Kontakt-Extremismus – (K)ein Recht auf Auskunft beim Verfassungsschutz?

von Udo Kauß

Rolf Gössner sei kein „Linksextremist“, sagt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Dennoch hat es in 36 Jahren der „Beobachtung“ eine Menge Daten über ihn zusammengetragen. Die eigentlich interessanten will das Amt dem Rechtsanwalt und Publizisten jedoch nicht offen legen.

Seit zehn Jahren streitet sich Rolf Gössner mit dem BfV darüber, wie weit sein Recht auf Auskunft geht und ob die Daten zu seiner Person zu Recht erfasst wurden. Der heute 58-jährige Rechtsanwalt hat über Jahre hinweg grüne Parlamentsfraktionen beraten, ist Autor zahlreicher Aufsätze und Sachbücher zu Themen der „inneren Sicherheit“ und seit 2003 Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.

1996 verlangte er erstmals Auskunft über seine Daten und fragte das BfV, ob er sich als damaliger Redakteur und Autor der Zeitschrift „Geheim“ als amtlich geprüfter „Linksextremist“ bezeichnen lassen müsse. Das Amt antwortete mit dem Hinweis auf Gössners Beiträge in als linksextremistisch eingestuften Publikationen. Die Liste beginnt 1970. Darüber hinaus seien auch personenbezogene Daten über seine „Kontakte zur Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenhängen“ gespeichert.

Auf Gössners Nachfrage ergänzte das Amt seine Auskunft: Vorhanden und in Dateien erfasst seien auch Informationen über politische Veranstaltungen und Autorenlesungen. Die angehängte Liste mit genauen Zeit- und Ortsangaben bezieht sich auf die 80er und 90er Jahre und nennt u.a. eine von der „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes“ (VVN) gemeinsam mit der Stadtbibliothek Bremen in deren Räumen organisierte Lesung aus Gössners Buch „Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs“. Erfasst wurden aber auch Lesungen in Buchhandlungen, die der Verfassungsschutz dem DKP-Umfeld zurechnete.

Der von Gössner eingeschaltete Bundesdatenschutzbeauftragte (BfD) fand das Vorgehen des Amtes rechtlich nicht zu beanstanden und die Auskünfte auch nicht „unzureichend oder unzutreffend“. Bei der Überprüfung habe er sich „im Interesse einer zügigen Durchführung“ damit begnügt, sich die Meldungen von BfV-Mitarbeitern vorlesen zu lassen. Diese Verfahrensweise diene dem Schutz der Quellen, sprich: der V-Leu­te des Verfassungsschutzes. Auf eine persönliche Einsichtnahme in deren Meldungen und Beurteilungen hat der BfD verzichtet. Aus Gründen des Geheimschutzes könne er keine weiteren Auskünfte erteilen.

Im Juni 1997 machte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen Gössners Erfassung durch den Inlandsgeheimdienst und dessen mangelhafte Auskunftserteilung zum Gegenstand einer Anfrage. Die Antwort der Bundesregierung beschränkte sich im Wesentlichen auf die Erklärung, die Überwachung Gössners habe sich nach Recht und Gesetz gerichtet und sei daher rechtmäßig.[1] Nur von begrenztem Erfolg blieb auch der offene Brief, mit dem u.a. prominente Schriftsteller des Deutschen PEN-Zentrums, die IG Medien und die Bürgerrechtsorganisationen im Juli 1997 gegen die Erfassung Gössners protestierten und die Offenlegung aller Daten sowie das Ende der Überwachung forderten.

Auf mehrfache erneute Anfragen hat das BfV seine Auskünfte bis zum Sommer 2005 fortgeschrieben und eine umfängliche Auflistung von Gössners eigenen Artikeln, vor allem aber von Veröffentlichungen Dritter über ihn – jeweils mit Titel, Publikationsorgan und Zeitpunkt des Erscheinens – vorgelegt. Von 2000 bis Mitte 2005 ergibt das allein 49 Einträge. Eigens betont das Amt, dass es keine Daten über Gössners berufliche und ehrenamtliche Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene erfasse, und versichert, „keine Quelle gezielt gegen Ihre Person“ eingesetzt zu haben.

Die Speicherung Gössners wird damit begründet, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass er extremistische Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen nachdrücklich unterstütze (§ 4 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG). Wörtlich:

„Insbesondere Ihre regelmäßigen Veröffentlichungen in Presseerzeugnissen linksextremistischer bzw. linksextremistisch beeinflusster Publikationsorgane sowie Ihre über Jahrzehnte hinweg bestehenden regelmäßigen und intensiven Kontakte zur DKP und ihren Vorfeldorganisationen (im

letztgenannten Zusammenhang vgl. die früheren Auskünfte des BfV) bieten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Sie mit den entsprechenden Personenzusammenschlüssen in einer Weise zusammenarbeiten, dass diese hierdurch in den von ihnen ausgehenden linksextremistischen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt werden. In diesem Zusammenhang von einer sich (lediglich) auf berufliche Berührungspunkte gründenden Kontaktschuld zu sprechen, geht insofern an der Sache vorbei.“

Über die Kontakte Gössners zu angeblich linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Organisationen verweigert das Amt jegliche weitere Auskunft.

Journalistische und anwaltliche Tätigkeit nicht tangiert?

Die bisher erteilten Auskünfte zeigen die bestehende Begriffsverwirrung: Nahezu alle Daten, die das BfV bisher herausrückte, haben einen Zusammenhang mit der publizistisch-journalistischen, fach-juristischen oder anwaltlichen Tätigkeit Gössners. Auch im Prozess vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln, bei dem Gössner im Oktober 2005 Klage gegen die Auskunftsverweigerung erhob, hat das Bundesamt seine Auffassung beibehalten, dass die „regelmäßigen Veröffentlichungen in Presseerzeugnissen linksextremistischer bzw. linksextremistisch beeinflusster Publikationsorgane“ sowie die „über Jahrzehnte hinweg bestehenden regelmäßigen und intensiven Kontakte zur DKP und ihren Vorfeldorganisationen … Anhaltspunkte für eine nachdrückliche Unterstützung links-extremistischer Bestrebungen“ lieferten. Trotz der nun seit 36 Jahren dauernden Überwachung reichen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes offenbar weiterhin nur zu der Bewertung, dass bei Gössner lediglich „Anhaltspunkte“ für die Unterstützung linksextremistischer Bestrebungen vorlägen. Die Auffassung des Verfassungsschutzes läuft auf eine Erfassungsbefugnis allein wegen des bestehenden Kontakts hinaus, und schafft die neue Kategorie eines „Kontakt-Extre­mis­mus“. Das hat System.

Mit seiner Klage will Gössner das Bundesamt dazu zwingen, auch
über nicht bereits veröffentlichte Informationen Auskunft zu geben. Dabei geht es insbesondere um Daten, die von „Quellen“ zusammengetragen wurden, deren Einsatz sich vorgeblich gegen andere Personen, Träger „linksextremistischer Bestrebungen“, richtete, mit denen Gössner in beruflichem Kontakt stand bzw. steht. Durch den Einsatz solcher „nachrichtendienstlicher Mittel“ hat sich das Bundesamt in ein erhebliches Dilemma gebracht: Zu dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung zum Großen Lauschangriff vom 3. März 2004 dargelegt, dass das Auskunftsrecht gegenüber allen von einer Überwachungsmaßnahme Betroffenen gilt, nicht nur gegenüber der ausdrücklich ins Visier genommenen „Zielperson“.[2] Auch insoweit Unbeteiligte sind von dem Eingriff zu unterrichten, auch wenn diese Tatsache gegenüber den Zielpersonen nochmals zusätzlich belastend wirke. Personen, die gleichsam zufällig aufgrund der Überwachung Dritter zum Gegenstand geheimdienstlicher Erfassung geworden sind, verlieren ihren Auskunftsanspruch auch dann nicht, wenn sie durch die Auskunftserteilung Kenntnis davon erhielten, dass ihr Gegenüber als eigentliche Zielperson geheimdienstlicher „Beobachtung“ unterliegt.

Ein solches Auskunftsrecht, so wird in der Klage argumentiert, muss erst recht dann bestehen, wenn die Geheimdienste, wie sie das qua Aufgabendefinition regelmäßig tun, im „Vorfeld von Gefahren“ tätig werden. Gerade im Vorfeldbereich mit dem dort immanenten erhöhten Risiko der Fehlprognose erfordert der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes eine weitestgehende Unterrichtung. Das BVerfG hat für die vorbeugende Telefonüberwachung im für verfassungswidrig erklärten Niedersächsischen Polizeigesetz ausgeführt, dass nicht einmal die nach einer Unterrichtung der Betroffenen möglicherweise nicht mehr gegebene Einsetzbarkeit eines Verdeckten Ermittlers eine absolute Grenze der Auskunftserteilung darstelle.[3]

Im November 2006 forderte Gössners Anwalt das Bundesamt auf, alle zur Person seines Mandanten gespeicherten Daten zu löschen bzw. zu sperren, weil deren Erhebung und Speicherung von Anfang an rechts­widrig gewesen sei. Keine einzige der mitgeteilten Informationen enthalte eine Aussage, die verfassungsfeindlichen bzw. linksextremistischen Inhalt aufweise, selbst Presseberichte in sicher nicht linksextremismus-verdächtigen Organen wie „Die Woche“ oder „Frankfurter Rundschau“ seien gespeichert.

Dem Bundesamt wurde gleichzeitig die Empfehlung gegeben, Berichte über die wissenschaftliche, journalistische, anwaltliche Tätigkeit nicht in den Fach- und Amtsdateien für politischen Extremismus zu dokumentieren, sondern in seine Bibliothek zu überführen. Wenn schon Gössners Äußerungen den fachlich interessierten MitarbeiterInnen des Amtes zur Verfügung stehen sollen, sei die Bibliothek der richtige Platz. Für seine Antwort hat sich das Bundesamt Bedenkzeit erbeten.

Kein Einzelfall

Der Verfassungsschutz speichert Personen, die er nicht wagt, als Verfassungsfeinde und Linksextremisten zu bezeichnen. Ihre Einstufung als „Träger linksextremistischer Bestrebungen“ würde öffentlicher und gerichtlicher Kritik nicht standhalten. Diese Personen, von denen der Verfassungsschutz seine Hände ansonsten lassen müsste, werden über den Umweg von „Anhaltspunkten“ oder angeblichen Unterstützungshandlungen für Linksextremisten zum Beobachtungsgegenstand gemacht.

Seit Jahren überwacht der Verfassungsschutz so auch den Berliner Politogen Peter Grottian, weil in dem von ihm mitinitiierten „Berliner Sozialforum“ angeblich auch „richtige“ Linksextremisten mitarbeiten würden. Das ist die Legitimation dafür, Spitzel oder im Fachausdruck „Quellen“ einzusetzen und deren Kontakte, die „demokratischen, aber gefahrdummen Unterstützer“ ebenfalls zu erfassen und Datensammlungen über sie anzulegen.[4]

Auch den PDS-Abgeordneten im Thüringischen Landtag Bodo Ramelow bezeichnet der Verfassungsschutz nicht als Linksextremisten, sondern als „Förderer linksextremistischer Bestrebungen“, weil „insbesondere die Linkspartei.PDS als Partei insgesamt in ihren programmatischen Aussagen und in ihrer politischen Praxis tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen“ im Sinne der §§ 3 und 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes biete.“[5]

Alle drei „Förderer“ bzw. „Kontakt-Extremisten“ haben den juristischen Kampf vor den Verwaltungsgerichten auf volle Auskunft des Verfassungsschutzes zu den über sie gespeicherten Daten aufgenommen, um dieser unter dem Deckmantel der Extremismus-Bekämpfung betriebenen demokratie-feindlichen Überwachung des politischen Alltags den Riegel vorzuschieben. Fortsetzung folgt.

[1] BT-Drs. 13/8003 v. 19.6.1997
[2] Az.: 1 BvR 2378/98, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2004, H. 14, S. 999-1022 (1016)
[3] BVerfG: Urteil v. 27.7.2005, Az.: 1 BvR 668/04, in: NJW 2005, H. 36, S. 2603-2612 (2611)
[4] vgl. die Stellungnahme des Komitees für Grundrechte und Demokratie v. 20.6.2006
[5] zit. aus den Einlassungen des BfV v. 11.5.2006 an das VG Köln