4. Ausbildung zum Höheren Dienst

4.1 Gegenwärtige Ausbildung zum Höheren Dienst

Die Niedersächsische Laufbahnverordnung (PolNLVO) sieht derzeit in Übereinstimmung mit dem Bund-Länder-Abkommen zur PFA folgende Wege in den höheren Dienst der Polizei vor:
1.den Aufstieg von Beamtinnen und Beamten des gehobenen Dienstes in den höheren Dienst. Dafür ist eine Einführungszeit von zwei Jahren erforderlich; das erste Jahr wird an verschiedenen Einrichtungen, u.a. der LPSN, absolviert, das zweite Jahr an der Polizeiführungsakademie in Hiltrup (PFA).
2. die direkte Einstellung in den Vorbereitungsdienst für Bewerberinnen und Bewerber, die einen wissenschaftlichen Studiengang abgeschlossen haben „und dadurch über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die für (die) Verwendung im Polizeivollzugsdienst besonders förderlich sind“ ( 20 (1) Nr. 2)
3.Direkteinstellung von Bewerberinnen und Bewerbern, die eine Laufbahnprüfung für den höheren Dienst abgelegt haben; dies kommt faktisch für Juristen nach dem zweiten Staatsexamen infrage; für sie soll während der Probezeit eine polizeifachliche Unterweisung stattfinden; dafür wurden zeitweilig Sonderkurse bei der PFA angeboten.

Praktiziert wird im Sinne der „Einheitslaufbahn“ nahezu ausschließlich der erste Weg.
Die Modelle gehen davon aus, daß es einerseits Polizeiangehörige gibt, die ohne Studium in einem wissenschaftlichen Studiengang in den Höheren Dienst gelangen, andererseits „Seiteneinsteiger“, die nach ihrem Studium in die Polizei eintreten und dazu eine Einführung brauchen.

Polizeiangehörige, die über langjährige Erfahrungen im Polizeidienst und über den Abschluß eines zusätzlichen Studiums verfügen, können praktisch nur über den 1. Weg, theoretisch auch über den 2. Weg in den Höheren Dienst gelangen, wobei sie sich beim 2. Weg aus dem Polizeidienst entlassen und in den Vorbereitungsdienst als Seiteneinsteiger einstellen lassen müßten. So wird entweder ihr Studium oder ihre Polizeidiensterfahrung nicht berücksichtigt. Diese Gruppe nimmt aber zu, weil die jüngeren Angehörigen des gehobenen Dienstes alle ein Fachhochschulstudium absolviert haben und damit die Hochschulreife besitzen.

Die Grundlage der bisherigen Laufbahnvorschriften ist ein Bild vom höheren Polizeibeamten, die generalistische und spezielle Kompetenzen in sich vereinigt und gleichermaßen geeignet sind für
– hochqualifizierte Stabsfunktionen
– Führungspositionen des Polizeivollzugsdienstes
– Polizei-Aus- und Fortbildung auf den verschiedensten Stufen und zugleich in den unterschiedlichsten Fächern.

Dieses Bild des Allround-Talents wird brüchig; insbesondere in bezug auf die Lehrfunktionen hat die AG bereits darauf aufmerksam gemacht, daß Lehre eine eigenständige berufliche Tätigkeit ist; dem wird beispielsweise an vielen Fachbereichen Polizei anderer Bundesländer durch ein entsprechendes Berufungsverfahren bereits Rechnung getragen.

4.2 Überlegungen zu einem univeritäteren Studium für den Aufgabenbereich der Polizei

Zwei Probleme sollen hier angeschnitten werden:

1) der Status der Polizeiführungsakademie
2) die Fortführung oder Entwicklung von auf die Polizeiarbeit bezogenen universitären Studiengängen.

zu 1)
Auf der Suche nach einer Konzeption für die Bildungsarbeit der Polizei fällt auf, daß die Überlegungen im Hinblick auf eine Reform der Ausbildung des gehobenen Dienstes gut vorangekommen und gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die zweigeteilte Laufbahn und deren Realisierungschancen von herausragender Bedeutung sind. Der obligatorische Fachhochschulabschluß ist ein konsequentes Ergebnis und fügt sich in die bildungspolitische Landschaft der Bundesrepublik ein.

Dieser Situation wurde jedoch bislang nur unzureichend in den jahrelangen Reformbestrebungen für die Polizeiführungsakademie Rechnung getragen.

Die Umwandlung in eine Polizeihochschule, eine Polizeiuniversität oder einen Studiengang der benachbarten Universität scheiterte stets am Widerstand der Kuratoriums und fand auf der politischen Ebene keinen Rückhalt.

Auch die derzeitige Studienreform der PFA wird keine einschneidenden Änderungen erbringen; ein abgeschlossenes Hochschulstudium ist weiterhin nicht vorgesehen.

Die Ausbildung der Ratsanwärterinnen und Ratsanwärter wurde und wird dennoch dem „postuniversitären Bereich“ – der „quartären Bildungsebene“ – zugeordnet. Gleichwohl ist der Zugang zur PFA grundsätzlich nur über ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium möglich. Die Fachhochschulausbildung der Polizei wird damit dem „tertiären Bildungsbereich“ zugeordnet. Ein zusätzlicher universitärer Abschluß in der PFA ist somit ausgeschlossen.

Zwangsläufig hat deshalb der Lehrgangsabschluß nur polizeiinterne Bedeutung. Er fügt sich nicht in das Bildungsnetzwerk der Bundesrepublik Deutschland ein und wird auch im Zusammenhang mit der europäischen Entwicklung nachrangig sein.

Dieser Zustand ist aus der Sicht der AG 4/5 unhaltbar.

zu 2)
In der Humboldt-Universität hat es viele Jahrzehnte einen Studiengang Kriminalistik gegeben,der einzigartig in Deutschland war und nunmehr gegen die Bedenken von Fachleuten ersatzlos aufgelöst war.  Auch wenn dieser Studiengang sowohl in der Zeit des Nationalsozialismus wie in der nachfolgenden Zeit der Geschichte der DDR in einer Tradition gestanden hat, die nicht mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes in Einklang zu bringen sind, so repräsentiert er doch das Bemühen die wissenschaftlichen Grundlagen polizeilichen Handelns zu erarbeiten.

4.3 Vorläufige Vorschläge

1. Eine Umwandlung der PFA erscheint möglich: Zum einen zeigt die Errichtung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und der Bundeswehrhochschulen in Hamburg und München, daß rechtliche Probleme und Widerstände überwindbar sind, so daß an eine Umwandlung der Polizeiführungsakademie in eine Hochschule der Polizei des Bundes und der Länder zu denken wäre.

Da die Bedenken gegen eine polizeiinterne Lösung, die wir für die Fachhochschulausbildung ausgeführt haben, für eine Universität aber gleichermaßen gelten, ist eine Umwandlung in einen Studiengang Polizeiwissenschaften der naheliegenden Universität Münster, die die Polizei in ein bereits bestehendes wissenschaftliches Leben einbezieht, eine geeignetere Lösung.

Eine solche Umwandlung hätte vielerlei Konsequenzen für die Berufung wissenschaftlicher Lehrender und Forschender, für die Gestaltung der Lehre und Prüfung, für den Status der Lernenden usw. Sie wäre aber bei entsprechendem politschen Willen realisierbar.

2. Die Zugänge zum höheren Dienst sollten unter Berücksichtigung der sich immer weiter differenzierenden Aufgaben flexibilisiert werden.

Zum einen sollte der „Seiteneinstieg“ von Fachkräften, die nicht aus dem Polizeidienst kommen, verstärkt praktiziert werden, weil er Kompetenzen und berufliche sowie wissenschaftliche Erfahrungen in den Polizeiapparat einbringt, die in ihm selbst schwer entwickelt werden können – zu denken ist beispielsweise an Fachkräfte aus dem Bereich der Wirtschaft, der Informatik, der Sozialwissenschaften, der Rechtswissenschaften – und somit die Dialogfähigkeit der Organisation Polizei erhöht.

Zum anderen soll das Studium von Polizeiangehörigen an Universitäten gefördert werden und ihnen ein Direkteinstieg in geeignete Positionen des höheren Dienstes ermöglicht werden, ggf. mit einer Einführungszeit von etwa 6 Monaten. Laufbahnrechtlich müßten sie den Juristen mit 2.Staatsprüfung gleichgestellt werden.

Zusatz im   19 (4) PolNLVO: „Für Beamtinnen und -beamte, die einen universitären Studiengang abgeschlossen haben und dadurch über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die für die Verwendung im höheren Polizeidienst besonders förderlich sind, dauert die Einführungszeit 6 Monate“

Die Förderung könnte insbesondere darin bestehen, daß geeigneten Beamtinnen und Beamten ein Studium bzw. Abschluß eines bereits nebenberuflich begonnenen Studiums erleichtert wird durch Freistellung, Sonderurlaub, Dienstverlagerung u.a. Infrage kämen auch hier Studiengänge im Bereich Pädagogik, Recht, Psychologie, Management/Betriebswirtschaft, Informatik, Kriminologie u.a.

Diese Form ist besonders geeignet für Frauen und Männer, die durch Familientätigkeit (Betreuung von Kindern und behinderten/alten Angehörigen) nicht in der Lage sind, die zweijährige Ausbildung an den verschiedenen Stationen (Münden, Hiltrup u.a.) zu absolvieren. Im Sinne der Frauenförderung ist die Entwicklung von Alternativen zum bisherigen Weg zum höheren Dienst sogar zwingend erforderlich.

3. Es sollte geprüft werden, ob polizeibezogene Studiengänge an Niedersächsischen Universitäten oder im Verbund mit anderen norddeutschen Bundesländern entwickelt werden.

Hierbei geht es nicht um Studiengänge, die allein auf die Tätigkeit im Bereich Polizei vorbereiten, sondern um offene Studiengänge für verschiedene Berufsgruppen.

Denkbar wäre es z.B., im Verbund mit anderen Bundesländern den Studiengang Kriminologie in Hamburg auf das Gesamtfeld Kriminologie und Kriminalistik auszuweiten, oder organisationswissenschaftliche Studiengänge auf das Feld der Polizeiarbeit zu erweitern.
Hierfür müßte ein Prüfungsauftrag erteilt werden.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.
vgl. Schreiben des KD Philipp an die Reformkommission

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