Misshandlungen mit Todesfolge in Köln

Im Anschluss an seine Festnahme wegen aggressiven Verhaltens wurde der 31-jährige Stephan Neisius am 11. Mai 2002 in einem Polizeiwagen und später auf der Kölner Eigelsteinwache von sechs Polizeibeamten schwer misshandelt; nach zweiwöchigem Koma starb der Mann am 24. Mai Zwei Polizeibeamte sagten aus, als der Streifenwagen zur Wache gekommen sei, sei „Empfangskommando“ gerufen worden – eine dort scheinbar übliche Art, schwierige Zuführungen zur Wache zu benennen. Der an Händen und Füßen gefesselte Neisius sei daraufhin brutal geschlagen, getreten und schließlich an den Füßen durch den Flur in die Zelle geschleift worden.

Das rechtsmedizinische Institut der Universität Köln hat im Mai „ein deutlich geformtes, frisches Hämatom nach Art eines Schuhsohlenabdrucks“ auf der linken Stirnhälfte des Toten diagnostiziert. Dies deutet auf eine massive Gewaltanwendung gegen den Kopf des Verstorbenen hin. Dasselbe Institut bescheinigte im abschließenden rechtsmedizinischen Gutachten am 26. Juni, dass der Tod von Herrn Neisius nicht aufgrund von Gewaltanwendungen eingetreten sei.

Vielmehr habe ein „hypoxischer Hirnschaden“, d.h. ein Hirnschaden als Resultat einer extremen Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns, nach einer „vorausgegangenen Belastungsreaktion mit plötzlichem Herz- und Kreislaufversagen“ zum Tod geführt. Es sei zwar „nicht auszuschließen“, dass die Handlungsweisen der Polizeibeamten den „Stresszustand“ von Herrn N. verstärkt haben könnten, so das Gutachten. Als Grund für die „Belastungssituation“, also für das Herbeiführen eines plötzlichen Herzstillstandes, aufgrund dessen es zu einer so extremen Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (Hypoxie) kam, dass ein tödliches Koma folgte, werden aber der Cannabiskonsum des Verstorbenen sowie eine vorhandene Psychose angeführt. Dagegen sprechen medizinische Forschungsergebnisse, die wiederholt bescheinigen, dass Cannabis lediglich die Aufmerksamkeit vermindernd und nicht hirnschädigend wirkt. Das Gutachten erweckt den Eindruck der Vertuschung. Eine Psychose gilt in der medizinischen Fachliteratur keinesfalls als Ursache von plötzlichem Herzversagen. Es fragt sich zudem, wie die Rechtsmediziner eine Psychose am Verstorbenen diagnostizieren konnten. Der rechtsmedizinischen Logik folgend wäre Herr N. auch ohne Polizeieinsatz gestorben, wegen Cannabiskonsums.

Die sechs Polizisten wurden vom Dienst suspendiert. Aufgrund des Gutachtens wurden weder Verfahren wegen Todschlags noch wegen Körperverletzung mit Todesfolge eingeleitet. Ermittelt wird gegen 13 Beamte der Wache; insgesamt 11 Schlägern in Uniform wird „nur“ Körperverletzung im Amt zur Last gelegt. Den beiden anderen Beamten, die die Vorgänge beobachtet und angezeigt hatten, wird unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Einer der suspendierten Polizisten wurde zuvor bereits 12 Mal wegen Körperverletzung und anderer Delikte angezeigt, immer folgenlos. Seine Vorgesetzten stellten ihm wohlwollende Zeugnisse aus. Der ehemalige Leiter der Polizeiinspektion Innenstadt, Jürgen Sengespeik, trägt die Verantwortung für solche Vertuschungen. Seit 1999 gab es 324 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte in Köln wegen Verdachts der Körperverletzung, davon 37 in der Eigelsteinwache. Eine von der Bezirksregierung eingesetzte Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass Hinweisen auf „auffällige Beamte“ nicht ausreichend nachgegangen worden sei und dass es positiv bewertet worden sei, wenn Beamte der Wache eher „härter zugreifen“. Sengespeik wurde „zur Strafe“ die Leitung einer anderen Polizeiwache übertragen.

(Marion Knorr)