Schmücker-Strafverfahren – Und kein Ende

Zum dritten Mal hat der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Berlin im Mordfall Schmücker (vgl. Kasten auf der folgenden Seite) wegen schwerwiegender Verfahrensmängel aufgehoben. Mit dem Beginn einer vierten Verhandlungsrunde vor der Jugendstrafkammer der Landgerichts Berlin ist im Frühjahr kommenden Jahres zu rechnen – nun unter veränderten politischen Rahmenbedingungen. Sie scheinen die Chance zu bieten, daß endlich mit der bisherigen Herrschaft der Verfassungsschutzämter über dieses Strafverfahren gebrochen wird.

Vorab hat bereits ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin mit dem Versuch begonnen, die Rolle des Berliner LfV im Mordfall Schmücker und in den bisherigen 3 Strafverfahren aufzuklären. Nach unserem ausführlichen Bericht zum Mordfall Schmücker in CILIP 27 mit Stand November 1987 hier die Fortschreibung der nicht zum Ende kommenden Chronique Scandaleuse mit Stand November 1989.

1. Die Revisonsgründe des BGHs

Ca. 3.000 Seiten umfaßte der Revisionsantrag der Verteidiger des Schmückerverfahrens zum Urteil des LG Berlins vom 3.7.1986, über den der BGH am 23.März 1989 mit dem Ergebnis entschied, daß der Prozeß zum viertenmal aufgerollt werden muß.

Als schwerwiegende Verfahrensmängel rügten die Richter, daß
* das Urteil vom 3.Juli 1986 in Abwesenheit der 5 Angeklagten verkündet wurde,
* Ihnen damit nicht ausreichend Gehör gegeben worden sei und
* auch die Verteidigung keine Gelegenheit zum Schlußplädoyer gehabt hätte,
* ein Beweisantrag der Verteidigung mit der Begründung abgelehnt wurde, der dort benannte Zeuge müsse sich bei seiner angekündigten Aussage „irren“.
Zudem formulierte der BGH eine materiellrechtliche Rüge: „Daß das Landgericht sich mit der Frage einer Tatbeteiligung des Weingraber und etwaiger Hintermänner nicht auseinandergesetzt hat, kann das Urteil zum Nachteil der Angeklagten beeinflußt haben.“ (Ts, 24.3.88, SZ 25.3.88)

Nach Ansicht des Gerichtes sei die mögliche Ausspähung des Verteidigers der Angeklagten Schwipper, RA Heinisch, durch einen V-Mann des LfV kein Verfahrenshindernis, ebensowenig die lange Verfahrensdauer – so desweiteren der BGH-Beschluß.

Inzwischen ist nicht nur die „Ausspähung“ des RAs Heinisch bestätigt worden, sondern noch einiges mehr.

2. Das V-Mann-Gewimmel

Waren bereits zum Zeitpunkt des 3.Urteils 1986 neben dem Opfer selbst, Ulrich Schmücker, drei weitere zentrale Figuren im unmittelbaren Umfeld des Schmücker-Mordfalles als V-Leute des VfS enttarnt worden (der bereits genannte Volker Weingraber, Götz Tilgener und Jürgen Bodeux, der in allen drei Verfahren die Rolle des Kronzeugen spielte), so drehte sich das Enttarnungskarussell auch nach dem 3.Urteil noch weiter.

Im März 1988 trat der Verteidiger der Hauptangeklagten Ilse Schwipper, RA Heinisch, mit dem Verdacht an die öffentlichkeit, daß er bereits zu Zeiten des 1.Gerichtsverfahrens – es endete im Sommer 1976 nach 37 Verhandlungstagen – in seiner „Verteidiger-Funktion jahrelang abgehört worden“ sei, und die dabei gewonnenen Informationen dem damaligen Staatsanwalt im Schmückerverfahren, Przytarski, unmittelbar zur Verfügung gestellt worden seien.(Tsp 8.3.88, TAZ 7.3.88)

Heinisch und die Vereinigung Berliner Strafverteidiger traten mit dieser Meldung an die Öffentlichkeit, nachdem der Innensenat eine von Heinisch schriftlich geforderte Klärung dieses Vorwurfes faktisch ablehnte. Es war von Seiten der Innenverwaltung darauf verwiesen worden, daß in Berlin ausschließlich die Alliierten Abhörentscheidungen treffen würden. Unterschlagen wurde dabei jedoch, daß solche Abhörentscheidungen u.a. auf „Anregung“ Berliner Behörden erfolgen.

Mit Schreiben vom 14.3.88 wandte sich Heinisch an die Berliner Rechtsanwaltkammer als Standesorganisation und wies darauf hin, daß, wie bereits in einer Fernsehsendung am 11.3.88 gemeldet, zudem der dringende Verdacht bestände, daß ab Beginn des 1.Gerichtsverfahrens ein V-Mann des VfS in seiner Kanzlei plaziert worden sei (ARD-Nordkette, Sendung Extra-Drei vom 11.3.88, 20.30 Uhr).

In einem TAZ-Interview wies am 21.3.88 der dieser V-Mann-Tätigkeit beschuldigte Christian Hain alle Vorwürfe zurück, dabei unterstützt von der Hauptangeklagten Ilse Schwipper. Hain und Ilse Schwipper kennen sich aus gemeinsamen Zeiten in Wolfsburg Anfang der 70er Jahre. Christian Hain saß 1971 selbst kurzfristig im Gefängnis, nachdem er mit einem Freund, der sich seinerseits als Informant der VfS erwies, einen Banküberfall in Hildesheim geplant hatte. Hain wurde in der Tat auf Empfehlung von Frau Schwipper in der Vorbereitungsphase zum 1. Verfahren und während des Prozesses als Praktikant in der Kanzlei von RA Heinisch eingestellt.(Spiegel Nr.17/88).

Versuche im Abgeordnetenhaus, über parlamentarische Anfragen diese Vorwürfe zu klären, stießen auf die Erklärung des Innensenators, daß er aus „grundsätzlichen Erwägungen“ entsprechende Fragen nicht beantworten könne.

Der Versuch von RA Heinisch, den Innensenat im Verwaltungsgerichtswege dazu zu zwingen, Auskunft darüber zu geben, „ob die erlangten Informationen und Erkenntnisse an die im Schmückerverfahren beteiligten Staatsanwälte, namentlich den früheren Oberstaatsanwalt Przytarski weitergeleitet wurden“, blieben ohne Erfolg.

Przytarski, zwischendurch zum Vize-Präsidenten des Berliner LfV avanciert und wegen anrüchiger Beziehungen zur Berliner Bauhalbwelt später von Innensenator Kewenig zum Landesverwaltungsamt zwangsversetzt, hatte, wie sein damaliger Kollege aus der politischen Staatsanwaltschaft Müllenbrock (Anklagevertreter im 2. Schmückerverfahren) während des 3. Schmückerverfahrens qua Amt die Finger mit im Spiel, wenn es darum ging, Akten und Informationen aus dem Landesamt für VfS dem Gericht und der Verteidigung vorzuenthalten. Müllenbrock war gar unter Innensenator Lummer zum Staatssekretär für Inneres aufgestiegen. Beide entschieden also darüber mit, was dem Gericht über ihre Rolle im Zusammenspiel mit dem VfS bekannt werden durfte.

Zwar rügte die 1.Kammer des VG Berlin am 31.8.88, daß die ablehnende Antwort des Berliner LfV auf das Auskunftsbegehren „unzureichend und zu allgemein“ begründet gewesen sei. Zu einem Auskunftsanspruch selbst vermochte das VG sich allerdings nicht durchringen (Tsp. 2.9.88). Im Ergebnis wurde das LfV also nur aufgefordert, erneut das Auskunftsbegehren – nun wortreicher – abzulehnen. Selbst hierzu – zu einer wortreicheren Ablehnung – war die Behörde in ihrer Arroganz, wie sich später zeigte, nicht willens, so daß Berlins neuer Innensenator Pätzold in der 4.Sitzung des neu installierten „Ausschusses für Verfassungsschutz“ am 21.9. 89 davon sprach, daß drei Monate nach diesem Urteil der damalige Senat „einen Bescheid gleichen Inhalts – quasi eine Fotokopie des ersten Bescheides – ohne Begründung erlassen“ hätte (Protokoll „Ausschuß f. VfS“ S.2). Der Innensenat in seinem 2. Ablehnungsbescheid: „… dem Auskunftsbegehren werde nicht entsprochen“. Man werde die „öffentlich stets bekundete Ermessenspraxis beibehalten.“(TAZ 24.10.88)

Im Vorwahlkampf, November 1988, richtete SPD-Oppositionsführer Momper ein alsbald bekanntwerdendes Schreiben an den Regierenden Bürgermeister Diepgen, das eine ganze Kette von VfS-Skandalen auflistete und unter anderem die Vorwürfe der Ausforschung RA Heinischs durch das LfV wiederholte (TAZ, 30.11.88, Teildokumentation). Die SPD, insbesondere verärgert über SPD-Sonderberichte des LfV, machte das LfV zum Wahlkampfthema.(vgl. auch A.Funk und W. Wieland, Berliner VfS: Nichts mehr so wie früher, in CILIP 33).

Daß die V-Mann-Tätigkeit durchaus lukrativ sein kann, wurde Ende 1988 bekannt. Am 11.12.88 meldete „Spiegel-TV“, daß der inzwischen in Italien lebende V-Mann Weingraber allein in letzter Zeit ca. 700.000 DM vom Berliner LfV erhalten hätte. Als Gewährsmann wurde MdA Hildebrandt (SPD) genannt. Berlins Springer-Blatt „Morgenpost“ ergänzte am 11.12.88, daß man aus „sicherer Quelle“ erfahren habe, daß dieses „Geld nicht an einen Einzelnen geflossen, sondern … unter mehrere Personen aufgeteilt“ worden sei.

Die Rolle von Christian Hain als VfS-V-Mann in der Heinisch-Kanzlei (Decknahme „Flach“) wurde offiziös im Januar 1989 bestätigt. Im September d.J. verdrückte sich Hain aus Berlin, nachdem er seinen Partner in einem gemeinsamen Taxi-Betrieb ausgezahlt hatte. Eine Erbschaft hätte ihn hierzu in die Lage versetzt – so Hain. (TAZ, 9.11.89) Bekannt – und nun nicht mehr dementiert – wurde ein Aktenvermerk des Präsidenten der Berliner Rechtsanwaltskammer, Jürgen Borck, vom Mai 1988, angefertigt nach einem Gespräch Borcks mit Innensenator Kewenig am 24.5.88. Dem Aktenvermerk nach hätte Kewenig in dem „konjunktivisch“ geführten Gespräch „konjunktivisch“ eingeräumt, daß ein V-Mann im Heinisch-Büro gesessen und der VfS die Vertreter der Anklage mit dem entsprechenden Wissen versorgt hätte.(Tsp, 3. und 6.1.89, TAZ, 2.1.89).

Schnell zum Weißwaschen trat die Berliner Justizverwaltung an. Am 6.1.89 ließ sie erklären, daß „nach Prüfung der Akten und Befragung der seinerzeitigen Anklagevertreter“ sich die Vorwürfe gegen die Staatsanwälte im Schmückerverfahren als „haltlos“ erwiesen hätten. „In den Verfahrensakten befänden sich keinerlei Hinweise darauf, daß der VfS im Büro von Heinisch tätig gewesen sei“ – so diese Behörde. (Tsp, 7.1.89)

Weitere Details über die V-Mann-Rolle Christian Hains wurden am 9.2.89 bestätigt. Hain war vor den 11. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Niedersächsischen Landtages zum Celler Loch-Anschlag geladen worden und gab schließlich zu, „daß er bei einem von dem niedersächsischen V-Mann Jelco Susak mitentwickelten Plan zur `Befreiung von Sigurd Debus` aus dem Celler Knast die Rolle des Chauffeurs spielen, den `Befreiten` nach Italien fahren und für ihn Quartier machen sollte.“ (TAZ, 11.2.89; siehe auch den Beitrag von Behnsen/ Trittin in dieser Ausgabe und den Abaschlußbericht des 11.PUA des Niedersächsischen Landtages, Drs. Nr 11/4380, insb. die Seiten 12, 51, 77 ff., 352; zum offiziösen Eingeständnis der V-Mann-Rolle Hains vgl. auch Welt am Sonntag v. 20.8.89) Im November d.J. wurde RA Heinisch schließlich gestattet, „seine“ Personalakte beim LfV mit den Berichten des Christian Hain einzusehen. Allerdings waren 60 von ca. 300 Seiten gesperrt.

3. Berliner Wende – „Glasnost“ im Mordfall Schmücker?

Mit Ablösung der FDP-CDU-Koalition im Frühjahr dieses Jahres und der Bildung einer AL-SPD-Koalitionsregierung in Berlin (W) scheinen die Chancen gewachsen zu sein, daß die Rolle des LfV im Mordfall Schmücker endlich durchsichtiger wird.

Innensenator Pätzold erklärte am 31.März dieses Jahres, daß alle Erkenntnisse des VfS offengelegt würden, die das Landgericht Berlin für den 4.Anlauf benötige. Zudem sei zu prüfen, ob der am 23.1.1988 von der Senatsinnenverwaltung gemeldete Tod des V-Mann-Führers Grünhagen (Mopo, 23.1.88) zuträfe oder ob dies nicht bloß ein Versuch gewesen sei, Grünhagen als denkbaren Zeugen aus dem Verkehr zu ziehen (Mopo, 1.4.89).

Am 12.4.89 teilte Pätzold mit, daß die mutmaßliche Tatwaffe – wie vom Spiegel (Nr.40/1986) bereits Jahre früher gemeldet – tatsächlich beim LfV vorhanden gewesen sei und nun dem Landgericht für die 4. Verfahrensrunde als Beweismittel zur Verfügung gestellt würde. Gleichzeitig sei beim LfV eine 2. Pistole gefunden worden (Mopo 13.4.89, Tsp 13.4.89). Ausgegraben worden sei die Waffe von einer Arbeitsgruppe, die der Innensenator eingesetzt hatte, um „Fehlentwicklungen“ beim LfV zu recherchieren – die „Projektgruppe Verfassungsschutz“ unter Leitung des Staatsanwalts Fätkinheuer. Einen ersten Bericht legte sie im Juni 1989 vor.

Am 24.5. d.J. brachten SPD und AL einen Antrag über „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Rolle des LfV und der Staatsanwaltschaft im Mordfall Schmücker“ im Abgeordnetenhaus ein (zum Auftrag siehe folgende Seite). Die CDU stimmte am 19.6. diesem Antrag zu. Am 8.11.89 erfolgte die konstituierende Sitzung des Schmücker-Ausschusses.

Bisher zurückgehaltene Seiten aus Handakten der Anklagevertreter im Schmückerverfahren wurden im September d.J. auf Anweisung der Justizverwaltung dem Landgericht ausgehändigt (Tsp, 16.9.89).

Gleichwohl, ein neuer Innensenator bedeutet noch keine neue Innenverwaltung, ein neuer VfS-Chef mit dem Ruf unzweifelhafter persönlicher Integrität noch keine neue, integere Behörde.

Auf einer Pressekonferenz am 19.9. 89 berichteten die Verteidiger im Schmücker-Verfahren, daß am 17.Juli ein hochrangiger Mitarbeiter des LfV in einem vertraulichen Gespräch mit RA Heinisch durch die Drohung mit Enthüllungen über die am Verfahren beteiligten Anwälte diesen nahezulegen versuchte, zu einer prozessualen Absprache zu kommen. Der Inhalt:

Die Hauptangeklagte solle ein Geständnis ablegen mit dem Ziele, daß die V-Leute Weingraber und Hain nicht oder nur beschränkt vor Gericht aussagen müßten. Im Gegenzuge könne die Hauptbeschuldigte Schwipper damit rechnen, nur noch zu 15 Jahren Haft verurteilt zu werden, von denen sie bereits 7 Jahre U-Haft verbüßt hätte. Angesichts der üblichen Entlassung auf Bewährung nach Ablauf von 2/3 der Haftzeit hätte sie maximal noch mit 3 Jahren Haft zu rechnen.

Die Verteidiger interpretierten dieses „Angebot“ als Versuch des VfS, die „öffentliche Erörterung seiner Verstrickungen in den Mordfall Schmücker zu vermeiden“.(Tsp und TAZ, 20.9.89, Presseerklärung RA Elfferding u.a. vom 19.9.89).

In der 4.Sitzung des „Ausschusses für VfS“ am 21.9.d.J. bestätigte Innensenator Pätzold diese Kontaktaufnahme und ergänzte, daß entsprechende, schriftlich fixierte Überlegungen aus dem LfV ihm bereits im Frühjahr dieses Jahres bekanntgeworden seien. Er und der neuernannte VfS-Chef Schenk seien über diese Überlegungen höchst erbost gewesen.

Im konkreten Falle sei es eine eher mißverständliche Aktion eines LfV-Mitarbeiters gewesen, der ansonsten sich den Ruf erworben hätte, um äußerste Rechtsstaatlichkeit im LfV bemüht zu sein. Im Ganzen sei es ein „törichtes Vorgehen“ ohne Anweisung gewesen, Ausdruck eines „Realitätsverlustes“ des betreffenden Mitarbeiters (Inhaltsprotokoll v. 21.9.89, Tsp, 22.9.89, FR, 23.9.89).

Nachdem Pätzold am Rande des öffentlichen Teils der Sitzung des VfS-Ausschusses bereits angedeutet hatte, daß ein noch größerer Skandal am Horizont sei, sickerte in den nächsten Tagen durch, daß bis zum 22.September 1989 der Brief- und Telefon-Verkehr der Hauptangeklagten vom VfS überwacht worden war – damit selbstverständlich auch ihre Brief- und Telefonkontakte mit der Verteidigung.(Tsp, 26.9.89) Auf einer Pressekonferenz am 29.9.89 bestätigte der CDU-Abgeordnete und Vorsitzender des Ausschusses für VfS im Abgeordnetenhaus, Klaus Wienhold, diesen Sachverhalt und nannte auch explizit den Namen Ilse Schwipper (TAZ, 30.9.89). Nachdem dem Innensenator diese Überwachungsaktion bekanntgeworden sei, habe er sofort Anweisung gegeben, sie abzubrechen.

November 1989: Das Springer Blatt „Morgenpost“, seit jeher durch gute VfS-Kontakte beglückt, berichtet in einer mehrteiligen Serie aus dem „Einzelbericht zum Mordfall Schmücker“ der vom Innensenator eingesetzten „Projektgruppe zur Aufdeckung von Fehlentwicklungen beim Berliner LfV“. Danach sei die Projektgruppe zu dem Ergebnis gekommen:

„Bei der Prüfung der Frage, ob das LfV durch vorsätzliches beziehungsweise fahrlässiges Verhalten oder durch zielgerichtetes, absichtliches Unterlassen zu der Mordtat an Schmücker in vorwerfbarer Weise beigetragen hat, kommt die Projektgruppe zu der eindeutigen Schlußfolgerung, daß diesbezügliche in der Vergangenheit öffentlich geäußerte Vorwürfe jeder sachlichen Grundlage entbehren“. Desweiteren sei die Projektgruppe zu dem Ergebnis gekommen, daß auch die direkte Kontaktaufnahme eines V-Mannes mit dem Rechtsanwalt von Ilse Schwipper genauso zulässig gewesen sei wie die Übermittlung der entsprechenden Erkenntnisse (an die Staatsanwaltschaft).(Mopo, 6., 13., 15., 18., 19., 20.10.89).

Am 12.10.89 setzt das Abgeordnetenhaus von Berlin einen Untersuchungsausschuß ein, der die Verwicklung von Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft im Mordfall Schmücker untersuchen soll. Die konstituierende Sitzung erfolgt am 8.11. d.J. Mit dem Beginn der vierten Prozeßrunde ist im Frühjahr 1990 zu rechnen.

4. Zweifel

Ungeachtet der in der Tat neuen Herangehensweise des Berliner Senats und seines Innensenators Pätzold an den Fall Schmücker bleiben Zweifel, ob es öffentlich überzeugend gelingen wird, nun endlich diesen Mordfall und die Verwicklungen nicht nur das LfV Berlin sondern weiterer Geheimdienste – so des Bundesamts für VfS, des BKA, der Polizei in NRW, Hessen und Niedersachsen – aufzuklären.

* Einer der entscheidenden Zeugen, Grünhagen, der V-Mann-Führer von Ulrich Schmücker, Weingraber und Hain, Grünhagen, ist als verstorben gemeldet und soll unter einem falschen Namen als Michael Wegner in Berlin begraben worden sein. Ob eine Exhumierung Zweifel am Tode dieser zentralen Figur ausräumen könnte, bleibt fraglich.
* Die Fätkinheuer- Projektgruppe VfS hat festgestellt, daß die ihr zur Verfügung gestellten Akten des LfV unordentlich geführt und insbesondere nicht paginiert waren, so daß die Frage bleibt, ob nicht weitere Aktenstücke vorenthalten bleiben oder bereits vernichtet worden sind.
* Zudem war nach Aussagen des Innensenators dieser Projektgruppe nicht bekannt, daß die Hauptangeklagte, Ilse Schwipper, bis in den September 89 hinein abgehört wurde – ein Beleg dafür, daß vom LfV auch gegenüber dieser Projektgruppe mit gezinkten Karten gespielt wurde.
* Eine volle Aufklärung verlangt weiterhin, daß auch Polizeidienststellen und VfS-Behörden des Bundes und anderer Bundesländer sich nicht mehr weigern, ihren Beamten vollständige Aussagegenehmigungen zu geben und ihre Aktenbestände dem Gericht zur Verfügung zu stellen – zu erinnern ist etwa an den Porzer Mordfall von 1973 und an Kontakte des Bundesamtes für VfS zur Kripo in Porz in Sachen des Kronzeugen Bodeux.
* Schließlich, Desinformation ist eine ganz banale und normale Alltagsroutine von Geheimdiensten. Das haben sie gelernt, dafür werden sie bezahlt. Warum sollten sie sie nicht weiterhin einsetzen – auch gegenüber einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß – und, wie bereits in 3 Strafverfahren, gegen jenes Gericht, das demnächst neu zu verhandeln hat? Jenes „Angebot“ an RA Heinisch und Kollegen, die Hauptangeklagte zum Geständnis zu bringen, damit kein Anlaß mehr besteht, Erkenntnisse des VfS über die Anwälte öffentlich zu machen, zeigt, daß jenseits der bereits bisher bekanntgewordenen Verwicklungen des LfV im Schmücker-Mord und -verfahren von dieser Seite offensichtlich weiteres zu verbergen versucht wird.

Abkürzungen:
Tsp: Tagespiegel (Berlin)
Mopo: Berliner Morgenpost
FR: Frankfurter Rundschau
TAZ: Tageszeitung

Weitere Literatur:

Abgeordnetenhaus von Berlin, Protokolle der öffentl. Sitzungen des „Ausschusses für VfS“ und des „Schmücker-Untersuchungsausschusses“ der 11. Wahlperiode

Aust, Stefan; Kennwort Hundert Blumen, Hamburg 1980

Brückner, Peter/ Sichtermann, Barbara; Gewalt und Solidarität – Zur Ermordung Ulrich Schmückers durch Genossen, Berlin 1974

Cotton, Jerry (Pseudonym); Mordfall Schmücker – TAZ-Serie über Hintergründe und Verwicklungen des Falles Ulrich Schmücker, in: Die Tageszeitung, 1.Teil 9.11.89, 2.Teil 14.11.89

Elfferding, Rainer; Schmücker-Prozeß: Der Verfassungsschutz als „Herr des Strafverfahrens“, in: Bürgerrechte & Polizei (CILIP), Nr. 28 (3/1987)

Häusler, Bernd; Der unendliche Kronzeuge – Szenen aus dem Schmücker-Prozeß, Berlin 1988

Niedersächsischer Landtag, Dr. Nr. 11/4380 (Bericht: Einsetzung eines 11. parlamentarischen Untersuchungsausschuß, vom 9.10.1989)