizistInnen deren Personendaten im Rahmen der Vorgangsbearbeitung durch die Beschwerdestelle erhalten und Anzeige erstattet hatten.[13] In Thüringen wurde, wie vage im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2014 vereinbart, am 1. Dezember 2016 eine „Polizeivertrauensstelle“ beim Innenministerium eingerichtet. Ähnlich wie ihr Pendant in Sachsen-Anhalt ist auch sie vom Ministerium räumlich getrennt im Landesamt für Statistik untergebracht.[14]
Gemeinsam ist den vier Stellen, dass sie als Stabsstellen direkt den Innenstaatssekretären unterstellt sind und damit jenseits von Polizei und der Polizeiabteilung im Ministerium operieren sollen. Das Personal, immer im einstelligen Bereich, rekrutiert sich in der Regel aus der Verwaltungsbeamtenschaft der Innenbehörden oder dem Polizeivollzugsdienst. Unterschiede gibt es im Mandat: Während die Stellen in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Sachsen sowohl Eingaben von BürgerInnen als auch aus dem Polizeiapparat bearbeiten, ist die Thüringer Stelle nur für BürgerInnenbeschwerden zuständig. In Sachsen-Anhalt wiederum ist sie nur für Dienstaufsichtsbeschwerden zuständig und leitet Fachaufsichtsbeschwerden sofort an die zuständigen Dienststellen weiter, während die anderen Stellen auch Fachaufsichtsbeschwerden entgegennehmen. Keine der Stellen hat allerdings Befugnisse, eigenständige Untersuchungen anzustrengen; immer ist man bei der Klärung eines Sachverhaltes auf die Auskünfte von beteiligten PolizistInnen oder ihrer Vorgesetzten angewiesen. Alle disziplinar- oder strafrechtlichen Vorgänge werden an die Dienststellenleitung bzw. die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Somit können sie als „Instrument für die Qualitätssicherung“ zwar die Funktion eines zentralen Indikators für eventuelle Missstände für Innenministerium und Polizeiführung erfüllen, zur Abhilfe von Beschwerden können sie aber allerhöchstens ein Gespräch vermitteln. Es überrascht daher nicht, dass im Rahmen der jüngsten „Zufriedenheitsbefragung“ in Sachsen-Anhalt etwa 40 Prozent der antwortenden BeschwerdeführerInnen angaben, sich nicht ernst genommen zu fühlen.[15]
Polizeiexterne Ermittlungen in den Stadtstaaten
Wirklich strafrechtlich ermitteln hingegen das polizeiexterne Dezernat Interne Ermittlungen (D.I.E.) in Hamburg und der Abschnitt Interne Ermittlung in Bremen. Das D.I.E. existiert bereits seit dem 1. Februar 1995.[16] Es war damals unter dem Eindruck des Hamburger Polizeiskandals eingerichtet worden und hat, anders als die Hamburger Polizeikommission, bis heute überlebt. Seitdem ist die Einheit unverändert zuständig für Korruptions- und andere Amtsdelikte nicht nur in den Reihen der Polizei, sondern der gesamten Landesverwaltung.[17] Seit Abschluss ihrer Aufbauphase hat die Sondereinheit zwischen 40 und knapp 50 MitarbeiterInnen in Vollzeit, davon etwa ein Dutzend für operative Maßnahmen wie zum Beispiel Observationen oder verdeckte Ermittlungen.[18] Sie unterstehen direkt dem Staatsrat der Innenbehörde und sind der Staatsanwaltschaft gegenüber weisungsgebunden. Das Personal rekrutiert sich aus der Hamburger Kriminal- und Schutzpolizei und kann allerhöchstens zehn Jahre – im Bereich Amtsdelikte neun Jahre – im D.I.E. arbeiten, bevor es wieder in den Polizeidienst zurückkehrt.[19] Damit, so hieß es, soll deutlich gemacht werden, dass die Tätigkeit im D.I.E. kein Makel ist, sondern ein positiver „Karrierebaustein“.[20]
Zwischen 2011 und 2015 hat das D.I.E. jährlich zwischen 671 und 750 Verfahren geführt, bei denen Beschuldigte ermittelt werden konnten. Davon richteten sich zwischen 189 (2015) und 262 (2011) Verfahren gegen PolizistInnen; bei der überwältigenden Mehrheit ging es um den Vorwurf der Körperverletzung im Amt. In den allermeisten Fällen wurden die Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Zu Verurteilungen wegen Körperverletzung im Amt kam es nur im niedrigen einstelligen Bereich; allerdings schweigt sich die Statistik darüber aus, ob dies PolizistInnen betraf oder andere AmtsträgerInnen.[21] Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Ermittlungen des D.I.E. im Gefolge des G20-Gipfels in Hamburg: Eine 15-köpfige Sonderkommission führte bis Mitte Mai 2018 155 Ermittlungsverfahren, 121 von ihnen wegen mutmaßlicher Körperverletzung im Amt. 52 Verfahren waren zu diesem Zeitpunkt bereits mangels Tatverdacht eingestellt.[22]
Nach dem Vorbild des D.I.E. wurde in Bremen 2009 der Abschnitt Interne Ermittlungen beim Innensenator eingerichtet. Auch dort unterstehen die ErmittlerInnen unmittelbar dem Staatsrat und sind gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungsgebunden. Zwar obliegt die Strafverfolgung von Korruptionsdelikten in Bremen der gleichfalls beim Innensenator angesiedelten Zentralen Antikorruptionsstelle, allerdings ist das Referat mit nur drei MitarbeiterInnen – ein Jurist als Referatsleiter und zwei KriminalbeamtInnen für die Sachbearbeitung – immer noch deutlich kleiner als sein Hamburger Pendant.[23] Gleichwohl haben die Internen ErmittlerInnen jährlich eine Anzahl von Verfahren im unteren dreistelligen Bereich zu bewältigen, die sich überwiegend auf Polizeibedienstete beziehen, was die Frage aufwirft, wie gründlich ausermittelt werden kann. Die große Mehrheit der Verfahren wird auch hier von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.[24]
Inzwischen versucht sich Bremen an einem absoluten Novum: Im rot-grünen Koalitionsvertrag von 2015 hatte man vereinbart, die Ermittlungen gegen PolizeibeamtInnen vom Innen- in das Justizressort zu überführen, „um jeglichen Anschein von Voreingenommenheit im Vorherein auszuschließen“.[25] Im Oktober 2016 legte der Senat der Innendeputation einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bremischen Polizeigesetzes zur Beratung vor, die durch die Umsiedlung der Internen Ermittlungen als Dienststelle der Staatsanwaltschaft Bremen quasi eine Art Sonderstaatsanwaltschaft für Amtsdelikte unter Fachaufsicht des Justizsenators schaffen soll.[26] Unklar ist seitdem aber, wie die Personalrekrutierung und -entwicklung einer solchen Dienststelle funktionieren soll, da den KriminalbeamtInnen der Internen Ermittlungen ein Aufstieg in staatsanwaltschaftliche Funktionen versperrt ist.[27] Ob und wie die Hürden auf dem Weg zur Einrichtung einer ersten Stelle zur strafrechtlichen Ermittlung mutmaßlicher Polizeidelikte außerhalb einer Innenbehörde gelöst werden können, wird sich hoffentlich in naher Zukunft zeigen.
Polizeibeauftragte der Landtage
Nicht die strafrechtliche Ermittlung, sondern Moderation und Mediation stehen im Zentrum des Modells Landespolizeibeauftragte. Pionier war dabei Rheinland-Pfalz, wo am 18. Juli 2014 das Amt des seit 1974 existierenden Bürgerbeauftragten des Landestages um die Funktion eines unabhängigen und weisungsfreien Polizeibeauftragten erweitert wurde. Überraschenderweise ging die rot-grüne Koalition damit über den im Koalitionsvertrag von 2011 vereinbarten Kompromiss einer Beschwerdestelle im Innenministerium hinaus und näherte sich der ursprünglichen Forderung der Grünen an, eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle beim Landtag einzurichten. Ausschlaggebend für das Umdenken der SPD dürfte gewesen sein, dass die GdP zuvor einen eigenen Gesetzentwurf für einen Polizeibeauftragten vorlegt hatte. Das neu geschaffene Amt soll das „partnerschaftliche Verhältnis zwischen Bürger und Polizei“ stärken. Hierfür sollen BürgerInnen „im Dialog mit der Polizei“ unterstützt und Beschwerden bearbeiten werden, die „ein persönliches Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter oder die Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme“ behaupten.[28] Darüber hinaus aber sollen – wie von der GdP vorgeschlagen – auch Eingaben aus dem Polizeiapparat bearbeitet werden. Der rheinland-pfälzische Bürgerbeauftragte war – ähnlich wie seine Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen – schon zuvor zuständig für Beschwerden gegen die rechtswidrige oder unzweckmäßige Erledigung von BürgerInnenangelegenheiten durch die Landesverwaltung, allerdings hatten Beschwerden gegen die Polizei nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Doch bereits am Ende des ersten Tätigkeitjahres berichtete der rheinland-pfälzische Bürger- und Polizeibeauftragte, damals Dieter Burgard, ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der SPD, von einer Vervierfachung der Beschwerden in diesem Bereich.[29] Am 29. April 2018 übernahm die ehemalige Vizepräsidentin des Landtags, Barbara Schleicher-Rothmund (SPD), das Amt.
Dem Vorbild von Rheinland-Pfalz folgend, beschlossen auch die Landtage von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im Februar beziehungsweise Juni 2016 die Einrichtung von Landespolizeibeauftragten. In beiden Fällen sind die Landespolizeibeauftragten in Personalunion auch Bürgerbeauftragte der Landtage. In Baden-Württemberg wurde das Amt gänzlich neu geschaffen. Aufgrund des Regierungswechsels von grün-rot zu grün-schwarz mit deutlicher Verzögerung wählte der Landtag in Stuttgart am 1. Dezember 2016 den ehemaligen Präsidenten des Polizeipräsidiums Aalen, Volker Schindler, ins Amt. Im Februar 2017 nahm er seine Arbeit auf. In Schleswig-Holstein übernimmt die seit 1994 existierende Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten die neue Aufgabe seit dem 1. Oktober 2016. Sie ist zugleich auch Antidiskriminierungsstelle und Ombudsperson für die Kinder- und Jugendhilfe des Landes. Amtsinhaberin ist die Juristin Samiah El Samadoni.
Eine Besonderheit ist die Möglichkeit, dass auch Angehörige der Polizei sich mit Eingaben zu „Vorgängen aus dem innerpolizeilichen Bereich“ an die Polizeibeauftragten wenden können. Obwohl häufig auf das Vorbild des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages verwiesen wird, müssen die Polizeibeauftragten jedoch hierbei nicht nur Eingaben nachgehen, die auf eine Verletzung von Grundrechten der BeamtInnen oder der Grundsätze der Inneren Führung schließen lassen.[30] Vielmehr können Eingaben, so die Begründung des Gesetzentwurfes aus Rheinland-Pfalz, recht allgemein „nicht nur dienstliche, sondern auch im dienstlichen Kontext stehende soziale oder persönliche Konfliktsituationen zum Gegenstand haben“.[31] Entsprechend stammen beim rheinland-pfälzischen Polizeibeauftragten zwischen 35 und 40 Prozent der etwa 80 bis 100 Beschwerden, die pro Jahr eingehen, von PolizistInnen, die etwa Probleme mit Versetzungen oder mangelnder Beförderung beklagen.[32] In Schleswig-Holstein überwiegt der Anteil der Eingaben aus der Polizei sogar deutlich: Bis Mitte Juli 2018 gingen 253 Eingaben aus der Polizei ein, im Vergleich zu 73 BürgerInnenbeschwerden.[33] Ob es dabei um ähnliche Themen geht wie in Rheinland-Pfalz oder die hohe Zahl im Zusammenhang mit der Kritik an der Polizeischule und am Landeskriminalamt steht, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass die Polizeibeauftragten in erheblichem Maße als Anlaufstelle von unzufriedenen PolizistInnen genutzt werden.
Gemeinsam ist allen drei Landespolizeibeauftragten, dass sie angehalten sind, auf eine „einvernehmliche Erledigung“ der Angelegenheiten hinzuwirken und somit dem Prinzip der Mediation verpflichtet sind. Allerdings können sie in Fällen, bei denen sie Rechtsverletzungen erkennen, auch die Innenministerien zur Stellungnahme auffordern; in begründeten Fällen und mit Einverständnis der BeschwerdeführerInnen können sie auch die für Disziplinar- oder Strafverfahren zuständigen Stellen informieren. Lediglich in Schleswig-Holstein ist allerdings die praktische Unabhängigkeit der Beauftragten bei der Aufklärung von Sachverhalten gesichert: Sie hat Auskunfts-, Akteneinsichts- und Zugangsrechte gegenüber allen Dienststellen und Einrichtungen der Polizei, wohingegen die Stellen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nur vom Innenministerium Auskunft verlangen dürfen.[34]
In welchem Umfang die schleswig-holsteinische Beauftragte von ihren Rechten Gebrauch machen kann, ist jedoch fraglich. Denn ebenso wie die Kollegin in Rheinland-Pfalz, wo nur zwei Kräfte die Beschwerden bearbeiten, ist sie trotz des breiten Mandats personell äußerst schwach aufgestellt: Eine Sachbearbeiterin und eine Referentin in Vollzeit arbeiten in Kiel für die Landespolizeibeauftragte.[35]