Grüne TKÜ-Novelle – Abschied vom Straftatenkatalog als Alternative?

von Norbert Pütter

Während der Entwurf des Justizministeriums noch in den vorparlamentarischen Beratungen steckt, haben Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur „Reform der Telekommunikationsüberwachung“ (TKÜ) in den Bundestag eingebracht.[1]

Der Entwurf weist im Hinblick auf Ziele und Mittel streckenweise erstaunliche Ähnlichkeiten mit der Regierungsvorlage auf: Er will die Anordnungsfristen auf zwei Monate verkürzen, die Qualität der gerichtlichen Anordnung bzw. Kontrolle verbessern, die Berichtspflichten gesetzlich verankern, der Kernbereich privater Lebensgestaltung vor der TKÜ schützen und das Zeugnisverweigerungsrecht stärken. In den Details unterscheiden sich die Entwürfe: Während die Grünen die Anschlüsse aller Zeugnisverweigerungsberechtigten von der TKÜ ausnehmen wollen (es sei denn, der Zeugnisverweigerungsberechtigte ist selbst Beschuldigter), differenziert der Regierungsentwurf zwischen Geistlichen, Verteidigern und Parlamentariern, die mehr geschützt werden sollen als die anderen in § 52 StPO genannten Gruppen. Die Anordnung soll nach den grünen Vorstellungen nur von einem auf Lebenszeit beamteten Richter getroffen werden (die Regierung will das zuständige Gericht damit befassen). Während das Bundesjustizministerium (BMJ) Vorschriften über den Inhalt der Anordnung macht, formulieren die Grünen die Angaben, die die „Begründung der Anordnung“ enthalten muss. Die Vorschläge der Grünen sind dabei detaillierter als die der Regierung. Das gilt auch für die Berichtspflichten, die sich auf elf Angaben – gegenüber sechs im Regierungsentwurf – erstrecken soll.

Jenseits der Abweichungen im Detail weisen die Vorschläge zwei grundlegende Unterschiede auf. Der erste betrifft das Motiv der Novellierung. Das Ziel des Grünen Entwurfs ist ausdrücklich, das Ausmaß der TKÜ „deutlich (zu) senken“. Zentrales Instrument – das ist der zweite fundamentale Unterschied –, um dieses Ziel zu erreichen, ist der Verzicht auf den Katalog der Anlasstaten, zu deren Aufklärung eine TKÜ zulässig sein soll. Bliebe man bei der Regelung über einen abgeschlossenen Katalog, so die AutorInnen, dann sind immer neue Erweitungen zu erwarten – eine Behauptung, die durch den BMJ-Entwurf überzeugend bestätigt wird. Stattdessen schlagen die Grünen eine Umschreibung der TKÜ-Anlasstaten vor, die sicherstellen soll, dass die Maßnahme nur bei schweren Straftaten angewandt wird:

„Straftaten im Sinne des Abs. 1 sind:

  1. Verbrechen und vorsätzliche Vergehen, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind,

wenn nicht bereits auf Grund der äußeren Umstände des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass wegen der Tat eine Strafe von weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe verhängt wird, und

  1. vorsätzliche Vergehen, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sind und bei denen auf Grund der äußeren Umstände der Tat eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist.“

Im Unterschied zum Straftatenkatalog sind diese Kriterien entwicklungs- und interpretationsoffen. Ähnlich der Einsatzvoraussetzungen für Verdeckte Ermittler, über die es seit ihrer Einführung keine öffentliche Debatte gibt, würde der Verzicht auf einen Katalog den Gesetzgeber der Zukunft entlasten und die Interpretationsspielräume von Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten erhöhen. Durch eine Reihe verfahrensmäßiger Bestimmungen (Anordnungsbefugnisse, Kennzeichnung, Berichtspflicht, Verwertungsverbote – in allen Fragen jedoch nur leicht strenger als der Regierungsentwurf) versuchen die Grünen dies auszugleichen.

Dass auf diesem Wege die Zahl der TKÜs verringert würde, darf bezweifelt werden. Eine enge rechtliche Regelungslogik wird aufgegeben zugunsten einer Option auf verfahrensmäßige Kontrollen. Dass diese substantiell begrenzen werden, ist sehr unwahrscheinlich. Denn welche (zeitlichen und sonstigen) Möglichkeiten haben RichterInnen, den polizeilichen Erkenntnissen etwas entgegenzusetzen? So lange das Strafprozessrecht als Bekämpfungsrecht ausgestaltet wird – was der grüne Entwurf nicht in Frage stellt –, wird die richterliche Verweigerung die Ausnahme bleiben.

[1]      BT-Drs. 16/3827 v. 13.12.2006