Literatur

Zum Schwerpunkt

In dem Jahrzehnt seit unserem letzten Schwerpunkt zur „Kontrolle der Polizei“ (CILIP 99) sind Fortschritte zu verzeichnen: Einige Bundesländer haben immerhin eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen eingeführt, andere haben neue Kontrolleinrichtungen geschaffen. Die Phalanx derjenigen, die in persönlicher Verantwortlichkeit und institutioneller Transparenz eine Bedrohung für den Staat sehen, ist brüchig geworden. Gleichwohl bleiben die Formen und Chancen zur Kontrolle der Polizei hinter dem Möglichen und demokratisch Gebotenen zurück. Die nicht genutzten Möglichkeiten zeigen sich im Vergleich zu den Kontrollmechanismen, die in anderen liberalen Demokratien bestehen. Das Gebotene ergibt sich aus dem Umstand, dass Auftrag, Tätigkeitsfelder, Instrumente, institutionelle und rechtliche Entgrenzungen dazu geführt haben, dass unter „Kontrolle der Polizei“ mehr verstanden werden muss als die der handelnden Polizist*innen, in die sich häufig das „Kontrollproblem“ zu erschöpfen scheint. Dass eine Polizei, die mit verdeckten Methoden arbeitet, die in hybriden Formen mit den Geheimdiensten kooperiert, die eingebunden ist in internationale Operationen und beteiligt ist an EU-Polizeiagenturen anders kontrolliert werden muss, als es das herkömmliche liberal-demokratische Ideal vorsieht, diese mehrfache Herausforderung hat sich in der aktuellen deutschen Diskussion kaum niedergeschlagen.

Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Sachstand: Unabhängige Polizeibeauftragte in den Ländern, WD 3-3000-057/22. Stand: 28.04.2022, www.bundestag.de/resource/blob/899854/c703911ae8f6e04a16618f8a85727ad3/WD-3-057-22-pdf-data.pdf

Auf 15 Seiten gibt dieser Bericht einen Überblick über den Stand der „Polizeibeauftragten“ in der Bundesrepublik. Die Länder- und Bundespolizeien werden in drei Gruppen eingeteilt, die sich für ein bestimmtes „Kontrollmodell“ entschieden haben. In der Hälfte der Bundesländer sind „Polizeibeauftragte bei den Länderparlamenten“ eingerichtet worden bzw. ist deren Einrichtung geplant. Diese Beauftragten werden von den Landtagen gewählt; sie sind mit einer Reihe von im Detail unterschiedlich gestalteten Rechten – von Einsichts- und Zutrittsrechten über das Recht zu Anhörungen und Beanstandungen bis zum Recht auf Tätigwerden ohne Beschwerden – ausgestattet. Eine zweite Gruppe von Bundesländern haben die Polizeibeauftragten in die Landesbehörden integriert; es handelt sich mithin nicht um eine externe Beschwerde- oder Kontrollinstanz. In zwei Bundesländern (Bayern und Saarland) sowie im Bund bestehen keine „Polizeibeauftragten“.

Debus, Anne: Weitere Bürgerbeauftragte für das Land – Unabhängige Ombudsstelle beim Parlament jetzt auch in Berlin und Hessen, in: Die Öffentliche Verwaltung 2021, H. 20, S. 922-931

In diesem Beitrag der „Stellvertretenden Bürgerbeauftragten des Freistaats Thüringen“ wird der Zusammenhang von Bürger- und Polizeibeauftragen deutlich, zugleich wird die „Kontrolle der Polizei“ als eine Frage von Bürger*innen-Beschwerden und Beschwerdemanagement wahr­genommen. Nach Debus‘ Darstellung sollen die Beauftragten insbesondere gewährleisten, dass „Staat und Bürger (wieder) miteinander ins Gespräch kommen“, sie stellten „ein stark kommunikativ geprägtes Dienstleistungsangebot“ dar. In einigen Bundesländern sind den Beauftragen spezifische Zuständigkeiten übertragen worden; mit Ausnahme Thüringens sind die Bürgerbeauftragten auch für die Landespolizeien zu­ständig. Auf knapp einer Seite gibt der Beitrag Hinweise auf die Arbeit der Beauftragten. Nur für Rheinland-Pfalz werden die Eingaben mit Polizeibezug erwähnt: von den knapp 4.500 Petitionen der Jahre 2019/20 bezogen sich 159 auf die Polizei.

Botta, Jonas: Unabhängige Polizeibeauftragte. Einfachgesetzliche Grundlagen, verfassungsrechtliche Bewertung und rechtspolitische Empfehlung, in: JuristenZeitung 2022, H. 13, S. 664-672

Der Beitrag nimmt eine rechtliche Würdigung der in den Bundesländern eingerichteten Polizei- bzw. Bürgerbeauftragten vor. Untersucht werden erstens inwiefern die Einrichtungen tatsächlich unabhängig von Innenministerien oder Polizeibehörden etabliert wurden und ob eine solche Stellung verfassungsrechtlich zulässig ist. Zweitens werden Aufgaben und Befugnisse dargestellt und rechtlich bewertet. Schließlich wird die (verfassungs)rechtliche Basis der Beauftragten untersucht. Botta schließt mit rechtspolitischen Empfehlungen. Er plädiert für einen spezifischen Polizeibeauftragten – d. h. keine Beauftragung allgemeiner Bürgerbeauftragten mit Polizeifragen –, dessen/deren Befugnisse zu erweitern seien (Anwesenheit bei polizeilichen Maßnahmen, parallele Arbeit zu straf- oder disziplinarrechtlichen Verfahren). Um Zugangsbarrieren zu verringern, sollten sie mit einem Zeugnisverweigerungsrecht ausgestattet werden. Für eine effektive Arbeit sei „ausreichend Personal“ erforderlich. Über Beiräte seien zudem Wissenschaft und Zivilgesellschaft an der Kontrolle der Polizei zu beteiligen.

Externe Kontrolle der Polizei, in: Deutsches Polizeiblatt 2022, H. 3

Mit den zwölf kurzen Beiträgen dieser etablierten Zeitschrift für die „Aus- und Fortbildung“ wird das Spektrum der aktuellen Diskussion um das Thema deutlich. Eine Auswahl: Zunächst kommen die Befürworter externer Kontrollen zu Wort: Für Alexander Bosch, Sonja John und Hartmut Aden resultieren externe Kontrollen „aus den Anforderungen des demokratischen Rechtsstaats, vielfältigen Bedarfen in der Bevölkerung und internationalen Standards“. Den Widerständen in der Polizei entgegnen sie, dass die Kontrollinstanzen sich als „Firewall gegen unzutreffenden und unqualifizierte Vorwürfe“ gegen die Polizei eigneten und dass sie „ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Erhöhung der Akzeptanz staatlicher Maßnahmen“ leisteten. Diesem Tenor folgt auch Holger Plank unter der Überschrift „Police Legitimacy“. Sein Ausgangspunkt ist, dass erfolgreiche Polizeiarbeit auf das Vertrauen der Bürger*innen angewiesen ist. Dieses Vertrauen lässt sich aber nur sichern (oder wiederherstellen), wenn die Polizei für die Zivilgesellschaft glaubhaft und wirkungsvoll – d. h. insbesondere extern – kontrolliert wird. Zwar sei die Entwicklung zu mehr Kontrolle auch in Deutschland nicht mehr umkehrbar, aber „wirklich unabhängige, außerhalb üblicher verwaltungs- und strafprozessualrechtlicher Strukturen angesiedelte und mit adäquaten Ermittlungsbefugnissen ausgestattete Kontrollgremien“ stünden hierzulande nicht auf der Tagesordnung. An dem zuletzt angedeuteten Mangel schließen die Ausführungen von Eric Töpfer an, der zunächst einen Überblick über die sich herausbildenden unterschiedlichen Formen der Kontrolle gibt. Deren Schwäche liege nicht nur in der bescheidenen personellen Ausstattung und zum Teil auch an fehlenden Befugnissen, ihr zentrales Manko bestehe vielmehr darin, dass sie „keine echte Ermittlungsfunktion“ haben und deshalb im Schatten disziplinar- und strafrechtlicher Ermittlungen – also Formen faktischer interner Kontrolle – stehen. Die Behauptung, dass es keiner externen Kontrolle bedarf, weil die bestehenden Verfahren bereits wirkungsvoll die Polizei kontrollierten, ist das Gemeinsame der folgenden Beiträge. Dieter Müller stellt das Beschwerdewesen in den Dienst der „Entwicklung der Polizeiorganisation“: Beschwerden können Fehler offenlegen, aus Fehlern kann die Polizei lernen – sei es auf fachlicher Ebene durch die Arbeit von Kommissionen oder sei es auf politischer Ebene, wenn die Berichte von Polizeibeauftragten parlamentarisch gewürdigt werden. Im Heft folgt ein Artikel von Reinhard Scholzen, der sich mit den Vorhaben der Koalition auseinandersetzt, einen Beauftragten für die Bundespolizei zu schaffen. Sein Fazit: Eine solche Stelle ist überflüssig, Deutschland leide keineswegs „unter einem Mangel an Institutionen, die die Polizei kontrollieren“. Wie nicht anders zu erwarten, setzt sich Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, als Verfechter des Status quo in Szene. Angesichts der hohen Vertrauenswerte in die Polizei sei die Forderung nach neuen Kontrollinstanzen „einigermaßen absurd“. Zudem gebe es „neben der Polizei kaum eine Institution, die aus derart vielen Perspektiven heraus gründlich beobachtet und kontrolliert wird“. Wer, wie Rainer Wendt „Polizeiwissenschaft“ nur in Anführungszeichen schreibt, hat schon eine Strategie gefunden, sich gegen andere Argumente zu immunisieren.

Aden, Hartmut: Unabhängige Polizeibeschwerdestellen und Polizeibeauftragte, in: Kugelmann, Dieter (Hg.): Polizei und Menschenrechte, Bonn 2019, S. 170-183, www.bpb.de/system/files/datei/Polizei_und_Menschenrechte.epub

Dieser Aufsatz gibt einen komprimierten Überblick über die unterschiedlichen Motive und Formen polizeilicher Kontrolle. Dabei wird die deutsche Entwicklung im europäischen Kontext diskutiert. Dies gilt einerseits für die rechtliche Fundierung in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 3). Andererseits werden die Instanzen der Polizeikontrolle in einigen westeuropäischen Ländern (und den USA) kurz skizziert. In zwei strittigen Punkten (für welche „Fälle“ die externe Kontrolle zuständig sein soll und ob sie Sanktionen verhängen darf) werden nur die verschiedenen Antwortmöglichkeiten vorgestellt. In der Vielfalt der Modelle sieht der Verfasser eine Chance. Sofern sie dazu beitrügen, „die polizeiliche Fehlerkultur zu verbessern, so könnte dies auch ein Beitrag zur Reduzierung der Fälle sein, in denen die Polizei Menschenrechte nicht schützt, sondern im Rahmen ihrer weitreichenden Befugnisse verletzt“.

Thiel, Markus: Zur Idee eines Bundespolizeibeauftragten – Verkörperung eines Generalverdachts oder erforderliche Kontrollinstanz für polizeiliches Handeln?, in: Kriminalpolitische Zeitschrift 2019, H. 3, S. 167-173

Man ahnt das Ergebnis dieser rechtswissenschaftlichen Prüfung bereits in der rhetorischen Frage des Untertitels. Markus Thiel prüft den wiederholten Vorstoß von Bündnis 90/Die Grünen einen „Bundespolizeibeauftragen“ beim Bundestag einzurichten. Das Vorhaben ist aktuell, weil es Aufnahme in den Koalitionsvertrag der „Ampel“ gefunden hat. Nachdem der Gesetzentwurf vorgestellt und die bestehenden Beschwerdemöglichkeiten – z. B. wir die seit 2015 bestehende „Vertrauensstelle“ im Bundespolizeipräsidium erwähnt – dargestellt werden, bestreitet der Verfasser die Erforderlichkeit weitere Kontrollanstrengungen. Die Bundespolizeibeauftragte berge sogar die Gefahr, dass die bisherigen Kontrolleur*innen ihre Tätigkeit mit Verweis auf den neuen Beauftragten einstellten – als ob der Datenschutz Vorgesetzte, Gerichte, Politik nicht mehr interessiert seit es Datenschutzbeauftragte gibt?!

Prigge, Jasper: Zum Filmen polizeilicher Maßnahmen, in: Kritische Justiz 2022, H. 1, S. 114-117

Der Beitrag kommentiert ein Urteil des Landgerichts Osnabrück vom September 2021. In der Osnabrücker Innenstadt war eine Person von der Polizei am Boden fixiert worden, das Vorgehen wurde von einer dritten Person gefilmt. Da das Filmen wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 StGB) strafbar sei, beschlagnahmten die Beamten das Smartphone mit den Filmaufnahmen. Das Landgericht widersprach der Auffassung der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts, die die Beschlagnahme bestätigt hatten. § 201 StGB handele vom „nichtöffentlich“ gesprochenen Wort. Die Fixierung habe sich jedoch im frei zugänglichen öffentlichen Raum zugetragen, so dass von einer „faktischen Öffentlichkeit“ auszugehen sei, die die Anwendung von § 201 ausschließe. Prigge weist auf eine Reihe rechtlicher Unklarheiten und eine uneinheitliche Rechtsprechung zum Filmen von Polizeieinsätzen hin.

Praunsmändel, Sarah/ Schmidt, Stephanie/ Thurn, Roman: Zugang verweigert! Externe Polizeiforschung und Wissenschaftsfreiheit, in: Kritische Justiz 2022, H. 3, S. 303-321

Auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Polizei ist bzw. kann eine Form externer Kontrolle sein. Der Artikel nimmt seinen Ausgangspunkt in einer Befragung von Polizeiforschenden, die über ihre Erfahrungen mit dem Zugang zur Polizei als Forschungsgegenstand und im „Feld“ berichten. In den Schilderungen der externen Polizeiforscher*innen erscheint die Polizei als eine widerständige Organisation. Die Hürden sind vielfältig: Wer ist zuständig für die Erlaubnis zu Interviews, teilnehmender Beobachtung, Einblick in Dokumente? Können Geheimhaltung und Datenschutz gewährleistet werden? Hält die Forschung die Polizist*innen nicht von ihrer Arbeit ab? Hat die Polizei überhaupt einen Nutzen von der Forschung? Und wird sie durch die polizeifachhochschulische Forschung nicht bereits ausreichend untersucht? Deutlich entsteht das Bild einer Institution, die sich externer wissenschaftlicher Durchdringung zu entziehen sucht (für den Rezensenten erschreckend, dass sich in den letzten drei Jahrzehnten an dieser Abwehrhaltung offenkundig nichts geändert hat). Die verfassungsrechtlichen Argumente, die die Verfasser*innen für die Verpflichtung der Polizei zu wissenschaftsfreundlichem Verhalten ins Feld führen, mögen die Wohlgesinnten überzeugen. Ob sie die Kraft haben, die hinter den Verweigerungen stehenden Macht- und Herrschaftsinteressen aufzuweichen, erscheint durchaus fraglich.

Pichl, Maximilian: Polizei und Rechtsstaat: Über das Unvermögen, exekutive Gewalt einzuhegen, in: Loick, Daniel (Hg.): Kritik der Polizei, Frankfurt am Main 2018, S. 101-117

Aus einer rechtlichen, rechtspolitischen Perspektive gibt dieser Aufsatz einige Hinweise auf die Schwierigkeiten Polizei zu kontrollieren. Einerseits lässt sich die Entwicklung des bürgerlichen Rechtsstaats als eine Geschichte der Kontrolle oder Begrenzung staatlicher Gewalt – namentlich der Polizei – darstellen. Bereits in diesem traditionellen liberalen Staats-Gesellschafts-Modell verbleiben Handlungsfreiheiten auf Seiten der Polizei, weil sie „beim Vollzug von Gesetzen in der Lage (ist,) das Gesetz nach eigenem Gusto auszulegen“. Selbst nachträglich gerichtliche Kontrollen, so Pichl, verhindere nicht, etwa im Bereich des Versammlungsrechts, dass die Polizeien „bei nächster Gelegenheit auf dieselbe Art und Weise wieder rechtswidrig handeln“. Diese Grundkonstellation werde durch die jüngere Polizeientwicklung erheblich verschärft: Die institutionelle Ausdifferenzierung (beispielhaft die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten) sowie die zunehmend präventive Orientierung der Polizeiarbeit („Vorfeldermittlungen“) erschwerten die „Einhegung“ polizeilichen Handelns. Im Ergebnis der vergangenen Jahrzehnte diagnostiziert Pichl „paradoxe Effekte“: „Oft führten gerade die Versuche, das Handeln der Polizei rechtsstaatlich zu bestimmen, dazu, ihren Aktionsradius zu erweitern und eröffneten der Polizei in der Praxis neue Möglichkeiten, die Grundrechte der Bürger*innen zu beschränken“. So nötig es sei, polizeiliches Handeln an rechtsstaatlichen Maßstäben zu messen, so sei es zugleich eine „(links-)liberale Illusion“, dass die Polizei mit den Mitteln des Rechts „eingeht“ werden könne. Die beiden jüngsten Beispiele polizeilicher Verselbständigung (die Ausweitung des Gefahrenbegriffs auf die „drohende Gefahr“ und die Herstellung polizeilicher Öffentlichkeiten) belegen diese Bewertung nachdrücklich.

Aus dem Netz

https://copwatchhamburg.blackblogs.org
https://kopbremen.noblogs.org
https://www.kgp-sachsen.org/de
https://www.copwatchffm.org
https://copwatchleipzig.home.blog
https://de-de.facebook.com/kopkiel
https://kop-berlin.de

„Bürger beobachten die Polizei“ und verschiedene „Ermittlungsausschüsse“ waren frühe Formen einer externen, zivilgesellschaftlichen Kontrolle polizeilichen Handelns. In den letzten beiden Jahrzehnten sind in der verschiedenen deutschen Städten Gruppen entstanden, deren Ziel darin besteht, Polizei im Einsatz zu beobachten bzw. zu dokumentieren, problematisches Vorgehen öffentlich zu machen sowie (potentiell) Betroffene beratend und politisch zu unterstützen. Der Darstellung in Wikipedia zufolge entstand diese Form der Polizeikontrolle zu Beginn der 1990er Jahre in Kalifornien; „copwatch“ wird als ein „Netzwerk aktivistischer Organisationen, typischerweise autonom und auf lokale Ereignisse ausgerichtet“ beschrieben. Dieser Charakterisierung würden die in sieben deutschen Städten bestehenden Gruppen nicht widersprechen. Die Variation in den Namen (KOP = Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt, KPG = Kooperation gegen Polizeigewalt) sind eher auf die verschiedenen Gründungsanlässe zurückzuführen, nicht auf Selbstverständnis und Tätigkeit. In allen Fällen stehen Polizeigewalt und -übergriffe im Zentrum der Aufmerksamkeit, die dokumentiert, veröffentlicht und zum Anlass von Aktionen und Kampagnen genommen werden. Ausweislich der Webpräsenz sind nicht alle Gruppen im gleichen Maße (noch) aktiv. Auch das Informationsangebot ist verschieden. Gleichwohl liefern die Gruppen wichtige Informationen zu den in der Öffentlichkeit dominierenden polizeilichen Selbstdarstellungen.

https://doku.deathincustody.info

Im Januar 2021 endete die Kampagne „Death in custody. Aufklärung der Todesumstände im Gewahrsam jetzt!“ Ziel war, die „Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und anderen von Rassismus betroffenen Menschen in Gewahrsam und aufgrund tödlicher Polizeigewalt in Deutschland seit 1990“ zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Nach Ende der Kampagne arbeitet die „Recherche-AG“ jedoch weiter und dokumentiert die Todesfälle im Gewahrsam und durch die Polizei. Mit Stand vom 15. Oktober 2022 sind auf der Seite 219 Todesopfer ausgewiesen. Neben einer Karte, die die geographische Verteilung in der Bundesrepublik zeigt, sind die Toten in einer Art Gräberfeld chronologisch aufgeführt: von dem namentlich nicht bekannten nigerianischen Gefangenen, der am 14. April 2002 in der JVA Bielefeld aufgefunden wurde, bis zu Kupa Ilunga Medard Mutombo, der am 6. Oktober 2022 infolge eines Polizeieinsatzes in Berlin starb.

www.youtube.com/watch?v=P5GeC7gdzC8

„Kontrolle der Polizei“ wird in der letzten Folge dieses dreiteiligen Pod­casts nur in einem Satz erwähnt. Dennoch ist der Text für unser Schwerpunktthema von Bedeutung. Denn Michael Fischer, vormals Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen, erklärt in einfachen und klaren Worten, warum die Polizei für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen ein ganz grundsätzliches Problem darstellt, das – so muss man schlussfolgern – besonderer Kontrollanstrengungen bedarf. In den ersten beiden Teilen kontrastiert der Autor die Besonderheiten der Institution Polizei mit neun „Kernwerten“ liberaler Gesellschaften, von der Volkssouveränität bis zu den Menschenrechten. In allen diesen Feldern diagnostiziert er „systematische Konflikte“ zwischen beiden Seiten. Die Polizei wird nach diesem Abgleich als „Risiko für die Demokratie“ charakterisiert. Die „realpolitische“ Bewertung im dritten Teil ändert nichts an der Fallhöhe zwischen Demokratie und der Polizei als Gewaltinstanz.

Neuerscheinungen

Howe, Christiane/ Decker, Christine/ Knobloch, Lan/ Can, Halil/ Bosch, Alexander: Bericht zur Berliner Polizeistudie. Eine diskriminierungskritisch, qualitative Untersuchung ausgewählter Dienstbereiche der Polizei Berlin. Berlin 2022, online: www.tu-berlin.de/ztg/menue/publikationen

Wahrscheinlich muss man dieser am „Zentrum Technik und Gesellschaft“ der Technischen Universität Berlin im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Inneres durchgeführten Untersuchung die Umstände ihrer Entstehung zugutehalten: Nach langem Widerstand des damaligen Bundesinnenministers Seehofer, die Bedeutung rechtsextremer Vorfälle innerhalb der deutschen Polizeien wissenschaftlich untersuchen zu lassen, war schließlich eine – gegenwärtig noch laufende – Studie in Auftrag gegeben worden, in der kompromisshaft Einstellungen von Polizist*innen und polizeiliche Arbeitssituationen verbunden werden. Zugleich hatte die Innenministerkonferenz die Bundesländer ermutigt, eigene Maßnahmen gegen „extremistische Tendenzen“ im öffentlichen Dienst zu ergreifen. Im Rahmen der Berliner Maßnahmen entstand diese Studie. Dass sie sogleich in den Sog der politisch aufgeladenen Diskussion geriet, zeigen die im Anhang dokumentierten Medienberichte. Diese illustrieren auch die reflexartige, mit falschen Unterstellungen operierende Ablehnung, mit der konservative Politiker*innen und Polizeigewerkschaften auf alle Versuche reagieren, mehr Licht von außen in den Alltag der Polizei zu bringen. Hätten jene Kritiker die Ergebnisse gekannt, sie hätten sich ihre öffentliche Aufregung sparen können.

Zwar angestoßen durch den „Rechtsextremismus“ in der Polizei, wählt die „Berliner Polizeistudie“ einen weiteren Referenzrahmen. Sie rückt die Frage nach der „Diskriminierung“ durch die Polizei ins Zentrum. Dabei möchte sie den polizeilichen Arbeitsalltag daraufhin untersuchen, wie in dessen „Routinen, Strukturen und Prozessabläufen“ „gesellschaftlich diskriminierende Wissensbestände“ wirken – um aus dieser Wirkweise Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Dieser Ansatz ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens handelt es sich nicht um eine erneute Variante der so beliebten „Einstellungsuntersuchungen“ (die meist das Verhältnis von Einstellungen, Strukturen und Handlungen unterbelichtet lassen), sondern um den Versuch, Polizeiarbeit in der Praxis beobachtend zu rekonstruieren. Zweitens wird Diskriminierung als Alltagsphänomen zur Basis der Untersuchung und der Fokus auf Mechanismen gerichtet, wie die Institution Polizei mit diesem allgemeinen Sachverhalt umgeht.

So interessant der Untersuchungsansatz, so enttäuschend sind Umsetzung und Ergebnis. Methodisch beschritt die Studie einen doppelten Zugang: Einerseits wurden Expert*inneninterviews mit Vertreter*innen von Verbänden aus dem Bereich der Anti-Diskriminierungsarbeit geführt. Durch sie sollten die Situationen, Anlässe, Formen etc. von Diskriminierungserfahrungen durch die Polizei genauer bestimmt werden. Andererseits wurde mittels teilnehmender Beobachtung der Polizeialltag verschiedener Dienststellen untersucht. Obgleich die Studie sich ausführlich ihrem methodischen Vorgehen widmet, bleiben die Verfahren wenig transparent: Warum werden die 17 Organisationen, für die die Interviewten sprachen, nicht im Anhang aufgelistet? Dann ließe sich ersehen, inwiefern es sich um Einblicke in Beratungsstellen mit Komm-Struktur handelt, und deshalb das Dunkelfeld von Diskriminierungserfahrungen noch größer sein müsste. Warum wird nur angegeben, dass die „Feldforschungen“ dreieinhalb Monate dauerten? War man täglich auf der Wache, allein oder zu weit, war man rund um die Uhr dabei, war man immer in denselben Dienstgruppen? Wie lange waren die realen Teilnahmephasen? An welche Art von Einsätzen konnte beobachtend teilgenommen werden? All das bleibt in der Darstellung unklar. Dass die Positionierung der Forschenden im Feld – und deren mangelhafte Reflexion – auf die Schlussfolgerungen durchschlägt, zeigen die Bemerkungen zu den Identitätskontrollen: An den „kriminalitätsbelasteten Orten“ würde keineswegs verdachtslos, sondern erst aufgrund bestimmter Verhaltensweisen und Situationen kontrolliert (S. 36). Ehrlich gesagt: Wie dumm müsste ein Polizist sein, eine anlasslose Identitätsüberprüfung genau dann vorzunehmen, wenn er weiß, dass in seinem Rücken jemand protokolliert, der auf der Suche nach diskriminierenden Polizeipraktiken ist? Die Aussagekraft der Studie wäre zweifellos größer, wenn die Autor*innen mehr methodisch-praktische Transparenz praktiziert hätten – und mitunter ein wenig mehr Sorgfalt, etwa im Gebrauch des Konjunktivs im 3. Kapitel oder den Verweis auf die DPolG als DGB-Gewerkschaft (S. 69).

Im Kern besteht die Studie aus zwei Teilen: die strukturierte Zusammenfassung der Expert*inneninterviews (Kap. 3) und den teilnehmenden Beobachtungen (Kap. 4); im 6. Kapitel werden dann die Schlussfolgerungen entwickelt. Die Teile für sich sind nicht uninteressant. Im 3. Kapitel lässt sich aus Ausmaß von Diskriminierungserfahrungen erahnen – durchaus auch jenseits der Polizei. Im 4. Kapitel wird sehr plastisch der Arbeitsalltag insbesondere in den drei Polizeiabschnitten dargestellt. Die erheblichen Belastungen, die der Polizeiberuf mit sich bringt, werden hier deutlich. Gut geeignet als Warnung für diejenigen, die ihren Traumberuf aufgrund von TV-Krimis wählen. Problematisch und vollkommen unbefriedigend ist jedoch der Zusammenhang zwischen diesen beiden Teilen der Studie. An keiner Stelle wird in der teilnehmenden Beobachtung ersichtlich, dass es sich um Einsätze mit einem „Diskriminierungs-Potenzial“ handelte. Und wenn so etwas anklingt, etwa bei dem Hinweis während der Anfahrt zum Einsatzort, dass „besoffene russische Männer“ zu erwarten seien (S. 73), dann führt dies zu allgemeinen Erörterungen, aber nicht zur Beschreibung, wie denn der Einsatz angesichts dieser Männer erfolgte. Der Anspruch, aus der unmittelbaren Beobachtung der Praxis zu lernen, wird durch diese Umsetzung deutlich verfehlt.

An anderen Stellen reibt man sich verwundert die Augen: Den Klagen der Polizist*innen folgend, wird die mangelnde Rechtskunde der Bürger*innen konstatiert (sogar entsprechende Belehrung in den Schulen wird gefordert, S. 80), was hat das mit Diskriminierung zu tun? Wollen die Autor*innen (klammheimlich, denn offen ausgesprochen wird das nicht) unterstellen, dass das Handeln der Polizei nur als diskriminierend empfunden wird, weil die Betroffenen die Rechtslage nicht kennen? Dann läge das Problem bei den Bürger*innen und nicht bei der Polizei.

Weil die Untersuchung so wenig ihrem Gegenstand auf der Spur bleibt, bleiben die Handlungsempfehlungen sehr allgemein – von der Nachwuchsgewinnung bis zu den Arbeitsbedingungen, von den Reflexionsräumen bis zur „Transparenz der Polizeiarbeit“. Nichts, was aufgeklärten Innenverwaltungen, Polizeiführungen und Polizeigewerkschaften schlaflose Nächte bereiten müsste. Nichts aber auch, was schon vor dieser Studie als offensichtlich notwendig bekannt war.

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