Das Lockspitzelsystem: Vom „Celler Loch“ bis zur Methode Mauss: Der Abschlußbericht des 11. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des niedersächsischen Parlaments

Von Uwe Behnsen* und Jürgen Trittin**

Unter dem Datum vom 9.10.1989 legte der 11. Parlamentarische Unter-suchungsausschuß des niedersächsischen Landtages (11. PUA) seinen Ab-schlußbericht vor – exakt 2 Jahre und 11 Monate, nachdem er eingesetzt worden war. Der Ausschuß hatte zwar schnell den Spitznamen „Bombenausschuß“ weg; sein Untersuchungsauftrag ging jedoch erheblich über das „Celler Loch“ hinaus. So sollte ebenso die Frage geklärt werden, in welche Operationen des Verfassungsschutzes (VfS) die Bombe einzuordnen sei, wie die gesamte Zusammenarbeit niedersächsischer Sicherheitsbehörden mit dem Privatdedektiv Mauss zu untersuchen war.
Auf rund 300 Seiten liefert der Bericht eine umfassende Fallstudie zur Praxis verdeckter Operationen durch VfS und Polizei, ca. 80 Seiten enthalten die zu Teilen erheblich voneinander abweichenden Bewertungen und Schlußfolgerungen der am UA beteiligten Parlamentsfraktionen. In CILIP 27 (Sept. 1987) berichteten Uwe Behnsen und Jürgen Trittin über den Erkenntnisstand zu Beginn der Arbeit des 11.PUAs. Hier nun ihre Darstellung, Bewertung und Schlußfolgerungen nach Abschluß der Arbeit.

I. Einleitung

Die Vorgeschichte

Die Vorgeschichte des 11.PUAs geht weit über das Jahr 1986 zurück. Am 24.4.1986 hatte der niedersächsische Landtag den Abschlußbericht seines 10. PUAs über den „Fall Düe“ besprochen. Im Rahmen der Debatte wiesen die Grünen-Abgeordneten Georg M. Fruck und Jürgen Trittin darauf hin, daß die in diesem Fall praktizierte Zusammenarbeit der Polizei mit dem Versicherungsagenten Werner Mauss nicht die einzige Schmutzaktion niedersächsischer Sicherheitsbehörden gewesen sei und deuteten an, daß der am 25. Juli 1978 erfolgte Bombenanschlag auf die JVA Celle vom VfS durchgeführt worden sei. Das „Celler Loch“ war geboren.

Am Tag darauf enthüllte die Hannoversche Allgemeine Zeitung die Umstände des Anschlages sowie einen der beteiligten V-Leute. Daraufhin gab Ministerpräsident Albrecht (CDU) im Landtag eine vielbeachtete Regierungserklärung ab, in der er den Anschlag rechtfertigte. In den folgenden Tagen brachten Recherchen anderer JournalistInnen weitere Details und die Namen der V-Leute Klaus Dieter Loudil, Manfred Berger und Zeljko Susak ans Licht. Es wurde schließlich der Verdacht geäussert, daß der durch den 10. PUA in seiner Tätigkeit entlarvte Privatagent Werner Mauss der „Architekt“ des Celler Bombenanschlages gewesen sei.

Zwar ging das „Celler Loch“ öffentlich in der Wolke von Tschernobyl unter. Nach den Wahlen richtete der Landtag jedoch auf Antrag der SPD den 11. PUA ein. Nach der Einvernahme von 47 Zeugen in 58 Vernehmungen und dem Studium einiger Aktenberge beendete der 11. PUA im Herbst d.J. seine Arbeit. Für einen Untersuchungsausschuß – gerade angesichts der Brisanz des Themas – ungewöhnlich, wurden hierbei die Tatsachenfeststellungen einstimmig getroffen. Auf rund 300 Druckseiten beschreibt der 11. PUA in einer umfassenden Fallstudie die Praxis verdeckter Operationen durch den VfS und die Polizei. Diese Studie ist weit über die konkreten historischen Bezüge wie über das Land Niedersachsen hinaus aussagekräftig.

Dieses Ergebnis mußte gegen den anfangs mehr als hinhaltenden Widerstand der Landesregierung erkämpft werden, welche durch ihre Geheimnistuerei um Akten und Zeugen ( ) die Arbeit verzögerte. Durch das Engagement einzelner Ausschußmitglieder und öffentlichen Druck gelang es jedoch, diese Widerstände weitgehend zu überwinden. Hierbei bediente sich der Ausschuß fast aller denkbaren Mittel – von der Ausschreibung von Zeugen zur Fahndung über zwangsweise Vorführung von Zeuginnen bis hin zu Aktenbeschlagnahmen bei Versicherungsverbänden.

Es war ein Glücksfall, daß dem Ausschuß mit dem Braunschweiger CDU-Abgeordneten und Rechtsanwalt Heiner Herbst jemand vorsaß, der ungeachtet seiner politischen Grundüberzeugungen an dem Anspruch einer vollständigen Sachaufklärung festhielt. Dies hat ihm Schelte aus den eigenen Reihen eingebracht, ihn aber lediglich in seiner Grundüberzeugung bestärkt, den Auftrag des „ganzen Parlaments und nicht einer Einsetzungsminderheit“ (Herbst) objektiv und unbeirrbar zu Ende zu führen.

Gegensätze in der Bewertung

Es kann nicht verwundern, daß die aus den Feststellungen zu ziehenden Schlüsse und ihre Bewertungen zwischen den Parteien unterschiedlich, ja vielfach gegensätzlich ausfielen. So legten die CDU/FDP-Mehrheit, die SPD- und der Grünen-Vertreter getrennte Bewertungen vor.
Die Regierungsparteien CDU und FDP erklärten nicht nur die Aktionen des VfS im Rahmen der Operationen „Sommerpause“, „Neuland“ und „Emsland“ für rechtmäßig. Auch der „Aktion Feuerzauber“, so der Tarnname für den Bombenanschlag in Celle, bescheinigten sie die Rechtmäßigkeit, wenn auch nur aus den historischen Umständen, der Bedrohung des Staates durch den „Terrorismus“, erklärlich.

Dies war ernsthaft nicht anderes zu erwarten. Verwundern muß diese Haltung dennoch, steht sie doch in manchen Punkten im krassen Gegensatz zu Feststellungen, denen die Vertreter der Regierungsfraktionen selber zugestimmt haben. ( )

Kritischer äusserten sich CDU und FDP zur Zusammenarbeit der Polizei mit Mauss. Hier sei in Einzelfällen die Grenze zulässiger Lockspitzeltätigkeit ebenso überschritten worden, wie es illegale Lauschangriffe gegeben habe und Telefonüberwachungen mit gefälschten Ermittlungsergebnissen erschlichen worden seien. Allerdings: „Bei den vom Ausschuß festgestellten Fehlern in der Arbeit von VfS und Kriminalpolizei handelt es sich um Einzelfälle. … Die Ursachen sind vielmehr Fehlhandlungen einzelner Beamter.“ ( ) Einen Bedarf zu gesetzlichen Neuregelungen gebe es von daher nicht.

Letzteres sieht die SPD anders – sie will wenigstens das VfS-Gesetz vorsichtig ändern. Pauschal wird festgehalten, daß Ministerpräsident Albrecht dem Landtag „wissentlich die Unwahrheit gesagt und die Öffentlichkeit getäuscht“ habe. Er habe persönlich Maßstäbe gesetzt, „die bei der niedersächsischen VfS-Behörde den Eindruck entstehen lassen konnte, daß der Zweck die Mittel heilige.“ Die Operationen des VfS im Ausland seien „ergebnislos“ gewesen und hätten die „Souveränität anderer Staaten“ verletzt. Bei der Zusammenarbeit mit Maus sei es zu einer Reihe von Rechtsverstößen gekommen. Hierbei habe die Aufsicht des Innenministeriums versagt.( )

Die Position der „GRÜNEN im Landtag“

Untersuchungsausschüssen wird bei allen Vorbehalten gegenüber ihrer Arbeit („Das geht ja doch aus wie das Hornberger Schießen“) zumindest in einem Punkt eine bestimmte Funktion zugesprochen: Das, was öffentlich enthüllt wurde, mit einem quasi amtlichen Stempel zu versehen und zu beglaubigen. Dies hat, etwa hinsichtlich des „Celler Lochs“, der 11. PUA mit der gebotenen Gründlichkeit getan.

Dem Ausschuß ist es darüberhinaus jedoch gelungen, Neues zu enthüllen. So wurde Licht in die Verwicklung des niedersächsischen Nachrichtendienstes in den vom spanischen Geheimdienst 1978 verübten Mordanschlag auf Antonio Cubillo, den Führer der kanarischen Befreiungsbewegung MPAIAC, in Algerien gebracht.( ) Der 11. PUA hat außerdem die wirklichen Hintergründe der von Kriminalisten immer noch als beispielhaft gelobten Arbeit der SOKO Zitrone aufgedeckt, wobei er sich in Gestalt des damaligen SOKO Chefs, dem inzwischen pensionierten KHK Rainer Hofmann, auf einen „Kronzeugen“ stützen konnte.

Schließlich hat der 11. PUA Ernst Albrecht der Abgabe einer unwahren Regierungserklärung und der Lüge überführt.( ) Dieser letzte Aspekt dominierte fast ausschließlich die Abschlußdebatte im niedersächsischen Landtag. Sie endete damit, daß in namentlicher Abstimmung der von den Grünen geforderte Rücktritt des Ministerpräsidenten abgelehnt wurde.

Nach unserer Auffassung ist das „Celler Loch“ nur ein – wenn auch besonders krasses – Beispiel für die Verluderung der Sicherheitspolitik unter Ernst Albrecht. Innerhalb der niedersächsischen Polizei- wie Geheimdienstbehörden hat sich über Jahre hinweg jenseits von Recht und Gesetz ein Lockspitzelsystem entwickelt, das nach seinem exponiertesten Vertreter als „Methode Mauss“ benannt werden kann. Wir werden dieses System im Folgenden anhand einiger Einzelfälle beispielhaft beleuchten.

II. Darstellung und Bewertung einzelner Frage/Problemkomplexe

Durch die untersuchten Vorfälle zieht sich der Einsatz von Lockspitzeln wie ein gemeinsamer roter Faden. Ob bei Polizei oder beim Nachrichtendienst, der Versuch, Dritte zum Begehen von Straftaten zu bewegen, ist das Verbindene, das Charakteristische. Nicht das Verhindern von Straftaten, nicht die Aufklärung stand im Mittelpunkt der Arbeit niedersächsischer Sicherheitsbehörden. Operiert wurde durchgehend nach dem Motto „Den Täter haben wir, eine Tat wird sich schon finden lassen“.

1. Problematik V-Leute und Lockspitzel als nachrichtendienstliches Mittel

Angesichts der Erfahrungen, welche die RAF mit Helfern aus dem kriminellen Milieu von Urbach über Ruhland bis Hoff ( ) gemacht hatte, kann unterstellt werden, daß auch den niedersächsischen Behörden die Unmöglichkeit, mit Hilfe von Straftätern – zumal diesen – in den „harten Kern der RAF“ vorzudringen, bekannt war. So machte das Konzept des „anpolitisierten Straftäters“ als V-Mann nur in einer Hinsicht Sinn: Wenn man primär gar nicht in bestehende Gruppierungen eindringen wollte, um dort Informationen zu sammeln, sondern um anzustiften.

Die daraus resultierenden rechtlichen Probleme waren dem VfS durchaus klar, wie sich aus einem Vermerk des VfS-Mitarbeiters Wiehe ( ) aus dem Jahre 1978 ergibt: „VM, die in TE-Gruppen (auch Randgruppen) eingeschleust werden, können nicht aus kriminellen Handlungen herausgehalten werden.“ Die V-Leute sollten solange straffrei bleiben, wie sie sich bei der Begehung von Straftaten an die Weisungen des Geheimdienstes hielten. Dies ginge nur unter Berufung auf den „rechtfertigenden Notstand“ gemäß 34 StGB. Dieser müsse von der „verantwortlichen politischen Führung“ festgestellt werden. ( )

Die V-Leute Zeljko Susak ( ), Klaus-Dieter Loudil ( ) und Manfred Berger ( ) waren Lockspitzel. Von daher verwundert es nicht, daß der VfS sich seinen ersten Lockspitzel Susak vertrauensvoll von dem „V-Mann Nr. 1“, Werner Mauss, empfehlen ließ, der den Ruf hatte, der erfahrenste „agent provocateur“ der bundesrepublikanischen Sicherheitsbehörden zu sein. Die Operationen „Sommer-pause“, „Neuland“ und „Emsland“ waren die Erprobung und Praktizierung der „Methode Mauss“ im Bereich politisch motivierter Straftaten durch einen ge-heimen Nachrichtendienst.

Nur: der Einsatz von Lockspitzeln durch den geheimen Nachrichtendienst ist rechtswidrig. Ist schon das Begehen von Straftaten durch gesetzliche Ermächtigungen nicht gedeckt, so kann die Befugnis, Informationen zu sammeln, nicht beinhalten, die zu sammelnden Informationen über gefährliche Bestrebungen selbst zu produzieren.

1.1 Susak, Berger, Loudil und Hain – Befreiungsaktion Debus

Susak begann seine Tätigkeit 1976 im Rahmen der „Operation Sommerpause“. Der von Niedersachsen geführte V-Mann wurde als „Versuchskaninchen“ in Teilen der linken politischen Szene im Frankfurter Raum herumgereicht. Der VfS hatte spekulativ einzelne Personen, etwa die Mitarbeiter der „Karl-Marx-Buchhand-lung“ in Frankfurt, als potentielle Unterstützer der RAF stigmatisiert. Diese Vermutungen stützten sich lediglich auf offene Aktivitäten der Betroffenen.
Der hiernach folgende Versuch im Rahmen der „Operation Neuland“, mit Hilfe der Zielperson Debus das vermutete „Sympathisantenumfeld“ der RAF zu durchdringen, kann als typisch für die Lockspitzeltätigkeit der V-Leute gelten.

Debus verstand sich ausdrücklich als politischer Gefangener, der seine Sympathie für die RAF jedoch erst bekundete, nachdem er als politisch motivierter Straftäter einsaß. Er drängte nach seiner Verlegung von Hamburgs „Santa Fu“ nach Celle in Gesprächen mit Loudil und Berger wie auch in Kassibern auf ein Entkommen aus der Haft. Debus war gezielt mit den beiden in Kontakt gebracht und zu diesem Zwecke von vorher erlittenen Isoliermaßnahmen im Vollzug entbunden worden. Unter massiver Einwirkung der V-Leute konkretisierten sich seine Fluchtüberlegungen.

Außerhalb der JVA versuchten Susak und der inzwischen entlassene Berger, Mitglieder des Kollektivs „Wildes Huhn Salzgitter“ – darunter eine Reihe von Jugendlichen – zur Beteiligung an der Befreiung von Debus zu gewinnen und z.B. falsche Papiere von Christian Hain für Loudil zu besorgen. Die Betroffenen sollten offensichtlich zu einer strafbaren Handlung verleitet werden.

Ebenfalls wurde versucht, die Frankfurterin Brigitte Heinrich, inzwischen verstorbene Europaabgeordnete der Grünen, dazu anzustiften, Susak nach einer angeblichen Polizeikontrolle in Salzgitter ( ) Unterschlupf zu gewähren sowie im Auftrage des Westberliner V-Mannes Christian Hain ( ) in Italien als Quartiermacherin für den entflohenen Debus tätig zu werden. Letzteres Vorhaben ist eindeutig nicht von Debus, sondern im engen Zusammenwirken zwischen Susak und Hain entwickelt worden.

Inwieweit es in diesem Zusammenhang zu einem planvollen Zusammenwirken des niedersächsischen mit dem Westberliner VfS gekommen ist, konnte der Ausschuß nicht abschließend klären. Tatsächlich hat es eine Reihe von Besprechungen mit dem Westberliner Amt gegeben, die aber wohl eher darauf zielten, Hain davon abzuhalten, Susak bei seinen italienischen Kontakten „madig“ zu machen. An der geheimdienstlichen Tätigkeit von Hain kann es angesichts der jüngsten offiziösen Eingeständnisse der westberliner Innenbehörde keinen Zweifel mehr geben. ( ) Hierzu vgl. auch den Beitrag zum Schmückerverfahren in dieser CILIP-Ausgabe.

Der 129a StGB als Maßstab

Die Aktivitäten von Susak, Loudil und Berger sowie Hain erfüllen u.E. die Tatbestandsmerkmale des 129 a StGB. Mit ihren Handlungen verfolgten sie das Ziel, mit Hilfe weiterer Sympathisanten von Debus dessen angebliche Befreiung vorzubereiten. Es ging ihnen darum, durch aktives Werben bei mutmaßlichen Unterstützern eine Gruppe konstituieren zu können. Innerhalb dieser Gruppe sollte dann die anvisierte Befreiungsaktion für Debus weiter vorbereitet werden. Ziel dieser Werbungs- und Unterstützungsaktivitäten war es schließlich, mit Hilfe dieser Legende und der sich hierdurch erhofften Kontakte in die Illegalität abtauchen zu können. Hierfür boten sich zunächst zwei Alternativen an: entweder gemeinsam mit weiteren Unterstützern eine eigene militante Gruppe aufzubauen und zu kontrollieren oder mit Hilfe dieser Legende an Personen vermittelt zu werden, die bereits in die Illegalität abgetaucht waren und über einen Zugang zu einer entsprechenden Gruppe verfügten.

Die entfalteten Tätigkeiten der V-Leute erfüllen unter Berücksichtigung der dargestellten alternativen Operationsziele den Tatbestand des 129a, da beide Alternativen die Mitgliedschaft in einer Vereinigung voraussetzen, die die in 129a Abs.1 aufgeführte Zielsetzung verfolgt. Da 129a Abs.3 bereits den Gründungsversuch für strafbar erklärt, kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob die von Susak, Loudil und Berger unterstützen Bemühungen von Debus, außerhalb des Gefängnisses eine entsprechende Gruppe aufzubauen, tatsächlich zum Erfolg geführt haben. Entscheidend ist allein die Tatsache, daß sie an entsprechenden Plänen mitgewirkt und für sie geworben haben.

Zu prüfen bleibt, ob die Tatsache, daß sie die entsprechenden Straftatbestände im Auftrag des VfS erfüllt haben, einen Rechtfertigungsgrund darstellt. Nach herrschender Meinung könnte allenfalls die Ausübung hoheitlicher Gewalt, wenn sie nach öffentlichem Recht zulässig war, die Verwirklichung eines Straftatbestandes rechtfertigen. 4 Abs.1 NVerfSchG ist jedoch keine Befugnis zur Verwirklichung von Straftatbeständen. Mithin kann nicht davon ausgegangen werden, daß die in Rede stehenden Handlungen der V-Leute nach öffentlichem Recht zulässig waren. Die Folge: den V-Leuten steht kein Rechtfertigungsgrund zur Seite.

Allerdings dürfte ihnen bei Begehung der Tat die Einsicht gefehlt haben, Unrecht zu tun, da sie zumindest in diesem Bereich gemäß ihres Auftrags tätig geworden sind. Da dieser Verbotsirrtum im Sinne von 17 StGB wohl unvermeidbar war, haben die V-Leute gleichwohl schuldlos gehandelt.

Diese Bewertung gilt allerdings nicht für die hinter den V-Leuten stehenden Initiatoren der Operation. Die verantwortlichen Mitarbeiter des VfS können sich nicht auf 17 StGB berufen. Immerhin führte Wiehe im schon zitierten Aktenvermerk vom 6.7.1978 aus, daß V-Leuten, „die in TE-Gruppen eingeschleust werden“, dort nur längerfristig tätig sein könnten, „wenn ihnen Straffreiheit zugesichert werden kann“. Diese Feststellungen zeigen, daß den verantwortlichen Beamten des VfS bei der Planung und Entwicklung der Operationen bewußt war, daß die Tätigkeit der V-Leute ohne Verletzung von Straftatbeständen nicht realisierbar ist. Die in dem Vermerk geforderte Feststellung des tatbestandsausschließenden rechtfertigenden Notstands ( 34 StGB) kann selbstverständlich nicht die „verantwortliche politische Führung“ (so Wiehe) verbindlich treffen, ohne gleichzeitig stillschweigend zu versprechen, daß – wenn nötig – die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft mit Bezug auf diese Zusicherung von einer Anklageerhebung absehen wird. Anderenfalls hätte diese Zusicherung keinen Sinn, da die politische Führung auf die Rechtsprechung der Gerichte keinen direkten Einfluß nehmen kann. Es handelt sich bei diesem Vermerk also um die Ankündigung einer Rechtsbeugung.

1.2 Loudil – Bombe für Gürth

Auch nach dem Abtauchen von Susak in Spanien im Rahmen der „Operation Neuland“ gingen die Versuche weiter, Dritte für eine Beteiligung an der Befreiung von Debus zu gewinnen. Loudil versuchte eine gewisse Birgit Soffel im Rahmen eines Hafturlaubs davon zu überzeugen, daß es richtig wäre, einem Vollzugsbeamten einen Schraubenzieher „zwischen die Rippen zu schieben“. Dies lehnte sie entsetzt ab. Die sei „ganz blaß“ geworden, notierte Loudil mit unverhohlenem Sadismus in dem Bericht an seinen V-Mann-Führer „Jahn“.

Schließlich verlagerten sich die Bemühungen des VfS in Richtung Niederlande. Die „Operation Emsland“ – Befreiung von Debus und Abtauchen über die Niederlande – hatte begonnen. Im Mittelpunkt stand hierbei der Holländer Henk Wubben, der sich immerhin bereit erklärt hatte, seinem alten Freund Debus nach einer Flucht Unterschlupf zu gewähren.

Als jedoch von den Salzgitteranern wie von Debus aufgrund des wachsenden Mißtrauens gegenüber den V-Leuten niemand mehr bereit war, sich an der Befreiungsaktion zu beteiligen, griff der VfS zur „Aktion Feuerzauber“, um die Legende seiner V-Leute zu retten. Am 25. Juli 1978 sprengte die GSG 9 mit Hilfe von Plastiksprengstoff ein Loch in die Außenmauer des Celler Knastes, während gestandene Ministerialräte des VfS hinter Büschen Schmiere standen.
Die Sprengung wurde von der Landesregierung als Konsequenz des sogenannten „Dellwo-Papiers“ ausgegeben und Berger und Loudil in die Schuhe geschoben, nach denen die Polizei mit großem Aufwand zielfahndete. Auf ihrer „Flucht“ lernten Berger und Loudil nicht nur eine Reihe von Campingplätzen kennen, sondern landeten nach einem Abstecher in Paris schließlich in Hamburg.

Loudil kam auf Empfehlung seiner alten Bekannten Birgit Soffel in einer Wohngemeinschaft unter und wurde Anfang Dezember 1978 in einer von dem Arbeiter Manfred Gürth angemieteten Wohnung untergebracht. Hier setzte er seine Lockspitzeltätigkeit fort – wobei der gerade erst aus dem Knast entlassene Gürth in den Mittelpunkt seiner Bemühungen rückte.

So haben Berger und Loudil nach Aussagen von Gürth sowohl diesem als auch Frau Soffel vorgeschlagen, die Sparkasse in Altona zu überfallen. Dem widersprach auch Loudil vor dem Ausschuß nicht, jedoch sei dieser Vorschlag „nie ernsthaft“ gewesen.

Die V-Leute konnten allerdings in keiner Weise kontrollieren, wie ihre Vorschläge von Gürth aufgenommen worden wären. So haben sie zumindest in Kauf genommen, daß Gürth aufgrund ihrer konkreten Vorschläge den Entschluß zur Begehung strafbarer Handlungen fassen werde.

Gürth sollte bewußt beraten und provoziert werden. Immerhin hatten beide V-Leute die Aufgabe, dem VfS einen Zugang zu „terroristischen Gruppen“ zu eröff-nen. Da diese Zugänge nur erreicht werden konnten, wenn sie mögliche Aktivitäten der Zielpersonen förderten, ent
behrt das provozierende Verhalten der V-Leute auch nicht einer gewissen Logik.

Dies gilt im besonderen Maße für die in der Wohnung Papenhuder Straße hergestellte Feuerlöscherbombe. Manfred Gürth war vor dem Untersuchungsausschuß bereit, seine Aussage, Loudil habe diese Bombe selbst gebaut, zu beeiden. Gürth wurde, nachdem der VfS der Hamburger Polizei einen entsprechenden Tip gegeben hatte, am 29. Januar 1979 festgenommen und wegen Bombenbesitzes zu mehreren Jahren Haft verurteilt.
Loudil bestreitet, am Bau der Bombe beteiligt gewesen zu sein. Vielmehr will er die Bombe bereits „fix und fertig“ in der Wohnung vorgefunden haben, als er Anfang Dezember 1978 dort einzog. Diese Aussage Loudils ist widerlegt.

Aus einem Vermerk des VfS vom 2. Januar ergibt sich, daß die Bombe zu diesem Zeitpunkt gefüllt, aber nicht fertig war. „Den Bau des noch erforderlichen Zünders hat VM 932 (Loudil, d. Verf.) mit dem Hinweis auf noch fehlendes spezielles Werkzeug und Material zeitlich hinausgeschoben.“( ) Aus diesem Umstand ergibt sich, daß der gelernte – und damit entsprechend qualifizierte – Büchsenmacher Loudil, im Gegensatz zu seinen Bekundungen vor dem Ausschuß, an Bau und Konstruktion der Bombe mindestens mitbeteiligt war. Diese Umstände stützen im Übrigen die Aussage des Zeugen Gürth, der seine Beteiligung am Bau – etwa beim Leeren des Feuerlöschers – dem Ausschuß offenbarte.

Auch das weitere Verhalten des Zeugen Gürth in seinem Strafverfahren widerspricht der vermuteten Urheberschaft von Loudil nicht. Der Zeuge Gürth hat in seinem Strafverfahren jede Angabe zur Sache mit der Begründung verweigert, zum damaligen Zeitpunkt sei ihm nicht bekannt gewesen, daß es sich bei Loudil um einen V-Mann des VfS gehandelt habe. Darüberhinaus hätte die Einlassung, die er nun vor dem Untersuchungsausschuß getätigt hat, im Ergebnis keine Besserstellung bewirkt, da er gleichwohl wegen der Mittäterschaft zur Vorbereitung eines Explosionsverbrechens verurteilt worden wäre. Zudem bestand aus seiner Sicht die Gefahr, auch wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung bestraft zu werden.

Auch die widersprüchlichen Aussagen der Zeugen Berger (welcher Loudil tendenziell belastete), Loudil und des V-Mannführers „Jahn“ stützen die Annahme, daß die Aussage Loudils über den Bau der Bombe nicht zutrifft. Schließlich ergeben auch die Untersuchungsergebnisse des BKAs keine Erkenntnisse darüber, daß Loudil gemeinsam mit seinem V-Mann Führer eine Sollbruchstelle im Zündmechanismus der Bombe geschaffen haben.

Der von Ministerpäsident Albrecht in seiner 1986 abgegebenen Re-gierunsgerklärung hervorgehobene Erfolg, einen „Sprengstoffanschlag verhindert“ zu haben, bestand darin, eine „Tat“ aufzuklären, die es ohne den Einsatz der V-Leute nicht gegeben hätte.

1.3 „Neuland“ Algerien: Mit der Deutschen Industrie gegen die Dritte Welt

Nachdem der VfS im Februar 1978 seinen V-Mann Susak bei einer fingierten Polizeikontrolle in Salzgitter hat abtauchen lassen und als mutmaßlichen Debus-Befreier zur Fahndung auschreiben ließ, wurde dieser nach Spanien ver-bracht. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Nachrichtendienst und dessen V-Mann „Paco“ sollte Susak nach Algerien geschleust werden. Ziel sollte es dabei sein, über die in Algier residierende kanarische Befreiungsbewegung MPAIAC und deren Chef Antonio Cubillo ein angeblich im dortigen Cherchell existierendes Lager zu finden, in dem deutsche „Terroristen“ ausgebildet würden.

Ob es das Ausbildungslager in Cherchell überhaupt gegeben hat, muß bezweifelt werden. Für seine Existenz lagen dem VfS lediglich Hinweise des einschlägig interessierten spanischen Geheimdienstes vor, zum anderen ein Presseausschnitt einer Sonntagszeitung. Weitere Erkenntnisse gab es nicht und wurden im Verlauf der Operation auch nicht gewonnen.

Erfolgversprechend war dieser Ansatz lediglich für Werner Mauss, da er durch diese Aktion die Möglichkeit erhielt, im Interesse seiner Finanziers „in Spanien tätige deutsche Firmen beziehungsweise spanische Niederlassungen deutscher Firmen vor Anschlägen zu schützen“, was er als Zweck der Operation in einer eidestattlichen Versicherung bekundete. Mauss spielte denn auch bei der Operation eine zentrale Rolle, insbesondere, was die Kontakte zu den spanischen Behörden, die Durchführung von Auslandsreisen mit Hilfe seines Flugzeuges wie die immer wieder auftauchenden Führungsprobleme mit Susak anging.
Die dahinterstehenden deutschen Unternehmen konnte der Ausschuß ebensowenig feststellen wie die tatsächliche Finanzierung der Mauss-Aktivitäten. Es existiert allerdings ein Vermerk des HUK-Verbandes, wonach „die deutsche Indu-strie“ sich ab Juli 1978, also zum Zeitpunkt der letzten Reise von Susak nach Algerien, mit 200.000 DM zu einem Drittel an den jährlichen Kosten des Ehepaares Mauss beteiligen wollte. Weitere 200.000 DM sollten vom „Bund“ sowie gemeinsam vom HUK-Verband und dem Verband der Sachversicherer aufgebracht werden. Es liegt aber auf der Hand, daß etwa die deutsche Touristikindustrie an einem Zurückdrängen der Aktivitäten der MPAIAC auf den Kanarischen Inseln ein massives Interesse hatte. Diese These wird durch den Umstand gestützt, daß es im Rahmen dieser Operation Kontakte zwischen der in Hannover ansässigen Firma TUI und dem VfS gegeben hat.

Anders als dem Ausschuß ursprünglich dargestellt, ging die Initiative zu der Operation entscheidend von Mauss und nicht so sehr von bundesrepublikanischen oder spanischen Sicherheitsbehörden aus. Mauss hatte sogar angeboten, einen eigenen V-Mann „K.“ einzusetzen. Es muß davon ausgegangen werden, daß Mauss als Lobbyist der deutschen Wirtschaft innerhalb der Sicherheitsorgane maßgeblich an der Planung und Durchführung der „Aktion Neuland“ beteiligt war. Mauss hatte zunächst berichtet, der spanische Dienst habe ihm und dem BKA angeboten, einen geeigneten Vertrauensmann in Cherchell einzuschleusen. So gelang es auf seine Initiative, mehrere Interessenschwerpunkte zu verknüpfen. Zum einen bot sich für Mauss die Möglichkeit, eventuell mit Hilfe deutscher und spanischer Geheimdienste einen Zutritt zu der kanarischen Befreiungsbewegung zu erhalten. Gleichzeitig konnten auf diesem Wege weitere Erfahrungen mit dem Einsatz von Lockspitzeln durch den Geheimdienst gemacht und operative Maßnahmen erprobt werden. Aus der Sicht von Werner Mauss war dieses nachrichtendienstliche Interesse allerdings nebensächlich und lediglich ein Vorwand, um die Sicherheitsbehörden für die Interessen der deutschen Privatindustrie nutzen zu können.

Ebenso wie die Aktivitäten in Niedersachsen waren letztendlich auch die Einsätze von Susak in Algerien geprägt von „agent provocateur“-Handlungen. Zum einen versuchte Susak im Auftrag des VfS bei seinem ersten Besuch, Cubillo Paßformulare anzudienen, um ihm auf diesem Wege die Möglichkeit der Urkundenfälschung zu eröffnen. Es kann dahinstehen, ob – wie Susak behauptet hat – Cubillo tatsächlich die Pässe entgegengenommen oder ob – wie Cubillo behauptet – er dieses Angebot abgelehnt hat. Auf jeden Fall sollte Susak hierdurch bei Cubillo den Entschluß zur Begehung strafbarer Handlungen wecken.
Neben dieser rechtswidrigen Handlung scheint Susak bei dieser Gelegenheit noch versucht zu haben, Cubillo zu überreden, Deutsche, die auf den Kanarischen In-seln wohnten, zu entführen. Die von Cubillo geschilderten Vorschläge von Susak, dieser werde selbst mit Freunden die Entführungen bewerkstelligen, es müsse aber nach außen der Eindruck erweckt werden, als ob die Operation von der MPAIAC durchgeführt worden sei, stimmen zumindest mit den Operationszielen des VfS überein, durch diesen Auslandseinsatz eine bessere Legende für Susak zu erhalten.

Auch der angeblich von Cubillo zu verantwortende Versuch, deutsche Reiseunternehmen zu erpressen, weist in Richtung Anstiftung. Cubillo hat vor dem 11. PUA betont, daß es sich hierbei um eine vom spanischen Geheimdienst inszenierte und der MPAIAC untergeschobenen Aktion gehandelt habe. Für diese Aussage spricht, daß die Erpresserbriefe an die TUI am 27.3.1978 in Algerien aufgegeben wurden – d.h. zu einem Zeitpunkt, da sich Susak zusammen mit „Paco“ in Algier aufhielt. Über den Ablauf dieses Tages gibt es ausweislich der Akten zwischen den Berichten des „Paco“ und Susak erhebliche Widersprüche.

Auch die dem Ausschuß von Mauss vorgelegte Ablichtung einer Visitenkarte, mit der Cubillo Susak angeblich die Tür zur RAF öffnen wollte, weist darauf hin, daß Mauss beziehungsweise der spanische Geheimdienst nach dem Motto, „Terrorismusbekämpfung ist ein schmutziger Krieg“, entsprechende Aktivitäten veranlaßt haben. Es ist schlicht weltfremd, zu glauben, man könne mit Hilfe von Visitenkarten Kontakt zur RAF aufnehmen.

Sowohl die angebliche Visitenkarte wie die Erpresserschreiben wurden, so ein BKA-Gutachten, mit der gleichen Schreibmaschinentype gefertigt.
Für Cubillos Darstellung zu diesem Punkt spricht das offenkundige Interesse des spanischen Geheimdienstes an einer Zerschlagung der MPAIAC. Sogar der VfS-Mitarbeiter Wiehe befürchtete in einem Vermerk schließlich, daß Susak möglicherweise für Nahziele des spanischen Geheimdienstes verheizt werden könnte.

Rechtliche Bewertung

Dieser gesamte Auslandseinsatz ist unter allen in Betracht kommenden Aspekten rechtswidrig gewesen. Die niedersächsische VfS-Behörde ist im Rahmen der gesetzlich definierten Aufgabenzuweisung örtlich nur für das Hoheitsgebiet des Landes Niedersachsen zuständig. Für Operationen im Ausland fehlt jede Rechtsgrundlage.

Darüberhinaus rechtfertigt die in 3 NVerfSchG definierte Aufgabenzuweisung keine Einsätze mit dem Ziel, spanische Behörden in dem Bemühen zu unterstützen, in Spanien tätige deutsche Firmen bzw. spanische Niederlassungen deutscher Firmen vor Anschlägen von Befreiungsbewegungen zu schützen. Schließlich hätte die VfS-Behörde spätestens nach Bekanntwerden des Mordauftrages des spanischen Geheimdienstes unverzüglich die „Operation Neuland“ abbrechen müssen, um sich nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, möglicherweise Beihilfe geleistet zu haben.

Bereits im Februar 1978 hatte Susak brieflich berichtet, daß sein Mit-V-Mann Paco ihm offenbart habe, er habe den Auftrag, Cubillo umzubringen. Am 5. April 1978, einen Tag bevor Cubillo über Rom nach New York zu einem Vortrag vor einer UNO-Unterorganisation fahren wollte, stachen ihn die Spanier Alfredo Perez Gonzalez und Cortes Rodrigues nieder. Die Täter wurden in Algerien gefaßt, gestanden und wurden verurteilt – mittlerweile leben sie wieder in Spanien.
Sie hatten schon vor Gericht ausgesagt und bestätigen es heute, sie hätten die Tat im Auftrage eines gewissen Espinoza Pardo begangen. Dieser habe im Auftrag des spanischen Geheimdienstes gehandelt – was von eben diesem Pardo nicht bestritten wird. Angesichts dieser Umstände ist nachgerade grotesk, wenn CDU und FDP immer noch die Unschuld der Spanier suggerieren: „Wenn eine Verwicklung des spanischen Dienstes in die (Attentats-, d. Verf)Pläne tatsächlich bestanden hätte…“ ( )

Dennoch führten die Niedersachsen ihre Operation weiter. Susak mußte auch noch nach dem Attentat zweimal nach Algerien reisen. Bei seinem letzten Besuch im Sommer 1978 – nur wenige Tage nach dem Celler Bombenanschlag – wurde er in Algerien verhaftet. Er packte aus, nannte seine Auftraggeber und wurde schließlich abgeschoben. Zu keinem Zeitpunkt wurde ernsthaft erwogen, die Kooperation mit den Spaniern zu beenden – was zwangsläufig den Abbruch der „Operation Neuland“ bedeutet hätte.

Das Nichtanzeigen einer geplanten Straftat ist gemäß 138 StGB strafbar – aber inzwischen verjährt. Wenn Cubillo oder algerische Behörden rechtzeitig über das Vorhaben des spanischen Geheimdienstes informiert worden wären, hätte der Mordanschlag erschwert, ja mit gewisser Wahrscheinlichkeit verhindert werden können.

Die Ausrede der verantwortlichen Mitarbeiter, sie hätten über keine Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, um das Attentat zu verhindern, verfängt nicht. Es wäre sehr wohl möglich gewesen, in geeigneter Weise Cubillo zu warnen. Es wäre sehr wohl möglich gewesen, die vorhandenen Kanäle zu Algerien, mit dem seit 1963 diplomatische Beziehungen bestanden, zu nutzen.

Fraglich ist allerdings, ob dieses im Interesse der deutschen Industrie wünschenswert gewesen wäre. Mit der Ermordung des Anführers der Kanarischen Befreiungsbewegung bestand die Chance, nach dessen Tod wesentlich ungestörter die eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen zu können. Der weitere Verlauf der Operation und das Ergebnis des Attentats auf Cubillo zeigen, daß die Spekulationen erfolgreich waren. Die MPAIAC zerfiel in Fraktionskämpfen.

Die „Operation Neuland“ wurde gemeinsamen vom niedersächsischen VfS und vom BKA geplant und angegangen, wenn auch dem Geheimdienst dann die Durchführung überlassen wurde, wobei Niedersachsen aber keine Kosten entstehen sollten. Dafür sorgte schließlich Mauss mit seinen Finanzmitteln.

Diese Kooperation verstößt in eklatanter Weise gegen das Trennungsgebot polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit.Es wird aufgehoben, wenn das BKA zum einen seine „Geheimwaffe“, den als „Bundesratte“ titulierten Werner Mauss, an den VfS ausleiht und gleichzeitig darauf hinweist, daß offiziell der niedersächsische VfS die „Operation Neuland“ in eigener Verantwortung durchführen müsse, da das BKA keine nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen dürfe. Im Ergebnis bedeutet dies, daß das BKA mit Hilfe des VfS die Möglichkeit erhält, nachrichtendienstlich tätig zu sein.

Dieses Trennungsgebot wird in zynischer Weise verhöhnt, wenn der damalige BKA-Beamte und heutige Präsident des Bundesamtes für VfS Boeden als Zeuge vor dem Ausschuß ausdrücklich bestätigt, daß die Zuweisung der Operation an den niedersächsischen Nachrichtendienst deshalb erfolgt sei, weil dem BKA in einer solchen Operation das Legalitätsprinzip ständig im Weg gestanden hätte. ( )

Die festgestellte enge Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und die hieraus resultierenden Absprachen und Informationsübermittlungen bewirkten im Ergebnis eine inoffizielle Organisationseinheit, die sowohl exekutiv als auch nachrichtendienstlich agierte und damit alle notwendigen Voraussetzungen besaß, um als Staatspolizei im Geheimen präventiv wie repressiv tätig zu werden.

2. Polizeiliche Lockspitzel

Die Praxis polizeilichen Lockspitzeleinsatzes gerade in Zusammenarbeit mit Werner Mauss erwies sich als nicht weniger fragwürdig als das Vorgehen des Geheimdienstes. Die untersuchten Ermittlungen im Rahmen der „SOKO Zitrone“ wie der „SOKO 304/Düe“ belegen dies.

Die Rechtslage nach derzeitiger Rechtssprechung

Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus, daß der Einsatz von V-Personen/verdeckten Ermittlern sowie „agent provocateur“-Maßnahmen grundsätzlich zulässig ist zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität.

Allerdings handelt es sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts um ein subsidiäres Instrumentarium einer effektiven Strafrechtspflege.
Einer möglichen Kollision mit dem Legalitätsprinzip wird mit dem Hinweis begegnet, der verdeckt arbeitende Polizeibeamte sei zwar verpflichtet, wegen einer Straftat einzuschreiten. Er dürfe aber das erforderliche Einschreiten zeitweise aufschieben, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, daß durch das vorübergehende Warten ein besseres Aufklärungsergebnis erzielt werden könne.( ) Dieses „zeitweise Zurückstellen“ des Legalitätsprinzips wird als lediglich „taktische Variante“ definiert.

In der Rechtsprechung ist es unstreitig, daß es unerläßlich ist, die notwendigen Beweise rechtzeitig zu sichern und rechtzeitig vor Verjährung etwaiger Straftaten die zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Anderenfalls könne der zuständige Amtsträger respektive die Vertrauensperson den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllen.

Das im Grundgesetz und der Strafprozeßordnung immanente Rechtsstaatsprinzip untersagt es den Strafverfolgungsbehörden, durch Einsatz von „agent provocateurs“ auf die Verübung von Straftaten hinzuwirken, wenn die Gründe dafür vor diesem Prinzip nicht bestehen können und der Angestiftete zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt würde. Wesentlich für die Beurteilung sind dabei Grundlagen und Ausmaß des gegen den Täter bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahmen des Lockspitzels, Tatbereitschaft und eigene, nicht fremdgesteuerte Aktivitäten dessen, auf den er einwirkt.( )

Innerhalb dieses Rahmens, so die Rechtsprechung, darf der Staat seine Bürger ungestraft zu Straftaten provozieren und sie anschließend zu Straftätern befördern. Sollten die Ermittlungshandlungen des „agent provocateur“ die oben skizzierten Grenzen überschreiten, so solle nach einem Urteil des BGH v. 06.02.1981 ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vorliegen mit der Folge, daß der „angestiftete“ Täter wegen der provozierten Tat nicht bestraft werden könne. Bei Überschreiten der Grenzen setze sich der Staat dem Vorwurf widersprüchlichen und arglistigen Verhaltens aus, wenn sein „agent provocateur“ den Täter erst durch eine erhebliche Einwirkung vom Wege des Rechts abbringe, ihn dann strafrechtlich verfolge, um ihn wieder auf den Weg des Rechts zurückzuführen.

Diese Rechtsauffassung wurde inzwischen aufgegeben. Ein Überschreiten der Grenzen soll als ein dem Staat zuzurechnender Rechtsverstoß zwar noch in das Strafverfahren hineinwirken. Eine sachgerechte Lösung sei allerdings in allen Fällen dergestalt möglich, daß die Überschreitung der Grenzen für die Bemessung von Schuld und/oder Strafe des Täters von Bedeutung sein können. Es sei sachgerecht, auf jeden Beteiligten der Tat die Maßstäbe anzuwenden, die das Strafrecht oder Strafverfahrensrecht für sein Verhalten zur Verfügung stellt und vorschreibt. Gemäß der Rechtsprechung des Großen Senats für Strafsachen kann darüberhinaus jede Fremdeinwirkung, also auch diejenige innerhalb der zulässigen Grenzen, von Schuld- und/oder Strafzumessungsrelevanz sein.( )

2.1 „SOKO Zitrone“

Im norddeutschen Raum waren etwa seit Mitte der 70er Jahre eine Häufung von Bränden italienischer Restaurants, Diskotheken, Eisdielen und Pizzerien festzustellen, die zunächst dezentral von den jeweils zuständigen Polizeidienststellen bearbeitet wurden. Da diese Ermittlungen keine erfolgversprechenden Erkenntnisse erbrachten, wurde am 12. Februar 1981 im nds. Innenministerium entschieden, eine Sonderkommission beim LKA in Hannover einzurichten – die „SOKO Zitrone“ war geboren. Ihren Name hatte sie bekommen, weil die vermuteten Täter wie Opfer aus dem Land kämen, in dem die Zitronen blühen, und weil man sich nicht ganz sicher war, ob man bei dem Konzept nicht „mit Zitronen gehandelt“ habe. Beides erwies sich nachträglich als richtig.

Die nunmehr zentral durchgeführten Ermittlungen erhärteten zwar die vorhandenen Verdachtsmomente gegen bestimmte Personen, aber nicht in einer Form, die geeignet gewesen wäre, bereits strafprozessuale Maßnahmen vollziehen zu können – so die zuständigen Ermittlungsbeamten. Die SOKO entschloß sich deshalb mit Zustimmung des zuständigen Staatsanwaltes Dr. Reents, der bemerkenswerterweise seinen Schreibtisch unmittelbar in das LKA verlegt hatte, Werner Mauss als V-Mann in die angebliche kriminelle Gruppe einzuschleusen.

Nachdem Mauss als verdeckter Ermittler seine Tätigkeit für die „SOKO Zitrone“ begonnen hatte, versuchte er recht dilettantisch, als übermäßig großzügiger Hehler aufzutreten, um so Zugang zur vermuteten kriminellen Organisation zu erhalten.

Er stellte sich gegenüber mehreren Tatverdächtigen als „weltweiter Hehler mit einer Organisation“ dar, der bereit sei, umfangreich Diebesgut anzukaufen; u.a. mehrere Fahrzeuge, die er später „in den Nahen Orient“ verschieben wolle. Neben diesen Fahrzeugankäufen nahm Mauss mindestens zwei weitere „Vertrauenskäufe“ vor, indem er acht Brillanten für 24.000 DM und später weiteren Schmuck erwarb. Dieser Schmuck war zuvor im Oldenburger Raum gestohlen bzw. „abhanden gekommen“, wobei die Ermittlungsbehörden einen Versicherungsbetrug vermuteten.

Mag dieses Vorgehen noch als zulässig, wenn auch ergebnislos durchgehen, so unterließen es die ermittelnden Beamten jedoch, die ihnen bekannt gewordenen Straftaten zu verfolgen. Sie stellten die Verfolgung nicht nur zeitweilig zurück sondern ließen sie sein – ein klassischer Verstoß gegen das Legalitätsprinzip gemäß 251 StPO. Im Ergebnis liegt zumindest der objektive Tatbestand der Strafvereitelung im Amt nach 258a StGB vor.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Vertreter von CDU, FDP und SPD in diesem Punkt keinen Rechtsverstoß gesehen haben.

Nun wollte die SOKO die vermeintliche Brandstifterbande in ihrem eigentlichen Metier überführen. Anfänglich war versucht worden, die angeblich gut durchorganisierte Bande zu einer Brandstiftung in einer Möbelfabrik bei Dissen zu überreden. Tatsächlich gelang es Mauss unter dem Versprechen, für die anvisierte Brandstiftung 1 Mio. DM Belohnung zu zahlen, mehrere Tatverdächtige nach Deutschland zu locken. Wegen einsatztechnischer Probleme wie rechtlicher Bedenken wurde dieser Plan dann fallengelassen.

Der PUA mußte feststellen, daß keiner der von Mauss ermittelten Verdächtigen Mitglied einer fest strukturierten Gruppe war, „die die Projekte lediglich ausbaldowern und für die Illegalen vorbereiten“ sollten. Die Anzustiftenden waren bisher nicht wegen Brandstiftungsdelikten in Erscheinung getreten oder bislang unbestraft. Sie dürften vor allem wegen der zugesicherten Bezahlung von 1 Mio. DM Interesse bekundet haben.

Der Tatort wurde ins Ausland, nach Griechenland verlegt. Neben den Planspielen im Zusammenhang mit der Möbelfabrik hatte sich der Plan entwickelt, einzelne Tatverdächtige für eine Brandstiftung an einer Yacht in Griechenland zu interessieren. Im Rahmen der Untersuchungsarbeit konnte nicht abschließend geklärt werden, wessen Idee dies war. Allerdings weist das Ergebnis einer durchgeführten Telefonüberwachung daraufhin, daß Mauss Initiator dieser Operation war.
Nach mehreren intensiven Bemühungen gelang es Mauss schließlich mit dem Versprechen, 380.000 DM für diese Brandstiftung zu zahlen, den Bremer Kneipier Vittorio Pilleri für diese Aktion zu gewinnen. Gemeinsam mit einem weiteren Bekannten, dem Deutschen Karl Langenitz, flog Pilleri am 4. November 1981 nach Athen. Die Tickets für diese Flüge waren von Mauss für beide Personen am Flughafen in Frankfurt hinterlegt worden.

In der Nacht vom 5. auf den 6. November 1981 wurden beide von griechischen Polizeibeamten im Hafen von Rhodos in der Nähe einer Yacht festgenommen. Am 22. November flogen zwei SOKO-Beamte, darunter KHK Hofmann, nach Griechenland und versuchten Pilleri und Langenitz gegen das Angebot einer Überführung nach Deutschland zu einer „Lebensbeichte“ zu bewegen. Die Beiden schwiegen jedoch eisern.

Ab dem 14. Januar 1982 mußten sich Pilleri und Langnitz vor einem griechischen Gericht verantworten. Aus dem Urteil ergibt sich, daß die Gendamerie Rhodos von Interpol „Westdeutschland“ informiert worden war, zwei ausländische Terroristen aus Deutschland würden mit dem Ziel ankommen, eine Yacht anzuzünden. Die tatsächlichen Hintermänner dieser Operation waren den griechischen Behörden nicht mitgeteilt worden.

Pilleri und Langenitz wurden in erster Instanz wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen versuchter vorsätzlicher Brandstiftung zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt. Bezüglich der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ stützte sich das Gericht lediglich auf Informationen der „SOKO Zitrone“ und des Lockspitzels Mauss. Die tatsächlichen Hintergründe und die „agent provocateur“-Tätigkeit deutscher Behörden waren dem Gericht vorsätzlich verschwiegen woren.

Pilleri und Langenitz wurden so durch gezielte (Falsch-) Information der griechischen Strafverfolgungsbehörden in eine Zwangssituation gebracht, von der die Verantwortlichen wußten, daß die Rücknahme dieser Informationen und die Enthüllung der Hintergründe diesen Zwang vermindert oder gar beseitigt hätte. So ist den beiden vom Zeugen Hoffmann ausdrücklich die Entlassung aus griechischer Haft als Gegenleistung versprochen worden. Es handelt sich mithin um den Versuch einer – strafbaren – Aussageerpressung.

Zudem haben die verantwortlichen Polizeibeamten und Werner Mauss gegen Artikel 46 des griechischen Strafgesetzbuches verstoßen. Gemäß Nr.2 dieser Vorschrift wird derjenige, der vorsätzlich jemanden veranlaßt, eine strafbare Handlung zu begehen, zu dem einzigen Zwecke, ihn beim Versuch oder bei Vorbereitungshandlungen zu ertappen, mit dem Willen, ihn nicht zur Vollendung kommen zu lassen, mit der auf die Hälfte ermäßigten Strafe des Täters bestraft. Die bundesdeutsche „moderne Form der Verbrechensbekämpfung“ ist nach griechischem Recht eine Straftat.

Auf Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Jahre 1981 war Pilleris und Langenitz versuchte Brandstiftung auf Rhodos nach deutschem Recht nicht strafbar:

Mauss hat über mehrere Monate auf den Zeugen Pilleri eingewirkt. Nachdem die zunächst ausgewählten Zielpersonen bereits Ende Oktober 1981 – offenbar zur Enttäuschung von Mauss und der „SOKO Zitrone“ – von der geplanten Aktion Abstand genommen hatten, versprach Mauss einen unverhältnismäßig hohen Geldbetrag als Belohnung für diese Tat, zeigte Pilleri und Langenitz unmittelbar vor der Tat 380.000 DM vor und übernahm ihre Reisekosten samt Spesen, um doch noch eine Bereitschaft zur Brandstiftung zu erreichen. Vor diesem massiven Einwirken durch Mauss war nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschuß eine Bereitschaft zu dieser Brandstiftung nicht vorhanden. Konkrete Anhaltspunkte, die den von der „SOKO Zitrone“ vermuteten Verdacht bestätigen, hier seien Mitglieder einer kriminellen Organisation tätig, konnten nicht festgestellt werden.

Ergebnis der Operation war, daß der Versuch einer Brandstiftung aufgeklärt und die angestifteten „Täter“ dafür bestraft wurden, den massiven Verlockungen von Mauss nachgegeben zu haben. Die rechtsstaatlichen Grenzen des Einsatzes eines „agent provocateur“ wurden eindeutig überschritten.

2.2 Erwirken einer Telefonüberwachung gegen René Düe

Konnte Mauss in diesem Verfahren mit Hilfe deutscher Sicherheitsbehörden Gerichte täuschen, so fand er in dem spektakulären Verfahren gegen den Juwelier Düe die Unterstützung staatlicher Behörden, um Verdachtsmomente gegen den Geschädigten mit dem Ziel konstruieren zu können, dem am 31. 10. 1981 in seinem Geschäft überfallenen, verletzten und beraubten Düe einen Versicherungsbetrug anzuhängen. Die zuständige Mannheimer Versicherung vereinbarte mit Mauss für den Fall der Leistungsfreiheit ein Erfolgshonorar von 700.000 DM. Der uns hier zur Verfügung stehende Raum reicht bei weitem nicht aus, um alle „dirty tricks“ und Hintergründe aufzuzeigen.( )

Wir können allenfalls exemplarisch an den Vorbereitungen von Werner Mauss, eine Genehmigung zur Telefonüberwachung zu erhalten, die Löchrigkeit eines Richtervorbehalts bei verdeckten Fahndungsmaßnahmen verdeutlichen.

Am 29.04.1982 erhielt das LKA Niedersachsen einen „Bericht des Polizeichefs von La Palma“. Mit diesem Brief, der nicht zu den Gerichtsakten genommen wurde, sondern in den Durchschriftenakten des LKA verblieb, wird der Nachweis versucht,daß ausländische Polizeibehörden eigene belastende Ermittlungsergebnisse gegen den Geschädigten Düe hätten.

Daß sich Mauss zu dem entscheidenden Zeitpunkt auf den Kanaren aufhielt, daß der dortigen Polizei keine andere Quellen als Mauss zur Verfügung standen, und daß er den Transport des Berichts gegenüber dem Staatsanwalt Dr. Grasemann eingeräumt haben soll – dies rechtfertigt die Vermutung, daß Werner Mauss auf diesem Wege belastendes Material konstruiert hat, um so eine Telefonüberwachung gegen Düe erschleichen zu können.

Das stützen auch die Übereinstimmungen zwischen dem Bericht und dem Antrag auf Telefonüberwachung. In beiden wird auf die angebliche Absicht Busses verwiesen, den Schmuck in andere Länder zu verkaufen, „um so die Ermittlungen auf andere Personen zu lenken“ (Bericht vom 29.04.89), beziehungsweise „einen geringen Teil der Beute durch die Polizei im Ausland auffinden zu lassen, um diese auf eine falsche Fährte zu führen“ (Antrag vom 03.05.1982).

Im späteren Strafverfahren gegen Düe vor dem Landgericht Braunschweig wurde bestätigt, daß Mauss den Plan entwickelte, Schmuckstücke im Ausland auffliegen zu lassen.

Neben diesen künstlich produzierten „Ermittlungsergebnissen“ fehlte im Antrag auf Telefonüberwachung auch nicht der Hinweis auf die zeit- und kostenaufwendigen weltweiten Reisebewegungen von Busse, des Schwagers des Herrn Düe, ohne hierbei zu erwähnen, daß sämtliche Reisen auf Veranlassung und mit Finanzierung von Mauss beziehungsweise der hinter ihm stehenden Versicherung erfolgt sind.

Mit diesen „Ermittlungsergebnissen“ gelang es dem hannoverschen Oberstaatsanwalt Lobback, die gerichtliche Genehmigung einer Telefonüberwachung zu erreichen. Mehrere Polizeibeamte der „SOKO 304/Düe“ haben in der Zwischenzeit erklärt, daß Oberstaatsanwalt Lobback über alles informiert gewesen ist.
Im Ergebnis dürfte der zugrundeliegende Gerichtsbeschluß erschlichen worden sein, da bei wahrheitsgemäßer Wiedergabe der bis dahin vorgenommenen Ermittlungshandlungen und bei wahrheitsgemäßer Wiedergabe der bis dahin vorliegenden Ermittlungsergebnisse eine Telefonüberwachung nicht angeordnet worden wäre, weil es keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht gegen Busse gab.

Bereits dieser Sachverhalt rechtfertigt den strafrechtlichen Vorwurf des Verdachts der versuchten Verfolgung Unschuldiger gemäß 344 StGB.
In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß nach den bisherigen Ermittlungen Oberstaatsanwalt Lobback später dafür sorgte, daß die anstiftenden Aktivitäten von Mauss dem Zugang der Verteidigung entzogen wurden. Ausweislich eines Vermerks, der die Unterschrift von Lobback trägt, sollen die Niederschriften der Telefonüberwachungen, insgesamt 14 Tonbänder und 6 Ordner, vernichtet worden sein.

Gemäß 100b V StPO sind die aus Telefonüberwachung erlangten Unterlagen zu vernichten, wenn sie „zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich“ sind. Die Unterlagen aus der Telefonüberwachung-„Busse“ waren jedoch beweiserheblich, weil sich aus ihnen die Rolle von Mauss in vollem Umfang ergeben hätte.
Tatsächlich können auch nicht sämtliche Telefonüberwachung-Unterlagen vernichtet worden sein. Am 03.11.1987 wurden in der Nähe des LKA Niedersachsen auf der Straße Teile des Telefonüberwachungsantrages betreffend der angeblich vernichteten Unterlagen gefunden.

Das Ermittlungs- wie das Gerichtsverfahren wurden von der „SOKO Zitrone“ zu Lasten Dües manipuliert. Ein Beamter nahm wissentlich eine falsche, den Juwelier belastende Zeugenaussage zu den Akten. der Leiter der SOKO soll, so die jüngsten Feststellungen eines Braunschweiger Gerichts, einen Strafgefangenen gar zu einem Meineid angestiftet haben. Der inzwischen rechtskräftig freigesprochene Düe wartet bis heute auf eine Entschädigung des Landes.

III.Legislative Konsequenzen aus den Feststellungen des Untersuchungsausschusses

Aus Sachverhalt und Bewertung ergibt sich, daß nds. Sicherheitsbehörden bei den untersuchten Operationen gegen eine Reihe von rechtlichen Bestimmungen verstoßen haben.

Durch die immense öffentliche, von Seiten der Politik wie der Presse geschürte Erwartungshaltung an die Sicherheitsbehörden, aber auch durch den behördeninteren Zwang zum Erfolg, ging die Orientierung staatlichen Handelns an Recht und Gesetz gerade bei jenen Einheiten von Polizei und VfS verloren, die an „vorderster Front“ – mit einem entsprechenden Elitebewußtsein – ihrer Arbeit nachgingen. Sie wurden hierbei wohlwollend von Führungsbeamten begleitet.

Die Legislative ist gefordert, die Grenzen polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit in aller Klarheit neu zu ziehen.

1. Behörden für Verfassungsschutz abschaffen

Das geltende VfS-Gesetz kollidiert in verfassungswidriger Weise mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es war nicht Gegenstand des Untersuchungsauftrages, die Notwendigkeit eines geheimen Nachrichtendienstes zu überprüfen. Ungeachtet der tatsächlichen Überflüssigkeit bis Schädlichkeit einer geheimdienstlich organisierten Einrichtung zum Zwecke des Verfassungsschutzes haben die Feststellungen des Ausschusses jedoch eines in aller Deutlichkeit belegt:
Geheime Nachrichtendienste sind per definitionem unkontrollierbar.

2 Beschränkung/Verbot des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel

Das ebenfalls im Widerspruch zum Volkszählungsurteil stehende nds. Polizeigesetz wird zur Zeit novelliert. Der von CDU und FDP vorgelegte Entwurf wird den Feststellungen des 11.PUA nicht gerecht. Mit seinen Regelungen gerade hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Informationen zielt er weniger darauf, die festgestellten Mißstände zu verhindern, als die „Methode Mauss“ nachträglich zu legalisieren.

Zu fordern ist:
Der Einsatz bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel ist der Polizei generell zu verbieten, der Einsatz von Lockspitzeln zu untersagen. Polizeiarbeit hat sich im Prinzip offen zu vollziehen.
Soweit es zum Einsatz verdeckter ErmittlerInnen kommt, ist diesen die Beteiligung an und die Anstiftung zu Straftaten zu untersagen. Der Einsatz verdeckter ErmittlerInnen ist im Strafverfahren – wie in den USA selbstverständliche Regel – zu offenbaren. Denn die gerichtliche Kontrolle des Einsatzes verdeckter ErmittlerInnen im Rahmen des öffentlichen Strafverfahrens erweist sich nicht nur als vorbeugendes Mittel gegen illegale Ermittlungsmethoden. Der damit verbundene Aufwand ist die beste Garantie gegen den willkürlichen und beliebigen Einsatz dieses Instruments.

3.Erweiterung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden

Wird ungeachtet der oben gemachten Feststellungen an der Existenz von VfS-Ämtern festgehalten, dann sind an die Kompetenzen wie an Aufsicht und Kontrolle die folgend genannten Mindestanforderungen zu stellen. Sie sind keine Versicherung gegen Operationen vom Typ „Neuland“, „Emsland“ oder Aktionen wie „Feuerzauber“, sondern dienen lediglich einer Schadensminderung und -begrenzung.

* Die Aufgabenbeschreibung für den geheimen Nachrichtendienst muß beschränkt und präzisiert werden.
* Die Sammlung von Informationen über politisch motivierte Straftaten ist ausschließliche Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörden.
* Im Interesse des Trennungsgebots zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Einrichtungen ist dem Nachrichtendienst hier jede Tätigkeit zu untersagen.
* Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist nicht länger pauschal zu legitimieren, sondern präzise und abschließend zu regeln. Hierzu gehört neben dem Verbot, etwa Wanzen einzusetzen, auch die Regelung, daß im Bereich der sogenannten „Beobachtung des politischen Extremismus“ der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell zu untersagen ist.
* Zum Zwecke der Klarstellung ist die Begehung von und die Anstiftung zu Straftaten dem geheimen Nachrichtendienst ausdrücklich zu untersagen.
* Die Parlamentarische Kontrollkommission hat sich als ineffektiv erwiesen. Statt der Kontrolle diente sie der Einbindung von Parlamentariern in die rechtswidrigen Handlungen des Nachrichtendienstes. Sie ist zu ersetzen durch einen Ausschuß für VfS des Landtages. Dieser Ausschuß, in dem alle Landtagsfraktionen vertreten sein müssen, tagt im Prinzip öffentlich. Er hat, neben den üblichen Kompetenzen eines Landtagsausschusses, das Recht, sich auf Beschluß des Landtages als Untersuchungsausschuß zu konstituieren – mit allen damit verbunden Rechten, von der Akteneinsicht bis zur Vereidigung von ZeugInnen.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.