Zum Schwerpunkt
Es ist nicht überraschend: In der Kürze der Zeit hat die vom digitalen Kapitalismus beschleunigte Publizistik wenig Fach- und Sachliteratur zum Themenfeld Corona und Polizei produzieren und auf den Markt bringen können. Online hat sich aber einiges getan, neben dem Corona-Tagebuch der CILIP widmen sich weitere Seiten im Netz der kritischen Begleitung oder jedenfalls der Dokumentation – meist aus der Perspektive der Juristerei. Das ist in doppelter Hinsicht nicht erstaunlich: Einerseits sind Jurist*innen es gewohnt, sich schriftlich über ihre Differenzen bei der Auslegung von diesem Gesetz und jener EU-Verordnung zu verbreiten. Andererseits ist eine Pandemie beziehungsweise „Epidemie von nationaler Tragweite“ keiner jener Lebensumstände, die sich so leicht unter die bestehenden Rechtsbegriffe subsumieren ließe – daher waren und sind Jurist*innen derzeit besonders gefordert.
Gössner, Rolf: Gedanken und Thesen zum Corona-Ausnahmezustand, in: Ossietzky 2020, H. 8 (Langfassung auf www.ossietzky.net)
Die Zeitschrift Ossietzky widmet ihr aktuelles Heft dem Corona-Virus. Verschiedene Beiträge fokussieren soziale Fragen: Sie kritisieren etwa die Neoliberalisierung des Gesundheitssystems (Anne Rieger „Pandemie entblößt Kapitalismus“) und die Gefahren der Neuauflage tradierter Geschlechterarrangements im Homeoffice (Marcus Schwarzbach „Corona, Homeoffice und das Arbeitsrecht“). Hervorzuheben ist der Beitrag von Rolf Gössner. Unter dem Titel „Gedanken und Thesen zum Corona-Ausnahmezustand“ leistet er eine linke Kritik an der Einschränkung von Freiheitsrechten. Er problematisiert einen „Konformitätsdruck“: Kritik gegenüber Maßnahmen, die das Leben retten sollen, sei nur schwer artikulierbar, in der Demokratie aber notwendig.
Was passiert, wenn Linke sie nicht formulieren, so möchte man* hinzufügen, sehen wir aktuell: Rechte vermögen das diskursive Vakuum zu erobern.
Gössner negiert keinesfalls die Gefahr des Virus. Er moniert aber, dass das Schutzgut Leben, das hier verteidigt wird, sonst oft weniger Wert ist. Dies zeigten etwa Politiken, die Verkehrstote, multiresistente Krankenhaus-Keime und ertrunkene Geflüchtete hervorbringen. Bis zum Verfassungsgerichtsurteil Mitte April 2020 war das wichtigste Schutzgut der Demokratie, die freie und kollektive Meinungsäußerung, gänzlich ausgesetzt – und zwar selbst dort, wo Infektionsschutz möglich gewesen wäre. Gerichte stellen auf die hohen Schutzgüter Gesundheit und Leben ab. Gössner fordert, dabei nicht Menschenleben gegen Menschenrechte auszuspielen, die Verhältnismäßigkeit zu wahren und immer das mildeste Mittel zu wählen. Dies geschehe nicht: Einige Maßnahmen schienen willkürlich (etwa das Verbot, auf der Parkbank zu sitzen), Verordnungen seien dünn gestützt auf die Gefahrenabwehrklausel des Infektionsschutzgesetzes. Im Schnellverfahren geändert, enthalte diese nun „Blanko-Ermächtigungen der Bundes-Exekutive ohne parlamentarische Kontrolle und Ländermitwirkung“. In der Krise drohe eine Verschärfung von Militarisierung, digitaler Überwachung und Einsatz der Bundeswehr im Innern als Hilfspolizist*innen (Letzteres immerhin trat noch nicht ein). Soziale Verwerfungen durch die anklingende Wirtschaftskrise sowie psychosoziale Folgen der Isolation kämen außerdem zu wenig zur Sprache. Es gelte den Angstdiskurs zu bekämpfen, der süchtig nach Sicherheit macht und – trotz wachsendem Unmut – autoritäre Sehnsüchte schafft, die eine Wirtschaftskrise verstärken. (Jenny Künkel)
Grüneklee, Gerald; Heni, Clemens; Nowak, Peter: Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik, Berlin (Edition Critic) 2020
Peter Nowak sieht „bei vielen Befürworter*innen als auch Gegner*innen des Corona-Notstands irrationale Denkweisen“. Die Unzufriedenheit mit den „größten Freiheits- und Grundrechtsbeschränkungen“ seit 1945 und „das Versagen der Linken […], die weitgehend die Staatspropaganda“ und „Corona-Massenpanik“ mitmache, teilt der Journalist mit dem Sozialpädagogen und Antiquar Gerald Grüneklee und dem Politikwissenschaftler Clemens Heni. Um die Grundrechte aus einer dezidiert linken Position heraus zu verteidigen und dem Mangel an Diskurs etwas entgegenzusetzen, sei kurzfristig das vorliegende Buch entstanden und die Texte „auch als Dokumente des Moments zu lesen“.
Grüneklees Beiträge schwanken zwischen Tagebuch, Feuilleton und politischer Agitation. Er beklagt die hohe Akzeptanz gegenüber polizeilichen Maßnahmen und spricht von einer „autoritäre(n) Formierung“ der Gesellschaft. Die Gefahr durch das Virus selbst wird kleingeredet, messbare Übersterblichkeit ignoriert. Dafür geht er auf Risikogruppen ein, die besonders von den Maßnahmen betroffen sind (Frauen, Obdachlose, Lohnabhängige…). Das Primat staatlichen Handelns sei dabei „weiterhin die Wirtschaft, nicht die Gesundheit“.
Auch Heni reflektiert in tagebuchartigen, sozialwissenschaftlich gefärbten Texten die Pandemie. Nach ihm geht es jedoch „nicht um die Rettung des Kapitalismus, sondern um den Staat“ an sich. Beim Thema Gesichtsmaske spricht Heni von „Selbstfaschisierung“ und versteigt sich schließlich über Burka/Maske-Analogien zu antimuslimischem Rassismus („Man kann schon jetzt ohnehin verschleierte Musliminnen sehen, die innerlich lachend den Mundschutz tragen, der ist billiger als eine Burka und hat ganz ähnliche Effekte: die Demütigung der Frauen, die Entwürdigung eines Menschen, das Degradieren zu einem Stück Fleisch mit Stoff drum herum, wie ein Roboter.“).
Nowak steuert schließlich weitere Artikel bei, welche die Situation kaleidoskopartig, sehr konkret und mit Einsprengseln einer internationalen Perspektive behandeln. Er rezipiert viele Stimmen der gesellschaftlichen Linken und unterzieht sie einer bewertenden Einordnung. So werde der Corona-Notstand als Präzedenzfall für einen Klimanotstand geradezu begrüßt. Man müsse sich fragen, „warum Menschen, die oft links und antiautoritär sozialisiert sind, diese autoritäre Politik der Anweisungen so klaglos hinnehmen“. Besonders interessant ist auch ein Text, der das Entstehen der „Hygiene-Demonstrationen“ und deren Entwicklung aus persönlicher Perspektive darstellt. Autoritäre Staatlichkeit ist für Nowak „keine Verschwörung, sondern eine Konsequenz kapitalistischer Politik“.
Mit unterschiedlichem Fokus lässt das Buch die letzten Monate drei Mal Revue passieren. Das Anliegen ist zunächst legitim und staatliche Autorität, Subjektkonstituierung und kapitalistische Wirtschaftsweise sind ein gutes Analysedreieck um Einverstandensein und Verschwörungstheorie gleichsam hinter sich zu lassen. Leider sind die Kritiken oft sehr oberflächlich und die Paradoxie der Situation wird umgangen, indem eine „Gesundheitsdikatur“ (Heni) imaginiert wird. Immerhin zeigt das Buch klare Kante gegen rechts und stellt in Teilen einen Diskussionsbeitrag dar, an dem man sich reiben kann. (Christian Meyer)
Ruttloff, Marc; Wagner, Eric: Covid-19 und Recht (COVuR) – Medium für Rechtsfragen rund um die Pandemie, Beck-Verlag, Heft 1 erschienen am 1.5.2020
Mit der Corona-Krise gebar der Beck-Verlag gleich eine nur diesem Thema gewidmete Zeitschrift. Die vier Beiträge des ersten Hefts widmen sich der Durchführung von Zivilprozessen unter den Rahmenbedingungen der Corona-Verordnungen, die Möglichkeit der Reduzierung des Mietzinses in Gewerberäumen, der insolvenzrechtlichen Krisen-Compliance und der öffentlichen Auftragsvergabe. Daneben findet sich jeweils ein bunter Strauß von Zusammenfassungen aktueller Urteile, auch hier mit Schwerpunkt auf dem Zivilrecht. Die zweite Ausgabe widmet sich einem breiteren Themenkreis, spart aber die Themen Versammlungsrecht und Bewegungseinschränkungen ebenso aus wie die erste.
Aus dem Netz
Ganz anders sieht es bei diesem Thema selbstverständlich beim Verfassungsblog aus. Dort erschien eine Reihe von Beiträgen, die sich mit verfassungsrechtlichen Fragen vornehmlich um die Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen von Bewegungs- und Versammlungsfreiheit durch die von den Ländern in Umsetzung der Beschlüsse von Bund und Ländern erlassenen Allgemeinverfügungen und Verordnungen drehen. Den Aufschlag machten dabei Beiträge von Andrea Kießling und Anika Klafki am 2. März 2020, also nach dem Auftreten erster Corona-Fälle in Deutschland ohne erkennbaren Bezug zu Reisen aus China nach Deutschland. Kießling führte in ihrem Beitrag („Corona, Masern und die Grundrechte“) zunächst allgemein in das bis dahin den meisten Menschen unbekannte „Infektionsschutzgesetz“ und seine weitreichenden Befugnisse für die Gesundheitsbehörden ein. Damit reagierte sie auch auf ein Phänomen der ersten Phase der Pandemie, als zunächst vor allem die Befugnisse der Gesundheitsämter zur Anordnung von Quarantäne im Fokus journalistischen und publizistischen Interesses standen. Jetzt seien auch einmal die Bessergestellten von Maßnahmen zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten betroffen – während in den vergangenen Jahrzehnten meistens sozial Marginalisierte (Prostituierte, Drogenabhängige, Schwule, Geflüchtete) jenseits jedes öffentlichen Interesses mit zwangsweisen Untersuchungen und ähnlichem überzogen worden seien. Dennoch biete das Infektionsschutzgesetz aus grundrechtlicher Sicht nur wenig Diskussionsstoff, schließlich gehe es hier um den Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Klafki stellt in ihrem Beitrag auch die Versuche einer internationalen rechtlichen Regulierung der Pandemiebekämpfung dar und weist darauf hin, dass der Infektionsschutz in Deutschland weder rechtlich noch organisatorisch auf eine Pandemie vorbereitet ist, sondern eher überschaubare örtliche Infektionen im Blick hat. Das Seuchenschutzrecht müsse dringend auf die politische Agenda.
Deutlicher in der Kritik wurde zwei Wochen später Hans Michael Heinig mit seinem Beitrag „Gottesdienstverbot auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes“. Darin argumentierte er deutlich gegen die Verbote und bestätigte damit Klafkis These von unzureichenden rechtlichen Grundlagen für die Pandemiebekämpfung. Ob aus dem Fehlen einer eigenen Rechtsgrundlage für Gottesdienstverbote, die bis dato durch die Behörden einfach unter das Verbot von Ansammlungen subsummiert wurden, tatsächlich die Gefahr erwächst, dass sich „der Rechtsstaat innerhalb weniger Wochen in einen faschistoid-hysterischen Rechtsstaat verwandelt hat“, sei dahingestellt. Im Anschluss an diese Aufmerksamkeit heischende Formulierung führt er im Kern ebenfalls aus, dass die bis dato ergriffenen Maßnahmen die verfassungsmäßigen Anforderungen erfüllen und nur im Einzelfall darüber hinausschießen.
Erneut Klafki widmete sich dann am 25. März 2020 dem Entwurf der Reform des Infektionsschutzgesetzes und wies zurecht darauf hin, dass auch hier die Regelungen zu allgemeinen Ausgangs- und Kontaktsperren zu wenig klar umrissen (Voraussetzungen, Befristung) seien und den verfassungsrechtlichen Anforderungen so nicht genügten („Neue Rechtsgrundlagen im Kampf gegen Covid-19: Der Gesetzesentwurf zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“).
Auch Christoph Möllers („Parlamentarische Selbstentmächtigung im Zeichen des Virus“) widmete sich am 26. März 2020 einem Beitrag den weiter fehlenden ausreichenden Rechtsgrundlagen für die kurz zuvor von den Landesregierungen beschlossenen Ausgeh- und Kontaktverbote. „Die … Ansicht, das Land ließe sich mit Hilfe einer Generalklausel dicht machen, erscheint einigermaßen kurios. Sie macht aus einem besonderen Polizeirecht ein allgemeines Notstandsrecht.“ In der Sache seien die Maßnahmen richtig, aber das Fehlen einer angemessenen gesetzlichen Grundlage könnte das Legalitätsverständnis erschüttern – außerdem vermisst Möllers eine Gegenwehr des Parlaments gegen die umfassende Übertragung von Verordnungsermächtigungen auf das Bundesgesundheitsministerium. In ihrem Beitrag „Ausweispflicht per Corona-Verordnung?“ widmen sich Hartmut Aden, Clemens Arzt und Jan Fährmann am 29. März 2020 ausführlich der Berliner Corona-Verordnung, zugleich eine wohl gelungene Intervention in die öffentliche Debatte: Wenige Tage später strich der Berliner Senat die in dem Artikel als rechtswidrig dargelegte Verpflichtung, den Personalausweis mit sich zu führen.
Vor einem „Niedergang grundrechtlicher Denkkategorien in der Corona-Pandemie“ warnte Oliver Lepsius am 4. April 2020. Zu konstatieren seien nicht nur Grundrechtseingriffe ungeahnten Ausmaßes, sondern auch ein flächendeckender „Ausfall rechtsstaatlicher Argumentationsstandards“, womit sich Lepsius auch gegen die her zurückhaltenden Stimmen im Verfassungsblog wandte, die die Maßnahmen an sich für angemessen befanden. Er legt das zentrale Dilemma der Grundrechteabwägung gerade in versammlungsrechtlichen Entscheidungen dar: Gegen die Versammlungsfreiheit stünde keine konkrete Gefahr für die Gesundheit, sondern die „Vermeidung der Überforderung des Gesundheitssystems“. Darüber ließen sich aber nur Hypothesen anstellen. Deshalb seien alle Maßnahmen, die sich gegen alle richten und zugleich nicht sicher zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen, unzulässig. Zu fordern sei die beständige Suche nach milderen Mitteln, „und nicht ein Überbietungswettbewerb“, der „mit flächendeckenden Regelungen in eine Hygienediktatur führt“. Gerade letzte Formulierung provozierte heftige Wortmeldungen unter dem Beitrag, die sich ebenfalls zu lesen lohnen.
In ihrem bewusst doppeldeutig betitelten Beitrag „Versammlungsfreiheit in der Krise“ widmen sich Aidan Harker, Jonas Deyda, Katharina Söker und Laurens Brand am 14. April 2020 der versammlungsrechtlichen Entwicklung in den ersten Wochen nach Ausrufung der Pandemie in Deutschland. Durch die Corona-Maßnahmen lege sich „über das herkömmliche Versammlungsrecht ein infektionsschutzrechtliches Sonderregime“, das durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung gestützt worden sei. Die Verwaltungsgerichte hätten hierbei den Maßstab einer Minimalgefahr angelegt und hätten so die Versammlungsverbote gestützt. Es handele sich bei der bloßen Gefahr weiterer Infektionen aber um „eine unsichtbare Gefahr“, die abstrakt bei jeder Menschenansammlung bestehe.
Auf dem Verfassungsblog finden sich darüber hinaus viele weitere Beiträge zur Situation in Ländern Asiens, Amerikas und Europas. In einem Podcast mit dem Titel „Corona Constitutional“ interviewte Maximilian Steinbeis, einer der Macher, Expert*innen zu einer Reihe von Themen rund um Corona und Grundrechte in Deutschland und anderen Staaten vornehmlich der EU. Wiederkehrendes Thema war die Entwicklung und Anwendung von Corona-Tracing-Apps zur Kontaktverfolgung oder gleich zum Tracking der gesamten Bevölkerung.
Die Initiative „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht“, ein Zusammenschluss von Assistent*innen rechtswissenschaftlicher Lehrstühle, hat ebenfalls eine Reihe von Beiträgen dem Umgang mit der Corona-Pandemie gewidmet, bei denen es vor allem um den verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Umgang mit Verordnungen und Anordnungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes geht.
Einen der herausragend kritischen Beiträge veröffentlichte dabei Nassim Madjidian mit „Wenn Gerichte sich weigern – Eilrechtsschutz bei Versammlungsverboten in den ersten Pandemiewochen“. Sie wagt zum Einsetzen eines allgemeinen Lockerungswettbewerbs der Länder einen Rückblick auf die ersten Wochen. Gerichten wirft sie vor, diese hätten „es in den ersten Wochen nicht geschafft, Gesundheitsschutz und Versammlungsfreiheit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.“ Für den Zeitraum zwischen dem 20. März und dem 15. April 2020 seien ihr 19 Entscheidungen bekannt, nur eine erlaubte eine Versammlung unter strengen Auflagen, eine forderte eine erneute Prüfung durch die Versammlungsbehörde. In den Entscheidungen erkennt sie zudem eine weitreichende Selbstbeschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs, der ebenfalls auf Kosten der Versammlungsfreiheit gehe.
Alessa Stache kritisiert in dem Beitrag „Vorläufiger Rechtsschutz in der (Corona-)Krise“den geringen Prüfungsumfang der Gerichte, die sich kaum damit auseinandersetzten, ob die Maßnahmen der Verwaltung insgesamt rechtmäßig sind.
Wesentlich optimistischer hinsichtlich der Rolle von Gerichten äußert sich Ademir Karamehmedovic mit „In Dubio pro securitate? – Zwischen Freiheit, Sicherheit und Gleichheit in der Corona-Krise“. Insgesamt scheine „wie so oft in Gefährdungslagen grundrechtlicher Freiheiten, auf die Judikative Verlass zu sein“.
So bildet der JuWiss-Blog sowohl eine gewissen Spannbreite rechtswissenschaftlicher Meinungen ab als auch einige andere Themen von Maskenpflicht bis zur Entschädigung Gewerbetreibender oder die Anwendbarkeit des Forschungsprivilegs im Datenschutzrecht in der aktuellen Lage.
Ebenfalls mit dem Schwerpunkt Grundrechte in der Corona-Krise hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) einen Blog unter freiheitsrechte.org/corona-und-grundrechte aufgesetzt, der umfassende Informationen in Form eines FAQ zu den Themengebieten Grundrechte in Zeiten einer Pandemie, Staatsrecht (Föderalismus, Beschlussfähigkeit von Parlamenten, Gesetzesreformen und Grenzen), staatliche Schutzpflichten gegenüber besonders gefährdeten Gruppen und den Perspektiven und Alternativen zur herrschenden Politik enthält. Verwiesen wird dort auch auf das Monitoring-Projekt „Corona und Civic Space in Deutschland“. Dort findet sich auch ein Gutachten der GFF, erstellt im Auftrag für Greenpeace Deutschland, in dem die GFF sich mit der damals aktuellen Verordnungs- und Rechtsprechungspraxis bei Versammlungen auseinandersetzt und die Bedeutung der Versammlungsfreiheit auch in Corona-Zeiten betont.
Einen „Corona Newsticker“ mit Informationen für Geflüchtete und Unterstützer*innen betreibt Pro Asyl. Hier finden sich neben allerlei Meldungen zur Lage der Geflüchteten an den Außengrenzen und in den Abfanglagern der EU, zum Umgang mit der Unterbringung in Sammelunterkünften und den dort erwartbaren Ausbrüchen und zur politischen Debatte auch mehrsprachige Hinweise zum Hygieneverhalten, Übersichten zu den aktuellen flüchtlingsrechtlichen Regelungen in den Bundesländern (unter anderem zu Abschiebungshaft und Durchführung von Abschiebungen) und in anderen EU-Staaten. Verlinkt sind ähnliche Seiten von NGO aus anderen EU-Staaten.
Einer spezialisierten Perspektive widmet sich das Gen-ethische Netzwerk e.V. in ihrem „Gesundheits- und medizinpolitischen Tagebuch“. Ein Anspruch ist, „dass nichts aus den Entwicklungen dieser Zeit vergessen wird“. Los ging es am 26. Februar 2020 mit dem Hinweis auf den schon legendär gewordenen Podcast des Leiters des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, Christian Drosten. Ansonsten werden hier aber auch immer wieder Stimmen aus der Fachwelt dokumentiert, die die Darstellung der Gefahren durch das Virus und die tiefgreifenden Gegenmaßnahmen für übertrieben halten. Dokumentiert sind Entwicklungen im Gesundheitswesen etwa zur Rekrutierung von Personal, die Lage der Krankenhäuser, die Debatte um den Umgang mit Risikogruppen (beispielsweise die Isolierung von Altenheimen) und eine gezielte Durchseuchung gerade jüngerer Bevölkerungsgruppen, um den Umgang mit intensivpflichtigen Patient*innen in einer Situation der zahlenmäßigen Überlastung der Intensivpflege- und Beatmungsbetten, um die Durchführung und den Umfang von Corona-Tests oder um die Einführung einer Maskenpflicht.
Wer sich umfassend über das Recht in Corona-Zeiten informieren will, ist bei „Lexcorona“ gut aufgehoben. Mit Stand 8. Mai 2020 waren dort 44 Rechtsakte des Bundes, 278 Rechtsakte der Länder, 626 Rechtsakte der Gemeinden und Landkreise, 240 Gerichtsentscheidungen und 61 Dokumente der Datenschutz-Aufsichtsbehörden abrufbar beziehungsweise verlinkt. Ein Teil lässt sich über eine interaktive Karte aufrufen. Dass Jurist*innen debattierfreudig sind, zeigt die Zahl von 636 Beiträgen aus unterschiedlichsten Disziplinen vom Arbeits- bis zum Zivilprozessrecht.
Der Einschränkung von Arbeitnehmer*innenrechten in der Pandemie widmet sich der Blog corona-at-work.de, betrieben vom „express“, der „Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“. Der Blog soll als gemeinsames Forum all jener dienen, die im Betrieb in ihren Rechten verletzt werden, und denen in Zeiten der Kontaktsperre Austausch und aktive Solidarität fehlen. Dabei wird auch auf Aufweichungen der Beschäftigtenrechte hingewiesen, die in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend untergegangen sind: die teilweise Aufhebung von Arbeitszeitvorschriften des Arbeitszeitgesetzes (Pausen, Höchstarbeitszeit) für Beschäftigte in „systemrelevanten“ Berufen im Wege einer Verordnung in Bayern. Mit einer Änderung im Arbeitszeitgesetz wurde auf Bundesebene eine Rechtsverordnung für ebensolche Verordnungen durch das Bundesarbeitsministerium geschaffen. Am 7. April 2020 (elf Tage nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung) wurde die Covid-19-Arbeitszeitverordnung erlassen, die eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden und eine Verkürzung der Ruhezeit zwischen zwei Schichten von zehn auf neun Stunden zulässt, wenn die Tätigkeit mit der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung in Zusammenhang steht. Explizit können die Länder weitergehende Verordnungen erlassen.
Tracing-App, Daten, Digitales
Der Nutzung von Daten für die Eindämmung der Pandemie in der Politik der EU-Institutionen und deren datenschutzrechtliche Implikationen – insbesondere hinsichtlich einer Corona-Tracing-App – diskutiert Dr. Gabriela Zanfir-Fortuna auf der Seite des „Future for Privacy Forum“ (https://fpf.org). Sie gibt den Debattenstand mit Stand vom 30. April 2020 wieder.
Mit einer fortlaufenden Sammlung von Meldungen und Berichten führt Netzpolitik.org eine Corona-Chronik. Dort geht es neben Apps und Datenschutz in Krisenzeiten auch um digitale Klassenzimmer und die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien in der Corona-Krise.
Eher allgemeine Materialsammlungen sowie eigene Beiträge zur kritischen Reflexion der Corona-Maßnahmen und ihrer gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen finden sich auf der Seite https://coronamonitor.noblogs.org, die vor allem von linken Akademiker*innen getragen wird. Hier können alle Nutzer*innen in einem Pad an der Sammlung von Beiträgen mitwirken.
Soziologische Texte zur Corona-Krise sammelt https://soziopolis.de, ein „digitales Kolloquium“ des Wissenschaftszentrums Berlin. Um eine kritische soziologische Perspektive ist hingegen das Journal „Surveillance& Society“ bemüht.Bislang ein Text zu Epidemien in den Medien ist bisher auf dem Blog https://medium.com/surveillance-and-society erschienen. Weitere Texte sollen online und im Journal folgen – man* darf gespannt sein. (sämtlich: Dirk Burczyk)