von Helmut Dietrich
Als die flüchtlings- und migrationsfeindliche Kampagne in der BRD 1993 u.a. mit der Drittstaatenregelung und dem deutsch-polnischen Rückübernahmeabkommen einen Höhepunkt erreichte, kritisierten zahlreiche Initiativen den voraussehbaren Export des bundesdeutschen Sicherheitsmodells nach Osteuropa als „Domino-Effekt“.[1]
Die östlichen Anrainerstaaten würden als Auffangbecken für Abge-schobene und für gestrandete Transitflüchtlinge fungieren. Sie wür-den zur Übernahme des westlichen Grenzregimes und der Abschiebepraktiken gezwungen. Die Grenze der Festung Europa verlagere sich wie in einer Kettenreaktion immer weiter nach Osten.
Zwar setzte die polnische Regierung die Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen zunächst nur zögerlich in Gang. Doch entwickelte sich die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit schneller als alle anderen bilateralen Bereiche. Zum Vehikel dieser Zusammenarbeit wurde neben der Flüchtlingspolitik der Kampf gegen das Phantom der „Organisierten Kriminalität“. Erster Ausfluß dieser Kooperation war eine Reihe von Abkommen und Protokollen:
- Rückübernahmeabkommen mit den Schengener Staaten vom 29.3.1991, in Kraft seit 1.5.1991
- Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.6.1991
- Notenwechsel über die Einrichtung einer Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit, ebenfalls vom 17.6.1991
- Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 6.11.1991, in Kraft seit 14.8.1992[2]
- Abkommen über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewegungen (Bilaterales Rückübernahmeabkommen) vom 7.5.1993, in Kraft seit 1.6.1993[3]
- Staatsvertrag über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten vom 5.4.1995
- In Vorbereitung sind Abkommen zur Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen, Einsatzleitungen, Befehls- und Dienststellen.[4]
Kleine Abkommen – große Folgen
Vor allem die Abkommen zu den Rückschiebungen und zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) hatten immense Folgen für die Zusammenarbeit. Für die Rückübernahme von ca. 10.000 Flüchtlingen und MigrantInnen pro Jahr erhielt die polnische Regierung verwendungsgebunden 120 Mio. DM. Zum größten Teil nutzte sie diese Mittel für die Aufrüstung der Grenzen – zu 49 Prozent für die Grenzpolizei und zu 38 Prozent für die Polizei. Da der Vertrag vorschrieb, daß die anzuschaffenden Waren überwiegend aus deutscher Produktion stammen müßten, schuf die Angleichung der Ausrüstung die technischen Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Kommunikation. In der Hälfte aller Wojwodschafts-Polizeizentralen wurden Arrestzellen mit Geldern aus diesem Fonds umgewidmet: Es entstanden Abschiebehaftzentren für 400 Personen, die aber bis 1996 aufgrund eines Einspruchs des polnischen Verfassungsgerichts nicht belegt werden durften. Des weiteren sind in dem Abkommen „organisatorische und finanzielle Hilfen“ zum „Entgegenwirken“ von „Wanderungsbewegungen“, zur „Schaffung eines zentralen Erfassungssystems von Ausländern“ und zur Ausbildung von polnischen Grenzschutz- und Polizeibeamten festgeschrieben.
Das Abkommen zur OK-Bekämpfung sieht u.a. die Bildung einer „Arbeitsgruppe zur gemeinsamen Analyse der mit der Bekämpfung der unerlaubten Einschleusung von Personen zusammenhängenden Fragen und zur Ausarbeitung geeigneter Gegenmaßnahmen“ vor. Informationen, die „zur Bekämpfung von Straftaten und zur Abwehr der unerlaubten Einschleusung von Personen erforderlich sind“, sollen ausgetauscht werden.
Selbst wenn man die ergänzenden Durchführungs- und Zusatzprotokolle hinzuzieht, ist die rechtliche Decke für die deutsch-polnische polizeiliche Zusammenarbeit inhaltlich nach wie vor dünn, insbesondere was die Rechte der von dieser Zusammenarbeit Betroffenen angeht. Die Funktion der Abkommen besteht in erster Linie darin, daß sie einen großen Spielraum für die informelle Ausgestaltung durch die Polizeien selbst eröffnen. Die vertraglichen Fixierungen mit Polen „gestatten somit – kurioserweise – mehr in der polizeilichen Zusammenarbeit, als die seit Jahrzehnten gewachsenen Verbindungen mit den meisten westeuropäischen Staaten“, so BKA-Kriminaldirektor J. Wolters.[5] Auch J. Albrecht, Direktor des LKA Brandenburg, bestätigt, „daß sich die grenzüberschreitende informelle polizeiliche Zusammenarbeit mit Polen auf der Arbeitsebene zur Zufriedenheit beider Seiten entwickelt. Der spontane polizeiliche Austausch von Informationen zwischen Brandenburg und dem polnischen Grenzbereich funktioniert teilweise besser als zwischen Brandenburg und den Schengen-Mitgliedsländern.“[6]
Gesellschaftliches Klima
Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Polizei auf deutscher und auf polnischer Seite arbeitet, unterscheiden sich beträchtlich, gerade auch in der sogenannten Ausländerpolitik. Auf deutscher Seite hat das Zusammenspiel der Kampagnen von Politikern und Medien mit rassistischen Übergriffen nach und nach zur Kompetenzerweiterung für den BGS und die Länderpolizei geführt. In Polen dagegen ist die Flüchtlingssituation und die Transitmigration kein besonders beachtetes Thema in der Öffentlichkeit. Die Neuausrichtung der Polizeiapparate auf Kontrollen von Ausländern, besonders in den Grenzgebieten, ist eher außenpolitisch bedingt: Die Perspektive des Beitritts zur Europäischen Union (EU) diktiert die Grenzaufrüstung und die entsprechende Konditionierung der polnischen Beamten. Höhere Beamte der staatlichen Institutionen, die mit Migrations- und Fluchtangelegenheiten befaßt sind und seit Mitte 1997 im Rahmen des `Strukturierten Dialogs‘ zwischen den EU- und den assoziierten MOE-Staaten als Beobachter an Sitzungen der EU-Gremien CIREA und CIREFI teilnehmen, meinten freilich kürzlich in einem Gespräch,[7] daß es bis heute völlig ungewiß sei, was von der EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik als verbindlicher „Besitzstand“ definiert werde, den Polen wie die anderen MOE-Länder für den Beitritt erreichen müßten. Die Anpassung an das westeuropäische Grenz- und Migrationsregime verläuft in Wirklichkeit zum Teil als Vorleistung, zum Teil als unmittelbare, kurzfristige Reaktion auf konkreten Druck, wie z.B. anläßlich der Europarats-Konferenz im Sommer 1996. Damals ordnete die Regierung die umfangreichsten Razzien im Polen der Nachwendezeit an. Ungefähr 400 Flüchtlinge wurden verhaftet, alle Abschiebearreste waren schlagartig belegt.[8]
Auf deutscher Seite wandten sich BGS und Polizei in den letzten Jahren verstärkt der lokalen Bevölkerung in den Grenzregionen sowie der Überwachung des Grenzraums, der Durchgangsstraßen und Verkehrsknotenpunkte zu. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß die High-Tech-Aufrüstung mit Nachtsichtgeräten, CO2-Detektoren und Datenterminals, die den Zugriff auf bundesweite Personal- und Sachfahndungsdatenbanken mit dem Schengener Informationssystem (SIS) bündeln nicht zur völligen Abschottung der Schengener Außengrenze geführt hat. Jährlich werden 20.000 bis 22.000 heimlich Eingereiste an den ostdeutschen Grenzen gefaßt und – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sofort nach Polen, in die Tschechische Republik oder direkt nach Bukarest bzw. Sofia zurückgeschoben. Dennoch gelingt es jährlich über 100.000 Personen, einen Asylantrag in der Bundesrepublik zu stellen.[9] Und weitere, die ebenfalls heimlich eingereist sind, streben aufgrund der Chancenlosigkeit und folgender Abschiebegefahr nicht mehr ins Asylverfahren. Nach Angaben des BGS in Frankfurt (Oder) und in Rothenburg erfolgen die meisten Personenkontrollen – und Festnahmen – nach Hinweisen aus der Bevölkerung in den Grenzgebieten. Tatsächlich ist in den letzten Jahren eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit des BGS zu beobachten, der in manchen Regionen bereits größter Arbeitgeber geworden ist. Durch die flächendeckende Einrichtung von Bürgertelefonen, durch die Vergabe von Kontroll-„Aufträgen“ an Bürgerwehren,[10] durch offensive Zusammenarbeit des BGS mit den Landespolizeien und Staatsanwaltschaften entstehen regelreche Fahndungsverbunde und Denunziationsbündnisse. Für die Einbeziehung kommunaler Körperschaften und Unternehmen in die Grenzfahndung – jenseits aller gesetzlichen Grundlagen – gibt ein jüngstes Beispiel beredte Auskunft: Als die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration den Fall der Verurteilung eines Taxifahrers wegen der „Beihilfe zur illegalen Einreise bzw. zum illegalen Aufenthalt“ zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung untersuchte, stieß sie auf Empfehlungen der Industrie- und Handelskammer Dresden in Absprache mit dem BGS, der Staatsanwaltschaft Dresden, dem Landesverband Taxi/Mietwagenverkehr und verschiedenen staatlichen Ordnungsbehörden. Darin werden die Taxifahrer aufgefordert, Fahrgäste, deren „äußeres Erscheidungsbild (…) den Verdacht zuläßt, daß es sich um Personen handeln könnte, die sich illegal aufhalten“, über ein Codewort der jeweiligen Zentrale und damit der Polizei bzw. dem BGS zu melden. Für den Fall der Nichtkooperation wird gedroht: „Erfolgt während der Beförderung eine Kontrolle der Fahrgäste, und wird eine Straftat festgestellt, so ist mit einer Ermittlung gegenüber dem Taxifahrer zu rechnen.“[11] Ähnliche Treffen und Absprachen wurden auch bei der IHK Bautzen durchgeführt. Taxifahrer der Grenzregionen erklärten in verschiedenen Interviews unisono, daß sie keine „Ausländer“ mehr befördern würden. Fügt man die zahlreichen Aspekte zusammen, mit denen heute auf deutscher Seite Behörden, Bevölkerungsinitiativen und Unternehmen die heimlich Eingereisten in der Grenzregion aufzuspüren und abzuwehren versuchen, so fällt nicht nur der korporative Zusammenschluß auf, sondern auch die phänotypische, biologisierende Bestimmung des Feindbildes.
Feindlich gesinnte Bevölkerung
Auf polnischer Seite beklagen hingegen ranghohe Grenzschützer und Polizisten die ihnen feindlich gesonnene Einstellung der lokalen Bevölkerung ge-rade in den westpolnischen Grenzgebieten. Zwar haben sie nicht nur die High-Tech aus der BRD importiert, sondern auch die Institution der sogenannten Bürgertelefone. Aber die Ergebnisse lassen sich wohl in keiner Weise vergleichen. M. Kaminiski, Chef der Grenzschutzkommandantur Lubusko in Krosno Odrzañskie – der wichtigsten der drei westpolnischen Grenzschutzkommandanturen – , spricht gar von „sozialer Abnormität“ und weitverbreiteter „sozialer Pathologie“ der Lokalbevölkerung. Diese habe nach ihrer Ansiedlung ab 1945 keine rechten Wurzeln geschlagen, sondern sei von Mobilität und Desintegration gekennzeichnet. Die angeblich „kriminogene“ Grenze und der sozialwirtschaftliche Verfall tue ein übriges, so daß er generalisierend beschreibt: „Zu den kriminellen Aktivitäten der Grenzbewohner gehört auch ein ganzes Spektrum von Hilfsmaßnahmen und Leistungen, die dem illegalen Grenzübertritt dienen. Zu diesen gehören: 1. Die Vermietung von solchen Räumlichkeiten im Grenzgebiet wie Zimmer, Kammern, Stübchen, Schuppen u.ä., die den Fremden die Möglichkeit geben, eine sich zum illegalen Grenzübertritt bietende Gelegenheit wahrzunehmen. 2. Die Heranführung der auf Beförderung über die Grenze wartenden Personen an einen Ort und zu einem Zeitpunkt, der das Risiko mindert, vom Grenzschutz gefaßt zu werden. 3. Der Transport von Ausländern aus weit von der Grenze entfernten Ortschaften und deren Heranführung in die Grenznähe, um ihnen den illegalen Grenzübertritt zu ermöglichen.“[12] Auch der Schmuggel könne sich ungebremst ausbreiten, „weil sich unter den Einwohnern des grenznahen Raumes die Bereitschaft entwickelt hat, die Schmugglerbanden zu unterstützen.“[13] Auch jugendliche Diebesbanden, die sich für Kurztrips nach Berlin aufmachten, verfügten über „stillschweigende oder aktive Unterstützung der Grenzbevölkerung“.[14]
Obwohl der polnische Grenzschutz an der Westgrenze inzwischen in ähnlicher Weise wie der BGS aufgerüstet sein soll und zusätzlich konkrete Fahndungshilfe durch deutsche und andere EU-Polizeibehörden erhält, nimmt er an der grünen Grenze zur BRD – auf der polnischen Seite – weniger Personen als der BGS auf der westlichen Grenzseite fest. 1995 waren es auf polnischer Seite 8.666 Festnahmen wegen des Versuchs der illegalen Grenzüberschreitung (in Richtung BRD).[15] Davon waren 80% AusländerInnen, 20% hingegen polnische StaatsbürgerInnen.[16] Übrigens hatten die meisten der an der polnischen Westgrenze Verhafteten legale Aufenthaltstitel, denn schätzungsweise 70% der heimlich über Polen in die BRD migrierenden Menschen reisen legal in Polen ein.[17] Allein, es fehlte ihnen an den Geldvorräten, die Ausländer bei sich zu tragen haben, oder es reichte schon die Grenznähe ihres Aufenthalts für die Verhaftung aus: Roma aus Rumänien sind nicht nur das typische Beispiel der Opfer dieser Behördenpraxis, sondern bilden auch die größte Gruppe unter den Verhafteten und Ausgewiesenen.
M. Kaminski bringt in seiner Darstellung die häufigen Unterstützungsleistungen der lokalen Bevölkerung mit der entstandenen „Grauzone der Wirtschaft“ in Zusammenhang, die sich besonders stark rund um die westpolnischen Märkte ausgebreitet habe. Tatsächlich hat die informelle Armutsökonomie nach 1988 dafür gesorgt, daß Flüchtlinge und MigrantInnen im Transitland Polen ihre zeitweiligen Nischen finden konnten. Schattenwirtschaft gilt bis heute als probates Mittel auch der Neoliberalen, um die regulierten und tradierten Verhältnisse schöpferisch zu zerstören.Das harte Meldewesen und die strenge Unterscheidung zwischen legalem Aufenthalt und irregulärer Existenz, wie wir sie in der BRD kennen, sind im Nachbarland Polen bis 1997/98 fast völlig unbekannt. Auch die Löhne zwischen bevorrechteten StaatsbürgerInnen und schwarzarbeitenden PendlerInnen aus den östlichen Nachbarländern unterscheiden sich nicht derart dramatisch wie in Westeuropa. Es überrascht daher nicht, wenn man beim Vergleich der deutschen und polnischen polizeilichen Kriminalstatistiken absolute Unterschiede feststellt: Die im Westen separat geführte Statistik zur sogenannten „Ausländerkriminalität“ existiert in Polen nicht, bzw. wenn sie denn auf Wunsch deutscher Kriminologen erstellt wird, kommt Marginalität heraus. J. Gemra, seinerzeit stellvertretender Justizminister und stellvertretender Generalstaatsanwalt Polens, nannte auf einem Frankfurter Experten-Hearing folgende Zahlen: 1992 sei gegen 3.575 nichtpolnische Staatsangehörige, 1994 gegen 3.983 und 1995 gegen 6.349 ermittelt worden.[18] Den höchsten Anteil stellt in dieser Statistik die Straftat des illegalen Grenzübertritts dar.
Informelle Kooperation zur Überwindung langer Dienstwege
Informelle polizeiliche Zusammenarbeit scheint die Antwort auf die deutsch-polnischen Disparitäten und auf die in manchen Bereichen wenig verrechtlichten oder verpolizeilichten gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen zu sein. Mit informeller Arbeitsweise ist gemeint, daß die Grenzen zwischen festumrissenen staatlichen Institutionen durch persönliche Alltagskontakte systematisch aufgeweicht werden. Verbindungsbeamte der Polizei, die im Nachbarland eingesetzt werden, ermöglichen die parallele Abfrage in den Fahndungsdateien zweier Länder. Man schaut sich dabei über die Schulter und umgeht die datenschutzrechtlichen Fragen, die bei einer formellen Zusammenarbeit aufgeworfen würden. Mit informeller Zusammenarbeit ist des weiteren gemeint, daß stillschweigend oder durch Generalklauseln abgesegnet die langen Dienstwege über Warschau und Bonn bzw. Wiesbaden (BKA) oder Koblenz (Grenzschutzdirektion) durch lokale grenzüberschrei-tende Arbeitsgruppen und Kontakte ersetzt werden. Dazu einige Beispiele:
- Im Jahr 1996 lief ein Modellversuch zwischen deutschem und polnischem Grenzschutz im südlichen deutsch-polnischen Grenzgebiet. Angehörige beider Dienste fuhren auf beiden Seiten der Grenze in ihren jeweiligen Dienstfahrzeugen gemeinsam Streife.[19]
- Das Grenzschutzamt Frankfurt (Oder), dem bis Ende 1997 die Überwachung der ostdeutschen Grenze in den neuen Bundesländern unterstand[20] führt „turnusmäßige Treffen“ mit den Leitern der drei westpolnischen Grenzschutzabteilungen (Szczecin, Krosno, Luban) durch. Der Austausch von Verbindungsbeamten sei geplant.[21]
- Am 19.10.1996 wurde eine ständige Arbeitsgruppe im westpolnischen Lagow bei Zielona Gora gegründet. Ihr gehören Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Polizeibehörden aus den polnischen Grenzbezirken Szczecin, Gorzow Wielkopolski, Zielona Gora und Jelenia Gora sowie aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an. „Die Arbeitsgruppe will vor allem die Fahndungen besser koordinieren und den Informationsaustausch zwischen Kriminalbehörden beider Staaten intensivieren.“[22] Am 28./29.10.1996 wurde diese Perspektive mit der „Entschließung von Lagow zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften und der Polizeien der deutschen und polnischen Grenzregion“ festgeschrieben.
- Am 5. Juli 1995 unterzeichneten der Wojewodschaftskommandant der Polizei Gorzów Wielkopolski und der Polizeipräsident von Frankfurt (Oder) ein Protokoll über die lokale polizeiliche Zusammenarbeit, das u.a. die Bildung von drei Kommissionen vorsieht. Die mit diesen Kommissionen entstandenen Informationsbeziehungen im brandenburgisch-polnischen Grenzgebiet nutzen laut LKA-Direktor Albrecht und dem Frankfurter Polizeipräsidenten H. Lietsch auch einige Altbundesländer: So werden täglich bis zu sieben Anfragen zu polnischen Tatverdächtigen in den Altbundesländern über das Brandenburger LKA und das Polizeipräsidium in Frankfurt (Oder) an die polnischen Polizeiapperate weitergeleitet. Einen „prinzipiellen Regelungsbedarf“ sieht Albrecht „beim polizeilichen Informationsaustausch (…) weniger durch fehlende oder nachbesserungsbedürftige rechtliche Regelungen, sondern infolge ganz profaner materieller Ursachen“ – wie Kommunikationstechnik, Fremdsprachenschulung usw.[23] Lietsch berichtet, daß in der „Kommission 2“, in der Kriminalitätsangelegenheiten zur Sprache kommen, die Vorgehensweise bis hin zur „Festlegung von Untersuchungshandlungen“ gegen Dokumentenfälschung, „Menschenhandel“ und organisierte Grenzüberschreitung besprochen werde. Auch Staatsanwälte würden hinzugezogen. Die Ausbildung von polnischen Hundeführern, der gemeinsame Einsatz von Polizeibeamten beider Länder auf dem Markt in Slubice und auf dem Weihnachtsmarkt in Frankfurt (Oder) werden auf dieser Arbeitsgruppen-Grundlage organisiert.[24] Angestrebt werden gemeinsame Dienststellen in Frankfurt/Slubice, wie auch in Görlitz/Zgorzelec und Guben/Gubin in Sachsen.
- Beamte des BGS der sächsischen Landespolizei sowie des polnischen Zolls und der polnischen Polizei gehen im sächsischen Grenzgebiet zusammen auf Streife.[25]
- 1997 wurde auf Betreiben der Innenminister Sachsens, Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns eine Arbeitsgemeinschaft für polizeiliche Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas (AG Pol MOE) gegründet. Die letzte bekanntgewordene Tagung dieser Arbeitsgruppe fand im Juni 1997 in Sofia (Bulgarien) statt. Schwerpunkte dieser Arbeitsgemeinschaft sind u.a. die schon erwähnte deutsch-polnische Arbeitsgruppe von Polizei und Staatsanwaltschaften, Stipendien polnischer Polizisten beim BKA mit Praktikumsabschnitten in den neuen Bundesländern, gemeinsame Trainings und Schulungen von Spezialeinheiten sowie die unmittelbare Zusammenarbeit „am Einzelfall grenzüberschreitender Kriminalität und OK“.[26]
- 1995 wurden LKA-Koordinierungsstellen (KOST) in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen eingerichtet. Hier arbeiten polnisch sprechende BeamtInnen, u.a. polnische StaatsbürgerInnen, die in Deutschland verbeamtet wurden. Die KOST in Anklam gilt in ihrer Zusammenarbeit mit dem sog. Sachgebiet 26 – grenzüberschreitende Kriminalität – deutschlandweit als Pilotprojekte.[27] Diese KOST-BeamtInnen verfügten über „ein paar direkte Drähte zu Ansprechpartnern jenseits der Grenze“, was „die Arbeit effizienter (machte), als es der bisher übliche Weg über Bundes- und Landeskriminalämter und Interpol zuließ.“[28]
- Am 29.8.1997 trafen sich die Innenminister Schleswig-Holsteins, Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Bremens, Niedersachsens, Brandenburgs, Berlins, Sachsen-Anhalts sowie Vertreter von BKA und BGS auf dem Gelände des LKA Brandenburg in Basdorf und verabschiedeten einen Beschluß zur polizeilichen Zusammenarbeit im Ostseeraum. Als Ziel wurde genannt, vor allem die „Schleuserkriminalität“ „innerhalb gemeinsamer Ermittlungsgruppen“ zu bekämpfen.[29] Angestrebt wird außerdem die „Öffnung der Sachfahndung nach einschlägigen Personaldokumenten für die außerpolizeilichen Behörden oder die Anwendung eines Rasters zur Feststellung erster Verdachtsmomente für Schleusungen.“[30]
Nachzutragen bleibt der jüngste Versuch der polnischen Regierung, einigen Schengener Anforderungen nachzukommen: Am 27.12.1997 trat das neue Ausländergesetz mit Carrier Sanctions, Einschränkung des Asylrechts, Neuregelung der Abschiebehaft u.v.a.m. in Kraft, und seit dem 1.1.1998 gelten verschärfte Einreisebestimmungen – Visapflicht, zentralkontrollierter Einladungsnachweis – für BewohnerInnen von Belarus und Rußland. Die Folge war der Zusammenbruch der lokalen ostpolnischen Ökonomie, die zu einem großem Teil aus unregistrierten Kleinfabriken und aus Suitcase-Trade über die Grenzen hinweg besteht. Nun arbeitet die Regierung in höchster Eile eine neue Einreiseregelung aus, ein Billigvisum soll für sechs Dollar direkt an der Grenze ausgegeben werden. Für Flüchtlinge und MigrantInnen wird es also auch weiterhin in Polen Nischen geben, solange die Schattenwirtschaft nicht abgeschafft werden kann.
Helmut Dietrich ist Mitglied der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und arbeitet beim Hamburger Institut für Sozialforschung
Dieser Artikel erscheint auch in einem Heft mit dem Titel „Deutsches Grenzregime“, das der niedersächsiche Flüchtlingsrat (Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim) im April herausgibt. Einen umfangreicheren Beitrag von Helmut Dietrich, zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und zur Flüchtlingsthematik, publiziert ferner die vom Hamburger Institut herausgegebene Zeitschrift „Mittelweg“.