von Otto Diederichs
Als der Bundesgrenzschutz im Jahre 1951 gegründet wurde, fanden hier auch viele ehemalige Wehrmachtsangehörige eine neue berufliche Heimat. Zwar wechselten diese knapp fünf Jahre später mit jenen etwa 10.000 Mann, die rund zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schon wieder Gefallen am Militär fanden, hinüber in die gerade aufgestellte Bundeswehr – doch auch ohne sie zeigte die hierarchische und stramm militärorientierte Grundstruktur des Bundesgrenzschutzes Langzeitwirkung. Daran hat auch die ab 1976 einsetzende Umorientierung des BGS auf ein mehr polizeiliches Profil offenbar nicht viel zu ändern vermocht.
Im August 1988 gaben die ‚Sozialdemokraten in der Polizei‘ (SIP) eine Pres-seerklärung heraus, die aufhorchen ließ: „Nach den Feststellungen des SIP-Vorstandes wurden in den zurückliegenden Jahren, und verstärkt seit der Be-rufung des Herrn Egon Schug zum Inspekteur des BGS die unter der sozi-alliberalen Bundesregierung abgeschafften militärischen Begriffe und Formen im BGS Stück für Stück wieder eingeführt. So u.a. der ‚Präsentiergriff des Gewehrs‘, der seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr praktiziert, Anfang 1988 jedoch wieder Lerninhalt im Fach Einsatzlehre, Teilgebiet Formalausbildung wurde. (…) Die in gewissen Kreisen des BGS beharrliche Verwendung des Begriffs ‚Offizier‘ anstelle des Leitenden Polizeibeamten sowie die Wieder-belebung des ‚Großen Zapfenstreichs‘ sind weitere Indizien für eine fort-schreitende Militarisierung der uniformierten Bundespolizei.“ Da sie jedoch unbeachtet blieb, änderte sich an den beschriebenen Zuständen bis heute nichts.
Ein ehemaliger Auszubildender
„Zur Vermeidung von Nachteilen muß ich Sie sogar bitten, meinen Namen nicht zu drucken, sollten Sie diesen Brief veröffentlichen“, schloß vor rund drei Jahren ein junger BGS-Angehöriger einen Brief an die ‚Junge Gruppe‘ der ‚Gewerkschaft der Polizei‘. In diesem Schreiben berichtete er der GdP-Jugendorganisation über seine Erfahrungen mit der „Schulterstückautorität“ des BGS; vom Vorgehen in Schützenkette als Teil der Geländeausbildung und der immer noch frischen Sehnsucht vieler Beamter nach den alten Offiziersrängen anstelle der 1976 eingeführten Polizeidienstgrade.
Daß es sich bei dieser Bitte um Anonymität wohl um mehr als reine Über-ängstlichkeit handeln mußte, ließen bereits die wütenden Reaktionen in den nächsten Ausgaben der Gewerkschaftszeitung ahnen. Bestätigt wird diese Ahnung durch die Recherchen zu diesem Artikel. Sämtliche Gesprächs-partner baten darum, ihre Namen nicht zu veröffentlichen: Z.B. der junge Beamte A, für den es immer klar gewesen war, entweder „Polizist oder Soldat“ zu werden. Somit begann er 1990 eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz – und hatte damit beides. Die Verlegung an den BGS-Standort im bayerischen Schwandorf bedeutete für A zunächst die Trennung von seinem bisherigen Freundeskreis und eine zunehmende Orientierung auf die Kollegen im BGS. Über einen Mangel an soldatischer Betätigung konnte er in der Folgezeit nicht mehr klagen. Hatten die Azubis etwa bei einem Gepäckmarsch nach Meinung ihres Ausbilders die erforderliche Höchstzeit überschritten, so wurde für den nächsten Tag gleich ein neuer (militärischer) Gewaltmarsch angesetzt. Ebenso wie der Briefschreiber der ‚Jungen Gruppe‘ hat auch A das Bilden und Vorgehen in einer Schützenkette geübt, ist durch den Dreck gerobbt und hat das Handgranatenwerfen trainiert. Alles stets mit dem Verweis auf den Kombattantenstatus des Bundesgrenzschutzes . Dieser Status, der den BGS im Kriegsfalle zu einem Teil der kämpfenden Truppen definiert, ist trotz der zunehmenden Verpolizeilichung des BGS bis heute nicht aufgehoben. (Als 1987 die ersten Frauen in den BGS eingestellt wurden, umging man die Problematik des Kombattantenstatus‘, indem diese nur in den Grenzschutzeinzeldienst (GSE) eingestellt wurden, der von der Regelung nicht erfaßt wird.).
Nach seiner Basisausbildung zog es A zur Ausbildung für den gehobenen Dienst an die Grenzschutzschule nach Lübeck. „Kikos – Kinderkommissare“ nennt man im BGS die meist knapp über 20 Jahre alten Absolventen dieser Ausbildungslaufbahn, die dann (z.B. als Zugführer) in die mittlere Füh-rungsebene aufrücken und damit u.a. Befehlsgewalt über Untergebene erhalten, die häufig erheblich älter sind. Von den Mannschaften (vermutlich auch den Vorgesetzten) somit kaum für voll genommen, verlegen sich die ‚Kikos‘ – so wurde mehrfach bestätigt – schnell auf eine möglichst exakte Paragra-phenkenntnis (um sich abzusichern) und auf den Kommandoton, um sich durchzusetzen. Damit haben sie das militärische Prinzip von Befehl und Ge-horsam, mit dem sie die eigene Ausbildung begannen, endgültig auch für sich antizipiert. Drei Vorfälle, wie sie für das Klima im BGS bezeichnender kaum sein könnten, sind A aus seiner Zeit in Lübeck besonders im Gedächtnis geblie-ben: Etwa der Moment, an dem er einen Vortrag über das Maschinengewehr halten sollte, dazu aber zunächst nicht kam. Mit den Worten „Stehen Sie gefälligst gerade, Sie wollen doch mal Offizier werden“, brachte ihm der Ausbilder erst einmal die richtige Grundstellung und das exakte Halten eines Zeigestockes bei. Auch der Leiter der Sportschule, Polizeidirektor Klaus Blätte, hinterließ einen ganz besonderen Eindruck. Blätte, von 1980-82 Chef der GSG 9, weihte A eines Tages in die Grundregeln dessen ein, was ein erfolgreicher BGS-Mann seiner Ansicht nach können muß: „Laufen, schwimmen, turnen und jemandem eins auf die Fresse hauen.“ Und schließlich das Zeremoniell anläßlich des 40jährigen Bestehens der Grenzschutzschule, das gemeinsam mit Auszubildenden der schleswig-holsteinischen Polizei absolviert wurde. Während die PolizeischülerInnen in eher lockerer Haltung antraten und das, was Ministeriale bei solchen Gelegenheiten zum Besten geben, leicht amüsiert verfolgten, hatten die BGSler die gesamte Zeit stramm zu stehen: Augen geradeaus!
A hat seinen ‚Offizierslehrgang‘ nicht zu Ende geführt. Er ist in eine Lan-despolizei gewechselt und will heute nur noch Polizist sein.
Ein Gewerkschaftler
„Mancher BGS-Kommandeur mache inzwischen keinen Hehl daraus, daß ‚Personalräte nur Bremsklötze‘ und ihre Tätigkeit in Mitbestimmungsorganen zudem noch völlig überflüssig sei. Vor allem in den Abteilungen Fulda und Bad Hersfeld werde den Personalräten (…) ‚das Leben schwer gemacht'“, erklärte 1983 ein Vertreter der GdP-Betriebsgruppe ‚Bundesgrenzschutz‘. Daß er damit richtig lag, machte rund ein halbes Jahr später der 1980 vom Chef der GSG 9 zum Kommandeur des ‚Grenzschutzkommandos (GSK) West‘ avancierte Ulrich Wegener deutlich, als er öffentlich die Einschränkung der Rechte von Personalvertretungen forderte, damit die „hierarchisch strukturierte, verbandsmäßig gegliederte und geführte Organisation (Polizeitruppe)“ wieder führbar würde. Bis gegen Ende der 80er Jahre mußte die GdP – obwohl längst stärkste gewerkschaftliche Vertretung im BGS – immer wieder die einfachsten Mitbestimmungsrechte einklagen , auf Behinderungen bei Personalratswahlen aufmerksam machen oder sich mit Strafanzeigen gegen ihre Vertreter herumschlagen. Inwieweit sich dies unterdessen gewandelt hat, ist schwer zu beurteilen; im dem GdP-Organ, ‚Deutsche Polizei‘ liest man seit Jahren nichts mehr über derartige Querelen. Auch B, GdP-Personalrat irgendwo im Zuständigkeitsbereich des ‚Grenzschutzpräsidiums (GSP) Nord‘, spricht heute von einem guten Verhältnis zwischen Personalrat und Dienstvorgesetzten, die Schwierigkeiten begännen eher auf der Ebene des Bundesinnenministeriums (BMI). Allerdings erinnert auch er sich noch gut an die Zeit, wo Aushänge der GdP vom ‚Schwarzen Brett‘ entfernt oder die presserechtlich Verantwortlichen zu dienstlichen Stellungnahmen aufgefordert wurden. Und – da ist sich B sicher – auch in den dienstlichen Beurteilungen, Grundlage für die Beförderung, habe sich dies niedergeschlagen.
Seit der Neuorganisation des BGS Mitte 1992 infolge der deutsch-deutschen Vereinigung ist im Bereich des GSP Nord allerdings an originäre Gewerk-schaftsarbeit ohnehin nicht mehr zu denken. Dort sind die Gewerkschaftler nun hinreichend beschäftigt, das mit der Strukturveränderung einhergehende Personalkonzept des BMI möglichst sozialverträglich abzufedern. „Wir mußten von Woche zu Woche völlig neu denken“, so B, der mit seinen KollegInnen unterdessen „Einzelfallbetreuung“ betreibt und damit eher sozialarbeiterische als gewerkschaftliche Funktionen erfüllt. (Bei anderen BGS-Abteilungen und -Präsidien dürfte es kaum viel anders aussehen.) Ausgelöst durch die damalige Umwandlung der ‚Grenzschutzkommandos‘ in ‚Grenzschutzpräsidien‘, die u.a. zu territorialen Verschiebungen der Zuständigkeitsbereiche führte, und die Übertragung neuer Aufgaben, wie Luftsicherheit und Bahnpolizei, waren Veränderungen im bisherigen Personalbestand notwendig geworden. Die vom BMI hierzu vorgelegte Planung sah deshalb vor, daß 1. den Dienststellen, bei denen Personal abgezogen werden mußte, alle (gut dotierten) freien Dienstposten (insb. für die neuen Aufgaben) vorrangig angeboten sollten; 2. dann noch freie Stellen sollten bundesweit ausgeschrieben werden; 3. sollte anschließend bei Standorten mit ‚Personalüberhang‘ eine Befragungsaktion durchgeführt werden, bei denen die von einer Umsetzung Betroffenen ihre Vorstellungen und Wünsche einbringen sollten. Der verbleibende personelle Überhang sollte entsprechend den dienstlichen Anforderungen per Erlaß versetzt werden. Umgesetzt wurde (und wird) diese Vorgabe des Bonner Ministeriums, von der beim GSP Nord etwa 2.000 von insgesamt ca. 7.000 Beschäftigten betroffen sind, ganz im Stile alten preußischen Offiziersgeistes. „Ober sticht unter“ heißt die Lösung. Übersetzt bedeutet dies, daß ein von der Umsetzung Betroffener umso mehr Aussicht auf individuelle Rücksichtnahmen hat, je höher sein Dienstgrad ist. Während somit der ‚Offizierskaste‘ – im Rahmen des Möglichen – Entgegengekommen demonstriert wird, werden die rangniedrigen Mannschaften des mittleren Dienstes ohne Rücksicht auf soziale Belange, schlicht per Erlaß versetzt – vorrangig zum für die neuen Bundesländer zuständigen GSP Ost. Führbarkeit im Wegenerschen Sinne.
Ein Polizeiführer bei der Landespolizei
Aus Berlin ist ein Fall bekannt, dem ein Polizeioberrat der Berliner Polizei sich im Winter 1990 während einer der zahlreichen Anschlußaktionen an die legendäre Räumung der Mainzer Straße einem BGS-Trupp damit drohte, wenn nötig eigene Mannschaften gegen die Grenzer einzusetzen, um sie daran zu hindern, gegen abziehende DemonstrantInnen vorzugehen. In Brandenburg leitete der BGS aus der originären Zuständigkeit als Bahnpolizei für den Schutz des Bahnhofs während einer antirassistischen Demonstration in Frankfurt/Oder im September 1993, gleich auch die Notwendigkeit ab, einen Hubschrauber zur Luftaufklärung einzusetzen. Soweit zwei kurze Beispiele zur ‚Berufsauffassung’des BGS.
„Wer einen Eindruck vom BGS bekommen will, muß sich einmal ansehen, wie eine Kolonne morgens gegen 3.00 Uhr auf leerer Autobahn mit Blaulicht zum Einsatzort fährt“, sagt C, Beamter des höheren Dienstes bei einer Lan-despolizei, der des öfteren dienstlich mit dem Bundesgrenzschutz zu tun hat. Fordere man den BGS an, so seine Erfahrung, komme er – ohne weitere Rückfragen – im Regelfall gleich als komplette Abteilung, einschließlich Wasserwerfer, Sonderwagen und eigener Verpflegung. Bereits zu Einsatzbesprechungen rückten BGS-Verantwortliche nicht selten mit 10 Mann oder mehr an, machten sich „dominant breit“ und forderten für ihren Verband einen selbständigen Einsatzabschnitt mit eigenem Auftrag. „Den BGS einsetzen, heißt Aufgabenerfüllung um jeden Preis“; Grenzschutz-Züge in ein flexibles (heute gern deeskalierend genanntes) Polizeikonzept einzugliedern, sei außerordentlich schwierig. Nicht nur, daß BGS-Einheiten aufgrund ihres Verbandscharakters im Einsatz wenig beweglich seien und „mehr von Gehorsam“ verstünden „als vom Mitdenken“; schon aufgrund des mitgeführten schweren Gerätes, daß in unmittelbarer Nähe der Einsatzzüge sichtbar und provokativ herumstünde, sei dies problematisch. Anders sei es allerdings bei harten Auseinandersetzungen. Bei der Bereinigung solcher Lagen, im BGS-Jargon „abferkeln“ genannt, gebe es bei Grenzschutz-Einheiten kein Zögern, da „verstehen sie ihr Handwerk“. Was für ein Handwerk aber ist das?
Der Geist der Truppe
Ein Blick in die Kandidatenlisten der rechtsradikalen REPUBLIKANER förderte 1990 Erstaunliches zutage. Auf den vorderen Plätzen der Listenwahlvorschläge für die Lübecker Kommunalwahlen fanden sich gleich sechs BGS-Beamte ; im Kreis Ostholstein waren es drei ; im Kreis Lauenburg immerhin noch einer. „20% unserer 600 Landesmitglieder kommen aus den Sicherheitskräften. Und praktisch alle sind höhere Beamte. (…) Aber mindestens ein Drittel aller BGS-Beamten sind Sympathisanten unserer Partei. Sie unterstützen uns – ideell und materiell“, erklärte seinerzeit der stellvertetende Landesvorsitzende der Schönhuber-Partei in Schleswig-Holstein, Thomas Schröder, selbst Oberkommissar im BGS.
Auch wenn diese großspurige Aussage wohl nicht verallgemeinert werden darf und eher einem Wunschdenken entsprang, so muß es jedenfalls bedenklich stimmen, daß BGS-Beamte von der rechten Law-und-order-Partei dermaßen angezogen werden, wie es die obigen Zahlen ahnen lassen. Verwundern kann es nicht sonderlich bei einer Truppe, deren hierarchisches Gefüge bis hinein in die Kantinen reicht: Nach militärischem Vorbild ist die Essensausgabe immer noch den Laufbahnen entsprechend nach höherem, gehobenen und mittlerem Dienst getrennt. Allerdings soll den ‚Offizieren‘ des höheren Dienstes die – anders als ihre ‚Kollegen‘ bei der Bundeswehr – schon darauf verzichten müssen, von Kellnern mit weißen Handschuhen bedient zu werden, das Privileg eines eigenen ‚Casinos‘ demnächst gestrichen werden. Das Bundesinnenministerium verspricht sich durch die Aufhebung der „dreigeteilten Futterluke“ (BGS-Jargon) Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe. So finden über den Umweg der leeren Kassen die demokratischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts doch noch ihren Weg zum BGS – zumindest in die Kantine.