Literatur

Zum Schwerpunkt

„Wirtschaftskriminalität“ und „Geldwäsche“ weisen auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten auf: Die „Kriminalität im Wirtschaftsleben“ ist ein altes polizeiliches und kriminologisches Thema. Für Deutschland gilt, dass sie in beiden „Disziplinen“ durchgängig stiefmütterlich behandelt wurde: Während kriminologische Forschung zum White-Collar-Crime äußerst selten war und ist, war die polizeiliche Diskussion über Wirtschaftskriminelle immer davon geprägt, dass es an den nötigen Ressourcen zu deren Bekämpfung fehle – an beiden Befunden hat auch die kurze Konjunktur, die das Thema in den 70er Jahren erfuhr, nichts geändert. Demgegenüber ist die „Geldwäsche“ erst seit knapp 15 Jahren Gegenstand kriminalwissenschaftlicher und polizeilicher Aufmerksamkeit. Entstanden aus dem Versagen der herkömmlichen polizeilichen Drogenbekämpfung dehnte sich der kriminalstrategische Ansatz, der über die illegalen Geldströme Straftäter entdecken und einer Bestrafung zuführen will, auf immer weitere Deliktsbereiche aus. Über diesen Umweg hat die Wirtschaftskriminalität wieder eine neue polizeiliche Wertschätzung erfahren. Neben den unzähligen Fallschilderungen, in denen die modernsten Methoden vom Anlagebetrug bis zur Umsatzsteuerhinterziehung geschildert werden, dominiert in der polizeilichen Presse eine Perspektive, in der Wirtschaftskriminalität, Organisierte Kriminalität und Geldwäsche eine gefährliche Melange eingehen, der mit modernsten Polizeimethoden begegnet werden müsse.

Kubica, Johann: Wirtschaftskriminalität – aktueller Überblick, in: forum kriminalprävention 2002, H. 4, S. 15-17

Symptomatisch für die Thematisierung von Wirtschaftskriminalität als „Organisierter Kriminalität“ ist dieser kurze Überblick eines Leitenden Kriminaldirektors aus dem Bundeskriminalamt. Der internationale Rauschgifthandel, die „Schleusungskriminalität“ und die Geldwäsche folgten dem „Postulat rationalen Handelns“ unter „Nutzung von Unternehmen oder unternehmensähnlichen Strukturen“. „So betrachtet“ sei Wirtschaftskriminalität „ein ‚Prototyp‘ der organisierten Kriminalität.“

Hetzer, Wolfgang: Neue Dimension der Geldwäschebekämpfung, in: Kriminalistik 56. Jg., 2002, H. 11, S. 642-654

In unzähligen Aufsätzen plädiert Hetzer seit Jahren – zunächst als Referent der SPD-Bundestagsfraktion, dann als Referatsleiter im Bundeskanzleramt und gegenwärtig als Mitarbeiter des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung – für eine Intensivierung der Geldwäschebekämpfung und vermögensorientierter Sanktionen. Kennzeichnend für diese Beiträge ist der kriminalistisch gewendete antikapitalistische Affekt: Nicht der Kapitalismus schafft die Probleme, sondern die, die sich an dessen Spielregeln nicht halten. Diesen „Wirtschaftskriminellen“ gilt der polizeiliche Kampf und entsprechend müssen die rechtlichen Instrumente geformt werden. Die „neue Dimension“, die Hetzer in diesem Artikel in der Geldwäschebekämpfung ausmacht, besteht in der Aufnahme der Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog der Geldwäsche. Mit Rücksicht auf Wählerstimmen und bestimmte Wirtschaftskreise habe der Gesetzgeber lange auf diese Erweiterung verzichtet, so dass „die Organisierte Kriminalität ihre Bastionen in zunehmender Nähe zu bürgerlicher Wohlanständigkeit ausbauen konnte“. Zudem müsse danach gefragt werden, „worin sich die (ansonsten) rechtstreue Wirtschaft insbesondere im Hinblick auf ihre Gewinnoptimierung und ihre Steuer(vermei­dungs)­strategie von der Mafia noch unterscheidet.“

Reiner, Ralf: Geldwäschebekämpfung – Quo vadis, in: Kriminalistik 56. Jg., 2002, H. 7, S. 443-447

Aus der Sicht einer bayerischen „Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppe Polizei/Zoll“ werden die Empfehlungen der FATF nach den Anschlägen vom 11.9.2001 und der damalige Entwurf des „Geldwäschebekämpfungsgesetzes“ diskutiert. Der Darstellung ist zu entnehmen, dass die neue Vortat der Steuerhinterziehung zu einer „zusätzlichen Flut von Verdachtsanzeigen“ geführt habe. Außerdem wird über eine Auswertung der Verdachtsanzeigen berichtet, die das Bundeskriminalamt 1998 im Auftrag der Länder vornahm. Diese – unveröffentlichte – Studie (Projekt LAVA) habe eine wesentlich höhere Effizienz und Effektivität der Verdachtsanzeigen „eindeutig belegt“.

 

Berthel, Ralph: Vermögensabschöpfung im Lichte der Kriminalstrategie, in: Kriminalistik 56. Jg., 2002, H. 1, S. 28-33

Kriminalstrategisch ist die Geldwäsche auch von Interesse, weil sie Informationen zu den finanziellen Verhältnissen potentieller Straftäter eröffnet. Die Identifizierungs-, Registrierungs- und Meldepflichten der Finanzwirtschaft erlauben nicht nur Hinweise auf kriminelle Handlungen, sondern sie ermöglichen auch, die materielle Basis von Straftätern nachhaltig zu schwächen. Einziehung, Verfall, erweiterter Verfall und – bis das Bundesverfassungsgericht vor Kurzem ihre Verfassungswidrigkeit feststellte – die Vermögensstrafe sind die Instrumente einer „gewinnorientierten Strategie der Kriminalitätskontrolle“, die – so Berthel – weiter ausgebaut werden sollen.

Kilchling, Michael (Hg.): Die Praxis der Gewinnabschöpfung in Europa (Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 99), Freiburg i.Br. (edition iuscrim) 2002, 452 S., EUR 31,–

Der Band präsentiert Berichte über die Strategien der Gewinnabschöpfung in acht europäischen Staaten. Obgleich der Schwerpunkt auf den vermögensorientierten Sanktionen liegt, sind dem Band auch interessante Befunde über die „Bekämpfung“ der Geldwäsche zu entnehmen (allerdings nur bis 1997/98). Der Anteil der Gewinnabschöpfungen an allen Verurteilungen lag im Untersuchungszeitraum zwischen 0,04 und 3,05 %; demnach sei noch ein erhebliches Sanktionspotential vorhanden, das ausgeschöpft werden könnte, wenn die polizeilichen Finanzermittlungen intensiviert würden. Die in dem Band zusammengetragenen Daten geben keinen Hinweis darauf, dass über die Geldwäsche „Organisierte Kriminalität“ bekämpft werden kann. Kilchling hält diese Strategie deshalb für einen Ansatz, der „überholt“ sei. Stattdessen sollten die eigentlichen OK-Delikte schärfer bestraft und die Vermögensabschöpfungen auf alle Straftaten ausgeweitet werden.

Suendorf, Ulrike: Geldwäsche. Eine kriminologische Untersuchung (BKA-Reihe Polizei + Forschung, Bd. 10), Neuwied, Kriftel (Luchterhand Verlag) 2001, 475 S., EUR 25,50

Die Untersuchung von Geldwäsche und deren Bekämpfung in Deutschland beruht auf der Befragung von 89 Personen (u.a. aus den Bereichen Polizei/Zoll, Staatsanwaltschaft, Strafverteidigung, Banken, Gewerbeaufsicht sowie von neun verurteilten Mitgliedern „organisierter Straftätergruppen“) und der Auswertung der Akten von 18 einschlägigen Strafverfahren. Im ersten Teilen der Arbeit werden die wirtschaftlichen Aktivitäten legaler Unternehmen und organisierter Straftätergruppen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien gegenübergestellt. Der zweite Teil konzen­triert sich auf die Mechanismen der Geldwäsche und die gesetzgeberischen und strafverfolgenden Maßnahmen ihrer Bekämpfung. Die Autorin beschreibt „organisierte Straftätergruppen“ als kompakte, einheitliche Erscheinungen. Nach Suendorf handeln sie rational, markt- und gewinnorientiert. Ihre Aktivitäten seien „im höchsten Maße sozialschädlich“. Obwohl der betriebswirtschaftliche Ansatz gerade diese Antworten nicht nahelegt, plädiert die Autorin für eine Strategie der offensiven polizeilichen Informationsgewinnung, um die „Strukturen“ erkennen und „zerstören zu können“. Kontrollierte Überweisungen, also Geldwäsche im staatlichen Auftrag, die Wiedereinführung von Kronzeugen, der Einsatz Verdeckter Geldwäsche-Ermittler (S. 405 ff.) sind die logischen Konsequenzen einer solchen Strategie.

Kachler, Helmut; Jäger, Sigurd: Operative Auswertung im Bereich der Wirtschaftskriminalität, in: Die Kriminalpolizei 20. Jg., 2002, H. 2, S. 70-72

Wo die polizeipraktische Perspektive der Geldwäschebekämpfung liegt, wird in diesem Bericht über die „operative Auswertung“ der Stuttgarter Landespolizeidirektion deutlich. Das in der „OK-Bekämpfung“ entwickelte Auswertungskonzept wird auf die Geldwäsche übertragen: verfahrensunterstützende, verfahrensübergreifende sowie projektbezogene „In­telligence“-Arbeit werden praktiziert. Um an die nötigen Informationen für die „Auswertung“ zu kommen, muss verdeckt ermittelt werden. Notfalls wird auf § 129 Strafgesetzbuch (kriminelle Vereinigung) zurückgegriffen, um Telefone überwachen zu können. Um geeignete V-Personen und Verdeckte Ermittler zu finden, wurde ein Pilotprojekt gestartet, das „nach Lösungswegen“ suchen soll.

Frank, Robert: Die Bekämpfung der Geldwäsche in den USA (Würzburger Schriften zur Kriminalwissenschaft, Bd. 3), Frankfurt/M., Berlin, Bern u.a. (Peter Lang Verlag) 2002, 216 S., EUR 35,30

Diese Untersuchung gibt einen Überblick über die rechtliche Regulierung von Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung in den Vereinigten Staaten. Kernelemente der Kontrollstrategie sind die seit 1970 entwickelten Meldepflichten für Bargeldüberweisungen (ab 10.000 US$) und verdächtige Transaktionen, die für Finanzinstitute und Spielbanken gelten. Besonders aufschlussreich ist die Darstellung des 1990 vom Finanzministerium gegründeten „Financial Crimes Enforcement Network“ (FinCEN). In dieser zentralen Bundesbehörde laufen alle Meldungen aus den USA zusammen (gegenwärtig mehr als 100 Mio.). Diese Meldungen werden mit Hilfe des „FinCEN Artificial Intelligence System, FAIS) auf Geldwäsche verdächtige Transaktionen ausgewertet. FinCEN ist keine Strafverfolgungsbehörde, sondern „ein Instrument zur Gewinnung und zum Austausch von Informationen für die Strafverfolgungsbehörden“ (S. 52). Neben der Informationsarbeit wurden FinCen u.a. auch exekutive Aufgaben übertragen. So kann die Behörde besondere Meldpflichten für bestimmte geografische Regionen erlassen oder Zwangsgelder verhängen. Während die Arbeit von FinCEN im Hinblick auf die massiv betriebene Gewinnabschöpfung positiv beurteilt wird, sei die proaktive Verdachtschöpfung mittels FAIS bislang nur unzureichend gelungen. Der Autor vermutet, dass die Übernahme einiger US-amerikanischer Elemente die deutsche Geldwäschebekämpfung effektivieren könnte. Eine FinCEN-analoge Einrichtung sollte seiner Ansicht nach auf der europäischen Ebene eingerichtet werden. Wie in der Arbeit von Suendorf bleibt auch hier außer Betracht, dass die forcierte Strafverfolgung die Verwertungsbedingungen auf illegalen Märkten verändert – ohne Aussicht, sie beseitigen zu können.

Naylor, R.T.: Wash-out: A critique of the follow-the-money methods in crime control policy, in: Crime, Law & Social Change Vol. 32, 1999, pp. 1-57

Der Aufsatz des kanadischen Geldwäscheexperten wirft ein anderes Licht sowohl auf die US-amerikanischen Erfahrungen wie insgesamt auf den kriminalstrategischen Ansatz, der „organisierte Kriminalität“ finanziell „austrocknen“ will. Naylor verweist u.a. darauf, dass die verschärfte Verfolgung, statt die Geldwäsche zu verhindern, die Profite professioneller Geldwäscher steigern könnte; und er stellt den Sinn der Verdachtsmeldungen in Frage: weder FBI noch CIA hätten einen einzigen Geldwäsche-Fall aufgrund einer Verdachtsmeldung entdeckt. Und, so sein Fazit, nach 15 Jahren „fortschreitender Eskalation“ in der Geldwäschebekämpfung sei niemand in der Lage zu belegen, ob dieser Ansatz „irgendeine sichtbare Folge für illegale Märkte oder die Höhe oder die Verteilung illegal erlangten Vermögens“ habe.

Sonstige Neuerscheinungen

Boldt, Erwin B.: Die verschenkte Reform. Der Neuaufbau der Hamburger Poli­zei zwischen Weimarer Tradition und den Vorgaben der britischen Besatzungsmacht (1945-1955), Münster (LIT-Verlag) 2002, 408 S., EUR 35,90

Außer bei Historikern ist der kommunistische Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 heute kaum bekannt. Dennoch hat die kurze Revolte, die 24 Aufständischen und 17 Polizisten das Leben kostete, die deutsche Nachkriegspolizei nachhaltiger geprägt als alle Vorgaben der alliierten Siegermächte. So lautet die These von Erwin Boldt. Damit setzt sich der ehemalige Leiter der Hamburger Polizeischule von der gängigen Erklärung ab, wonach der Misserfolg einer grundlegenden Polizeireform in Deutschland im Fortwirken nationalsozialistischer Einflüsse zu suchen sei. Den Polizeiapparat der Nazis zu zerschlagen und von Grund auf zu erneuern, gehörte zu den erklärten Zielen der alliierten Besatzungspolitik. Der ursprüngliche Plan, eine völlig neue, unabhängige alliierte Polizeimacht zu schaffen, musste wegen der damit verbundenen immensen Probleme aufgegeben werden. So wurden nur die belasteten Nazi-Führungskader inhaftiert und entlassen, die Polizei blieb zunächst organisatorisch nahezu unverändert bestehen und wurde einer strengen Kontrolle unterstellt. Im zweiten Schritt sollte sie entsprechend dem Polizeiverständnis der Siegermächte umgebaut werden.

In Hamburg setzten die Briten für die Reorganisation Polizeiführer ein, die überwiegend überzeugte Weimarer Demokraten waren und 1933 von den Nazis aus der Polizei entfernt, teilweise politisch verfolgt und gemaßregelt worden waren (S. 264-298). Ähnlich verlief die Entwicklung in der gesamten britischen Besatzungszone (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein). Nicht der Nationalsozialismus, so Boldt, war für das Scheitern der Reform verantwortlich, die aus einem Unterdrückungsapparat eine politisch neutrale, zivile und bürgernahe Polizei machen sollte, sondern die Erfahrungen dieser Polizeiführer während der Weimarer Republik. Anhand der Lebensläufe der Hamburger Polizeioffiziere, insbesondere ihrer Prägung durch den Oktoberaufstand von 1923 (S. 57-86, 93-113, 161-176), legt er dar, dass sie infolge der kriegsbedingten Isolierung Deutschlands kaum eine Möglichkeit hatten, zu einem anderen, zeitgemäßen Polizeiverständnis zu kommen. Somit blieben sie den polizeilichen Denkschemen „ihrer“ Zeit verhaftet und orientierten sich an der preußisch geprägten Weimarer Polizei (S. 310). Die Auslagerung von Ordnungsaufgaben wie Meldewesen, Gesundheits- oder Sozialverwaltung ließen sie noch geschehen. Gegen Vorhaben, die Polizei zu dezentralisieren und zu zivilisieren, leisteten sie – erst hinhaltenden, später offeneren – Widerstand. Öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, hieß für sie auch, mutmaßliche innere Feinde bekämpfen zu können. In ihrer Sicht bestärkt wurden sie durch die sich rasch anbahnenden Spannungen zwischen Ost und West. Bereits im Dezember 1945 gelang es der Hamburger Polizeiführung, bei der britischen Besatzungsmacht die Aufstellung einer geschlossenen und bewaffneten Polizeieinheit durchzusetzen. Stützen konnten sie sich bei der Forderung nach einer zentralisierten und schlagkräftigen Polizei auf den früheren preußischen Innenminister Carl Severing (1947-1952 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags) und den nordrhein-westfä­li­schen SPD-Innenminister Walter Menzel (1946-1950). Da auch die Bevölkerung ähnlich dachte, konnten sich ihre Sicherheitsvorstellungen über die britische Zone hinaus durchsetzen. Resigniert mussten die Briten feststellen, dass es nicht gelungen war, den Deutschen den Gedanken einer zivilen Polizei nach Art des englischen „Bobby“ nahe zu bringen.

(Otto Diederichs)

Baldus, Manfred: Transnationales Polizeirecht. Verfassungsrechtliche Grundlagen und einfach-gesetzliche Ausgestaltung polizeilicher Eingriffsbefugnisse in grenzüberschreitenden Sachverhalten, Baden-Baden (Nomos Verlagsanstalt) 2001, 422 S., EUR 66,–

Der von Manfred Baldus im Vorwort seiner Habilitationsschrift formulierte Anspruch ist hoch und zugleich vielversprechend: Seine „methodische Prämisse“ sei das „Bekenntnis, daß Praktikabilität zwar eine legitime Interpretationsgröße darstellt, aber keinen Vorrang vor einem sich aufdrängenden normsetzerischen Willen genießt, und dass die wissenschaftliche Bearbeitung von Rechtsfragen sich nicht scheuen darf, auch der Rechtspraxis unbequeme Thesen zu vertreten“.

Zunächst berichtet Baldus über die Entstehungsgeschichte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Dem Paradigmenwechsel von Terrorismusbekämpfung zur Bekämpfung der sogenannten Organisierten Kriminalität, den damit entwickelten neuen Methoden (Überwachte Drogenlieferungen etc.) und der Durchsetzung des Modells Zentralstelle widmet er allerdings nur wenig Aufmerksamkeit. Im ersten Abschnitt stellt er die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder dar. Dabei stellt er fest, dass die Länder oft über die in Art. 32 GG gesetzten Grenzen hinweg völkerrechtliche Verträge mit Regelungen zur internationalen Verbrechensbekämpfung abschließen.

Im zweiten Abschnitt entwickelt er die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zum Grundrechtsschutz bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Im Ergebnis will er das Handeln deutscher öffentlicher Gewalt stets mit der gängigen Grundrechtsdogmatik (Schutzbereich, Eingriff, Schranke, Schranken-Schranke, insbes. Verhältnismäßigkeit) bewerten. Für die aktuelle Diskussion äußerst bedeutsam sind seine beispielhaften Feststellungen dazu, dass für Datenübermittlungen an Behörden ausländischer Staaten, in denen Folter, entwürdigende Behandlung oder die Todesstrafe droht, ein grundrechtliches Verbot besteht. Es lohnte sich also eine eingehende Untersuchung der geplanten Rechtshilfeabkommen zwischen EU und den USA im Lichte dieser Dogmatik.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Entwicklung grundrechtlicher Standards beim Datenschutz. Baldus fordert einen „funktional äqui­valenten Grundrechts- und damit auch Datenschutz“ bei Datenübermittlungen ins Ausland. Diese Vorgabe sei bei den Schengener Vertragsstaaten erfüllt – was man durchaus in Zweifel ziehen könnte. Bezüglich Europol sieht er die von ihm entwickelten Maßstäbe bei der Datenweitergabe an Drittstaaten und -stellen als nicht erfüllt an. Ein gesondertes Kapitel widmet er dem Rechtsschutz gegen den Vollzug transnationaler Befugnisnormen durch fremde hoheitliche Gewalt. So fordert er die Gewährleistung eines Rechtsschutzes in Deutschland, wenn ausländische Organe hier tätig werden. Defizite sieht er bei jenen Abkommen, bei denen sich Deutschland zur Übermittlung von Daten verpflichtet, Rechtswegregelungen jedoch nicht oder nur unzureichend vereinbart hat. Schließlich kritisiert er die fehlende gerichtliche Kontrolle von Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsansprüchen gegenüber Europol als verfassungsrechtlich bedenklich.

Trotz Kritik im Detail beschränkt sich Baldus auf die Entwicklung einer Dogmatik, die die Dominanz der polizeilichen Exekutive in der entstehenden europäischen Sicherheitsarchitektur unangetastet lässt. Allerdings lassen sich aus der Anwendung seiner grundrechtlichen Kriterien auf die Rechtswirklichkeit und die weiteren Planungen wichtige Argumente gewinnen, um Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsbindung auf europäischer Ebene wenigstens in Ansätzen zu wahren.

(Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins)