G 10-Maßnahmen 2006

Am 25. Oktober 2007 legte das Parlamentarische Kontrollgremium dem Bundestag seinen Jahresbericht für 2006 über Eingriffe der drei Geheimdienste des Bundes in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach dem so genannten Artikel 10-Gesetz (G 10) vor.[1] Besonders auffällig waren dabei die Zahlen bezüglich der „strategischen“ Überwachung internationaler (via Satellit oder Glasfaserkabel abgewickelter) Telekommunikationsbeziehungen anhand von Suchbegriffen, zu der nur der Bundesnachrichtendienst (BND) befugt ist. Diese betraf im Jahre 2006 drei der in § 5 Abs. 1 G 10-Gesetz genannten sechs „Gefahrenbereiche“ (siehe Tabelle). Im Vergleich zum Vorjahr[2] ist die Anzahl der dabei aufgefangenen Nachrichten explosionsartig gestiegen – im Bereich „Internationaler Terrorismus“ um das 19-fache, im Bereich Proliferation um das achtfache, bei der illegalen Drogeneinfuhr um mehr als das doppelte.

Tab.: Strategische Fernmeldeüberwachung durch den BND

Bereich Internationaler Terrorismus Proliferation und konventionelle Rüstung Illegaler Betäubungsmittel-
Import
Jahr 2005 2006 2005 2006 2005 2006
Kontrollierte Nachrichten 24.427 462.432 110.531 885.771 8.054 17.917
davon an Auswertung weitergeben 83 44 1.785 1.462 73 44
davon nachrichtendienstlich relevant 21 9 522 424 2 4
davon an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet 1 0 2 3 1 0
nachträgliche Mitteilung an die Überwachten 0 0 0 0

Das schon immer deutliche Missverhältnis zwischen dem Ausmaß der Überwachung und der Relevanz ihrer Ergebnisse ist 2006 noch eklatanter: Von den 462.432 abgefangenen Nachrichten im Bereich Internationaler Terrorismus waren nur noch ganze neun, also 0,002 Prozent, „nachrichtendienstlich relevant“, für die Strafverfolgung war keine einzige von Bedeutung.

Über die Gründe für die Steigerungen bei den abgefangenen Nachrichten lässt sich nur spekulieren. Da die gesetzliche Grundlage in den vergangenen Jahren nicht verändert wurde, ist vor allem im Bereich „Internationaler Terrorismus“ an eine Ausweitung der Suchbegriffe, der überwachten Kommunikation oder veränderte technische Möglichkeiten bei der Filterung mittels Suchmaschinen oder mittlerweile auch durch Spracherkennung zu denken.

Steigerungen verzeichnet der Bericht auch bei den gezielt gegen einzelne Personen gerichteten Abhör- und Kontrollmaßnahmen, zu denen alle drei Geheimdienste, also auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) berechtigt sind. Das BfV habe 2006 „mehrere“ solcher Überwachungen, der BND nur eine durchgeführt. Insgesamt lag die Zahl dieser „Einzelmaßnahmen“ zwischen 61 im ersten und 63 im zweiten Halbjahr; die Zahl der Hauptbetroffenen schwankte zwischen 364 und 392, die der Nebenbetroffenen (= Personen, deren Anschluss die Zielperson nutzt oder die Nachrichten für sie entgegennehmen) zwischen 293 und 286.

Im vorherigen Berichtszeitraum, der von Juli 2004 bis Dezember 2005 reichte, waren es zwischen 54 und 58 Maßnamen; jeweils eine von MAD und BND, die übrigen vom BfV beantragt. Die Zahl der Hauptbetroffenen schwankte zwischen 372 (2. Hj. 2004), 389 (1. Hj. 2005) und 329 (2. Hj. 2005), die der Nebenbetroffenen zwischen 272, 265 und 282.

Die jeweiligen Schwankungen ergeben sich aus der Zählweise: Registriert werden alle Überwachungen, die zu irgendeinem Zeitpunkt in dem jeweiligen Halbjahr liefen – unabhängig davon, ob sie neu angeordnet oder bereits vorher begonnen wurden, und ob sie in dem Zeitraum ausliefen oder weitergingen.

Dass ein beträchtlicher Teil der Betroffenen seit Jahren abgehört wird, lässt sich aus der Tatsache schließen, dass nicht nur die im Gesetz vorgesehene Mitteilung, sondern bereits die Entscheidung darüber in vielen Fällen verzögert wird. So hat die G 10-Kommission im Jahre 2006 in lediglich 73 Verfahren mit 512 (Haupt- und Neben-)Betroffenen darüber entschieden, ob es eine Benachrichtigung geben soll (2005: 412). Bei 229 Personen oder Institutionen wurde die Mitteilung wegen einer Gefährdung des Zwecks der Überwachung zurückgestellt (2005: 231). Bei 207 wurde eine Mitteilung endgültig abgelehnt (2005: 141). 76 Betroffene wurden informiert (2005: 40).

(Martina Kant)

[1]      BT-Drs. 16/6880 v. 25.10.2007
[2]     BT-Drs. 16/2551 v. 7.9.2006