von Christine Graebsch
Die meisten Haftstrafen haben einen Armutshintergrund. Zur „Resozialisierung“ wäre die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn und Rentenversicherungsbeiträgen auch hinter Gittern förderlich. Stattdessen ist der Strafvollzug Teil eines Systems individueller Zuschreibung von Armut.
In den letzten Jahren war in der Bundesrepublik Deutschland viel vom Bestrafen der Armen die Rede. Die weit über die Wissenschaft hinaus geführte Debatte ist maßgeblich durch das Buch von Ronen Steinke über „Die neue Klassenjustiz“ geprägt.[1] Er beschreibt eindrücklich das vielfach übersehene große Leid von Verurteilten in vermeintlich kleinen Strafverfahren. Jeder einzelne Fall offenbart ein dramatisches Schicksal des Lebens am ausgegrenzten Rand der Gesellschaft mit all seinen Widrigkeiten, Teufelskreisen und bürokratisierten Schikanen. Dies beruhte auf Beobachtungen im für „einfach gelagerte Fälle“ zuständigen Amtsgericht Berlin-Tiergarten.[2] Dort zeigte sich, was Beratende in Straffälligenhilfe und Haftanstalten längst wissen – weniger schon Strafverteidiger*innen, für die Betroffene regelmäßig kein Geld haben: „Je prekärer die Lebensumstände, desto strenger entscheiden Richter.“[3]
Vielfach aus existentieller Not begangene Straftaten werden meist mit Geldstrafe geahndet, die dann bei Nicht-Zahlung in eine (Ersatz-)Freiheitsstrafe mündet. Oder aber es wird gleich eine „kurze“ Freiheitsstrafe von mehreren Monaten verhängt, ohnehin gibt es zu Geld- oder Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht keine Alternative, wenn kein Freispruch erfolgt oder das Verfahren nicht eingestellt wird. Freiheitsstrafen, auch ohne Bewährung, werden beispielsweise bei als unbelehrbar etikettierten Angeklagten verhängt, deren aus Notlagen entstandene Überlebensstrategie beständig mit dem Gesetz kollidiert. Dabei ist das Problem zunächst gerade das einer konstituierten Gleichheit vor dem Strafgesetz – getreu dem Bonmot von Anatol France: „Den Armen liegt es ob, die Reichen in ihrer Macht und ihrem Müßiggang zu erhalten. Dafür dürfen sie arbeiten unter der majestätischen Gleichheit des Gesetzes, das Reichen wie Armen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“[4]
Die Gleichbehandlung nach einem Gesetz, für dessen ungleiche Kriminalisierung sich Gerichte im Sinne der Gewaltenteilung blind halten, ist deren Selbstrechtfertigung dienlich. Während das Gesetz also die Prekarität der Lebensverhältnisse systematisch weitgehend ausblendet, muss es sich auch keineswegs positiv auswirken, wenn das Gericht diese im Einzelfall erkennt. Es zieht im Gegenteil oft gerade ein hartes Urteil nach sich, wenn der Lebensunterhalt nicht selbst durch Erwerbsarbeit erwirtschaftet werden kann. Denn Gerichte sehen dann die Prognose zukünftiger Rechtstreue als ungünstig an. Wenn sie, mit anderen Worten, davon ausgehen, eine angeklagte Person könne aufgrund ihrer Notlage überhaupt nicht anders als kriminell zu handeln, wirkt sich das in dieser Logik strafverschärfend statt strafmildernd aus.[5]
Die Gleichheit vor dem Strafgesetz ist demnach die einer Justitia, der die Augen verbunden wurden, so dass sie die sozialökonomischen Folgen nicht zu sehen vermag, die das mittels Strafrecht stabilisierte Wirtschafts- und Sozialsystem erzeugt. Es kommt hinzu, dass Arme auch nach dem auf einem Strafgesetz beruhenden Urteil nicht gleich sind, weil ihnen aufgrund des Urteils andere Folgen drohen als Reichen.
Wie Armut bestraft wird
Das Strafrecht nimmt für sich in Anspruch, die finanzielle Belastbarkeit der Angeklagten zu berücksichtigen, indem die Höhe der verhängten Tagessätze insbesondere nach dem Nettoeinkommen bemessen wird.[6] Dabei wird die Höhe der Tagessätze bei Empfänger*innen von Sozialleistungen bislang stets so festgelegt, dass dafür das Existenzminimum verbraucht werden muss. Daran ändert auch eine Ratenzahlung nichts, da diese dann an die Stelle von beispielsweise Ersparnissen für Anschaffungen tritt. Dies soll sich nun ändern, wenn § 40 Abs. 2 StGB zukünftig dem Gericht vorgibt, darauf zu achten, dass der verurteilten Person mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum des Einkommens verbleibt. Dies ändert jedoch an der immanenten Systematik nichts, Armut mit weiterem Verarmungspotential zu strafen. Zudem ist fraglich, ob Gerichte zukünftig tatsächlich niedrigere Beträge festsetzen. Denn sie nehmen typischerweise schon heute für sich in Anspruch, auf ein ausreichend verbleibendes Minimum zum Leben zu achten. Sie haben allerdings völlig andere Vorstellungen davon, wo sich sparen ließe, wie aus der Praxis wohlbekannt ist. Auch Forschung zeigt, dass es Richter*innen oft an einer Vorstellung von der Lebensrealität unter dauerhafter Armut fehlt und sie sich für Einschätzungen eher an ihrer eigenen soziokulturellen Perspektive und aus ihr abgeleiteten Annahmen orientieren.[7]
Daran wird bereits deutlich, wie tief die Geldstrafe in die Existenz armer Menschen eingreift, was noch weitergehend der Fall ist, wenn die Strafe abgesessen werden muss. Während Arme so jahrelang mit einer – nach der Theorie des Sanktionensystems relativ geringfügigen – Strafe einschneidend belastet sind, kann diese für wohlhabendere Verurteilte schon mit einer Überweisung innerhalb weniger Minuten erledigt sein. Die aktuelle Gesetzesänderung mit einer Halbierung der zu verbüßenden Tage Freiheitsstrafe pro Tagessatz ist nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes halbherzig. Sie wird zudem nichts daran ändern, dass Arme über die Eintreibung von Geldstrafen und die drohenden Freiheitsstrafen einer langjähriger Disziplinierung unterliegen.[8]
Wie das Strafrecht Armut (re-)produziert, kann – wie es Steinke gemacht hat – exemplarisch in öffentlicher Hauptverhandlung beobachtet werden, die das Interesse der Öffentlichkeit allerdings regelmäßig nicht zu wecken vermag. Die große Mehrzahl der Strafverfahren gegen Arme und deren dramatische Folgen könnte man allerdings nicht einmal beobachten, wenn man sich dafür in ein Gerichtsgebäude zu begeben bereit wäre. Denn die meisten Verurteilungen solcher Größenordnung kommen per Post, mit einem Strafbefehl. Sie werden oftmals nur in den Briefkasten eingelegt. Erhebt man nicht innerhalb von zwei Wochen Einspruch, werden sie rechtskräftig.[9] Beispielsweise bei Wohnungslosen ist oft nicht gewährleistet, dass der Brief dafür rechtzeitig die adressierte Person überhaupt erreicht. Der Hinweis auf die Möglichkeit eines Einspruchs steht zwischen Anderem im Text, so dass es von Sprach- und Lesekenntnissen sowie dem Bildungsstand abhängt, ob man dies versteht und wahrnehmen kann. Zwar muss ein Strafbefehl bei des Deutschen nicht mächtigen Adressat*innen übersetzt werden, jedoch weiß die Justiz nicht, wer nicht genug Deutsch kann. Wer den Brief nicht versteht, wird nur selten Einspruch einlegen oder eine Übersetzung nachfordern. Weil auch für die Umwandlung der Geld- in eine Freiheitsstrafe keine gerichtliche Anhörung vorgesehen ist, kann man im Strafvollzug landen, ohne jemals vor Gericht gewesen zu sein und die Möglichkeit zur Verteidigung gehabt zu haben.
Doppelte Strafe für Nichtdeutsche
In noch weiterer Hinsicht erzeugt die Konzeption von Gleichheit vor dem Gesetz im Ergebnis Ungleichheit. Denn bei Nichtdeutschen tritt zum Strafgesetz noch das Migrationsrecht hinzu. Während Nichtdeutsche vor dem Strafgesetz gleichbehandelt werden wie Deutsche, folgen beim Migrationsrecht zusätzliche – einschneidende – Konsequenzen, die auch schon bei niedrigen Geldstrafen eintreten können. Das Strafrecht berücksichtigt solche Konsequenzen aber nicht etwa wenigstens systematisch bei der Strafzumessung, sondern stellt sich auch hier mit Gleichheitsanspruch blind.
Jede strafrechtliche Verurteilung (und oftmals auch lediglich ein polizeilicher Tatverdacht) stellt aufenthaltsrechtlich[10] tendenziell ein Ausweisungsinteresse dar, das bereits als solches zur Versagung eines beantragten Aufenthaltstitels führen kann.[11] Eine Ausweisung – vor allem relevant bei Personen, die (noch) über einen Aufenthaltstitel verfügen – setzt die Abwägung von Ausweisungsinteressen mit Bleibeinteressen voraus. Diese erfordern meist einen „rechtmäßigen“ Aufenthalt, also nicht lediglich eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung, den zu erlangen wiederum zentral von ökonomischen Faktoren abhängt, wie der eigenständigen Erwirtschaftung des Lebensunterhalts.
Arme Menschen können sich bei Erhalt eines Strafbefehls auch nicht anwaltlicher Unterstützung bedienen. Da für diese ein Betrag in der Größenordnung der Geldstrafe anfiele, und diese oftmals hinterher ja dennoch gezahlt werden müsste, liegt es nahe, geringe vorhandene Mittel eher für die Zahlung der Strafe einzusetzen, auch wenn man die vorgeworfene Tat nicht begangen hat oder nicht einordnen kann. Bei Nichtdeutschen kann eine solche Entscheidung schlimmstenfalls in eine Abschiebung münden oder in einen Verlust des Aufenthaltstitels und Abrutschen in eine Duldung, die wiederum durch Einschränkungen bei Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten Armut verschärft oder solche erst hervorruft und zudem Straftaten aufgrund dieser Bedingungen eher wahrscheinlicher werden lässt.
Kriminalisierung von Armut
Dass das Strafrecht als solches grundlegend auf Selektivität zulasten der Armen angelegt ist, kommt in der aktuellen Debatte etwas zu kurz. Ronen Steinkes Buch lautet im Untertitel „Die neue Klassenjustiz“. Was damit genau gemeint ist, wird im Buch nicht erläutert, so dass auch offenbleibt, inwiefern es sich um eine neue Entwicklung handeln soll.[12] Es scheint eher um eine neue Entdeckung in privilegierten Kreisen zu gehen. Von jeher kriminalisiert das Strafrecht bei Behauptung gleichmäßiger Bestrafung Verhaltensweisen, die primär von Armen begangen werden, und bewirkt auf diese Weise deren immer weitergehenden Ausschluss.
In der aktuellen Debatte wird auf die Kriminalisierung von Armut hingewiesen, die über bestimmte Straftatbestände funktioniert, die typischerweise von Armen begangen werden. So ist Fahren ohne Fahrschein eine Straftat, Falschparken und viele andere mit dem (eigenen) PKW begangene Delikte sind dagegen lediglich Ordnungswidrigkeiten, die keine Langzeitfolgen wie Einträge im Führungszeugnis nach sich ziehen. Allerdings geht die Selektivität des Strafrechts wesentlich weiter als es die wenigen Straftatbestände, deren Entkriminalisierung derzeit diskutiert wird, nahelegen. So unterliegen allgemein Delikte, wie z. B. Raub, die im öffentlichen Raum begangen werden, mit enorm höherer Wahrscheinlichkeit der Strafverfolgung als Delikte, die in Büroetagen begangen werden. Auch die Logik des Verdachts der Polizei ist diesbezüglich höchst selektiv, und sie verfügt über die Definitionsmacht zu entscheiden, gegen wen überhaupt ermittelt wird.[13] „Klassenjustiz“ ist auch in diesem Sinne alles andere als neu.[14] Während etwa Wacquant in jüngerer Zeit verstärktes „Bestrafen der Armen“ mit dem Neoliberalismus in Verbindung bringt, zeichnet Vegh Weis den Zusammenhang zwischen Strafrecht und Kapitalismus nach.[15] Eine zentrale Funktion des Strafrechts ist die Individualisierung sozialer Probleme, es erzeugt also eine Zuschreibung des Selbstverschuldens von Armut.[16] Über die dargestellten Bestrafungsmechanismen verschärft es diese zusätzlich weiter im Sinne einer Spirale der (als selbstverschuldet konstruierten) Armut.
Rolle des Strafvollzugs in der Armutsspirale
Bekanntlich dient Strafvollzug nach den gesetzlichen Vorgaben dem Ziel, ein Leben ohne Straftaten zu führen und Gefangene wieder in die Gesellschaft einzugliedern.[17] Es ist ebenfalls weithin bekannt, dass nicht wenige Kriminalitätstheorien einen Zusammenhang zwischen prekären ökonomischen Verhältnissen und Straftatbegehung und/oder der Strafverfolgung konstatieren. Soll Strafvollzug der Rückfallprävention dienen und dies ausdrücklich mittels Wiedereingliederung in die Gesellschaft, so müsste er folgerichtig Chancen eröffnen, die die Reduktion von Armut wenigstens im Einzelfall ermöglichen. Dies ist freilich schon deswegen problematisch, weil es dem Individuum abfordert, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, was bei gleichzeitigem Fortbestehen der sozialökonomischen Verhältnisse außerhalb mittels einzelfallbezogener Intervention im Vollzug schwerlich gelingen kann. So kann die dort oftmals angebotene Schuldenberatung lediglich eine Verwaltung des Elends sein, wenn sich die Armut faktisch während des Vollzugs noch verschärft. Gleichzeitig kommuniziert ein solches Angebot zwischen den Zeilen, man müsse sich nur kümmern, dann werde das Schuldenproblem zumindest reduziert – in Umkehrung erscheint es bei Nichtkümmern als selbstverschuldet.
Allerdings ist vorrangiger Gläubiger der Gefangenen meist der Staat, der von ihnen verlangt, die Verfahrenskosten für ihre eigene Verurteilung zu bezahlen. Gleichzeitig erhalten auch die im Vollzug arbeitenden Gefangenen lediglich eine Vergütung von zwischen ein und drei Euro. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die diesbezügliche Konzeption der Landesstrafvollzugsgesetze gerade als „realitätsfern“, „widersprüchlich“ und daher verfassungswidrig bezeichnet.[18] Von den Gefangenen werde verlangt, von diesen geringen Bezügen nicht nur Dinge des täglichen Bedarfs im Vollzug zu kaufen, sondern eine Vielzahl weiterer Kosten zu tragen, z. B. für Strom, medizinische Behandlung oder Telefon.[19] Gleichzeitig forderten die Gesetze von ihnen, den durch die Tat verursachten Schaden auszugleichen sowie Unterhalt zu bezahlen. Aber auch nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen die Gefangenen nicht etwa in den gesetzlichen Mindestlohn oder die Rentenversicherung einbezogen werden.[20] Vielmehr haben die Länder zwei Jahre Zeit bekommen, um Änderungen zu beschließen, deren Richtung offengelassen wurde und die später lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle durch das BVerfG unterzogen werden sollen.
Die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Gefangenenvergütung begründete das BVerfG mit einem Verstoß gegen das Resozialisierungsprinzip, da es weiterhin an einem widerspruchsfreien und realitätsnahen Resozialisierungskonzept fehle, wie es bereits 1998 festgestellt habe.[21] Dies wiegt rechtlich insofern ausgesprochen schwer, als der Strafvollzug mit dem gesetzlichen Auftrag der Resozialisierung antritt und gemeinhin der Arbeit dabei eine zentrale Funktion zugeschrieben wird.[22] Im vorliegenden Zusammenhang ist besonders interessant, wie dieses Ziel durch das BVerfG gefasst wird. Denn demnach geht es darum, dass „den Gefangenen durch die Höhe des ihnen zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusstgemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist“.[23]
Es spricht für sich, dass der im Namen der Resozialisierung einsperrende Staat sich auch 25 Jahre nach der ersten diesbezüglichen Aufforderung des BVerfGs noch immer nicht zu einer diesem Ziel angemessenen Vergütung durchringen konnte, und es dürfte offensichtlich sein, dass die aktuelle Höhe der Vergütung genau das Gegenteil vermittelt, nämlich dass es sich nicht lohnt zu arbeiten – auch wenn Gefangene dies dennoch tun, um der Zelle zu entfliehen und sich wenigstens Kaffee, Rauchwaren u. ä. leisten zu können. So aber spielt der Strafvollzug eine zentrale Rolle in der weitergehenden Verarmung von Gefangenen, indem die Schulden dort anwachsen, statt abgebaut zu werden, und Gefangene zudem nach der Entlassung in vielfacher Hinsicht neu damit anfangen müssen, sich eine Nische zum Leben zu suchen, um Wohnung und Lebensunterhalt zu sichern sowie Zugang zu sozialen Zusammenhängen (wieder) zu erlangen.
Allerdings ist auch die durch das BVerfG erneut hervorgehobene Funktion der Gefangenenarbeit selbst mit Blick auf das Thema der Armutsbestrafung interessant. Denn da das Ziel des Strafvollzugs darin besteht, Gefangene zu befähigen, ein Leben ohne Straftaten zu führen,[24] geht das BVerfG ersichtlich davon aus, dass ein wesentlicher Grund für Straftaten in mangelndem Bewusstsein für die Notwendigkeit zu suchen sei, erwerbstätig zu sein. Auch die Notwendigkeit einer Erhöhung der Vergütung soll ihren Grund also nicht in der Armutsbekämpfung und Verbesserung der Lebenssituation im Vollzug und nach einer Entlassung haben, wie es etwa aus Sicht der Desistance-Forschung über Bedingungen für einen Ausstieg aus Straffälligkeit naheliegen würde.[25] Vielmehr zielt auch die verlangte Verbesserung auf das Bewusstsein des Individuums und damit auf eine individualisierende Zuschreibung der Ursachen für Armut.
„Behandlung“ im Strafvollzug und Responsibilisierung
Damit reiht sich der Umgang mit Armut im Strafvollzug in den des vorherigen Bestrafungssystems ein, indem prekäre sozioökonomische Verhältnisse ebenso wie die Abwesenheit von Erwerbsarbeit strikt im Individuum verortet werden. Dabei steht die durch das BVerfG geforderte Rolle der Vergütung auch in Einklang mit der neueren Ausrichtung des Strafvollzugs im Ganzen. Ließ sich etwa vor der Föderalismusreform wenigstens im Gesetz immerhin noch ein Behandlungsgedanke mit Angebots-charakter etwa mit Blick auf soziale Hilfen finden, so dominiert mittlerweile ein Behandlungsgedanke, der kognitiv-verhaltenstherapeutisch an Denkfehlern der Gefangenen ansetzt und dies u. a. über Gruppenprogramme zu verankern sucht. Der Strafvollzug wirkt intensiv auf die Gefangenen ein, die Verantwortung für ihre Taten (verbal) zu übernehmen. So wird etwa von ihnen erwartet, einen Banküberfall mit überhöhtem individuellem Luxusbedarf statt mit existentieller Not zu begründen, die in Deutschland als nicht existent konstruiert wird. Jeder Hinweis auf sozioökonomische Bedingungsgeflechte gereicht Gefangenen zum Nachteil, etwa was den Zeitpunkt ihrer Entlassung angeht. Wenn Gefangene in Gruppenprogrammen und Einzelgesprächen sich nicht individualisierenden Taterklärungen unterwerfen, mündet dies in eine negative Stellungnahme der Vollzugsanstalt („mangelnde Verantwortungsübernahme“) zur Rückfallgefahr, der sich die Gerichte dann typischerweise anschließen, wenn es etwa um die Reststrafenaussetzung zur Bewährung zum Zweidrittelzeitpunkt der Strafe oder um eine Entlassung aus der Sicherungsverwahrung geht.[26]
Während Arme letztlich für ihre Armut bestraft werden und daher eher im Strafvollzug landen, ist der Strafvollzug so auch selbst Teil der Erzeugung einer Spirale von Armut und Responsibilisierung, mit der die Ursachen von Armut systematisch in das Individuum eingeschrieben werden.