Editorial

In der Null-Nummer von CILIP haben wir 1978 auf eine Bürgerinitiative aufmerksam gemacht: das Klachten-buro Politie Optreden, das in Amster-dam Beschwerden von BürgerInnen gegen Polizeiübergriffe sammelt und die Betroffenen bei der Wahrung ihrer Interessen unterstützt. Der Artikel wurde zum Ausgangspunkt für den Versuch, dieses Modell nachzuahmen, zunächst in Berlin, später auch in an-deren Städten der Bundesrepublik.
Die Berliner Gruppe „Bürger beobachten die Polizei“ entstand 1979 und geriet bereits vor ihrer offiziellen Gründung in die Schußlinie einer Medienkampagne, die die Polizeiführung und die etablierten Parteien der Stadt gegen die 10-15 Personen entfachten. Für die GdP war es gar Anlaß, auf Ebene des Bundesvorstandes ein Kon-taktverbot zwischen Mitgliedern der Gewerkschaft und identifizierbaren MitarbeiterInnen von BüPo zu beschließen. Den Schmutzkübeln der Propaganda folgte, wie wir heute nach einer begrenzten Akteneinsicht beim Landesamt für Verfassungsschutz wissen, damals aber nur ahnen konnten, die Bespitzelung durch den Verfassungsschutz.

Anders das Amsterdamer Beispiel: Nicht nur, daß das Klachtenburo wei-terhin arbeitet und von vielen Bür-gerInnen zurate gezogen wird. Es war auch politisch erfolgreich: der Am-sterdamer Oberbürgermeister richtete 1985 eine offizielle Beschwerde-kommission ein, der er – so die Dar-stellung von C.F. Rüters – weitge-hende Unterstützung entgegenbringt.

Auch in anderen Ländern, besonders im englischsprachigen Raum, sahen sich die Verwaltungen gezwungen, solche Beschwerdekommissionen jenseits des gerichtlichen Klagewegs einzurichten und damit das Problem von Polizeiübergriffen anzuerkennen, das in der BRD nach wie vor geleugnet wird – siehe die kurze Debatte 1987/88 über den von der Berliner Strafverteidigervereinigung, den Kritischen PolizistInnen u.a. geforderten unabhängigen „Polizeibeauftragten“.

Wir stellen in diesem Heft Beispiele aus drei Ländern vor: aus den Nie-derlanden, aus Australien und aus Kanada. Die Anlage dieser Kommissionen ist in vielen Punkten ähnlich:
– Die Mitglieder der Kommission sind mehrheitlich oder gar ausschließlich Zivilisten.
– Sie haben zwar keine Sanktionsgewalt gegenüber der Polizei, aber die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen.
– Zur Ermittlung bedienen sie sich in der Regel der Polizei, verfügen aber zum Teil auch über eigenständige Er-mittlungsbefugnisse.
Unsere Autoren benennen in vielen Punkten ähnliche Probleme, bewerten aber die Einflußmöglichkeiten solcher Kommissionen unterschiedlich:
– Die Arbeit der Kommissionen ist in starkem Maße auf eine Kooperation mit der Polizei angewiesen. Während Rüters für Amsterdam und Brusten für die australischen Complaint Boards weitgehend positive Erfahrungen schildern, sieht Brodeur im kanadischen Fall hierin eine harte Grenze für die Arbeit der Kommissionen, insbesondere dann, wenn es um die Untersuchung öffentlich kontroverser Fälle geht.
– Auch bei nicht gerichtlichen Untersuchungen bleiben viele Fälle ungeklärt. Aussagen von BürgerInnen stehen denen von PolizistInnen gegenüber. Brusten und Rüters sehen trotzdem die Chance einer präventiven Einflußnahme auf das polizeiliche Alltagsverhalten.
– Die Chance, strukturelle Schwächen der Polizei zu erkennen und zu beein-flussen, scheinen in den Niederlanden und in Australien in Teilbereichen durchaus gegeben. Brodeur nennt für Kanada nur einen einzigen Fall, in dem ein solcher Einfluß geltend gemacht werden konnte.

Auf die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten einer solchen Kontrolle und auf die dabei entstehenden Konfrontationen mit der Polizeifüh-rung, macht insbesondere der Beitrag von Jean Paul Brodeur über die kana-dischen Kommissionen aufmerksam. Auch Brustens Beitrag über Australien enthält Hinweise darauf, wie die An-lage einer solchen Kommission darü-ber entscheiden kann, ob diese ein weiteres Legitimationsmittel für die Polizei oder eine gesellschaftliche Kontrolleinrichtung wird. Wesentlich für den Erfolg solcher Beschwerde-kommissionen ist – neben der Reich-weite der eigenständigen Ermittlungs-befugnisse und der sachlichen und personellen Ausstattung der Kommis-sion – nicht nur die politische Kultur des Landes, sondern insbesondere die Rückendeckung durch den Dienst-herrn der Polizei. Nur dadurch ist ein Modell des Vertrauens, wie es Rüters für Amsterdam zeigt, möglich – ein Modell, das auch den Ausgleich und die Verständigung zwischen Polizei-beamtInnen und BürgerInnen erlaubt.

Kann man sich ein solches Vertrauensverhältnis aber in der BRD vorstellen, wo selbst das harmlose Tragen von Namensschildern auf erbitterten Widerstand von Polizei und Re-gierenden stößt, wo selbst ein rosa-grüner Senat nicht in der Lage ist, dieses durchzusetzen, wo auch Standardinformationen über Polizei und Geheimdienste nach wie vor verweigert werden?

Eine besonders effektive Art der Kontrolle von innerstaatlichen Ge-waltapparaten ist deren Auflösung. Erfahrungen hierzu präsentieren wir in den Beiträgen über die Stasi-Auflösung in der DDR und die damit beschäftigten Bürgerkomitees. Mit diesem Interview wollen wir nicht eine modische Änderung des Blickwinkels vollführen. Die Beschäftigung mit der DDR ist vielmehr ange-sichts der drohenden Vereinnahmung durch die BRD mehr als notwendig. Sie wird auch den Schwerpunkt des kommen-den Heftes bilden.