Hochschulstudium für die Polizei – das niedersächsische Reformkonzept für die Polizeiausbildung

von Michael Rothschuh-Wanner

In einem umfassenden Verfahren hat die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen eine Reform der Polizei vorbereitet. Ein wesentlicher Bestandteil ist dabei die Neugestaltung der Polizeiausbildung. Die grundlegende Ausbildung soll danach als Studium an einer Fachhochschule stattfinden, die – jedenfalls nach der Absicht der VerfasserInnen des Konzepts – tatsächlich Hochschule und nicht einfach Polizeischule unter anderem Namen sein soll. Nach der Veröffentlichtung des Konzepts werden nun die Chancen seiner Umsetzung diskutiert.

Den Ausgangspunkt der niedersächsischen Reformbemühungen bildet die Ko-alitionsvereinbarung der SPD mit den GRÜNEN von 1990. Sie markiert unter dem Leitbild einer „grundrechtsorientiert(en) und bürgerfreundlich arbeitenden Polizei (Bürgerpolizei)“ Eckpunkte für die Schwerpunktsetzung polizeilicher Tätigkeiten, eine straffere Organisation und eine Ausbildung der PolizistInnen, damit sie „zur Lösung von Konflikten befähigt werden und nicht zur Angepaßtheit und bloßem Funktionieren“.

Koordiniert von einer kleinen hauptamtlichen Geschäftsstelle erarbeitete eine zwölfköpfige Kommission aus Polizei- und Verwaltungsangehörigen sowie Wissenschaftlern auf dieser Grundlage umfangreiche Reformempfehlungen, die von einem Berufsbild der Polizei über die Organisation, die Kriminalitätsverhütung und -verfolgung und den geschlossenen Einsatz bis zur Aus- und Fortbildung reichen. Die Aussagen zur Aus- und Fortbildung basieren auf dem Untersuchungsbericht einer Arbeitsgruppe, die – ungewöhnlich für polizeibezogene Gruppen – plural zusammengesetzt war, von Männern und Frauen, aus den beiden Sparten Kriminal- und Schutzpolizei, aus Angehörigen aller Dienststufen vom mittleren bis zum höheren Dienst. Neben den bei der Polizei und im Innenministerium Beschäftigten gehörte der Verfasser als Dozent einer öffentlichen Fachhochschule dazu. Während der neunmonatigen Arbeitszeit standen der Arbeitsgruppe innerhalb der Polizei fast alle Türen offen; so konnte der Verfasser als Polizei-Fremder z.B. im Unterricht von Landespolizeischule und Fachhochschule und in Auswahlgesprächen für die Polizeischule hospitieren, SchülerInnen und StudentInnen befragen sowie an einer Konferenz der Fachbereiche Polizei der Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung teilnehmen.

Heraus aus der Wagenburg

Die bisherige Ausbildung ist ein in sich weitgehend geschlossenes System: Polizisten lernen in Polizeieinrichtungen von Polizisten, was Polizisten von Polizisten in Polizeieinrichtungen gelernt haben usw. Dieses Modell gilt auf allen Stufen, von der Polizeischule und „Ausbildungshundertschaft“ über die Fachhochschule bis hin zur Polizeiführungsakademie. Solch ein Ausbildungs-system – das auf militärische Ursprünge zurückzuführen ist – kann sehr ef-fektiv sein, wenn es darum geht, Traditionen weiterzutragen und jemanden in den Polizeiapparat hineinzusozialisieren; es ist weniger geeignet, Herge-kommenes zu hinterfragen und neue Erkenntnisse zu erarbeiten. Auch trägt es nicht dazu bei, die Polizei in den gesellschaftlichen Dialog einzubeziehen. Im Gegenteil drängt es die jungen Lernenden in eine ‚Wagenburg-Mentalität‘, bei der andere Menschen zunächst das „polizeiliche Gegenüber“ sind. Die bisherige Ausbildung kann die PolizistInnen kaum zum Dialog und zum Verständnis für die von der Polizeiarbeit Betroffenen befähigen, weil sie zu einer ‚Trennung der Lebenswelten‘ führt: frühe materielle Sicherheit wird eingetauscht gegen zugeteilte Freiheit; so sind die Lernenden schon vor der Volljährigkeit Beamte mit einem spezifischen „Treueverhältnis“ zum Staat und leben in kasernenähnlichen Einrichtungen.
Dabei ist die Ausbildung am herkömmmlichen Männerleben orientiert, in dem die an einen Wohnort gebundene Familientätigkeit allein Sache der Frauen ist. Frauen und solche Männer, die für ihre Kinder sorgen, haben damit kaum Aufstiegschancen.
Die ggw. Ausbildung der Polizei paßt so zu einem Berufsbild, nach dem die Polizei durch militärähnlichen Aufbau, die Geschlossenheit des Apparates und die Vorstellung geprägt ist, Polizeitätigkeit sei bloßer ‚Vollzug‘ von Recht und Ordnung.
Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe soll die Ausbildung die Einbeziehung der PolizistInnen in die gesellschaftliche Kommunikation fördern und damit konkret eine ‚Öffnung der Polizei‘ bewirken. Sie soll deshalb nicht im Apparat selbst erfolgen; soll weder kaserniert noch vom normalen Lebensrhythmus getrennt sein und PolizistInnen als Lernende wie auch Lehrende sollen eng mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten. Aus dem Männerberuf ‚Polizei‘ soll ein Beruf beider Geschlechter werden, in dem Polizistinnen durch Ausbildungsstruktur und -inhalte real gleiche Chancen – auch für den Aufstieg – haben. Daraus resultiert die Forderung, die Ausbildung nicht nur zum allgemeinen Bildungssystem hin zu ‚öffnen‘, sondern sie in dieses zu integrieren und damit die Polizeiausbildung aus ihrem Sonderstatus herauszulösen.
Das Konzept orientiert sich an einem sich verändernden Berufsbild, in dem PolizistInnen nicht mehr in erster Linie als Beamte in einem Polizei-‚Apparat‘ fungieren, sondern zu Trägern eines anspruchsvollen Berufs mit einem fachlichen Profil werden, für das Schlüsselqualifikationen wie Flexibilität, Selbständigkeit und eigenverantwortliches Handeln prägend sind. Ausbildung kann zu einem solchen Prozeß der ‚Professionalisierung‘ der Polizei nur einen Beitrag leisten, wenn zugleich die Polizeistruktur mehr eigenverantwortliche Teamarbeit statt bloßem Vollzug von Anordnungen ermöglicht, wenn also das konkrete polizeiliche Handeln erhöhte Qualifikationen auch abfordert. Die höhere Bewertung künftiger Polizeiarbeit schlägt sich in der Einstufung polizeilicher Basisarbeit in den gehobenen Dienst nieder, wodurch der bisher dominierende mittlere Dienst langfristig wegfällt.
Die Arbeitsgruppe hat daher für die Ausbildung zum mittleren Dienst an der Polizeischule nur Übergangsvorschläge entwickelt und sich auf die Ausbildung zum gehobenen Dienst als künftige Basisausbildung konzentriert. Der gehobene Dienst setzt nach dem Beamtenrecht eine fachhochschul-adäquate Ausbildung voraus. Die Arbeitsgruppe will dies nicht als bloß formale Bestimmung verstehen, sondern als Chance für eine wissenschaftlich begründete und praxisbezogene Ausbildung. Polizistinnen und Polizisten sollen künftig auch auf der Ebene der Ausbildungsanforderungen auf gleicher Stufe wie das mittlere Management in der Wirtschaft, wie SozialpädagogInnen, SozialarbeiterInnen und IngenieurInnen stehen.
Den Kern der künftigen Ausbildung bildet die Ausbildung auf dem Fachhochschul-Niveau. Dabei soll es grundsätzlich um eine Grund-Ausbildung zum Beruf ‚Polizei‘ gehen; die differenzierenden Merkmale der Bereiche Schutz- und Kriminalpolizei können ihren Niederschlag in der Wahl der Schwerpunkte im Studium finden, führen aber nicht zu unterschiedlichen Abschlüssen.

Zwitterwesen: Fachhochschule der Polizei

Seit 15 Jahren gibt es Verwaltungsfachhochschulen mit Fachbereichen Polizei oder Fachhochschulen für die Polizei. Diese haben überwiegend ‚Aufsteiger‘ aus dem mittleren Dienst weitergebildet. Nur für das Bundeskriminalamt und zeitweise in einzelnen Ländern für die Schutz- und Kriminalpolizei gab es sog. ‚Direkteinsteiger‘, d.h. BewerberInnen, die nicht aus der Polizei kamen.

Die Verwaltungsfachhochschulen sind Ende der 70er Jahre auf der Grundlage des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) für die Laufbahnen des gehobenen nichttechnischen Dienstes gegründet worden (Verwaltung, Rechtspflege, Polizei, Forst, Bibliothekswesen usw.). Einige dieser Studiengänge gibt es mittlerweile auch an öffentlichen Fachhochschulen. Verwaltungsfachhochschulen gehören zwar zum Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes, sind aber vorwiegend den Fachministerien unterstellt, was sich – in den Bundesländern in unterschiedlichem Maß – auf die Berufungsverfahren, die Zusammensetzung des Lehrkörpers, die Freiheit der Forschung und Forschungsmöglichkeiten, die Freiheit der Lehre und des Studiums, Prüfungsverfahren und Wahlmöglichkeiten der Studierenden auswirkt. Die Studiengänge sind nach dem BRRG grundsätzlich in Form eines dreijährigen Vorbereitungsdienstes mit mindestens 12 Monaten berufspraktischer Tätigkeit ausgestaltet; das bedeutet, daß die Studierenden als Beamte auf Widerruf eingestellt werden.

In Niedersachsen ist am Fachbereich Polizei von einer ‚Hochschule‘ kaum etwas zu spüren: Der Fachbereich ist „polizeiliche Einrichtung“, die theoretisch auch in Einsatzpläne einbezogen werden kann. Es gibt keine ProfessorInnen; fast alle Lehrenden, auch für Rechts-Fächer sind abgeordnete Polizeibeamte – die Schutzpolizisten unter ihnen unterrichten in Uniform. Über den Lehrplan bestimmt das Innenministerium. Die Lernenden haben Präsenzpflicht und keine Wahlmöglichkeit von Veranstaltungen. Prüfungen finden nur in Form von Klausuren statt, es gibt keine Diplomarbeiten. Es gibt praktisch keine Forschungsmöglichkeiten und auch keine Studentinnen und Studenten, sondern „studierende Beamte“.

Auf dem Weg zu einer Hochschule

Aufgrund ihrer Struktur sind die Verwaltungshochschulen und insbesondere die Fachbereiche Polizei abgekoppelt von der Entwicklung der öffentlichen Fachhochschulen, die sich seit 1970 von umbenannten Ingenieurschulen und Akademien zu weithin anerkannten Hochschulen gewandelt haben. Kritik an diesen Verhältnissen und Ansätze zur Annäherung an die Hochschulen sind zwar vorhanden, aber rar:
– in einzelnen Bundesländern haben die Verwaltungsfachhochschulen den Status der rechtfähigen Körperschaft zuerkannt bekommen;
– an vielen Fachbereichen werden zumindest in Annäherung an die hoch-schulrechtlichen Regelungen ProfessorInnen berufen;
– während die allgemeinen Studienbedingungen sehr von beamtenrechtlichen Einflüssen und überfrachteten (aufsichtsbehördlich genehmigten) Studienplänen beeinflußt sind, gibt es zumindest Versuche zur Lockerung der Präsenzpflicht und zur Wahl von Lehrveranstaltungen.
Verbreitet ist die Forderung nach einer ‚Öffnung‘ der Fachhochschulen; dies geht hin bis zu Vorstellungen, daß auch andere als PolizeibeamtInnen an den Fachbereichen Polizei der Verwaltungsfachhochschulen studieren können oder der Studiengang auch für die privaten Sicherheitsdienste ausbilden sollte.
Die externe Lösung wird zwar diskutiert, aber es liegt bisher kein konkreter Vorschlag für eine ‚externe‘ Fachhochschule der Polizei vor.

Trotz aller Reformbestrebungen ist die Umwandlung von einer ‚Beamten-Schul-Anstalt‘ zu einer selbstverwalteten öffentlichen Hochschule bisher nirgends gelungen, denn es gibt systembedingte Schranken. Soll nämlich die Dienstaufsicht des Innenministeriums Bedeutung behalten, so ist es geradezu notwendig, die Freiheit von Forschung, Lehre und Studium einzuschränken.
Am deutlichsten werden die Grenzen des internen Modells beim Status der Studierenden, die bei der Aufstiegsausbildung vom mittleren Dienst als Beamte zum Studium abgeordnet werden und beim Direkteinstieg zu BeamtenanwärterInnen ernannt werden:
– das für die Einstellung als BeamtIn notwendige Auswahlverfahren entwertet somit das Studium und die Prüfungen, weil die Eignung schon bescheinigt wird, bevor sie im Studium erworben werden kann;
– der Beamtenstatus rückt die Studierenden in eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Studierenden und bedeutet (gerade für Polizeibeamte, die z.B. eine Strafverfolgungspflicht haben), eine dem Sinn des Studiums zuwiderlau-fende Einschränkung von Freiheit und Eigenverantwortlichkeit.

Studienfach Polizei

Die Arbeitsgruppe hat deshalb einen „qualitativen Sprung“ von Modifikationen der internen Fachhochschule zur öffentlichen Fachhochschule vorgeschlagen, der verhindern soll, daß Reformen aufgrund der personellen, rechtlichen und organisatorischen Grundstrukturen der internen Fachhochschule zu kosmetischen Operationen verkommen:
– Das Studium findet als ’normaler‘ Studiengang an Fachbereichen Polizei der öffentlichen Fachhochschulen statt.
– Die Studierenden sind StudentInnen und nicht BeamtInnen – ihnen wird aber ein Stipendium angeboten, damit der Studiengang gegenüber dem Beamtenstudium in den anderen Bundesländern konkurrenzfähig bleibt. Mithilfe der Vergabe des Stipendiums kann in einer Übergangszeit der Staat auch Einfluß auf die Zusammensetzung der StudentInnenschaft in dem Studiengang nehmen.
– Die Lehrenden werden auf Vorschlag der Fachhochschule vom Wissen-schaftsministerium berufen. Sie brauchen als ProfessorInnen eine wissen-schaftliche Qualifikation und berufliche Erfahrungen. Die Arbeitsgruppe schlägt nun eine Regelung vor, wonach insb. in spezifischen Polizeifächern auch qualifizierte PolizistInnen zu ProfessorInnen oder DozentInnen auf Zeit berufen werden können. Eine Reihe von PolizeibeamtInnen in Niedersachsen hat neben ihrem Beruf bereits ein Studium absolviert und ist damit möglicherweise besonders für Lehrtätigkeiten qualifiziert. Die Möglichkeiten für ein Studium neben der Polizeitätigkeit sollen erweitert werden.
– Die Fachhochschule soll eng mit der Polizeipraxis zusammenarbeiten, aber nicht mit ihr vermengt werden, weil die Hochschule ihre eigene Professiona-lität braucht, die nicht identisch mit der des ‚Abnehmers‘ ist. Nur so ist freie praxisbezogene Forschung möglich, sind Lehre und Praxis in kritischem wechselseitigem Bezug zu gestalten.

Die Rechtsgrundlage für ein solches Modell bietet neben dem Hochschul-rahmengesetz das BRRG, das verschiedene Möglichkeiten der Fachhoch-schulausbildung aufzeigt. So kommt ein achtsemestriges Studium mit 12 Monaten integrierter Praxiszeit ebenso in Frage wie ein Sechs-Semester-Studium mit einem anschließenden Vorbereitungsdienst von einem Jahr. Das zweite Modell ist analog zum Lehrerstudium, zum Studiengang Sozialwesen und zur Juristenausbildung aufgebaut und sieht vor, daß die Studierenden nach ihrem Diplom zu BeamtenanwärterInnen ernannt werden.

Fachhochschul-Studium und Vorbereitungsdienst

6 Mon. Vorprakt. Polizei, Soz. Dienste, Verw.
2 Sem. Grundstudium mit Praktika Status
StudentIn
4 Sem. Hauptstudium mit Projekten und
Schwerpunkten
Diplomarbeit und -prüfung
1 Jahr Vorb.-Dienst Status
Laufbahnprüfung BeamtenanwärterIn

Das Grundstudium soll in die Aufgaben der Polizei, ihre Berufsrolle, Ge-schichte und gesellschaftliche Funktion einführen. Im Hauptstudium sollen Schwerpunkte und Projekte gewählt werden können. Lernbereiche sind vor allem: ‚Theorie und Praxis der Polizei‘, ‚Gesellschaft‘ und ‚Recht‘. Projekte sollen auch in Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen der Fachhochschule entwickelt werden können, z.B. zur Stadt- und Verkehrsplanung zusammen mit Fachbereichen des Bauwesens, zur Diversion mit Fachbereichen des Sozialwesens, zur Wirt-schaftskriminalität mit einem Wirtschafts-Fachbereich. Mit Projekten und der das Studium abschließenden Diplomarbeit können StudentInnen in die poli-zeibezogene Forschung einbezogen werden, die integraler Bestandteil der Arbeit an einem Fachbereich Polizei wird.

Der an das Studium anschließende Vorbereitungsdienst oder – im ersten Modell – die staatliche Abschlußprüfung sichert die staatlichen Interessen an der Absicherung der für die Polizei erforderlichen Qualifikationen. Dieses Modell ist analog auch auf die ‚AufsteigerInnen‘ aus dem mittleren Dienst anwendbar, die mit Hilfe einer Einstufungsprüfung mit dem dritten Semester beginnen können und für das Studium unter Fortzahlung der Dienstbezüge beurlaubt werden müßten.

Das Konzept baut auf einer schon klassischen Kritik an der Polizeiausbildung auf, in der die militärische Prägung, die ‚Ghetto‘-Situation der Ausbildung und die Randstellung der Sozialwissenschaften moniert werden. Mit dem Modell einer konsequenten Integration in das Hochschulsystem stellt es nach Ansicht des Verfassers einen praktikablen Lösungsentwurf vor, der die Strukturen der Ausbildung so nachhaltig ändert, daß der Rahmen für eine innere Entwicklung hin zu einer hochschuladäquaten beruflichen Qualifizierung geschaffen wird, während Forderungen nach einer ‚Öffnung‘ bei vorgegebenen Strukturen zumeist allein appellativen Charakter haben.

Empfehlungen der Reformkommission

Die Reformkommission hat aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppen ein Ge-samtkonzept entwickelt, in dem das Ausbildungsmodell in korrespondierende Reformbestrebungen eingebunden wird:
– ein neu formuliertes Berufsbild,
– eine Verschlankung der Organisationsstruktur der Polizei,
– eine Aufwertung des polizeilichen Einzeldienstes, für den höhere Qualifi-kation und insb. soziale Kompetenz erforderlich ist,
– eine Reduzierung der Bedeutung der Bereitschaftspolizei,
– eine Kriminalitätsverhütung und -verfolgung, die den PolizistInnen in Re-pression, Prävention und Diversion eine höhere Veranwortung gibt.

In ihren Empfehlungen zur Ausbildung schließt sich die Kommission der Ar-beitsgruppe weitgehend an und übernimmt insbesondere auch die Kritik an der bisherigen Ausbildung. Die Überführung der Ausbildung in öffentliche Fachhochschulen wurde unter dem Stichwort der „Externalisierung“ Kern der Diskussion. Grundsätzlich hat sich die Mehrheit der Kommission für das Ziel einer externen Fachhochschule ausgesprochen, sie schließt sich auch der For-derung nach einem „qualitativen Sprung“ zu einer öffentlichen Fachhochschule an, in der die Studierenden nicht mehr Beamte sind.
Als ‚erster Schritt‘ wird dann die „weitestgehende Autonomie für den Fach-bereich Polizei“ an der bestehenden Verwaltungsfachhochschule angesehen. Die Kommission formuliert nicht, wie der „zweite Schritt“ aussehen kann; es werden auch keine institutionellen und rechtlichen Sicherungen weder für den ersten noch für weitere Schritte festgelegt.

Diskussion und Perspektiven

Kritische Argumente zum Polizei-Studium an einer öffentlichen Fachhochschule werden u.a. hinsichtlich der Gewinnung des Polizei-Nachwuchses und zur Zukunftssicherung der Studierenden vorgebracht.
In der Tat muß sich die Polizei bei einer Normalisierung ihrer Ausbildung einem Wettbewerb der Studiengänge wie der Berufe stellen, bei dem nicht so sehr eine Absicherung von der Ausbildung bis zur Pension Anreize bietet, sondern eine inhaltlich qualfizierte und angemessen bezahlte Berufstätigkeit. Nicht auszuschließen ist auch ein Wettbewerb der Nachfrager nach Absol-ventInnen des Polizeistudiums durch die Konkurrenz von privaten Sicher-heitsdiensten und Staat. (Aber auch jetzt können PolizistInnen, die sich ihre Ausbildung vom Staat haben zahlen lassen, zu den Sicherheitsdiensten wech-seln.)

Was aus der Reform am Ende wirklich wird, hängt sehr von der Interessenlage der Beteiligten ab:
– Seitens des Innenministeriums gibt es deutliche Sorgen, die Kontrolle über die Ausbildung zu verlieren. Ein Anreiz zur Veränderung könnte jedoch im finanziellen Bereich liegen: Das Doppelsystem von öffentlichen Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen mit beamteten Studierenden und vom Dienst freigestellten lehrenden Polizeibeamten ist im Verhältnis zum Ertrag außerordentlich teuer. Eine Reform der Ausbildungstrukturen spart – langfristig – Kosten, weil sie Umwege und Sackgassen vermeidet und die Externalisierung der Fachhochschulausbildung auch die Externalisierung der Kosten bedeutet.
– Die Interessenlage der Lehrenden (und Lernenden) im Polizeibereich ist am-bivalent; die größere Selbständigkeit dürfte eher Anklang finden als die mögliche Abkopplung von Privilegien, und sei es nur die Polizeidienstzulage, das Anwärtergehalt oder das Recht, mit 60 Jahren pensioniert zu werden. Allerdings lehren an den Polizei-Fachbereichen viele, die nie an einer Hoch-schule studiert haben; sie werden kaum Motor zur Entwicklung zu einer Hochschule sein; anders die, die sich neben dem Polizeiberuf eine wissen-schaftliche Qualifikation erworben haben.
– Die PolizistInnen haben überwiegend das Interesse an der Höherstufung ihrer Tätigkeit, nicht aber (in gleichem Maße) an der dafür erforderlichen höheren Ausbildung.
– Auch seitens der öffentlichen Fachhochschulen gibt es Schwierigkeiten, das Polizeistudium als vollwertiges Studium anzuerkennen und sich um einen Fach-bereich Polizei zu bewerben.

Die vorgeschlagene Strukturreform würde die polizeiliche Ausbildung an das allgemeine Bildungswesen und damit die Polizei an andere gesellschaftliche Lebensbereiche heranführen. Dies könnte dazu führen, daß ein veränderter ‚Beruf‘ Polizei an Ansehen gewinnt und der gesellschaftliche Dialog erleich-tert würde. Die Reform würde den Polizeiberuf für engagierte, qualfizierte und selbstbewußte junge Menschen attraktiver machen, aber auch liebgewonnene Privilegien, Hierarchien, Denkstrukturen und den zentralen Verwal-tungsgrundsatz infragestellen. Dies wird ein Grund dafür sein, daß das vor-geschlagene Modell jedenfalls derzeit in einem entscheidenden Punkt, der Verlagerung der Polizeiausbildung an öffentliche Fachhochschulen, nicht re-alisiert werden wird. Dennoch kann das Modell die Diskussion verändern, indem es zu einer „Umkehr der Beweislast“ führt. Mußten bisher alle noch so kleinen Veränderungen in Richtung auf eine hochschulgemäße Ausbildung mühsam durchgesetzt werden – und sei es nur die Frage der Uniformpflicht für die studierenden PolizistInnen – so bedarf künftig die Abweichung von den normalen Hochschulstrukturen der gesonderten Begründung.

Prof. Michael Rothschuh-Wanner lehrt am Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Hildesheim/Holz-minden und hat als ‚Externer‘ zusammen mit Polizeiangehörigen das Konzept der Arbeitsgruppe ‚Reform der Aus- und Fortbildung der Polizei‘ in Niedersachsen erarbeitet.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.