Aktionsplan für die europäische Sicherheitsindustrie

Spätestens seit dem öffentlich-privaten Dialog der „Aerospace Advisory Group“, als dessen Ergebnis im Sommer 2002 der „Strategic Aerospace Review for the 21st Century“ (STAR 21) vorgelegt wurde, pflegen die EU-Kommission und die Großkonzerne der europäischen Rüstungs- und Sicherheitsindustrie eine besondere Beziehung.[1] Nicht nur verspricht sich die Kommission Innovation und Wettbewerbsfähigkeit durch das Hätscheln einer „Schlüsselindustrie“; sie sieht diese auch als Garanten der rüstungspolitischen Unabhängigkeit einer Union, die zunehmend militärisch agiert. Mit der Etablierung der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) im Jahr 2004 und mit der EU-Sicherheitsforschung, die seit 2007 als „Brücke zwischen ziviler Forschung und Wehrforschung“ fungieren soll, ist die Verflechtung der Interessen weiter gewachsen. Zusätzlich beschleunigt wurde sie durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Im Rahmen ihrer „Europa 2020“-Strategie kündigte die Kommission 2010 eine „Initiative für die Sicherheitsindustrie“[2] an. Dreizehn Monate später konstatierte sie in einer Zwischenbilanz zur Umsetzung der EU-Strategie für die Innere Sicherheit die Intensivierung des Dialogs mit der Branche durch eine „Gesprächsrunde auf hoher Ebene“.[3]

Nach zwei „High Level Security Roundtables“ mit der European Organisation for Security (EOS), der Lobby von 39 Konzernen der Sicherheitsindustrie, sowie Online-Konsultationen und diversen Workshops legte die Kommission am 26. Juli 2012 einen „Maßnahmenkatalog für eine innovative und wettbewerbsfähige Sicherheitsbranche“ vor.[4] Ziel des Katalogs ist es, der europäischen Industrie in einem vermeintlich krisenfesten Wirtschaftszweig – auf 100 Milliarden Euro wird der globale Umsatz mit Sicherheitstechnologien geschätzt – politischen Flankenschutz zu geben und insbesondere gegenüber der US-Konkurrenz eine „EU-Marke“ zu etablieren. Für den Erfolg der Sicherheitsindustrie auf den prognostizierten Wachstumsmärkten in Asien, dem Mittleren Osten und Südamerika will die Kommission einen „besser funktionierenden europäischen Binnenmarkt“ für Sicherheitstechnologien schaffen und so Massenproduktion und Skaleneffekte fördern. Hierzu will sie die Marktfragmentierung überwinden, die „Lücke zwischen Forschung und Markt“ schließen und dafür Sorge tragen, dass die „gesellschaftliche Dimension“ besser einbezogen werde.

Im Einzelnen ist geplant, EU-weite Standards für Gefahrstoffdetektoren, Grenzkontrollsysteme und interoperable Lagezentren zu schaffen, Zertifizierungsverfahren für Flughafenschleusen und Alarmsysteme zu harmonisieren sowie zivil-militärische „Synergien“ durch „hybride Standards“ z.B. für Digitalfunk oder Drohnen zu nutzen. Die Forschungsförderung soll angepasst werden, um eine schnelle Markteinführung von neuen Produkten zu garantieren, und öffentliche Auftraggeber sollen durch das Instrument der „vorkommerziellen Auftragsvergabe“ – also den Kauf noch nicht marktreifer Produkte – zu „Entwicklungsmotoren“ werden. Nachdenken will man über eine Begrenzung von Haftungsrisiken für den Fall, dass Sicherheitsversprechen der Technologieanbieter sich als heiße Luft erweisen. Zudem wird einer aggressiven Exportpolitik das Wort geredet, wenn es heißt, dass man sich für einen „fairen Zugang“ zu öffentlichen Beschaffungsmärkten in Ländern des Südens einsetzen will. Nicht zuletzt sollen durch Technikfolgenabschätzung und „Privacy by Design“-Akzeptanzmanagement garantiert und Vermarktungsrisiken mi­nimiert werden.

Erste Schritte zur Umsetzung wurden bereits eingeleitet: Die Standardisierungsorganisation CEN wurde mit der Erstellung einer detaillierten „Roadmap“ beauftragt; die Vorschläge für das kommende EU-Forschungsprogramm „Horizont 2020“ und den „Fonds Innere Sicherheit“ beinhalten Regelungen für die Beteiligung staatlicher Stellen an Patentrechten und den mit öffentlichen Geldern abgesicherten Test von Demonstratoren in der Praxis; Rahmenvereinbarungen von Kommission und EVA dienen der Koordinierung von Forschung und Entwicklung. Den weiteren Prozess soll nun eine Expertengruppe überwachen, in der „alle maßgeblichen Akteure des Sicherheitsbereichs“ vertreten sind. Absehbar ist, dass sich damit das bislang in den „High Level Security Roundtables“ organisierte Stelldichein von EU-Sicherheitsbürokratie und Großkonzernen verstetigen wird.

(Eric Töpfer)

[1]      http://ec.europa.eu/research/growth/gcc/projects/star21.html

[2]     KOM(2010) 614 endg. v. 28.10.2010, S. 31

[3]     KOM(2011) 790 endg. v. 25.11.2011, S. 35

[4]     KOM(2012) 417 endg. v. 26.7.2012