Mit gezogenen Pistolen stürmen am 24.11.2000 uniformierte Polizeibeamte die Psychotherapeutische Beratungsstelle Xenion in Berlin. Sie suchen den Asylbewerber Davut K., der in die Türkei abgeschoben werden soll. Der 17-jährige Kurde war beim Schwarzfahren erwischt und von der Polizei bis zu der Praxis verfolgt worden. Als die Beamten gegen den Willen des Therapeuten in die Räume eindringen, springt K. aus Angst vor den Verfolgern aus dem Fenster und verletzt sich lebensgefährlich.
Der martialische Auftritt der Polizei in einer Beratungsstelle, die von Folter und Krieg traumatisierte Flüchtlinge behandelt, ist nicht der einzige Behördenskandal in diesem Fall. K. war bereits im Alter von 15 Jahren als mutmaßliches PKK-Mitglied von türkischen Militärs inhaftiert worden. Unter Folter, so erklärt er im Asylverfahren, habe er sich bereit erklärt, gegen andere Aktivisten auszusagen, worauf die Haft ausgesetzt worden und er nach Deutschland geflohen sei. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge deklariert jedoch die Papiere des Jugendlichen als Fälschungen und lehnt den Asylantrag ab. Auch das Verwaltungsgericht bestätigt diese Entscheidung ohne weitere Prüfung der vorgelegten Kopien. Erst Recherchen des Nachrichtenmagazins „Kontraste“ beim türkischen Sicherheitsgericht ergeben die Echtheit von Anklageschrift, Haftbefehl und Haftentlassungsschein.
Der Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisierte angesichts dieses Falles die fahrlässige Praxis deutscher Behörden. Dokumentiert seien 32 Asylanträge von Kurden, die zu Unrecht abgelehnt wurden; dies sei jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Doch die Behörden leugnen ihre Verantwortung ebenso wie die Polizei. Anstatt das Verhalten seiner Beamten am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, spricht Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky von einem „tragischen Fall“. Zwar wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet – allerdings nicht gegen die Polizisten, sondern gegen den Therapeuten und seine Sekretärin wegen unterlassener Hilfeleistung und Widerstandes.
(Christine Hohmeyer)