von Johannes Meyer-Ingversen *
Am 30.6.89 eskaliert in Essen ein Bagatellunfall zu einem Großeinsatz der Polizei, in dessen Verlauf der 13jährige türkische Schüler Kemal C. von der Polizei erschossen wird. Der mit der rechtlichen Überprüfung und Aufklärung des Ablaufs beauftragte Staatsanwalt stellt am 8.9.89 das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Todesschützen ein. Die Beamten hätten in Notwehr gehandelt.
Der Einstellungsbescheid widerspricht in wichtigen Punkten den von anderer Seite ermittelten Tatsachen – so vom Anwalt der Familie Kemals und vom „Arbeitskreis zur Unterstützung der Ermittlungen im Fall Kemal C.“, der eigene Recherchen anstellte und der Polizei die Ergebnisse und Zeugen präsentierte. Der Anwalt hat inzwischen Beschwerde beim Generalstaatsanwalt eingelegt. Vertreter der „Bundesarbeitsgemeinschaft kritische PolizistInnen“ haben Strafanzeige gegen den Staatsanwalt wegen Strafvereitelung im Amt erstattet. Zugleich ist gegen die Todesschützen Anzeige wegen Totschlags erfolgt.
1. Der Ablauf:
Eine tödlicher Eskalationsprozeß
Am 30.Juni holt der 13jährige Kemal aus dem Keller eines befreundeten Nachbarn dessen Moped für eine Spritzfahrt durch Essen – ein „Dummerjungenstreich“, wie Nachbarn später erklären. Er wird bei der Moped-Fahrt von einem 15jährigen Freund begleitet. Um 16.25 Uhr stößt das Moped – es hat kein Kennzeichen – mit einem PKW zusammen. Der Sachschaden: ca. 1.000 DM. Während Kemal mit dem Moped flüchtet, bleibt sein Freund am Unfallort. Die Polizei fandet nach dem Flüchtenden, ein Streifenwagen fährt dem Moped entgegen, Kemal wird von den Beamten gestoppt. Der Junge flüchtet zu Fuß, 2 Polizisten eilen hinterher. In einem Handgemenge reißt Kemal einem der Polizisten die Dienstwaffe aus dem Halfter. Nach Darstellung der Polizisten soll Kemal „sofort gezielt“ auf sie geschossen haben, ohne sie zu verletzen. Weitere alarmierte Polizisten nehmen die Verfolgung auf. Auf der ca. einstündigen Flucht schießt Kemal nach Polizeiangaben auf 2 weitere Polizisten, die neben ihrem Streifenwagen stehen. Kemal flüchtet über die Bahnlinie Essen-Düsseldorf in eine Kleingartenanlage. Weitere Polizeibeamte werden eingesetzt. Nach Zeugenaussagen wird auf den Jungen aus einer Gruppe von mindestens 8 ihn verfolgenden Polizisten geschossen, während er über die Gleise stolpert. Am Ende sind ca. 50 Beamte im Einsatz, dabei ein Sondereinsatzkommando und ein Polizeihubschrauber. Der Zugverkehr wird bis 17.45 Uhr eingestellt. In der Kleingartenanlage ist Kemal nun von Polizisten umzingelt. Er klettert auf das etwa zwei Meter hohe Flachdach einer Gartenlaube. Es ertönen Schüsse. Die Polizei erklärt später, daß Kemal in Richtung Zuschauer und Polizisten gezielt hätte. Zwei Beamte, 28 und 29 Jahre alt, hätten daraufhin in Notwehr mindestens 6 Schüsse auf den Jungen abgegeben. Danach herrscht Ruhe.
Wie der ermittelnde Staatsanwalt später erklärt, war das Magazin der achtschüssigen Waffe des Jungen zu diesem Zeitpunkt bereits leer. Offenbar hatte er während der Flucht beim Hantieren mit der Waffe einige Patronen verloren. Jedenfalls werden 4 Patronen gefunden, die aus Kemals Waffe stammen. Zwei davon findet die Polizei in seiner Hosentasche.
Als Beamte des SEKs sich ca. 50 Minuten später an die Laube heranpirschen, liegt der Jungen blutüberströmt auf dem Rücken zwischen zwei Lauben. Er ist tot, verblutet. Die Obduktion ergibt, daß der Junge 6 Schußwunden aufweist: zwei im Gesäß, je eine in einem Arm und in jedem Bein, und die tödliche Kugel durch den Rücken in die Lunge.
2. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen:
Vorwürfe
Die Vorwürfe gegen Staatsanwalt Schmalhausen, der noch vor dem Abtransport des toten Jungen am Tatort eintraf, lassen sich in einem Satz zusammenfassen:
Seine Ermittlungen und Bewertungen haben sich offenbar ausschließlich darauf konzentriert, den Schußwaffengebrauch der Polizei zu rechtfertigen. So bescheinigte Schmalhausen bereits zu Beginn seiner Ermittlungen, d.h. noch bevor er im Detail den Ereignisablauf untersuchte und das Obduktionsergebnis kannte, den beteiligten Polizisten, richtig gehandelt zu haben. Folgend die Vorwürfe im einzelnen.
2.1 Notwehrsituation?
Im Einstellungsbescheid kommt der StA zu dem Ergebnis, daß die Beamten, die Kemal am Ende der Verfolgungsjagd vom Flachdach einer Laube herunterschossen haben, in einer „Notwehrsituation“ gehandelt hätten, obwohl der Junge ihnen den Rücken zugewandt hatte und zumindest von 3 Kugeln in den Rücken getroffen wurde. Daß man den verletzten Kemal mehr als 50 Minuten verbluten ließ, ohne zu helfen, begründet der StA so: Die Beamten – die aus 18 m Entfernung schossen – hätten nicht annehmen können, den Jungen getroffen zu haben. Eine Hilfeleistung sei ihnen auch nicht zumutbar gewesen, da Kemal bewaffnet war. Außerdem sei der Junge nach ärztlicher Erkenntnis ohnehin nicht mehr zu retten gewesen und innerhalb kürzester Frist gestorben.
Nur ist dem entgegenzuhalten, daß aus dem Obduktionsbericht, der dem StA seit dem 3.7.89 vorlag, zu erkennen ist:
Kemal hat auf dem Innenhof noch wenigstens 40 Minuten gelebt. Er ist langsam verblutet. Etwa 30 Minuten lang wäre er noch zu retten gewesen.
Ebenso kannte der StA das Protokoll des Polizeifunks. Hier heißt es kurz nach den Schüssen auf das Flachdach: „Es kann sein, daß der getroffen ist. Wir hatten den eben echt gut drauf.“ Notwehr? Keine Ahnung, daß Hilfeleistung geboten sein könnte?
Diese Art, mit den Fakten umzugehen, ist kennzeichnend für den gesamten Einstellungsbescheid des Staatsanwalts.
2.2 Tathergang aufgeklärt? –
Tathergang nicht geklärt!
Staatsanwalt Schmalhausen hat, obwohl er noch vor Abtransport des Getöteten am Tatort eintraf, die Spurensicherung im wesentlichen auf den nächsten Tag verschoben und das Gelände eine ganze Nacht unbewacht gelassen. Er hat in seinen Ermittlungen viele wichtiger Zeugen nicht befragt und ist wesentlichen Widersprüchen in Zeugenaussagen nicht nachgegangen. Er hat den Polizeifunk nicht ausgewertet und objektive Erkenntnisse aus Spurensicherung, Obduktion und Untersuchung der Waffen da unberücksichtigt gelassen, wo sie nicht zu seiner Version des Geschehens paßten. Auf diese Weise kommt er zu einem scheinbar stimmigen Bild des Geschehens, das den tatsächlichen Verlauf eher verdunkelt als aufklärt. Hierzu die folgenden, noch immer offenen Fragen.
Wie kam Kemal an die Waffe?
An der Ecke Kerkhoffstraße/ Burkhardtstraße wurde Kemal von einer Streife gestellt. Nach mehreren Rangeleien, bei denen Kemal schließlich im Polizeigriff zu röcheln angefangen hatte – was der Einstellungsbescheid tunlichst verschweigt – , drückten die beiden Beamten den Jungen gegen eine Hauswand. Kemal schlug und trat. Einer der Beamten umklammerte seinen Oberkörper – von vorn oder hinten? Kemal ergriff in dieser Situation die P-stole dieses Beamten und zog sie aus dem Holster. Wie locker saß die Waffe im Holster? Und was tat währenddessen der andere Beamte?
Wie oft schoß Kemal?
Als Kemal die Waffe hatte, ließ der Beamte ihn los. Kemal rannte Richtung Treitschkestraße und lief, weil er nach hinten sah, gegen ein geparktes Auto. Er fiel hin. Beide Beamte waren ihm gefolgt, der entwaffnete warf sich auf Kemals rechten Arm. Was tat der andere Beamte? Zeugenaussagen zufolge sprang er mit gezogener Waffe um die Kämpfenden herum. Er selbst will die Waffe in diesem Augenblick noch nicht gezogen haben. Warum hat er dann Kemal die Waffe nicht aus Hand genommen? Der Staatsanwalt stellt diese Fragen nicht.
Als Kemal seinen Arm unter dem entwaffneten Polizisten hervorzog, löste sich aus der Waffe in seiner Hand ein Schuß. Von diesem Schuß sind ein Geschoßteil und die Patronenhülse gefunden und identifiziert worden. Von allen weiteren Schüssen, die Kemal abgegeben haben soll, fehlt solches identifizierbares Material. Das hinderte den Staatsanwalt nicht, diejenigen der angeblichen Schüsse Kemals, die er argumentativ braucht, als zweifelsfrei erwiesen hinzustellen.
Für die von Schuld freisprechende Argumentation muß der Staatsanwalt einen gezielten Schuß auf den entwaffneten Polizeibeamten als erwiesen annehmen. Kemal soll ihn abgegeben haben, bevor er dann in der Treitschkestraße verschwand. Dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang des Landes NRW (UZWG) gemäß, daß die Voraussetzungen polizeilichen Schußwaffeneinsatzes regelt, darf nur unter dieser Voraussetzung von nun an auch einen Fliehenden geschossen werden, da er ein Verbrechen unter Mitführung und Einsatz einer Schußwaffe begangen hat. Allerdings mit einer Einschränkung: Er darf kein Kind sein. Dann ist der Schußwaffeneinsatz auf den Fliehenden, selbst wenn er eine Waffe mit sich führt, nicht durch das UZWG gedeckt. So war es auch für die Staatsanwaltschaft besonders wichtig, deutlich zu machen, daß Kemal, dessen 13 Lebensjahre nicht zu bestreiten waren, zumindest den Eindruck eines deutlich älteren Jugendlichen machte. Der StA gab entsprechende Gutachten in Auftrag.
Für den juristisch so bedeutsamen Schuß führte der StA vier Zeugen für diese zweite Rangelei zwischen Kemal und den Polizisten an: Die beiden Polizeibeamten sowie ein Ehepaar; entgegenstehende Zeugenaussagen läßt er unerwähnt. Aber auch die Aussagen seiner vier Zeugen halten einer Überprüfung nicht stand. Das Ehepaar, das am 3.7. aufgefordert wurde, zu einer Schießerei zwischen Polizeibeamten und einem Ausländer auszusagen, erklärte bei dieser Vernehmung, Kemal habe nicht geschossen. Nur der Polizeibeamte habe einen Schuß in die Luft abgegeben. Eben dies aber will der noch bewaffnete Beamte auf keinen Fall getan haben. Der andere Polizist lag, seiner Aussage zufolge, nach dem Gerangel mit Kemal hinter einem Auto in Deckung. Er habe deshalb den fraglichen Schuß nur gehört, aber nicht gesehen, wer schoß. Folglich blieb der Beamte, der nicht geschossen haben will, zunächst der einzige Zeuge für den angeblichen Schuß Kemals. Am 10.7. wurde dann das Ehepaar erneut von der Polizei vernommen. Diesmal erklärt es, daß sowohl der Polizeibeamte als auch Kemal geschossen hätte. Nach dem Widerspruch zur vorherigen Aussage wird es nicht befragt. Auch der StA hakte nicht nach. Er entnimmt diesem Wirrwarr nur Kemals Schuß – der Rest interessiert ihn nicht.
An bzw. auf der Gleisanlage soll Kemal nach widersprüchlichen Zeugenaussagen zwei-, drei- oder sogar viermal geschossen haben. Auch hier fehlen Sachbeweise, also Spuren. Der StA faßt diese Schüsse zu einem einzigen zusammen, ohne auf das darin steckende Problem aufmerksam zu machen. Mehr als ein Schuß hier wäre zu viel, weil sonst die Patrone entweder für den Schuß in der Treitschkestraße oder für den Schuß vom Flachdach fehlen würde. Denn auch auf dem Flachdach soll Kemal nach Aussage eines der Polizeischützen geschossen haben. Zwar ohne Mündungsfeuer, Qualm oder Rückstoß – aber immerhin habe er den Knall gehört. Der StA nutzt diesen Knall, um die Annahme einer „Notwehrsituation“ für die Schüsse in Kemals Rücken zu stützen.
Das „mathematische Problem“ entsteht folgermaßen:
Die von Kemal entwendete Waffe enthielt im Magazin 8 Patronen. Schon in den Tagen nach Kemals Tod hatte die Staatsanwaltschaft geklärt: Zwei Patronen seien ausgeworfen worden, als Kemal an der Kerckhoffstraße zweimal den Schlitten der Waffe gezogen habe, um vermeintlich durchzuladen. Zwei weitere Patronen seien in seiner Hosentasche gefunden worden. Diese vier ungenutzten Patronen konnten ursprünglich erklären, wieso Kemal nach vier Schüssen unterwegs mit leerer Waffe auf dem Dach stand. Einzuräumen ist, daß dies die Polizisten nicht wissen konnten. Später hätte man für die insgesamt von Zeugen behaupteten Schüsse Kemals mehr als vier Patronen gebraucht, zumal Kemal nun auch vom Flachdach im Kleingarten geschossen haben soll. Im Einstellungsbeschluß übergeht der StA dieses Problem genauso wie das Sachbeweisproblem, daß die in der Hosentasche gefundenen zwei Patronen eindeutig zu der von Kemal getragenen Waffe zuzuordenen waren, die an der Kerckhoffstraße gefundenen dagegen nicht. Über die Frage, wie die Patronen in Kemals Hosentasche geraten sind, stellt der StA keine Betrachtungen an.
Er vermerkt auch nicht, daß Angaben über den Zustand der Waffe fehlen, die bei Kemal gefunden worden ist. War sie geschlossen oder aufgeschossen? („Aufgeschossen“ bedeutet, daß das Magazin ein gut sichtbares Stück weit aus der Waffe hervorsteht, nachdem die letzte Patrone verschossen ist.) Wenn sie leer war, hätte sie aufgeschossen sein müssen. Der eine der Polizeibeamten, die Kemal auf dem Flachdach erschossen, will aber gesehen haben, daß Waffe geschlossen war. Wieso war sie dann nachher leer? Und wo waren zu diesem Zeitpunkt die beiden Patronen, die sich später in Kemals Tasche befanden?
Wie oft schoß die Polizei?
Folgt man dem Protokoll des Polizeifunks, so muß im Zeitraum bis 16.55 Uhr im Bereich der Gleisanlagen und beim Kleingartengelände ziemlich viel geschossen worden sein. Dies bestätigen auch Augenzeugen. Laut StA haben vier Beamte im Bereich der Gleisanlagen insgesamt 11 Schüsse abgegeben, davon einen Warnschuß, die übrigen auf die Beine. Bei der Kleingartenanlage geht der StA von zwei Beamten und sechs Schüssen aus. Er erwähnt im Einstellungsbeschluß nicht, daß einige der untersuchten Waffen zwar noch Patronen im Magazin hatten, aber keine im Patronenlager, was auf Manipulation schließen läßt. Zugleich bleibt unangesprochen, daß nur die Waffen der Beamten untersucht wurden, die von sich aus sagten, sie hätte geschossen. Ebensowenig ist angesprochen, daß ein Zeuge auf der Nordseite der Berliner Brücke den Eindruck hatte, ihm flöge ein Projektil um die Ohren. War das ein Schuß auf die Beine des Jungen oder der Warnschuß in die Luft?
Auch die vielen Einschußspuren in zwei Betongewichten nördlich der Schienen sind von der StA ununtersucht geblieben. Dafür ist inzwischen der interessantere dieser beiden Klötze abtransportiert worden. Etwa zu den Akten? Er zeigt ausweislich von Zeugenaussagen und Fotos, die der „Arbeitskreis zur Unterstützung der Ermittlungen …“ machte, deutlich frische Spuren.
Für die Situation an der Kleingartenanlage sagt ein Zeuge: An einem Garteneingang standen drei, an dem daneben zwei Polizisten. Die Polizisten an beiden Eingängen haben geschossen. Der StA macht daraus: Beide Polizisten am Gartentor haben geschossen. Die Differenz: eine Schußrichtung und drei schießende Beamte. Der Obduktionsbericht hingegen belegt, daß Kemal 6 Schußwunden aufweist und daß er von hinten und von der Seite getroffen wurde. Der Staatsanwalt interpretiert die beiden Durchschüsse in den Beinen als Folgen eines Schusses, geht mithin von 5 Schüssen aus. Dies ist jedoch nach dem Obduktionsbericht nicht zwingend. Auch nimmt der Staatsanwalt bedenkenlos an, daß nur von einem Gartentor aus geschossen wurde und daß der Junge den Polizisten gleichzeitig den Rücken und die rechte Seite zuwandte.
3. Es wird weiter gemauert
Auf zwei Polizeibeiratssitzungen erklärten die Vertreter der Polizei nichts wesentliches mehr, als daß das Verfahren noch schwebte und sie von daher nichts sagen könnten. Polizeipräsident Dybowski bat in einer Presseerklärung um Geduld und Verständnis dafür, daß die Ermittlungen Zeit brauchten. Auf der Essener Demonstration aus Anlaß des Todes von Kemal am 9.9. d.J. verteilten Polizisten ein Flugblatt, das vor vorschnellen Verdächtigungen warnte und bat, das Ermittlungsergebnis abzuwarten. Nur: der Polizei war das Ergebnis zu diesem Zeitpunkt schon bekannt, der Öffentlichkeit jedoch noch nicht. Nachdem der Einstellungsbeschluß öffentlich wurde, zitierte die „NRZ“ den Polizeipräsidenten mit der Äußerung: „Die von allen Essener Polizeibeamten und mir geforderte objektive Klärung ist damit erfüllt. Zu weiterer objektiver Klärung besteht kein Bedarf.“ Kurze Zeit später sagte Polizei-Vizepräsident Erhorn die Teilnahme von Polizei und Staatsanwaltschaft an einer Sitzung des Ausländerbeirats ab, da nun – durch die Beschwerde des Anwalts der Familie – das Verfahren erneut schwebe. Diese Beschwerde aber bewahrte die Staatsanwaltschaft Essen erstmal drei Wochen lang auf, bevor sie sie an den Generalstaatsanwalt in Hamm weitergab.
Fazit: Ob schwebendes oder niedergeschlagenes Verfahren bleibt gleich – an einer öffentlichen und vor der Öffentlichkeit auch überzeugend vertretbaren Klärung des Falles besteht ersichtlich seitens der dafür verantwortlichen kein Interesse. Noch immer hofft man offenbar, die Sache unter den Teppich kehren zu können.
Zudem:
Es geht beim Tod des 13jährigen Jungen um allemal mehr als nur um Rechtsfragen. Denn, auch wenn die tödlichen Schüsse „rechtens“ sein sollten, bleibt die wahnwitzige Eskalation eines „Dummejungenstreiches“ zum tödlichen Ausgang. Die Polizei ist weiterhin zu fragen (und hat sie sich selbst und zuerst die Frage zu stellen), was vor allem an ihrem Einsatz fehlgelaufen ist und welche Vorkehrungen getroffen werden könnten, damit in Zukunft solche Katastrophen vermieden werden.
Dieser Frage – jenseits der juristischen Bewertung – hat sich die Polizeiführung öffentlich nicht gestellt. Sie war nicht einmal fähig, öffentlich ihr Entsetzungen und Bedauern auszudrücken. Nur der Oberbürgermeister Essens und der Polizei-Vizepräsident brachten es über sich, der Familie Kemal C.s in einem Besuch Beileid auszusprechen und Hilfe anzubieten. Wie gerüchteweise bekannt wurde, ist dieser Besuch innerhalb der Polizeiführung zudem auf deutliche Kritik gestoßen.
Der Kommentator der „NRZ“ schrieb schon am 7. Juli d.J.: „Wie neutral werden eigentlich die Ermittlungen geführt? Das alles kann zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft führen.“ – Dieser Feststellung ist bis heute nichts hinzuzufügen.