Law & Order alternativ? Die Politik Innerer Sicherheit der AfD

von Christian Meyer

„Unser Ziel ist ein schlanker, aber starker Staat“, sagt die Alternative für Deutschland in ihrem Grundsatzprogramm.[1] Der starke Bezug der neurechten Partei auf die „innere Sicherheit“ passt sowohl zum autoritären Staatsverständnis im völkischen Denken als auch zu neoliberalen Vorstellungen von Gesellschaft. Er dient zudem als Brücke zu bürgerlichen Kräften – allen voran der CDU.

Die AfD ist Teil eines neurechten Hegemonieprojekts, das jenseits von Unionsparteien und NS-Nostalgie angesiedelt ist. Diese neue Rechte umfasst heute ein breites Spektrum, das von Pegida über die Identitäre Bewegung und Jürgen Elsässers „Compact“-Magazin bis zu Teilen des vor Asyl-Unterkünften tobenden Mobs und nationalen Trollen in den Kommentarspalten der Zeitungen reicht. Die AfD ist nicht nur deren parlamentarischer Ausdruck, sondern Sammelbecken und Knotenpunkt im rechten Netzwerk.

Bei allen ideologischen Differenzen und Auseinandersetzungen ist dieses Spektrum weitgehend geeint in seinem völkischen Denken. Das Volk ist dabei nichts, was zwangsläufig mit Ariernachweis, Germanentum oder Antisemitismus zu tun hat. Es wird vielmehr als vorpolitische Einheit imaginiert, als „eine Art Kollektiv-Subjekt“. Volk und Nation sollen darin eine Einheit bilden, die „keine inneren Kämpfe oder Unterscheidungen zulässt“.[2] Unter diesem Dach werden Interessen relativiert: Das Volk kennt keine Klassen, aber es sieht überall Feinde. Von außen scheint die nationale Souveränität bedroht und im Innern droht staatliche Macht ständig ausgehöhlt zu werden.

„Bekämpfung von Kriminalität und Innere Sicherheit“ attestiert sich die AfD denn auch als eine ihrer zentralen Kompetenzen. Neben dem Kampf gegen ihre Lieblings-Feindbilder EU, Migration und Feminismus ist Law & Order das zentrale Thema der Partei, mit dem sie sowohl „‚kleine Leute‘ in sog. ‚prekären Stadtteilen‘“ als auch „bürgerliche Wähler mit liberal-konservativer Werteorientierung“ anzusprechen hofft.[3]

Sie will diesen Bereich staatlichen Handelns ausbauen und holt zum „sicherheitspolitischen Befreiungsschlag“ aus. Das Grundsatzprogramm fordert unter anderem bessere Ausrüstung, IT-Tools und mehr Respekt für PolizistInnen, schnellere Abschiebungen und weniger Datenschutz.

Experimentierfeld Brandenburg

Dass die AfD mit Law & Order punkten kann, zeigte sich unter anderem bei den Landtagswahlen am 14. September 2014 in Brandenburg. Im Wahlkampf hatte Spitzenkandidat Alexander Gauland systematisch auf das Thema Innere Sicherheit gesetzt und erzielte damit 12 Prozent der Stimmen. Bereits zwei Wochen zuvor war Parteikameradin Frauke Petry bei der Landtagswahl in Sachsen mit Slogans wie „Sichere Grenzen statt grenzenlose Kriminalität“ und Klagen über den Personalmangel bei der Polizei erfolgreich gewesen.

Das Brandenburger Wahlprogramm[4] betont Belange Innerer Sicherheit „als wichtigste Aufgabe des Staates“, welcher die Landesregierung aber nicht nachkomme, weshalb eine „ Neuausrichtung der polizeilichen Arbeit“ notwendig sei. Diese solle neben mehr Personal und höherer Präsenz in der Fläche auch in einer neuen Kriminalitätsstatistik bestehen, zu der es heißt: „Kein Schönrechnen der Realität“.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am 30. Juli 2014 zum Wahlkampfauftakt in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, an der auch Petry, der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke und der damalige Noch-Parteichef Bernd Lucke teilnahmen, stellte Gauland Sicherheit und Polizei ins Zentrum seines Vortrags. Gewalt gegen Polizeibeamte werde in allen drei Bundesländern enttabuisiert, Diskussionen um individuelle Kennzeichnung bestätigten dieses Klima. Ebenso steige die Kriminalität in allen drei Ländern. Vor allem in ländlichen Regionen sei die Polizei kaum präsent, was letztlich „zur Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols“ führe. Gauland präsentierte die AfD als durchaus anschlussfähig: „Die Forderungen der AfD stimmen weitgehend mit denen der Gewerkschaft der Polizei überein: mehr Personal, weniger Bürokratie“.

Mit dem Beispiel von KfZ-Diebstählen in Grenznähe zu Polen konnte die AfD geschickt all jene Feindbilder bündeln, mit denen sie am rechten Rand mobilisiert: Dank EU seien die Grenzen offen, was es kriminellen Ausländern ermögliche, sich an deutschem Privateigentum (noch dazu am Auto!) zu vergreifen, was schließlich nur mit mehr Polizei beantwortet werden könne. Am erfolgreichsten war die AfD damit in Neuzelle, nahe der polnischen Grenze. Obwohl die Zahl der Diebstähle hier sowohl im Vergleich zur übrigen Grenzregion als auch mit dem restlichen Brandenburg niedrig ist, gaben in Neuzelle über 22 Prozent ihre Zweitstimme der AfD.[5] Auch in Frankfurt/Oder holte die AfD mit dem Thema knapp 20 Prozent der Erst- und Zweitstimmen. Vorsitzender des AfD-Stadtverbandes ist dort der Bundespolizist Wilko Möller, der 2015 als Belohnung für seinen Erfolg zum Beisitzer im AfD-Landesvorstand gewählt wurde.

Zwischen Konkurrenz und Koalition

Im Spätsommer 2014 war die Entwicklung der AfD noch nicht absehbar, es gab keine Pegida, die Silvesternacht in Köln lag noch in weiter Ferne und die Festung Europa galt den meisten noch als relativ stabil. Das Verhältnis von Unionsparteien und AfD wurde damals eifrig diskutiert. In Sachsen wollten einige Unionspolitiker eine Koalition nicht von vornherein ausschließen. Auf Bundesebene plädierte CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach dafür, dass Ignorieren und Ausschließen die falschen Strategien seien, vielmehr sei eine inhaltliche Auseinandersetzung vonnöten. Nachdem die AfD in Sachsen mit dem Thema „Grenzkriminalität“ erfolgreich war, nahm Kanzlerin Angela Merkel den Ball in der Endphase des Brandenburger Wahlkampfs auf und forderte nun mehr Polizeikräfte.

Nur einen Tag nach den Wahlen präsentierte der konservative Berliner Kreis der CDU, zu dem einst auch Gauland zählte, ein Positionspapier, welches dazu aufforderte, den Kurs gegenüber der AfD zu ändern.[6] Wiederum zwei Tage darauf hielt die Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer Wahlanalyse fest, dass sechs der elf neuen AfD-Abgeordneten im Potsdamer Landtag ehemalige Unionsmitglieder seien und das landespolitische Programm kaum „Ansatzpunkte für eine strikte inhaltliche Abgrenzung“ böte. Eine der Schnittmengen sei auch die Innere Sicherheit. Man dürfe sich nicht von den WählerInnen der AfD abwenden. „Das könnte sich dann als Fehler erweisen, wenn es der AfD tatsächlich gelingen sollte, sich als weitere Partei längerfristig zu etablieren.“[7]

Im September 2016 wählte Berlin, und die AfD zog mit 14 Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus ein. Eines ihrer bestimmenden Themen war erneut Innere Sicherheit. Das Wahlprogramm forderte entschiedenes Durchgreifen gegen religiösen Extremismus und Linksextremismus, härtere Strafen, mehr Videoüberwachung und weniger Datenschutz und natürlich eine personelle Aufstockung der Polizei. Damit ähnelte es in weiten Teilen dem der CDU, die allerdings „nur“ 750 zusätzliche PolizistInnen forderte, während die AfD gleich einen Zuwachs von 2.000 BeamtInnen propagierte.[8] Dass der CDU-Spitzen­kan­didat Frank Henkel die Innere Sicherheit zum zentralen Thema seiner Partei machte, war naheliegend. Schließlich führte er seinen Wahlkampf aus der Position des Innensenators.

Vergleicht man die Landeswahlprogramme der Berliner CDU von 2011[9] und 2016, so zeigt sich zunächst, dass das Thema Innere Sicherheit weit nach vorne gerutscht ist. In puncto Rassismus und Ressentiment hat die Partei hingegen ihr Programm entschärft. 2011 war im Kontext von Migration noch von „Sorgen und Ängsten der Einheimischen“ die Rede. Themen der Migration schlossen sich nahtlos an die der Inneren Sicherheit an und waren kaum voneinander zu trennen. 2016 wurde die Integration weit abgeschlagen (noch nach Nachhaltigkeit und Sport) behandelt. Die Frage, ob sich die Politik der Hauptstadt-CDU unter dem Einfluss der AfD geändert hat, ist daher nicht eindeutig zu beantworten.[10] Klar ist allerdings, dass die CDU nicht mehr die einzige Law & Order-Partei im Abgeordnetenhaus ist.

Viele der von der AfD angesprochenen Themen der Inneren Sicherheit haben es in den letzten Jahren auf die Agenda anderer Parteien geschafft. Im März 2017 versuchten AfD und CDU gemeinsam im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, die Videoüberwachung auszuweiten. Nachdem das Vorhaben scheiterte, streben nun einige aus den Reihen der Hauptstadt-CDU sowie der SPD-Rechtsausleger Heinz Buschkowsky ein Volksbegehren für mehr Kameras an. Die Unterschriften der AfD-WählerInnen dürften sie dabei sicher haben.

Auf Bundesebene hat der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition im Juni 2017 härtere Strafen bei Wohnungseinbrüchen beschlossen. Die Polizei darf bei der Ermittlung von Einbrüchen künftig auch auf die Vorratsdatenspeicherung zurückgreifen. Auch die eingeführte härtere Bestrafung von Angriffen auf PolizistInnen wurde bereits von der AfD im Grundsatzprogramm gefordert. Die Gesetzesverschärfungen greifen genau die „Ängste“ auf, mit welchen die AfD Wahlkampf macht. In NRW wird aktuell die Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen wieder abgeschafft – und zwar mit den Stimmen der neuen Regierungsparteien CDU und FDP und jenen der AfD.

Im November 2016 brachte die AfD in Brandenburg eine große Anfrage zu „Linksextremismus im Land Brandenburg“ ein, die 210 Einzelfragen umfasste. Darunter Erheiterndes, wie die Frage, ob die Brandenburger Polizei in der Lage sei, das Vermummungsverbot wirksam durchzusetzen. Gefragt wurde aber auch nach Möglichkeiten der Strafverfolgung im Zusammenhang mit linken Homepages (linksunten.indymedia.org, keinealternative.blogspot.de) oder nach deren registrierten BetreiberInnen.[11] Mit dem Rückgriff auf die Extremismustheorie rückt sich die rechte Partei selbst in die Mitte und konkurriert dort mit bürgerlich-konservativen Parteien im Feld Innerer Sicherheit. Nach den Anti-G20-Protesten in Hamburg erkannte Tom Strohschneider ein „argumentatives Zusammenrücken am rechten Rand … bei dem sich Union, Journalisten und AfD nicht nur die Begriffe in die Hand geben (Linksfaschisten, Terroristen), sondern auch eine Eskalation der Forderungen in Gang gesetzt haben“.[12]

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung und der Universität Göttingen hielt jüngst fest, dass die AfD „eine robuste Law and Order Politik“ betreibt und „in ihrer parlamentarischen Arbeit das Thema des politischen Extremismus“ verfolgt. „Politisch brachten sich die AfD-Fraktionen primär als rechte Konkurrentin der jeweiligen CDU-Fraktion in Stellung.“[13]

Der Diskurs um Innere Sicherheit hat durch das Auftreten der AfD eine zusätzliche Dynamik gewonnen. Dass die AfD im Bereich Innerer Sicherheit andere Parteien vor sich hertreibe, lässt sich (bis jetzt) jedoch nicht direkt belegen. Vielmehr gibt es eine unausgesprochene Koalition zwischen Unionsparteien und AfD bei diesem Thema. Oft ist es der AfD angesichts von medial und politisch inszenierten Paniken kaum noch möglich, eine striktere Sicherheitspolitik und polizeiliche Praxis zu fordern, als die von den Parteien der großen Koalition praktizierte. Im Zuge der Aufregung nach den Anti-G20-Protesten fiel der AfD schließlich nichts mehr ein, als die Erschießung von RandaliererInnen zu fordern.[14]

Die AfD betreibt nicht nur Kultur- oder Klassenkampf. Ein ganz großer Teil ihrer Arbeit besteht in autoritärer Sicherheitspolitik. Darin besteht ein guter Link zu bürgerlichen Kräften, insbesondere den Unionsparteien. Ihrer Selbstdarstellung als Fundamentalopposition läuft dies zwar entgegen, schadet ihr bei Wahlen jedoch nicht, da sie damit ein autoritäres Strafbedürfnis ihrer WählerInnen abrufen kann.

[1]   Grundsatzprogramm der AfD, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.4./1.5.2016; http://alternativefuer.de/wp-content/uploads/sites/7/2016/05/2016-06-27_afd-grundsatzprogramm_web-version.pdf
[2]   Kellershohn, H.; Kastrup, W. (Hg.): Kulturkampf von rechts, Münster 2016
[3]   AfD-Bundesvorstand: AfD-Wahlkampf-Strategie v. 22.12.2016; https://de.scribd.com/ document/338294054/AfD-Strategie-2017
[4]   www.afd-brandenburg.de/wp-content/uploads/2014/04/LTW-2014-Wahlprogramm-Brandenburg.pdf
[5]   Spiegel online v. 2.10.2014
[6]   Sueddeutsche.de v. 15.9.2014
[7]   Konrad-Adenauer-Stiftung: Analyse zur Landtagswahl in Brandenburg, Potsdam 17.9.2014, http://www.kas.de/wf/doc/kas_38812-1522-1-30.pdf?140918155510
[8]   https://afd.berlin/wp-content/uploads/2016/07/AfD_Berlin_Wahlprogramm_A5_RZ% 20.pdf; http://cduberlin.de/image/inhalte/file/Wahlprogramm_final-Screen.pdf
[9]   www.tagesspiegel.de/downloads/4161506/2/wahlprogramm-cdu.pdf
[10]  Unter Druck stand die CDU nicht nur durch die AfD. Bereits Ende 2015 drohte eine „Volksinitiative verfassungskonforme Alimentation für alle Berliner Beamten“ um den Polizisten André Grashof mit dem Potenzial von 110.000 Stimmen bei der Abgeordnetenhauswahl, die „über Sieg oder Niederlage entscheiden“ könnten. Die BeamtInnen seien überlastet, unterbezahlt und von der Politik enttäuscht, so dass einige von ihnen zur Wahl einer Protestpartei, also der AfD, neigten. Vgl. Berliner Zeitung v. 7.12.2015
[11]  LT-Brandenburg Drs. 6/5391 v. 7.11.2016
[12] Neues Deutschland v. 12.7.2017; die Thüringer AfD-Fraktion um Björn Höcke beantragte nach dem G20-Gipfel eine Sondersitzung zum Thema Linksextremismus. Der Landtag muss diesem Antrag nachkommen, da eine ganze Fraktion dahintersteht, dpa-Meldung v. 10.7.2017. In Baden-Württemberg ist der erneute Wunsch der AfD nach einem Untersuchungsausschuss zum Linksextremismus, nach ablehnenden Stimmen aller anderen Parteien, gescheitert, dpa-Meldung v. 12.7.2017
[13]  Hensel, A.; Finkbeiner, F. u.a.: Die AfD vor der Bundestagswahl 2017, Frankfurt/M. 2017 (www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AH91/ AH91_AfD_Goettingen_WEB.pdf); die Studie untersuchte die AfD-Fraktionen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.
[14]  N-tv v. 13.7.2017

Beitragsbild: Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln 2017 (Oliver Feldhaus).

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