„Atlas“-Beschluss

Im November 2006 hatte Österreich die Initiative für einen Beschluss „über die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Spezialeinheiten der Mitgliedstaaten in Krisensituationen“ ergriffen, ein Jahr danach einigte sich der Rat auf dessen „allgemeine Ausrichtung“, Mitte Februar 2008 präsentierte seine Polizeiarbeitsgruppe einen „endgültigen Entwurf“.[1] Mit dem demnächst zu erwartenden Ratsbeschluss wird die seit 2002 existierende Kooperation der Spezial- bzw. Anti-Terroreinhei­ten der Mitgliedstaaten rechtlich abgesegnet.

Ins Leben gerufen wurde die so genannte Atlas-Gruppe im Januar 2002 bei einem Treffen in Brüssel, zu dem die deutsche GSG 9, die Anti-Terror-Einheit der französischen Gendarmerie (GIGN) und deren belgisches Pendant (DSU) geladen hatten. Unter dem Dach der Task Force der Polizeichefs treffen sich halbjährlich Vertreter von 32 Einheiten aus allen 27 EU-Staaten. Neueste Berichte lassen darauf schließen, dass auch zwei Nicht-EU-Staaten an der Atlas-Gruppe beteiligt sind. Aus der BRD ist neben der GSG 9 das „Spezialeinsatzkommando“ der baden-würt­tem­bergi­schen Polizei präsent.[2]

Bisher beruhte die Arbeit der Atlas-Gruppe nur auf einer informellen „Konvention“. Versuche, den Einsatz solcher Gruppen jenseits der jeweiligen nationalen Grenzen zu verrechtlichen – etwa durch einen Zusatzartikel 41a des Schengener Durchführungsübereinkommens[3] –, waren bisher gescheitert. Der jetzt vorliegende Beschlussentwurf profitiert von der Debatte um die „Vertiefung“ der polizeilichen Zusammenarbeit, die mit der Überführung des Prümer Vertrages in EU-Recht einher geht.[4] Art. 18 des Prüm-Beschlusses bezieht sich allerdings nur auf die gegenseitige Hilfeleistung bei Massenveranstaltungen, schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen, nicht aber auf „von Menschen verursachte Krisensituationen“. Solche sollen nach Art. 2 Abs. 2 des Atlas-Beschlussentwurfs dann gegeben sein, wenn „die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass eine Straftat vorliegt, die eine ernsthafte physische Bedrohung für Personen, Eigentum, Infrastrukturen oder Institutionen in diesem Mitgliedstaat darstellt.“ Statt die in Frage kommenden Delikte – etwa Flugzeugentführungen oder Geiselnahmen – in einem Katalog aufzuführen, wird auf den unklaren Terrorismus-Rahmenbeschluss von 2002 verwiesen. Nach Art. 3 des Entwurfs „kann“ ein Mitgliedstaat in solchen Situationen „darum bitten … von einer Spezialeinheit eines anderen Mitgliedstaates unterstützt zu werden“. Ob letzterer die Bitte erhört, ist seine Sache. Je nach Vereinbarung kann diese „Hilfeleistung“ bis zur „Durchführung von Operationen, erforderlichenfalls unter Einsatz von Waffen“ gehen. Der Beschluss verpflichtet zwar zu nichts, allerdings wird er mit ziemlicher Sicherheit darauf hinauslaufen, dass die EU-Staaten untereinander solche Vereinbarungen auf Vorrat ausarbeiten.

Die unmittelbare Wirkung des Beschlusses besteht jedoch darin, dass die Atlas-Gruppe in Zukunft formell ein EU-Gremium ist und ihre Treffen, ihre Übungen und ihre Infrastruktur aus dem Haushalt der Union finanziert werden. Umwege wie 2002, als man versuchte, eine Durchführbarkeitsstudie für ein Kommunikationssystem und eine Operationszentrale der Spezialeinheiten aus dem Europol-Haushalt querzufinanzieren, werden nicht mehr nötig sein.[5]

(Heiner Busch)

[1]      Amtsblatt der Europäischen Union C 321 v. 29.12.2006; Ratsdok. 14617/07 v. 8./9.11.2007; Ratsdok. 6475/08 v. 14.2.2008
[2]     BT-Innenausschuss, A-Drs. 16(4)207 v. 10.5.2007; vienna-online v. 7.4.2008
[3]     Ratsdok. 8434/05 v. 25.4.2005 und 13937/05 v. 3.11.2005
[4]     Ratsdok. 11896/07 v. 17.9.2007
[5]     Ratsdok. 14953/02 v. 2.12.2002 und 10550/03 v. 16.6.2003