von Martina Kant und Norbert Pütter
Als Bundesinnenminster Manfred Kanther (CDU) im September vergangenen Jahres seinen Länderkollegen die ‘Aktion Sicherheitsnetz’ vorschlug, waren mehrere deutsche Polizeichefs kurz zuvor von ihren Pilgerfahrten aus den USA zurückgekehrt und hatten von den dortigen Polizeimethoden und den scheinbar großartigen Erfolgen bei der Verbrechensbekämpfung berichtet.[1] Das ‘Modell New York’ wurde sogleich als Vorbild für die Polizeiarbeit in Deutschlands Großstädten propagiert, galten die sinkenden Kriminalitätszahlen in US-amerikanischen Metropolen doch als Beweis für dessen Wirksamkeit.[2] Beeindruckt waren die Polizeipraktiker und Politiker diesseits des Atlantiks vor allem von der ‘Zero-Tolerance’-Strategie der New Yorker Polizei insbesondere gegen die ‘öffentliche Unordnung’ (public disorder). Kanthers Konzept eines ‘Sicherheitsnetzes’ nimmt denn auch begierig die US-amerikanischen Ansätze und Erfahrungen auf. ‘Zero Tolerance’ soll es nun auch in Deutschland heißen.
Kanther legitimiert seine Initiative weniger mit den in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten; diese sinken nämlich seit Jahren leicht. Begründet wird die Notwendigkeit eines ‘Sicherheitsnetzes’ vielmehr mit dem schwer meßbaren und argumentativ beliebig verwendbaren Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Dieses sei, so Kanthers Beobachtung, empfindlich gestört – und zwar in erster Linie durch die Alltagskriminalität (z.B. Sachbeschädigungen, Schmierereien, Randale in Verkehrsmitteln).[3]
Um Sicherheit und insbesondere das Sicherheitsgefühl zu stärken, sieht Kanthers ‘Sicherheitsnetz’ folgende Maßnahmen vor:
- konsequente Verfolgung der Bagatellkriminalität wie Ladendiebstahl und Graffiti,
- entschlossene Verteidigung der öffentlichen Ordnung gegen „Rüpelszenen, öffentlichen Alkoholgenuß, aggressives Betteln, öffentliche Rauschgiftszenen, Rücksichtslosigkeiten in Fußgängerzonen und Lärm“,
- engste Zusammenarbeit von Polizei, Bundesgrenzschutz (BGS), Ordnungsbehörden, Sozialversicherungen, Arbeits-, Jugend- und Sozialämtern,
- Kooperation mit privaten Sicherheitsdiensten und freiwilligen Polizeihelfern,
- Mitwirkung der Justiz mittels Hauptverhandlungshaft und beschleunigtem Verfahren,
- eine bürgernahe, dezentralisierte Polizei sowie
- Schaffung von Präventionsräten auf kommunaler Ebene.
Um das Sicherheitsnetz möglichst eng zu knüpfen, fordert Kanther unverhohlen trotz leerer öffentlicher Kassen, Bahnpolizei, BGS, Länderpolizeien und Ordnungsbehörden personell zu verstärken; denn: „Wer mehr Sicherheit erreichen will, muß daher auch mehr Geld und Personal investieren (…).“[4] In ausgewählten Großstädten sollen zunächst Modellversuche zur ‘Aktion Sicherheitsnetz’ gestartet werden. Für die Anfangsphase will der Bundesinnenminister (BMI) den Ländern BGS-BeamtInnen zur Unterstützung schicken.
Nach zähen Verhandlungen formulierte die Innenministerkonferenz (IMK) in einer Sondersitzung am 2. Februar dieses Jahres die Haltung der Länder zu Kanthers Vorschlag. Heraus kam der Beschluß ‘Partnerschaft für mehr Sicherheit in unseren Städten und Gemeinden’, der im wesentlichen die ‘Aktion Sicherheitsnetz’ befürwortet. Der Begriff selbst wird allerdings strikt vermieden, statt dessen ist die Rede von „Sicherheits- oder Ordnungspartnerschaften“ und von „partnerschaftlich vernetzter Kooperation“. Derartige semantische Variationen können allerdings über die bislang beispiellose Übereinstimmung zwischen den Bundesländern und dem BMI hinsichtlich einer rigiden ‘Politik öffentlicher Ordnung’ nicht hinwegtäuschen. Der IMK-Beschluß geht sogar über Kanthers ‘Sicherheitsnetz’ hinaus, wenn ein Test der elektronischen Fußfessel, mehr Haftplätze, geschlossene Heimunterbringung für Jugendliche sowie ein verschärftes Vorgehen gegen nicht legal eingereiste oder sich aufhaltende MigrantInnen „wegen des damit vielfach verbundenen Imports von Kriminalität (…)“ gefordert wird.[5]
Mit Zustimmung der Länderinnenminister wird zukünftig die BGS-Bahnpolizei die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien und kommunalen (Ordnungs-)Behörden verstärken, „um in gefährdeten Bahnhöfen und Verkehrsmitteln Straftaten und Ordnungsstörungen bereits im Ansatz zu verhindern“. Auch die Abordnung von BGS-Kräften zur Unterstützung der Modellversuche in geeigneten Großstädten und Ballungsräumen wurde von den Länderinnenministern einhellig begrüßt. Bei der Forderung des BMI nach verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen durch den BGS auch außerhalb des Grenzbereichs scherte allein Hamburg aus und lehnte sie für das Hamburger Stadtgebiet ab.[6]
Der kleine Unterschied ohne große Folgen
Trotz der im IMK-Beschluß dokumentierten Einigkeit der Bundesländer ist Kanthers ‘Sicherheitsnetz’ in den Ländern unterschiedlich aufgenommen worden. Bei weitem nicht alle Bundesländer sind auch bereit, an dem Modellversuch teilzunehmen. Nur das Saarland und Brandenburg haben jedoch eine Beteiligung ausdrücklich abgelehnt.
Kritisiert wird von saarländischer Seite vor allem die populistische Formulierung der altbekannten Vorschläge, der fehlende Hinweis auf die Ursachen des Kriminalitätsanstiegs und die Verschleierungstaktik des BMI, der lediglich von seinen eigenen Versäumnissen ablenken wolle (bei der Sicherung der Ostgrenze durch den BGS und bei dessen Aufgaben im Bereich der Bahnpolizei) und zudem verschweige, daß gerade die völlig verfehlte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung den Nährboden für einige Formen der Kriminalität bereitet habe.[7] Brandenburg begrüßt zwar Kanthers Bereitschaft, den BGS im Rahmen seiner Zuständigkeit an partnerschaftlich vernetzten Kooperationsformen mit der Länderpolizei und anderen Behörden zu beteiligen, lehnt aber die Abordnung von BGS-Kräften für einzelne Schwerpunkteinsätze strikt ab; denn das falle ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder.[8] Statt dessen wollen beide Bundesländer ihre eigenen und bereits langjährig verfolgten Konzepte – ‘Kommunale Kriminalitätsverhütung’ und ‘Sicherheitspartnerschaften’ in Brandenburg und im Saarland kommunale Beiräte zur Kriminalitätsverhütung, verstärkte Polizeipräsenz etc. – weiterführen.
Ihre Bereitschaft am Modellversuch ‘Sicherheitsnetz’ teilzunehmen, haben unterdessen Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz signalisiert. Für Berlin und Stuttgart wurden bereits Abkommen über den BGS-Einsatz unterzeichnet. Bremen, Hessen für die Region Frankfurt am Main/Offenbach/Hanau sowie Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz für den Rhein-Neckar-Raum (Mannheim, Ludwigshafen, Viernheim und Lampertheim) haben gegenüber dem BMI ihre Teilnahmeabsicht erklärt.[9] In den beiden Süd-West-Regionen ist als Starttermin Ende März/ Anfang April 1998 vorgesehen.[10] Darüber hinaus sind die Städte Hannover (zur Expo 2000) und München für eine Beteiligung am ‘Sicherheitsnetz’ im Gespräch.[11]
Die Teilnehmerländer am Modellversuch betrachten das ‘Sicherheitsnetz’ als Ergänzung ihrer eigenen bereits bestehenden Länderkonzepte. So wird es in Baden-Württemberg in die ‘kommunale Kriminalprävention’ integriert, mit der bayerischen Sicherheitswacht und den Sicherheitsbeiräten verknüpft und in Berlin mit dem ‘Berliner Modell’ zu einer ‘Initiative zur Verbesserung der Sicherheit in Berlin’ verschmolzen.[12] Hessen betont hingegen, daß die IMK ausdrücklich keinen Beschluß zum ‘Sicherheitsnetz’ gefaßt habe, sondern zur ‘Sicherheitspartnerschaft’. Die hessischen Aktivitäten seien „nicht als Masche im ‘Sicherheitsnetz’“ zu verstehen.[13]
Die übrigen Bundesländer[14] Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein begrüßen zwar Kanthers ‘Aktion Sicherheitsnetz’, wollen aber aus unterschiedlichen Gründen nicht an einem Modellversuch teilnehmen. In Schleswig-Holstein z.B. gebe es laut Kanther keine kriminalpolitischen Brennpunkte, so daß eine BGS-Unterstützung, wie sie das Modell vorsieht, nicht notwendig sei.
Die ablehnende Haltung einiger Bundesländer gegenüber Kanthers ‘Sicherheitsnetz’ oder die Nichtteilnahme am Modellversuch sind nicht gleichbedeutend mit anderen, weniger repressiven städtischen Sicherheits- und Ordnungskonzepten. Umgesetzt werden diese ländereigenen Strategien beispielhaft im ‘Aktionsbündnis – Sichere Sächsische Städte’, im ‘Programm zur Erhöhung der Inneren Sicherheit in Magdeburg’ (PRISMA), in der rheinland-pfälzischen ‘Initiative für sichere saubere Innenstädte’ oder den ‘Ordnungspartnerschaften’ in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens.
An zwei Beispielen sollen im folgenden unterschiedliche Konzepte für städtische Sicherheitsmodelle dargestellt werden: Berlin als Modellstadt in Kanthers ‘Sicherheitsnetz’ und Nordrhein-Westfalen als Vertreter eines eigenen Ansatzes, den ‘Ordnungspartnerschaften’.
‘Aktion Sicherheitsnetz’ in Berlin
Daß Berlin als erste Modellregion ausgewählt wurde, liegt u.a. an der seit längerem bestehenden praktischen Zusammenarbeit zwischen dem BGS und der Berliner Polizei. So arbeiteten Ende 1997 bereits drei ‘Gemeinsame Fahndungs- und Ermittlungsgruppen’: seit 1994 die beim Landeskriminalamt (LKA) eingerichtete ‘GE Schleuser’; seit 1995 beim Landesschutzpolizeiamt die ‘GE Graffiti in Berlin’; und seit Dezember 1997 die ebenfalls beim LKA angesiedelte GE zur Bekämpfung der Wertzeichenfälschung im Berliner Personennahverkehr.[15]
Am 11.11.97 wurde in Berlin die Vereinbarung über die „verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen der ‘Aktion Sicherheitsnetz’“ abgeschlossen. Eine Woche später nahm im Landeskriminalamt (LKA) eine gemeinsame Koordinierungsstelle der Polizei Berlin und des Grenzschutzpräsidiums Ost des BGS (‘Koost BGS/Polizei’) die Arbeit auf.
Die ‘Koost’ soll insbesondere folgende Aufgaben wahrnehmen:
- Überprüfung, ob Bedarf für weitere ‘Gemeinsame Fahndungs- und Ermittlungsgruppen’ BGS-Polizei in der Stadt besteht.
- „Entwicklung neuer Sicherheitsstrategien für typische Deliktsfelder im Bereich der Bahnhöfe und des Schienenverkehrs“ sowie die „Koordinierung entsprechender Schwerpunktmaßnahmen“. Beispielhaft werden als Delikte genannt: „Taschendiebstahl, Graffiti/Vandalismus, Erschleichen von Leistungen, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Automatenaufbrüche, Verstöße gegen das Ausländerrecht“.
- „Aufnahme gemeinsamer Streifentätigkeiten (…) in besonders relevanten Einsatzräumen, wo sich durch die Zuständigkeitsgrenzen beider Polizeien Schnittstellen ergeben“. D.h. vor allem im Bereich der Stadt-, Regional- und Fernbahnhöfe und deren unmittelbarer Umgebung.
- Intensivierung gemeinsamer Fortbildungsmaßnahmen, Intensivierung des gegenseitigen Datenaustauschs.
Auch in der Hauptstadt soll die ‘Aktion Sicherheitsnetz’ das „Sicherheitsgefühl der Bürger“ erhöhen, das besonders durch Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt werde. Beispielhaft nennen die ‘Hintergrundinformationen’ der Senatsinnenverwaltung: „Müll, Dreck, Autowracks“ sowie „vermeintlich geduldetes Rowdytum einzelner, ungehöriges Verhalten wie Pöbeleien usw.“.
Für die Realisierung des ‘Sicherheitsnetzes’ in Berlin werden die bekannten Elemente aufgezählt: „enge Zusammenarbeit staatlicher und kommunaler Stellen“, die „intensive Mitwirkung der Justiz“ und die „Einbindung engagierter Bürgerinnen und Bürger“ sowie für den operativen Einsatz
- die „verstärkte Präsenz von Polizei und Ordnungskräften im öffentlichen Raum“ sowie
- „konsequente(s) Einschreiten gegen Einstiegs- und Kleinkriminalität sowie Ordnungsverstöße“.
Um Präsenz zu gewährleisten, sollen vermehrt Innendienstkräfte, die Bereitschaftspolizei und die Freiwillige Polizeireserve eingesetzt werden. Die Polizei werde sich auch „für die kleineren und unbedeutenden Verstöße (Ordnungswidrigkeiten)“ an der Maxime „Hinsehen statt Wegschauen“ orientieren und einschreiten, „wann immer es möglich erscheint, ohne die gesetzlichen Prioritäten auszuhebeln“. Um den BGS in die Lage zu versetzen, seinen Beitrag zum ‘Sicherheitsnetz’ zu leisten, wurde die Zahl der zur Verfügung stehenden BGS-BeamtInnen in Berlin von 395 auf über 500 erhöht. Darüber hinaus sagte der Bundesinnenminister weitere Kräfte aus dem BGS-Standort Blumenberg „mit zeitlich begrenzten Schwerpunktaufträgen“ zu.
Erste Aktionen im Rahmen des ‘Sicherheitsnetzes’ fanden im Januar und Februar 1998 statt. Am 24.2. wurden bei einer mehr als siebenstündigen „Schwerpunktkontrolle“ rund um den Bahnhof Zoo 165 Personen überprüft; 78 Personen erhielten Platzverweise. 17 Personen wurden festgenommen wegen Verstößen gegen das Ausländergesetz, Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte und Drogenvergehen.[16]
‘Ordnungspartnerschaften’ in Nordrhein-Westfalen
Die seit Mitte des vergangenen Jahres vom NRW-Innenministerium initiierten „Ordnungspartnerschaften für mehr Sicherheit und Ordnung in Städten und Gemeinden“ gehen, so das Ministerium, weit über das von Kanther vorgeschlagene Sicherheitsnetz hinaus.[17] Anfang 1998 hat das Land in sechs Großstädten Modellprojekte eingerichtet, deren Arbeit nach einem Jahr bilanziert werden soll. Gleichzeitig sollen Ordnungspartnerschaften landesweit eingegangen werden, „um so auch in ländlichen Gebieten die Sicherheit zu verbessern“.[18] Als mögliche „Ordnungspartner“ werden genannt: Polizei- und Ordnungsbehörden, Jugend-, Gesundheits- und Sozialämter, BGS (Bahnpolizei), Verkehrsbetriebe, Bahn AG, Gerichte und Staatsanwaltschaften, Schulen, Drogenberatungsstellen. Auch könnte es sinnvoll sein, z.B. die Industrie- und Handelskammern oder Einzelhandelsverbände mit einzubeziehen.[19]
Die Anregungen des Innenministeriums enthalten eine Reihe von Vorschlägen für die Sicherheits- und Ordnungsbehörden, durch die die sichtbare Präsenz von Sicherheitskräften im öffentlichen Raum erhöht werden soll:
- In der alltäglichen Polizeiarbeit könne dies „insbesondere durch den Einsatz von Fuß- und Radstreifen“ erreicht werden. Zudem sollen in den lokalen Einsatzkonzeptionen „stärker als bisher die Sicherheitslage und die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger“ berücksichtigt werden.[20]
- Durch „Unterstützungseinsätze“ der Bereitschaftspolizei (auch als Fußstreifen) soll die Präsenz erhöht werden.[21]
- Die Ordnungsbehörden sollen u.a. „für den Bürger erkennbare eigene Vollzugsdienstkräfte einsetzen“ und „in Absprache mit der Polizei Maßnahmen in ihrer Zuständigkeit treffen, um Einsatzkonzeptionen der Polizei zu unterstützen (z.B. Aufenthaltsverbote erteilen)“.[22]
- Neben „vertrauensvoller Zusammenarbeit“, „gegenseitigem Informationsaustausch“ und der Abstimmung von Einsatzkonzeptionen sollen BGS/Bahnpolizei „Einsatzmaßnahmen der Polizei im Umfeld der Bahnhöfe durch abgestimmte Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich unterstützen“.[23]
Da „das Sicherheitsgefühl der Bürger in vielen Großstadtbahnhöfen und in deren Umfeld sowie in Bahnen und Haltestellenbereichen des ÖPNV besonders nachhaltig beeinträchtigt“ sei, kommt diesen „Problembereichen“ auch in den Modellstädten eine herausragende Bedeutung zu. Ausgewählt wurden die Städte Bielefeld, Dortmund, Hagen, Düsseldorf, Krefeld und Köln, weil dort bereits erfolgreiche Ansätze für Ordnungspartnerschaften bestünden.[24] Obgleich in einzelnen Elementen verschieden, folgen die Modelle in allen Orten derselben Logik: Die Tätigkeiten einzelner Behörden und von Privaten sollen koordiniert, die sichtbare Präsenz von Ordnungskräften im öffentlichen Raum erhöht und die Eingriffsschwellen allgemein gesenkt werden. Welche Ausrichtung den Ordnungspartnerschaften zugrundeliegt, zeigen bereits die Erfahrungen in einigen Modellstädten:
Seit Ende 1996 setzt das Ordnungsamt der Stadt Krefeld fünf Mitarbeiter „mit Dienstkleidung und Funktelefon (für) Gefahrenabwehraufgaben für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ein.[25] Die Krefelder Gefahrenabwehrverordnung listet 27 Aufgaben auf, für die der kommunale Ordnungsdienst zuständig ist. Neben dem Nichtanleinen von Hunden, der Autowäsche und dem Füttern von Tauben werden auch einzelne Personengruppen genannt, gegen die sich die Kontrolle richten soll: Nichtseßhafte, Drogenabhängige, BettlerInnen.[26] In der Modellstadt Köln haben Stadtverwaltung und Polizei bereits in der jüngsten Vergangenheit „partnerschaftlich“ zusammengearbeitet: Es gibt bei Bedarf gemeinsame Streifen von städtischen Ordnungshütern und der Polizei. Durch gemeinsame Aktionen wurde die offene Drogenszene am Neumarkt aufgelöst. Rechtlich wurde dies dadurch flankiert, daß die Stadt Aufenthaltsverbote über 3-6 Monate für bestimmte Bereiche ermöglichte.[27]
In der Modellstadt Hagen wurden seit Herbst 1997 drei Ordnungspartnerschaften ins Leben gerufen: „Bahn/Bahnhof mit Einzugsbereich“, „Innenstadt“ und „Kommunaler öffentlicher Personennahverkehr“.[28] Die Rolle der Ordnungskräfte wird immer mit denselben Worten umschrieben: „konsequentes Einschreiten und konsequente Ahndung von Ordnungsverstößen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“, „konsequente Überwachung hinsichtlich ausländerrechtlicher Bestimmungen“, „konsequente Reaktion auf Rechtsverstöße“ etc. Gemeinsame Streifen und abgestimmte Einsätze zwischen städtischem Ordnungsdienst und der Polizei, der Polizei und dem BGS oder zwischen allen dreien sollen zu mehr sichtbarer Präsenz im öffentlichen Raum führen.
In der Hagener Konzeption wird erneut deutlich, wer die Objekte der Ordnungspartnerschaften sind: Das Sicherheitsgefühl werde durch die „Präsenz und (wegen) des Verhaltens von Randgruppenszenen“ beeinträchtigt.[29] Als polizeiliche Mittel werden deshalb Platzverweise und Ingewahrsamnahmen vorgeschlagen; hinsichtlich der Verkehrsbetriebe wird die „Förderung der Interventionsbereitschaft des Kontroll- und Ordnungspersonals in Problemfällen“ gefordert; und die Stadt sagt zu, „Aufenthaltsverbote gegen Angehörige der Randgruppenszenen“ zu prüfen.
Damit liegt das Hagener Modell auf der Linie des Innenministers. Zwar betont er, daß – „so lange das Recht nicht verletzt wird“ – „abweichendes Verhalten oder Aussehen von der Polizei ebenso wie von der Bevölkerung toleriert werden“ müsse.[30] An anderer Stelle verweist er jedoch darauf, „daß es keine rechtsfreien Räume gibt“ und auch „unterhalb der Grenze zur Straftat“ ein Anspruch auf Sicherheit u.a. vor „Belästigungen“ bestehe.[31] Um polizeiliches Einschreiten zu ermöglichen, müßten die „Kommunen in ordnungsbehördlichen Verordnungen regeln, was nach ihrer Entscheidung nicht erlaubt sein soll“.[32] Dementsprechend wird die Stadt Köln gewürdigt, die durch die „Verankerung konkreter Bestimmungen in der Kölner Straßenordnung die Grundlage für ein verfahrenssicheres Einschreiten geschaffen“ habe.[33]
Praktischer Konsens
Betrachtet man die gegenwärtigen Versuche lokaler Sicherheits- und Ordnungspolitik, so zeigen sich insgesamt nur wenig Differenzen. Graduelle Unterschiede betreffen die Rolle, die der BGS spielen soll. Naturgemäß betont das BMI dessen Bedeutung. Das gibt ihm Gelegenheit, mit seiner eigenen Truppe auf das beliebte Thema alltäglicher ‘Unordnung’ aufzuspringen. Zugleich kann er weitere rechtliche Kompetenzen (u.a. verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollen, Verhütung von Straftaten als BGS-Aufgabe) fordern.[34] Die BGS-Einbindung ‘Sicherheitsnetz’, ‘Sicherheits-’ oder ‘Ordnungspartnerschaft’ zu nennen, macht keinen Unterschied in der Sache. Im wesentlichen rhetorischer Natur sind auch die Differenzen in der Außendarstellung der Vorhaben. Während die CDU/CSU-Innenminister „entschlossenes Auftreten der Sicherheitskräfte an Brennpunkten“ fordern,[35] verweisen sozialdemokratische Innenminister stärker auf eine „gerechte Sozial- und Wirtschaftspolitik“, die erforderlich sei, um Sicherheits- und Ordnungsprobleme dauerhaft zu lösen.[36] Mit diesen Bekenntnissen mögen sich unterschiedliche Wählergruppen angesprochen fühlen, für die praktische Umsetzung sind Unterschiede nicht sichtbar.
Denn unabhängig davon, ob ein ‘Sicherheitsnetz’ gespannt wird, gehen Bund und Länder von diffusen Überzeugungen aus, daß ein Zusammenhang zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Ordnungsstörungen, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht besteht. Alle Bundesländer wollen Eingriffsschwellen auch gegen Ordnungsstörungen herabsetzen, notfalls indem die städtischen Verordnungen erweitert werden; sie wollen die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Polizei, BGS und Ordnungsbehörden, größere sichtbare Polizeipräsenz und damit erhöhte Kontrolldichte, beschleunigte Verfahren, kommunale Präventionsräte und die bislang nur ein Lippenbekenntnis gebliebene ‘bürgernahe Polizei’.
Die praktischen Folgen dieser Strategien sind offensichtlich: Sie zielen auf die Verdrängung von Randgruppen aus dem öffentlichen Raum der Stadtzentren. Um dies zu erreichen, wird das gesamte repressive Repertoire staatlicher, kommunaler und privater Stellen eingesetzt: vom Hausverbot über den Platzverweis und das Aufenthaltsverbot bis zur Ausweisung von MigrantInnen. Die Verdrängten zahlen den Preis der symbolischen Inszenierungen sicherer Innenstädte. Und ein öffentlicher Raum, über den ein ‘Sicherheitsnetz’ errichtet wurde und der von ‘Ordnungspartnerschaften’ durchzogen ist, bedroht nicht nur Randgruppen, sondern die Handlungs- und Bewegungsfreiheit des Publikums insgesamt.