„Troublemakers“ ins SIS

Heimlich, still und leise präsentierte die deutsche Delegation am 22. Oktober 2007 im Artikel 36-Ausschuss, dem höchsten Gremium der 3. Säule unterhalb des Rates, ein Papier über die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) für den Informationsaustausch über „gewalttätige Störer“ bei Massenveranstaltungen, insbesondere bei Großdemonstrationen anlässlich von Gipfeltreffen und bei Fußballspielen von internationaler Bedeutung. Dem Protokoll zufolge überwies der Ausschuss die Angelegenheit an die SIS-Arbeitsgruppe.[1] Das ursprüngliche deutsche Papier findet sich nicht im Register des Rates. Zwei weitere Dokumente der SIS-Arbeitsgruppe vom März und April 2008, letzteres erneut von der deutschen Delegation, sind für die Öffentlichkeit gesperrt.[2]

Ein solcher Informationsaustausch stand seit 2001 immer wieder zur Diskussion. Anlässe dafür waren zum einen die Auseinandersetzungen beim EU-Gipfel in Göteborg und beim G8-Treffen in Genua im Sommer 2001. Zum anderen bot sich beim Aufbau des SIS II die Gelegenheit, die Ausschreibungskategorien in diesem System um neue zu ergänzen. In den im Herbst 2006 verabschiedeten Rechtsgrundlagen für das SIS II hatte man darauf jedoch verzichtet – vorerst. Allerdings war klar, dass das neue System so konzipiert werden sollte, dass eine solche Ergänzung jederzeit möglich wäre. Bei einer ersten Diskussion in der SIS-Arbeits­gruppe Ende Januar 2008 war unter anderem diskutiert worden, die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung nach Art. 99 des Schengener Durchführungsübereinkommens für diesen Informationsaustausch zu nutzen. Allerdings erlaubt es Art. 99 nicht, die betreffende Person präventiv in Gewahrsam zu nehmen und damit von der Teilnahme an der Veranstaltung, der Demonstration oder dem Fußballspiel abzuhalten.

In der SIS-Arbeitsgruppe hat die BRD nun Werbung für die Variante gemacht, die hierzulande bereits seit Jahrzehnten besteht: Danach ist es möglich, den Datenbestand der „Störerdateien“ (Gewalttäter Sport; Straftäter linksextremistisch motiviert – Limo, rechtsextremistisch motiviert – Remo; Ausländerextremismus – Aumo) ganz oder teilweise temporär ins INPOL-Fahndungsregister zu transferieren. In ihrem Papier vom April dieses Jahres macht die deutsche Delegation zusätzlich klar, dass es für die Einstufung als „gewalttätiger Störer“ keiner Verurteilung bedarf, sondern es vielmehr ausreicht, dass die betroffene Person einer einschlägigen Straftat verdächtigt oder beschuldigt wurde. Eine solche (temporäre) Ausschreibung versorge die zuständigen Polizeibehörden mit Informationen und erlaube ihnen ein „effektives“ Handeln, d.h. die Anwendung des gesamten Repertoires präventiv-polizeilicher Maßnahmen. Wie die Polizei anderer Schengen-Staaten mit dieser Information umgehe, müsse sie dann aufgrund ihres nationalen Rechts entscheiden. Die SIS-Arbeitsgruppe hat nun die Kommission um eine Durchführbarkeitsstudie angefragt. Wenn eine solche vorliegt, ist ein politisches Vorhaben in der 3. Säule der EU erfahrungsgemäß kaum mehr zu stoppen.

(Heiner Busch)

[1]      Ratsdok. 15079/07 v. 13.11.2007
[2]     Ratsdok. 7544/08 v. 14.3.2008 und 8204/08 v. 7.4.2008