Europäische Inlandsgeheimdienste fahnden im Ausland

168.000 Personen waren zum Jahresbeginn über den Art. 36 des SIS-II-Rats­be­schlus­ses im Schengener Informationssystem (SIS II) ausgeschrie­ben. Die Zahl dieser Fahndungen nahm in den letzten Jahren deutlich zu (2018: 141.522, 2017: 129.412, 2016: 96.108). Wenn die Betroffenen bei einer Polizeikontrolle im Schengen-Raum oder beim Übertritt einer EU-Au­ßen­grenze angetroffen werden, sollen sie von der Polizei entweder kontrolliert („gezielte Kontrolle“) oder diskret beobachtet („verdeckte Kontrolle“) werden. Anschließend erfolgt eine Meldung an die Behörde, die die Ausschreibung veranlasst hat.

Art. 36 ermächtigt sowohl Polizeien (Abs. 2) als auch Geheimdienste (Abs. 3) zu solchen Fahndungen. Mit über 1.500 ausgeschriebenen Personen liegt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bei den „verdeckten Kontrollen“ (Observationen) europaweit an der Spitze. Aus­schrei­bungen zur „gezielten Kontrolle“ sind ihm jedoch wegen des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten und den dadurch fehlenden Polizeivollmachten untersagt. Hier liegen italienische Geheimdienste mit fast 3.900 und französische mit rund 1.000 ausgeschriebenen Personen vorne.[1]

In weitaus größerem Umfang wird die Fahndung nach Art. 36 von Polizeibehörden genutzt. In Deutschland können die Polizeien des Bundes und der Länder die Maßnahme zur Gefahrenabwehr sowie zur Strafverfolgung anwenden. Mit 2.810 Einträgen liegt die deutsche Polizei im europäischen Mittelfeld; vor allem die französischen Polizeien nutzen das SIS II zu dieser Art Fahndung. Ende 2019 hatten sie über 100.000 Personen nach Art. 36 ausgeschrieben (je etwa 50.000 zur „gezielten“ und „verdeckten Kontrolle“). Das sind insgesamt dreimal mehr als 2018.

Viele Einträge, die deutsche Polizeien und Geheimdienste zur Observation vornehmen, gehen auf Erkenntnisse von „Partnerdiensten“ aus Drittstaaten zurück. So schicken etwa Geheimdienste aus Westbalkan-Ländern, Nordafrika oder den USA Listen von Personen, die mit Terrorismus in Verbindung stehen sollen. Die EU will dieses Drittstaaten-Verfahren nun erleichtern.[2] Künftig könnte Europol ausländische Listen entgegennehmen und willige europäische Behörden für die Zusammenarbeit suchen. In einem Pilotprojekt nehmen Tschechien und Italien bereits solche Einträge für Drittstaaten vor.

[1] www.andrej-hunko.de/start/download/dokumente/1505-alle-ausschreibungen-im-sis-ii-nach-artikel-36-2019
[2] EU öffnet größte Fahndungsdatenbank für Geheimdienste aus Drittstaaten, Netzpolitik.org v. 4.5.2020

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