Chronologie

zusammengestellt von Jan Wörlein

Januar 2010

07.01.: Oury-Jalloh-Prozess wird neu aufgerollt: Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Urteil des Landgerichts (LG) Dessau auf, das im De­zember 2008 zwei Polizisten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen hatte. Das LG Magdeburg muss den Fall des im Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh neu verhandeln. (Az.: 4 StR 413/09)

Todesschuss-Fall Eisenberg: Nachdem die Regensburger Staatsanwaltschaft im Dezember das Ermittlungsverfahren gegen die zwei Polizisten, die im April 2009 den Studenten Tennessee Eisenberg erschossen, eingestellt hat, erhebt dessen Familie Beschwerde beim Generalstaatsanwalt in Nürnberg. Am 26. März wird sie abgewiesen.

08.01.: Schüsse auf Polizeidienststelle: Nach Angaben der Hamburger Polizei haben Unbekannte haben sechs Schüsse auf die Polizeidienststelle Hamburg-Harburg abgegeben. Ein Projektil schlug in die Decke eines Besprechungsraums ein, fünf weitere prallten an der Fassade ab. Die At­tacke soll zwischen dem 30. Dezember und der 4. Januar stattgefunden haben und blieb zunächst unbemerkt.

14.01.: Anklage wegen Todesschuss: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin erhebt Anklage gegen einen Berliner Polizisten wegen Totschlags. Der Zivilbeamte hatte am 31. Dezember 2008 bei einem Festnahmeversuch im brandenburgischen Schönfließ einen 28-Jährigen durch die Scheibe seines Wagens erschossen. Am 2. März lässt das LG Neuruppin die Anklage zu. Wegen falscher Angaben zum Hergang werden zwei weitere Polizisten der Strafvereitelung im Amt beschuldigt.

15.01.: Polizeischüsse in Rüsselsheim: In der Rüsselsheimer Innenstadt kommt es nach einem Banküberfall zu einer Schießerei. Der Räuber trifft bei seiner Flucht mit mehreren tausend Euro und mit einer Schusswaffe vor der Bank auf Polizeibeamte. Nach einer Drohgeste eröffnen diese das Feuer und treffen den 39-Jahrigen ins Bein. Der Mann flüchtet dennoch weiter und richtet wiederum die Waffe auf die Verfolger, die erneut schießen und ihn in Bein und Schulter treffen.

19.01.: Terrorlisten: Die Bundesregierung teilt auf Anfrage der Linkspartei mit, dass bisher insgesamt 203,93 Euro von auf der EU-Terrorliste verzeichneten Gruppierungen eingefroren wurden.

20.01.: Fehlalarm am Flughafen München: Nach einer Terrorwarnung wird das Gebäude des Münchner Flughafens geräumt. Wie sich später herausstellt, hat ein Detektor fälschlich Sprengstoffspuren auf dem Laptop eines Passagiers angezeigt. Der ist auch nicht geflohen, sondern verließ den Kontrollbereich ohne Eile und ging in einen Duty-Free-Shop.

25.01.: Geldstrafe für einen Polizisten: Das Amtsgericht (AG) Arnstadt (Thüringen) verurteilt den Schichtleiter der Gefangenensammelstelle Il­menau wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 9.000 Euro. Im Dezember 2008 hatte die Polizei war einen betrunkenen 28-Jährigen, der sich heftig gegen Rettungssanitäter gewehrt hatte, in Gewahrsam ge­nommen. Er verstarb in der Polizeizelle an einem Alkohol-Heroingemisch. Der Verurteilte hatte versäumt, einen Notarzt zu rufen.

26.01.: Polizeilicher Todesschuss: Anwohner rufen am frühen Morgen die Polizei, weil sich ein mit einem Messer bewaffneter Mann vor einem Krankenhaus in Frankfurt/Main mit einer Frau streitet. Beim Eintreffen der Polizisten befindet sich der 28-Jährige auf dem Hof des Hospitals und greift diese mit einem kleinen Küchenmesser an. Die Beamten schießen viermal auf den Mann, der eine Stunde später verstirbt.

Polizeilicher Schusswaffengebrauch: In Darmstadt wird ein 48-Jäh­ri­ger, der Streifenpolizisten mit einem Küchenmesser angreift, von einem gezielten Schuss ins Bein getroffen.

27.01.: Suizide in Berliner Knästen: Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue teilt auf Anfrage der CDU mit, dass sich zwischen Januar 2008 und November 2009 elf Gefangene in Berliner Justizvollzugsanstalten das Leben nahmen. 38 versuchten sich umzubringen.

28.01.: Freispruch für Yunus K. und Rigo B.: Das LG Berlin spricht die 17- bzw. 19-jährigen Schüler vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung und schweren Körperverletzung frei. Sie waren beschuldigt worden, am 1. Mai 2009 einen Molotow-Cocktail auf die Polizei geworfen und dabei eine Frau schwer verletzt zu haben. Die Anklage hatte sich nur auf die Aussagen zweier Polizisten aus einer Observationseinheit gestützt.

29.01.: Pensioniert: Der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes Bernhard Falck wird nach 17 Jahren im Amt pensioniert.

30.01.: Bildungsstreik-Demo: 4.000 TeilnehmerInnen einer Demon­stration für bessere Studienbedingungen in Frankfurt/Main werden von einem Spalier der Polizei begleitet, die mehrfach Pfefferspray einsetzt.

31.01.: Polizeilicher Schusswaffengebrauch: Eine Polizistin schießt vor einer Kneipe in Berlin-Kreuzberg vier Mal auf einen 44-Jährigen, der eine Waffe auf sie gerichtet habe. Ein Schuss trifft ins Bein. Die Polizei war gerufen worden, weil der Mann zuvor in der Kneipe randalierte.

Februar 2010

02.02.: Brandanschläge in Berlin: Bei einem nächtlichen Anschlag auf das Gebäude der Stiftung Wissenschaft und Politik im Stadtteil Wilmersdorf wird niemand verletzt. Bei einer Attacke am 4. Februar auf das Haus der Wirtschaft in Charlottenburg entsteht geringer Sachschaden.

03.02.: Razzien gegen Islamisten: In Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen durchsuchen Ermittler 43 Objekte und nehmen drei Personen fest. Hintergrund ist ein Verfahren gegen Islamisten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

05.02.: Steuersünder-CD wird eingekauft: Die nordrhein-west­fä­li­sche Landesregierung weist ihre Steuerbehörde an, für 2.5 Mio. Euro eine CD-Rom mit Schweizer Bankdaten über 1.500 Steuerhinterzieher zu kaufen. Andere Länder folgen dem Beispiel. Bis zum 25. März registrieren die Finanzministerien 11.000 Selbstanzeigen.

09.02.: G10-Maßnahmen: Laut Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums schwankte die Zahl der gezielten Post- und Telekommunikationsüberwachungen durch die Geheimdienste des Bundes zwischen 54 „Einzelmaßnahmen“ im ersten und 56 im zweiten Halbjahr 2008. Die Zahl der direkt Betroffenen bewegte sich zwischen 283 und 339 Personen. Bei der „strategischen“ Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst wurden im Gefahrenbereich Terrorismus 349.855 Nachrichten abgefangen, neun seien „nachrichtendienstlich relevant“ gewesen.

11.02.: Nazi-Überfall bleibt straffrei: Wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen stellt die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen gegen 37 Rechtsextreme wegen des Überfalls auf einen Bus hessischer GewerkschafterInnen ein, bei dem am 14. Februar 2009 an der Thüringer Autobahnraststätte Teufelstal ein Gewerkschafter schwer verletzt wurde.

Abschiebezahlen: Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion wurden 2009 über 7.800 Personen abgeschoben. 7289 Abschiebungen erfolgten auf dem Luft-, 536 auf dem Land- und fünf auf dem Seeweg. 164 Abschiebungen scheiterten am Widerstand der Betroffenen, 41 aus medizinischen Gründen, 58 aufgrund der Weigerung der Fluggesellschaft oder des Piloten und 17 durch die Weigerung der Zielstaaten, die Abgeschobenen aufzunehmen. Außerdem kam es zu 9.782 Zurückschiebungen und 3.305 Zurückweisungen.

13.02.: Nazi-Marsch verhindert: Am Jahrestages der Bombardierung Dresdens verhindern 2.000 BlockiererInnen eine Kundgebung von 1.200 Rechtsextremen. Gleichzeitig bilden Zehntausende einen Ring um die Altstadt, um gegen den geplanten Nazi-Marsch zu protestieren.

16.02.: Unliebsame Studie: Die Bundesregierung bestätigt auf Anfrage der Linksfraktion ihren Rückzug aus einer durch die Innenministerkonferenz in Auftrag gegebenen Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Die Untersuchung über Gewalt gegen PolizistInnen könne „in der öffentlichen Diskussion falsch interpretiert“ werden.

18.02.: Amok-Lauf an Schule: In einer Berufsschule in Ludwigshafen ersticht ein 23-Jähriger ehemaliger Schüler einen 58-jährigen Lehrer, schießt mit einer Schreckschusspistole um sich und legt Feuer. Von eintreffenden Polizisten lässt sich der Mann widerstandslos festnehmen.

Auskunftsanfragen der Geheimdienste: Laut dem Parlamentarischen Kontrollgremium haben die Geheimdienste des Bundes im Jahre 2008 64 Auskunftsanfragen nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz gestellt, davon 52 mit 150 Betroffenen an Telekommunikationsunternehmen. 14 Mal haben die Dienste einen IMSI-Catcher eingesetzt.

23.02.: Raubende Polizisten: Zwei Bundespolizisten, denen die Berliner Staatsanwaltschaft räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt vorwirft, werden in U-Haft genommen. Die 42 und 27 Jahre alten Beamten haben gestanden, im Dezember 2009 und am 16. Februar Vietnamesen gezielt misshandelt und beraubt zu haben.

Geldstrafe für Polizisten: Ein Berliner AG verurteilt einen 41-jährigen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt zu 8.400 Euro Geldstrafe. Der Beamte hatte einen Studenten bei einer Personalienfeststellung mit drei Faustschlägen und drei Schlagstockhieben attackiert.

März 2010

02.03.: Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig. Alle bisher gespeicherten Daten müssen gelöscht werden. Das verdachtsunabhängige Speichern von Verbindungsdaten sei aber nicht „schlechthin verboten“. Bei Gefahr für Leib und Leben könne auf die Daten zugegriffen werden. (Az.: 1 BvR 256/08 u.a.)

04.03.: Urteil gegen „Sauerland-Gruppe“: Wegen versuchten Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt das Oberlandesgericht Düsseldorf vier Mitglieder der Sauerland-Gruppe zu Haftstrafen zwischen fünf (für einen Helfer) und zwölf Jahren. Sie waren im September 2007 nach monatelanger Observation im Sauerland festgenommen worden und hatten im Prozess Anschlagsvorbereitungen auf US-Streitkräfte in der BRD gestanden. (Az.: III-6 StS 11/08)

07.03.: Flüchtling begeht Suizid: Im Abschiebegefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel erhängt sich ein georgischer Flüchtling, der nach Polen abgeschoben werden sollte und zuvor in einen Hungerstreik getreten war. Nach eigenen Angaben war er 17, laut Botschaft 25 Jahre alt.

09.03.: Erstmals Sicherungsverwahrung für Jugendliche: Der BGH bestätigt eine vom LG Regensburg verhängte nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen einen Mann, der 1999 als 19-Jähriger eine Joggerin erwürgt hatte und zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt worden war. (Az.: 1 StR 554/09)

15.03.: Verfassungsschutzakten über Verena Becker: Bundesinnenminister Thomas de Maizière „entsperrt“ die Akten des Bundesamts über das ehemalige RAF-Mitglied. Die Bundesanwaltschaft darf den Inhalt der rund 300 Seiten im bevorstehenden Verfahren gegen Becker wegen des Mordes an Generalbundesanwalt Buback 1977 verwenden.

Polizeilicher Todesschuss: Im Berliner Stadtteil Wedding bedroht ein 37-jähriger Russe seine Mutter, die aus der Wohnung fliehen kann. Als zwei Streifenpolizisten die Wohnungstür öffnen, fuchtelt der Mann laut Polizeiangaben wild mit einem Messer um sich. Ein Beamter schießt zweimal und trifft den Mann tödlich in die Brust.

Mitgefangenen erschlagen: In der hessischen Justizvollzugsanstalt Weiterstadt verprügelt ein 29-Jähriger einen 24-jährigen Mitgefangenen, der zwei Tage später an seinen Verletzungen stirbt.

Ausreiseverbot unrechtmäßig: Ein Münchner Gericht hebt das Ausreiseverbot gegen einen Bayern-Fan auf, weil die amtliche Verfügung „nicht einmal die Minimalanforderungen“ erfüllte.

17.03.: SEK-Beamter erschossen: Bei einer Razzia im Rockermilieu in Anhausen (Rheinland-Pfalz) feuert ein mutmaßliches Hells-Angels-Mitglied ohne Vorwarnung durch eine geschlossene Wohnungstür und erschießt einen Polizisten.

23.03.: V-Mann im Bundestag: Laut Bericht der Berliner Zeitung hat der Berliner Verfassungsschutz zwischen 2003 und 2005 den Mitarbeiter des damaligen SPD-Abgeordneten Andreas Weigel als V-Mann geführt.

Politisch motivierte Straftaten: Bei der Vorstellung der Statistik warnt der Bundesinnenminister vor einem Anstieg linker Straftaten. 2009 wurden 33.900 politisch motivierte Taten registriert: 19.468 rechte, 9.375 linke, 966 von AusländerInnen. Von den 3.044 Gewalttaten wurden 1.820 dem linken und 859 dem rechten Spektrum zugeordnet.

24.03.: Keine üble Nachrede: Das AG Erlangen spricht die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer vom Vorwurf der üblen Nachrede gegen einen Polizisten frei, der bei der tödlichen Attacke auf die Ägypterin Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal nicht auf den Angreifer, sondern auf deren Ehemann geschossen hatte. Schiffer hatte in einem Interview „rassistische Gründe“ für diesen Fehlschuss vermutet (s. S. 89 in diesem Heft).

25.03.: Weniger Drogentote: 2009 starben laut der Bundesdrogenbeauftragten 1.331 Menschen an den Folgen des Drogenkonsums.

29.03.: Freispruch für Nazi-Überfall: Mangels Beweisen für die individuelle Täterschaft spricht das AG Burg (Sachsen-Anhalt) einen Mann aus der rechten Szene frei. Im Mai 2008 waren zwei Flüchtlinge aus einer Gruppe von 15 Personen heraus angegriffen und schwer verletzt worden. Die Polizei war erst nach zehn Minuten vom nahe gelegenen Revier eingetroffen und hatte die Personalien der Angreifer nicht festgestellt.

30.03.: Haft für Khaled El Masri: Das LG Memmingen verurteilt den von seiner Entführung durch die CIA Traumatisierten zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung, weil er am 11. September 2009 den Neu-Ulmer Oberbürgermeister in dessen Amtszimmer niedergeschlagen hat. Da der Angriff in der Bewährungszeit erfolgte, muss El Masri zusätzlich zwei weitere Jahre aus einer vorangegangenen Verurteilung absitzen.