Schengener Visa-Konsultationsverfahren

Wer auf einem Konsulat eines Schengen-Staates ein Visum beantragt, muss nicht nur darlegen, was der Zweck der Reise ist, und nachweisen, dass er oder sie über die nötigen finanziellen Mittel, eine Reisekrankenversicherung u.ä. verfügt. Die jeweilige Auslandsvertretung prüft auch, ob die AntragstellerInnen im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben sind. Während das SIS und seine Rolle bei der Einreiseverweigerung recht häufig in der Diskussion sind, wird dagegen das so genannte Konsultationsverfahren, das auch den Staatsschutz- und Geheimdiensten der Mitgliedstaaten erlaubt, sich in die Visa-Vergabe einzumischen, kaum beachtet. Einschlägige Fälle wie der folgende, über den die in Zürich erscheinende „Wochenzeitung“ (WOZ) berichtete, werden nur selten bekannt: Im Juli 2009 verweigerte die schweizerische Botschaft in Teheran einem jungen Iraner die Ausstellung eines Schengen-Visums.[1] Der Mann hatte sich bereits zuvor zu einem Sprachkurs in Deutschland aufgehalten. Auch eine Reise in die Schweiz (vor deren Schengen-Beitritt im Dezember 2008) verlief ohne Probleme. Wie ein Auskunftsersuchen beim schweizerischen Bundesamt für Polizei ergab, war er auch nicht im SIS gespeichert. Auf dem Schengen-einheitlichen Formular zur Visumsverweigerung wurde ihm nur mitgeteilt, dass „ein oder mehrere Mitgliedstaaten der Auffassung (sind), dass sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit … oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten darstellen.“ Die entsprechende Rubrik auf dem Formular war angekreuzt. Welcher Staat ihn als Sicherheitsrisiko einstufte und aufgrund welcher Informationen, erfuhr der Mann nicht. Auch eine Klage vor dem schweizerischen Bundesverwaltungsgericht blieb erfolglos. Dieses bestätigt im März 2012 sowohl die Visums- als auch die Auskunftsverweigerung.[2]

Das Konsultationsverfahren ist in Art. 22 des Schengener Visa-Kodex geregelt. Danach können die Mitgliedstaaten verlangen, dass ihnen die „zentralen Behörden“ der anderen Schengen-Partner alle auf ihren Konsulaten eingereichten Visumsanträge zur Prüfung vorlegen, die von den BürgerInnen ausgewählter Drittstaaten sowie bestimmter weiterer Personengruppen gestellt werden. Die EU-Kommission führt eine entsprechende Liste, auf der heute 29 Drittstaaten – sämtliche Länder des Nahen Ostens und des Maghreb sowie weitere afrikanische, asiatische und osteuropäische – und drei Personengruppen – Staatenlose, Flüchtlinge  und PalästinenserInnen – verzeichnet sind.[3]

Die „Konsultation“ verläuft derzeit noch über das „VISION“- Netz (Visa Inquiry Open Borders Network); sobald weltweit alle Schengen-Konsulate an das Visa-Informationssystem (VIS) angeschlossen sind (voraussichtlich Ende 2013), will man sich des VIS-Mail bedienen. Das Verfahren bleibt dasselbe: Die Konsulate übermitteln die Daten des Visumsantrags an ihre „zentrale Behörde“ – in der Schweiz: an das dem Bundesamt für Migration (BFM) angegliederte VISION-Büro –, die sie wiederum automatisch den „zentrale Behörden“ der anderen Mitgliedstaaten übermitteln. Diese wiederum senden sie an ihre jeweiligen „Sicherheitsbehörden“. Eine Antwort muss innerhalb einer Woche vorliegen. Die Gründe, weswegen ein Veto eingelegt wird, werden dem Staat bei dem das Visum beantragt wurde, nicht mitgeteilt. Letzterer kann in diesem Fall statt eines Schengen- nur mehr ein auf sein Territorium beschränktes humanitäres Visum ausstellen. Das schweizerische BFM erklärte, dass ihm selbst nicht bekannt sei, von welcher Seite das Veto kam. Dies wisse nur das VISION-Büro, weswegen eine Auskunft an den Betroffenen auch gar nicht möglich gewesen sei.

In der BRD gibt es kein eigenständiges derartiges Büro. Das Auswärtige Amt nimmt derzeit noch die Rolle der zentralen Behörde ein. Sie wird nach der vollständigen Inbetriebnahme des VIS auf das Bundesverwaltungsamt übergehen. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) hervorgeht, speist auch das AA die Betroffenen zunächst mit der Formel des Visumsverweigerungsformulars ab.[4] Erst im Falle einer Klage könne den Abgewiesenen eröffnet werden, welcher Schengen-Staat das Veto eingelegt hat.

Welche Drittstaaten die BRD auf die Liste der EU-Kommission hat setzen lassen, teilt die Bundesregierung der Öffentlichkeit nicht mit. Die entsprechenden Informationen liegen einmal mehr nur im Geheimschutzraum des Bundestags. Aber auch aus den offen zugänglichen Teilen der Antwort auf Hunkos Anfrage wird deutlich, dass die deutschen Behörden sich die Visumsanträge aus den meisten der gelisteten Drittstaaten vorlegen lassen. Das AA konsultiert dabei jeweils die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamts, das Zollkriminalamt, das Bundes­amt für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst sowie den Militärischen Abschirmdienst. Diese wiederum gleichen die Daten in ihren einschlägigen Informationssystemen ab. Von Oktober 2007 bis September 2012 hat die deutsche Staatsschutz-Community über 5,2 Mio. Visumsanträge, die bei anderen Schengen-Staaten gestellt wurden, mit entschieden. In 3.050 Fällen wurden Sicherheitsbedenken geltend gemacht.

Umgekehrt haben andere Schengen-Staaten im gleichen Zeitraum rund 15 Mio. bei deutschen Konsulaten eingereichte Visumsanträge geprüft und in 2.293 Fällen ein Veto eingelegt.

(Heiner Busch)

[1]      Wochenzeitung (Zürich) v. 30.8.2012

[2]     Bundesverwaltungsgericht: Entscheid v. 22.3.2012, Az.: C-6033/2009, www.bvger.ch

[3]     http://ec.europa.eu/home-affairs/doc-centre/Annex%2016_Prior%20consultation_DE
.pdf

[4]     BT-Drs. 17/11016 v. 17.10.2012