von Heike Kleffner
Seit einem Jahr müssen Träger von Projekten gegen Rechtsextremismus die umstrittene Extremismusklausel unterzeichnen, wenn sie staatliche Fördergelder erhalten wollen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hält eisern daran fest und lässt sich trotz massiver Kritik von Opposition, Gewerkschaften und Wissenschaft nicht vom Kurs abbringen.
Die ersten Enthüllungen über die fatale Mischung von Ignoranz, Fehlverhalten, Inkompetenz und Entpolitisierung auf Seiten der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste im Kontext des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) waren gerade einmal zehn Tage alt, da meldete sich auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder erstmals zu Wort. Doch wer von der Ministerin, die für das Bundesprogramm „Toleranz fördern. Kompetenz stärken“[1] zuständig ist, Worte der Ermutigung für die durch ihr Ministerium (BMFSFJ) geförderten Projekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus oder gar der Anerkennung für deren mehr denn je notwendige Arbeit erwartet hatte, wurde – wieder einmal – enttäuscht. „Nach solch schrecklichen Vorfällen ist es umso wichtiger, dass wir uns gemeinschaftlich zu unserer Demokratie und unserer Rechtsordnung bekennen … Wer gegen Extremismus eintritt, sollte ein Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Selbstverständlichkeit unterschreiben können und wollen,“ sagte Kristina Schröder stattdessen gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger. Die Demokratieerklärung benötige „die Rückendeckung aller Demokraten, weil sie ein Zeichen dafür setzt, dass Extremisten egal welcher Richtung in unserem Land keinen Platz haben. Toleranz gegenüber Intoleranz ist nämlich Dummheit,“ so Schröder weiter.[2]
Den folgenden Sturm der Entrüstung von Seiten der Opposition, der Gewerkschaften und Initiativen hatte Schröder offenbar mit einkalkuliert. Als wenig später durch eine parlamentarische Anfrage der Linken bekannt wurde, dass 2011 rund 8,5 der insgesamt 25 Millionen Euro, die für die beiden Bundesprogramme jährlich eingestellt sind, noch nicht abgerufen wurden, machte Schröder prompt die Initiativen dafür verantwortlich.[3] Um dann wenig später Brosamen zu verteilen und anzukündigen, zum Jahresende würden zwei Millionen der nicht abgerufenen Gelder an die „Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ in den Bundesländern verteilt. Konkret ist das eine Summe von weniger als 50.000 Euro pro Bundesland, wobei völlig offen ist, wie viel davon tatsächlich auch bei den Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen ankommen wird, die im Rahmen der „Beratungsnetzwerke“ ohnehin nur mit insgesamt fünf Millionen Euro – d.h. konkret 250.000 Euro pro Bundesland – jährlich vom Bund gefördert werden. Bei dieser Summe handelt es sich nicht einmal um den berühmten Tropfen auf den glühend heißen Stein. Schon seit 2007 – dem Jahr, als das Vorläuferbundesprogramm CIVITAS endete – fehlen in Sachsen den Trägern der Opferberatung (der RAA Sachsen e.V.) und der Mobilen Beratungsteams (dem Kulturbüro Sachsen e.V.) jährlich 100.000 Euro. In Sachsen-Anhalt fehlen dem Träger der Opferberatung und Mobilen Beratungsteams (Miteinander e.V.) 50.000 Euro für das Jahr 2012.
Dass es Kristina Schröder jedoch mit dem Bundesprogramm nicht um die effektive Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus geht, war schnell deutlich. Mit ihrer Amtsübernahme als Ministerin setzte sie den entscheidenden Richtungswechsel durch, auf den ihre Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) nach massiven Protesten aus Wissenschaft und Praxis noch verzichtet hatte: Priorität der aktuellen Programme hat nun nicht mehr die Bekämpfung von Rechtsextremismus, sondern die von „Extremismus“ im Allgemeinen. Dementsprechend verändert – neben den wissenschaftlichen und politischen Fragwürdigkeiten dieses Begriffs – ist nun auch die politische Aussagekraft der Programme. Am 6. Oktober 2010 twitterte Kristina Schröder dann: „In Zukunft werde ich von Initiativen gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus Bekenntnis zu unserer Verfassung verlangen.“ Künftig werde nur Zuwendungen aus den Bundesprogrammen erhalten, wer auch bereit sei, seine Verfassungstreue durch die Unterschrift unter eine „Demokratieklausel“ unter Beweis zu stellen.
Im November 2010 wurde der Wortlaut dieser Klausel bekannt, die seit Jahresbeginn 2011 als Anlage mit allen Zuwendungsbescheiden verschickt wird und deren Unterzeichnung Voraussetzung für eine Förderung ist. Darin heißt es wörtlich:
„Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller und immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.“
Verfassungsrechtliche Bedenken
Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis hielt in einem Gutachten für den Verein für Demokratische Kultur in Berlin, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das Kulturbüro Sachsen und den Verein Opferperspektive Brandenburg bereits Ende November 2010 fest:
„Der zweite und dritte Satz der Bestätigungsklausel stellen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Bestimmtheitsgebot dar und sind daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“[4]
Die beiden Sätze seien „unverhältnismäßig“, weil sie „die Letztempfänger auf eine gegenseitige – praktisch kaum durchführbare – Kontrolle (verpflichten), die im Ergebnis zu einer erheblichen Belastung der Zusammenarbeit der Gruppen und Initiativen führen wird. Diese sind in ihrer Arbeit auf Vernetzung, Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen angewiesen. Diese Folge steht in einem nicht angemessenen Verhältnis zu den mit der Einschränkung verfolgten Belangen, da das in der Leitlinie übergeordnete Ziel der Demokratieförderung in Gefahr gerät“.[5]
Im Januar 2011 kamen die Wissenschaftliche Dienste des Bundestags zu einem ähnlichen Ergebnis: In einer Expertise auf Anfrage von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) wird die Forderung nach einem schriftlichen Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO) als „verfassungsrechtlich fragwürdig“ bewertet.[6] „In einem Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Gesinnungsüberprüfung dürfte sich das Erleben von demokratischer Teilhabe kaum organisieren lassen.“[7] Das BMFSFJ reagierte darauf, in dem es ein Gegengutachten bei Prof. Fritz Ossenbühl von der Universität Bonn einholte, der der „Demokratieerklärung“ wenig überraschend bescheinigt, rechtmäßig zu sein.[8]
Sächsische Vorreiterrolle
Die Regierung des Freistaats Sachsens entschied sich trotz der Bundesklausel für eine Vorreiterrolle unter den Ländern. Zum Jahresbeginn 2011 installierte man eine landeseigene „Extremismusklausel“. Alle Träger, die im Rahmen des derzeit mit 2,26 Millionen Euro jährlich ausgestatteten Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ Anträge stellen, müssen seitdem – vor der Zahlung von Fördermitteln und als verbindliche Anlage zum Förderbescheid – folgende Erklärung unterzeichnen:
„Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und keine Aktivitäten entfalten, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechen. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir dafür Sorge zu tragen, dass die zur Durchführung des geförderten Projektes als Partner Ausgewählten ebenfalls eine Erklärung gemäß Satz eins abgeben.“[9]
Eine breitere Öffentlichkeit nahm die Pläne für diese Klausel zur Kenntnis, als die Landesregierung darauf bestand, dass auch die PreisträgerInnen des „Sächsischen Förderpreis für Demokratie“ 2010, das AkuBiz Pirna, die sogenannte Demokratieerklärung unterzeichnen sollten. Der Preis wurde bis dato jeweils am 9. November von der Landesregierung gemeinsam unter anderem mit der Amadeu Antonio Stiftung und der Stiftung Dresdener Frauenkirche vergeben, Das AkuBiz, eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Sächsischen Schweiz, die sich seit Jahren gegen Neonazis und Alltagsrassismus engagieren, verwehrte sich dieser Misstrauensbekundung und lehnte während des Festaktes eine Annahme des Preises ab: „Die Aufforderung an uns, unsere KooperationspartnerInnen auszuleuchten, erinnert eher an Methoden der Stasi und nicht an die Grundlagen einer Demokratie.“[10] Auf die medialen Sympathiebekundungen reagierten Bundes- und LandespolitikerInnen des rechtskonservativen Flügels der CDU wie gewohnt mit einem Schulterschluss.
Auch die sächsische Sonderklausel hat ähnlich schlechte Noten bekommen wie jene des Bundes. Das Gutachten des Juristischen Dienstes, das die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beim Präsidenten des Landtags beantragt hatte, kann nur als schallende Ohrfeige für die CDU/FDP-Landesregierung gewertet werden.
„Durch das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung … wird in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen … Das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung … ist sachlich nicht gerechtfertigt, um zwischen Antragstellern der Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen zu differenzieren. Es verstößt daher gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 Abs. 1 Sächsische Verfassung und Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.“
Und da die „Demokratieerklärung“ mit dem Erfordernis zur Abgabe des FdGO-Bekenntnisses gegen Grundrechte von Antragstellern verstoße, stelle „die Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen in Verbindung mit dem Haushaltsgesetz 2011/2012 keine ausreichende Rechtsgrundlage dar.“[11]
Die Initiativen wehren sich weiter
Die Bundesfamilienministerin und die sächsische Regierung ignorieren bislang sowohl die verfassungsrechtlichen Bedenken als auch die massiven Proteste gegen die Klausel: Obwohl mehrere tausend Menschen Online-Petitionen gegen die „Extremismusklausel“ unterzeichneten und mit Stephan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sowie zahlreichen WissenschaftlerInnen, JuristInnen und PolitikerInnen von SPD, Grünen und Linken im Bundestag ein ungewöhnlich breites gesellschaftliches Spektrum protestiert hat. Wie breit der Widerstand ist, zeigt sich nicht zuletzt in dem Appell „Gegen Neonazis: Was jetzt zu tun ist“, den die Opferberatungsprojekte und Mobilen Beratungsteams als Reaktion auf den sicherheitspolitischen Diskurs zum NSU-Komplex veröffentlichten.[12]
Nach wie vor scheint es so, dass sowohl die Forderungen der Projekte als auch der Opposition nach einer sofortigen Verdoppelung der Haushaltssumme für das Programm auf mindestens 50 Millionen Euro sowie den Wegfall der Extremismusklausel am Widerstand des rechts-konservativen Unionsflügels um Kristina Schröder scheitern werden.
Wenn es nicht doch zu einem politischen Kurswechsel in der Regierungskoalition kommen sollte, wird die nächste Runde des Streits vor Gericht ausgetragen: Am 25. April 2012 um 9 Uhr hat das Verwaltungsgericht Dresden eine erste Anhörung zur Klage des AkuBiz gegen die Klausel anberaumt. Der Verein klagt gegen den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Konkret geht es um die Förderung für ein Projekt zum ehemaligen NS-Konzentrationslager Königstein. In einem Zuwendungsbescheid über Fördergelder des Landkreises, die dieser vom Landessozialministerium erhält und an die Trägervereine im Rahmen von „Lokalen Aktionsplänen“ weitergeben soll, wird die Auszahlung der Gelder mit der Unterzeichnung der Extremismusklausel verbunden. Der Dresdner Anwalt Robert Uhlemann, der den Verein AkuBiz vetritt, verweist darauf, dass die Klausel einen Eingriff in die Meinungsfreiheit bedeute und der Begriff „extremistisch“ außerdem unbestimmt sei.
Wie das Verwaltungsgericht entscheiden und wie lange das Verfahren dauern wird, ist äußerst ungewiss. Das AkuBiz und seine UnterstützerInnen setzen darauf, dass die Landesregierung einem Gesichtsverlust durch eine Abschwächung der landeseigenen Klausel zuvorkommen könnte. Im Bundesfamilienministerium jedenfalls gibt man sich gelassen. „Wir bleiben dabei. Die Demokratie-Erklärung ist richtig,“ zitiert die Süddeutsche Zeitung einen BMFSFJ-Sprecher am 18. November 2011.