BGS-Einsätze unter internationalem Kommando – Ein „einmaliger Vorgang“ wird zur Gewohnheit

von Otto Diederichs

Der 15. Mai 1989 muß für die Bundesrepublik ein großer Tag gewesen sein. Während eines Gespräches mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (FDP), trug der seinerzeitige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar diesem eine Idee vor: Er beabsichtige, ein ca. 500 Mann starkes internationales Polizeikontingent aufzustellen, das die bevorstehenden Wahlen in Namibia und dessen friedlichen Übergang in die Unabhängigkeit von Südafrika überwachen solle. Dabei sei die Beteiligung von 30 bis 50 deutschen Beamten wünschenswert.

In selten erlebter Einmütigkeit waren – quer durch alle Parteien – die tragen-den PolitikerInnen bereit, dem Ruf der UNO zu folgen und die ‚Polizei des Bundes‘, den Bundesgrenzschutz für diese Aufgabe in Marsch zu setzen. War anfänglich noch vereinzelt auch an die Bereitschaftspolizei gedacht worden , so verebbten diese Überlegungen schnell wieder.

Stimmen aus den Parteien

Volker Rühe (CDU), damals stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, unterstützte den Plan ausdrücklich , für Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP), sprach „viel dafür“, dem Antrag zu entsprechen. Günter Verheugen (SPD) erklärte mit Blick auf die Geschichte der einstigen Kolonie ‚Deutsch-Südwest-Afrika‘, die Bundesrepublik dürfe sich ihrer besonderen historischen Verantwortung nicht entziehen und müsse jetzt „konkret Verantwortung“ übernehmen. Allerdings wandte er ein: „Man sollte die Beamten nicht im BGS und nicht in den Bereitschaftspolizeien suchen. Vor allem gegen die Mitwirkung des BGS würde ich scharf protestieren. Dort hält man die SWAPO (die namibische Befreiungsorganisation, Anm. d.V.) für eine Terrororganisation. Es ist außerdem bekannt, daß Polizisten aus der Bundesrepublik in beträchtlicher Zahl Studienreisen nach Südafrika unternehmen und dort freundlichen Kontakt mit der Apartheids-Polizei pflegen“. Wer dann noch in Frage kommen könnte, ließ Verheugen offen und empfahl statt dessen, „höchste Sorgfalt bei der Auswahl!“ Von der stellvertrenden SPD-Vorsitzenden Hertha Däubler-Gmelin mußte sich die Bundesregierung gar vorhalten lassen, ihre „zögerliche Haltung“ sei ein „Skandal“. Wermutstropfen in die Bonner Einigkeit gossen lediglich Bun-desinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der – die Gunst der Stunde nutzend – die Entsendung deutscher Polizei-Blauhelme gleich mit einem Junktim für ‚out-of-area‘-Einsätze der Bundeswehr verbinden wollte , und die Fraktion der GRÜNEN.

Verfassungsrechtliche Ausgangslage

Deren innenpolitischer Sprecher Manfred Such, selbst ehemaliger Polizeibe-amter, ließ sich vom ‚Wissenschaftlichen Dienst‘ des Bundestages bestätigen, daß „der Einsatz im Rahmen der UNO oder sonstiger zwischenstaatlicher Vereinigungen (…) nicht zu den verfassungsrechtlich aufgeführten Aufgaben des Bundesgrenzschutzes“ gehört ; allerdings sei, so der Dienst in einem zweiten Gutachten vom 8.11.89, „der Einsatz von Beamten außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Beamtenrechtsrahmengesetzes (…) auf eine klare Rechtsgrundlage gestellt“. Dieses jedoch (und hierzu wird im Gutachten keine Stellung genommen) gilt nur für die Abordnung an andere deutsche Behörden, z.B. als Sicherheitskräfte bei deutschen Auslandvertretungen. In diesem Falle jedoch war ausdrücklich die Unterstellung unter das Kommando des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der ‚Vereinten Nationen‘ vorgesehen.
Einwände erhob auch die ‚Gewerkschaft der Polizei‘ (GdP).

Ausnahmefall Namibia

Ende August 1989 billigte das Kabinett den UNO-Einsatz des BGS in Namibia und am 14.9.89 gegen 24.00 Uhr verabschiedete Innenstaatsekretär Hans Neusel 50 BGSler unter dem Kommando des Polizeidirektors (PD) Detlef Buwitt, in Richtung Windhoek , wo sie sich einem zunächst 500-köpfigen, später dann auf 1.000 Mann aufgestockten internationalen Kontingent anschließen sollten. Um eine von den GRÜNEN beantragte Sondersitzung zu unterlaufen, war der Abflugtermin um einen Tag vorgezogen worden. Ganz so wohl, wie sie sich nach außen gab, kann der Bundesregierung bei der Entsendung offenbar doch nicht gewesen sein.

Aufgabe der internationalen Polizeibeobachter, die keine Exekutivbefugnisse besaßen, war die Überwachung und Kontrolle der südafrikanischen Polizei – in der u.a. etliche Angehörige der offiziell aufgelösten ‚Anti-Terror-Einheit‘ der südafrikanischen Armee, die ‚Koevoet‘-Brigade (koevoet = Afrikaans für Brechstange) ein neues Betätigungsfeld gefunden hatten. Einschüchterungen und Übergriffe sollten so vermieden werden. Auf ihre Aufgabe waren die Beamten zuvor in einem viertägigen Kurs der ‚Zentrale für internationale Entwicklung‘ in Bad Honnef vorbereitet worden. Um die Erfüllung des Auftrages allerdings stand es eher schlecht, denn die paramilitärische Namibia-Polizei machte schnell klar, wer im afrikanischen Busch das sagen hatte: „Streng nach Vorschrift, dennoch scheinheilig, informierten die einheimischen Polizisten ihre deutschen Aufpasser gleich nach deren Ankunft über die Pisten der Umgebung. Sie sagten ihnen nicht, daß die meisten Wege selbst für die vierradgetriebenen Land Cruiser unpassierbar waren. Nach kurzer Fahrt, gerade jenseits der 25-Kilometer-Reichweite ihrer Funkgeräte, saßen die Deutschen fest. (…) Erst nach einer deutlichen Wartezeit befreiten die südwestafrikanischen Polizisten die unerfahrenen Neulinge aus ihrer Klemme (…)“. In der Folge, so das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ weiter, seien Einheiten der Namibia-Polizei dann des öfteren zu mehrtägigen unbegleiteten Patrouillen aufgebrochen, um „das Schlachten der Elefanten und Nashörner zu unterbinden“.
Am 7.4.90 landeten die 50 BGS-Männer wieder auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn. Da Namibias Schritt in die Unabhängigkeit gelungen war, mußte über Sinn oder Unsinn der BGS-Expedition nicht weiter nachgedacht werden.

Kambodscha, Westsahara u.a.

1989 hatte der Einsatz in Namibia noch als „einmalige Ausnahme“ gegolten, der mit den vielen dort lebenden Deutschen begründet worden war. Nun wurde er gleich im doppelten Sinne zum Präzedenzfall, auf den man verweisen konnte, als die UNO 1991 um die Entsendung deutscher Beamter nach Kambodscha nachsuchte. Mit Beschluß vom 8.4.92 stellte das Kohl-Kabinett 75 Mann BGS und 150 Bundeswehrangehörige unter das Kommando der UNO. Gleichzeitig wurde bekannt, daß Bonn ein Jahr zuvor gar nicht erst auf einen Ruf des UN-Sekretariats gewartet hatte, sondern seinerseits die UNO „inoffiziell unterrichtet“ hatte, daß man daran interessiert sei, an der ‚MINURSO‘-Operation der ‚Vereinten Nationen‘ in der Westsahara teilzunehmen. Ebenso wenig wie 1990 zur Entsendung von fünf BGSlern nach Haiti kam es 1991 nicht zu diesem Einsatz. Hierauf mußte man beim BGS, der stets hohe Bewerbungsraten für derartige Einsätze zu verzeichnen hat, noch bis 1993 warten.

Embargo-Einsatz auf der Donau

Gegen rein polizeiliche UNO-Aktionen zur Unterstützung und Hilfestellung bei Demokratisierungsprozessen in Staaten der sog. Dritten Welt wäre – bei entsprechender Verfassungslage – kaum etwas einzuwenden. Genau diese Übereinstimmung mit der deutschen Verfassung ist indes nicht gegeben. Dies besagen nicht nur sämtliche Kommentare zum BGS-Gesetz; auch der Staatsrechtler Rupert Scholz (CDU) – als ehemaliger Verteidigungsminister der Regierungsfeindlichkeit sicher unverdächtig – hält BGS-Einsätze bei UN-Missionen für unzulässig, „es sei denn, die BGS-Beamten würden (…) ohne Pistole und im Frack arbeiten.“ . Darüber hinaus hatten alle Missionen, an denen sich die Bundesrepublik bisher beteiligte, einen – wie auch die Bundes-regierung eingestehen mußte – militärisch-polizeilichen Charakter. Da es nach Abschluß des Namibia-Einsatzes jedoch kaum mehr öffentliche Widerstände gegen diese Aktionen gegeben hatte, fühlte sich das Bonner Kabinett ermutigt, einen weiteren Schritt über das bisher erreichte hinauszugehen und billigte am 24.3.93 die Beteiligung von BGS-Beamten im Rahmen eines von der ‚Westeuropäischen Union‘ (WEU) beschlossenen Einsatzes zur Durchsetzung des Embargos gegen Serbien. 42 Beamte des Bundesgrenzschutzes sowie 29 Zollbeamte wurden mit je zwei Booten auf der Donau unter das Kommando eines italienischen Polizeioffiziers gestellt. Ihr Auftrag: „Abdrängen des Schiffes mit einem stark motorisierten Schlepper, Betreten und Anhalten auch gegen den Willen der Besatzung.“ Zur Erfüllung dieses Auftrages waren die Grenzschützer und Zollbeamten aber in mehrfacher Hinsicht nicht gerüstet. Im Ernstfall hätte die Pistole, die ihnen zur ‚Eigensicherung‘ zugestanden wurde, nicht ausgereicht. Die gewaltsame Durchsetzung des Embargos wäre (und ist auch tatsächlich) so nicht zu machen gewesen.

Zum zweiten fehlte es am rechtlichen Rüstzeug. Der BGS wäre hier zum ersten Mal in die Situation gekommen, in kriegerische Handlungen verwikkelt zu werden und – dies wird auch von der GdP so gesehen – den Kombattantenstatus in Anspruch zu nehmen. Zwar hat der BGS in den ersten 25 Jahren seiner Geschichte bis zum Überdruß militärische Übungen und Manöver mit (z.T. mit Teilen des Militärs) abgehalten. Die Situation, für die der Kombattantenstatus vorgesehen ist, aber ist eine andere, nämlich der Angriffsfall auf die BRD:

„Mit dem Beginn eines bewaffneten Konflikts sind die Grenzschutzkommandos, die Verbände und Einheiten des Bundesgrenzschutzes sowie die Grenzschutzschule Teil der bewaffneten Macht der Bundesrepublik Deutschland. (…) Die in Absatz 1 genannten Behörden, Verbände und Einheiten sollen zur Abwehr mit militärischen Mitteln geführter Angriffe gegen das Bundesgebiet mit der Waffe nur eingesetzt werden 1. aus Anlaß der Wahrnehmung der im Ersten Abschnitt genannten Aufgaben, 2. zur eigenen Verteidigung. Die Zugehörigkeit zur bewaffneten Macht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Absatz 1 wird hierdurch nicht berührt.“

Ein Angriff auf die BRD, ein Verteidigungsfall, lag hier nicht vor, der Ein-satz war daher zumindest an der Grenze der Legalität. Das Ganze muß daher als eines der vielen außenpolitischen Experimente gelten, die die Befürworter der ‚out of area‘-Einsätze seit Jahren betreiben. Dieses Experiment wird um so gefährlicher, als es eine innenpolitische Komponente hat: Der BGS als Militär-Ersatz.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.