Auch die Bundespolizei darf künftig Verdeckte ErmittlerInnen führen. Die Regelung ist Teil des neuen ,,Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“, das der Bundestag am 24. Juni 2016 mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen hat.
In der Beschlussempfehlung des Innenausschusses heißt es, der Einsatz von Verdeckten ErmittlerInnen (VE) sei für die von der Bundespolizei (BPol) nunmehr seit 20 Jahren übernommenen zentralen polizeilichen Aufgaben „unerlässlich und längst überfällig“.[1] In der Diskussion um den Gesetzentwurf meldete sich auch BPol-Präsident Dieter Romann zu Wort. In einer verspätet eingereichten Stellungnahme[2] begründete er den Bedarf nach Befugnissen zur verdeckten Ermittlung zur Gefahrenabwehr und Verhütung von Straftaten mit dem Phänomen der „illegalen Migration“. Die BPol könne der Vorgehensweise von „Schleusungsorganisationen“ nicht mehr in ausreichendem Maße „mit den traditionellen herkömmlichen Methoden“ begegnen.
„Schleuser“ agierten „hoch konspirativ, arbeitsteilig und schotten sich in hohem Maße gegen das Vorgehen der Polizei ab“. ZeugInnen und Opfer würden „mit Gewalt eingeschüchtert oder zu Falschaussagen genötigt“. Im Phänomenbereich der Organisierten Kriminalität, dem die „Schleusungskriminalität“ zugerechnet wird, seien „die meisten Toten zu beklagen“. Nur mit dem VE-Einsatz könnten laut Romann „Schleusungen bereits im Ausland“ frühzeitig erkannt und rechtzeitig zielgerichtete Maßnahmen veranlasst werden, etwa die „Intensivierung der Kontrollintensität oder ein länderübergreifender Informationsaustausch“. Es ergebe sich deshalb ein „taktisches Erfordernis“ des präventiven VE-Einsatzes durch die BPol. Dies schließe „Initiativermittlungen“ ein. Entsprechende Regelungen gebe es in fast allen Polizeigesetzen der Länder (mit Ausnahme Schleswig-Holsteins) und im Bundeskriminalamtsgesetz, sie hätten sich bewährt.
V-Leute sorgten für Razzien in der Türkei
Der § 28 des Bundespolizeigesetzes erlaubte bisher schon eine Reihe präventiver verdeckter Methoden – von der längerfristigen Observation über den Einsatz technischer Mittel bis hin zur Führung von V-Leuten. Von letzterem Mittel hat die BPol laut Romann bereits in größerem Umfang Gebrauch gemacht. V-Leute-Einsätze erfolgten anlässlich „wiederholter Schiffsschleusungen von der Türkei (Mersin) nach Italien“. Die BPol richtete hierzu eine Ermittlungskommission („WAVE“) ein und führte darin mehrere InformantInnen. Es ist wahrscheinlich, dass hierfür auch Geflüchtete angeworben wurden. Im Ergebnis hätten die verdeckt erlangten Informationen laut Romann „umfängliche Erkenntnisse über durchgeführte und bevorstehende Schiffsschleusungen“ erbracht, woraufhin „in unmittelbarer Vorbereitung befindliche Schleusungen“ verhindert wurden. Gemeint sind Einreisen mit vergleichsweise seetüchtigen Frachtschiffen aus der Türkei. Im Winter 2014 erreichten die beiden ausgemusterten Schiffe „Ezadeen“ und „Blue Sky M“ mit rund 1.300 vorwiegend syrischen Geflüchteten Italien. Die Schiffe stachen vermutlich im türkischen Mersin in See, etwa 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Die BPol verwendete für dieses Phänomen immer wieder den Begriff der „Geisterschiffe“, das Bundesinnenministerium hat sich hiervon jedoch distanziert.[3] Anfang 2015 endeten die nunmehr als „Großschleusungen mittels Frachtschiffen“ bezeichneten Einreisen abrupt. Laut Romann ist dafür die BPol verantwortlich: Durch die Erkenntnisse ihrer V-Leute seien drei Schiffe aufgebracht und beschlagnahmt worden, 1.100 Personen wurden dadurch an der Überfahrt in die EU gehindert. Die Maßnahme sei durch türkische Sicherheitsbehörden erfolgt, die verdeckt erlangten Informationen wurden also durch die BPol in die Türkei übermittelt. Welche türkische Behörde die Razzien vornahm, ist unklar; die militärische Jandarma ist für die Grenzsicherung, die Nationalpolizei für die Bekämpfung der „Schleusungskriminalität“ zuständig.
Die internationalen Ermittlungen der BPol führten schließlich zu einer Reihe von Razzien auch in Deutschland. Im Herbst 2015 wurden in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg 24 Objekte durchsucht. 17 Beschuldigte sollen Geflüchtete aus dem Libanon und Syrien nach Deutschland gebracht haben.[4] Im Januar 2016 stürmten 493 PolizistInnen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und Bayern 16 Wohnungen sowie einen Geschäftsraum.[5] Fünf Haftbefehle wurden vollstreckt, bei zeitgleichen Durchsuchungen von zehn Wohnungen in der Türkei wurden zehn Verdächtige verhaftet. An dem Einsatz beteiligt waren laut Medienberichten neben der türkischen Nationalpolizei auch die BPol-Spezialeinheiten GSG 9 und BFE+. Im Sommer 2016 führte die BPol Razzien in Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen durch, die Beschuldigten sollen Geflüchtete über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Mazedonien nach Ungarn und weiter über Österreich nach Deutschland geschleust haben.[6]
Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst ist mit der Aufklärung von „Schleusungskriminalität“ befasst. Der damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Schindler warnte vor einem „internationalen Schleppernetzwerk“, das „über die Türkei bis nach Griechenland, Italien und Frankreich reicht“.[7] Schindlers Informationen stammen vermutlich auch aus der mittlerweile umstrukturierten „Hauptstelle für das Befragungswesen“ des BND, deren Mitarbeiter Geflüchtete und Asylsuchende befragen und ihre Zugehörigkeit zum Geheimdienst dabei verschweigen.[8] Die erlangten Erkenntnisse werden an ausländische Partnerdienste weitergegeben.
Zusammenarbeit mit EU-Einrichtungen
Viele der grenzüberschreitenden Maßnahmen gegen „Schleusernetzwerke“ werden von der EU-Polizeiagentur Europol koordiniert, auch die BPol ist an hierfür eingerichteten Ermittlungsgruppen beteiligt. Zuletzt führten die unter Leitung der italienischen Polizei, Europols und der Agentur für justizielle Zusammenarbeit Eurojust durchgeführten Razzien am 6. September zur Verhaftung von 16 Personen aus Syrien, Algerien, Ägypten, dem Libanon und Tunesien.[9] Die BPol schrieb dazu, 25 „Bandenmitglieder“ seien identifiziert, diese hätten 1.115 Personen zur Einreise nach Deutschland und Österreich verholfen. Europol hilft auch bei Ermittlungen gegen mutmaßliche „Schleuser“ im Ausland. Mit Hilfe der ungarischen Polizei und von Europol wurden auf Anforderung der BPol beispielsweise Ende August 2016 in Budapest zwei Männer verhaftet. Eine der wichtigsten Operationen unter Regie von Europol dürften jedoch die Razzien Anfang 2015 gewesen sein, mit denen Polizeien aus mehreren EU-Mitgliedstaaten gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen der damals noch „Geisterschiffe“ genannten Frachter vorgingen.[10] Nach Durchsuchungen von 44 Wohnungen und Geschäftsräumen in neun Bundesländern wurden dabei elf Verdächtige verhaftet.
Internationale gemeinsame Ermittlungen unter Einsatz Verdeckter ErmittlerInnen der Bundespolizei könnten auch über neue Einrichtungen auf EU-Ebene erfolgen.[11] Die BPol arbeitet mit dem bei Europol im Februar 2016 gestarteten „Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (EMSC) zusammen. Auch an dem eng mit dem EMSC kooperierenden und ebenfalls zu Europol gehörenden „Joint Operational Office against Human Smuggling Networks“ (JOO) in Wien ist die BPol beteiligt. Ebenfalls zur grenzüberschreitenden Bekämpfung von „Schleusungskriminalität“ wurde das deutsch-österreichische „Polizeikooperationszentrum“ in Passau eingerichtet, zu dem die BPol und die bayerische Polizei Verbindungsbeamte entsenden.
Mitarbeit in internationalen Arbeitsgruppen?
Darüber hinaus existieren europäische und internationale Gremien, die sich mit diversen verdeckten Methoden befassen. Mit grenzüberschreitenden verdeckten Observationen beschäftigen sich auf EU-Ebene die „Cross-Border Surveillance Working Group“[12] sowie im Rahmen von Europol das Projekt „International Specialist Law Enforcement“ und die „Europol Platform for Experts“.[13] Bislang arbeitet dort aus Deutschland das Bundeskriminalamt (BKA) am grenzüberschreitenden Einsatz von Peilsendern oder anderen Überwachungsmaßnahmen mit. Es ist unklar, ob auch die BPol künftig an diesen Arbeitsgruppen teilnimmt.
Das BKA und das Zollkriminalamt (ZKA) sind außerdem Mitglied einer weltweiten sowie einer europäischen Arbeitsgruppe zu verdeckten Ermittlungen (International Working Group on Police Undercover Policing – IWG, European Cooperation Group on Undercover Activities – ECG).[14] Auch Länder wie Albanien, Kroatien, Mazedonien, Serbien und die Türkei sind dort vertreten. Treffen der beiden Gruppen befassen sich unter anderem mit der „regelmäßigen Darstellung der aktuellen nationalen Situation“ sowie der „Erörterung von Aspekten der internationalen Zusammenarbeit anhand von Fallbeispielen“. Eine Beteiligung der BPol an diesen Gremien ist zumindest denkbar.
Ebenfalls unklar ist die Rolle der BPol im Rahmen gemeinsamer verdeckter Ermittlungen mit Strafverfolgungsbehörden aus EU-Mitgliedstaaten oder auch der Türkei, wenn diese den Einsatz oder die Führung verdeckt eingesetzter ausländischer Polizeibeamter in Deutschland betrifft. Bislang ist das BKA die zuständige deutsche Kontaktstelle für die Ankündigung und Vermittlung solcher verdeckter Einsätze. Ihr obliegt die Weiterleitung entsprechender Ersuchen an die zuständigen Landespolizeidienststellen. Entsprechende Standards zur „Qualitätssicherung bei der Führung verdeckt eingesetzter ausländischer Polizeibeamter in Deutschland“ wurden 2012 überarbeitet und müssten nun auch für die BPol gelten.[15]
Digitale verdeckte Ermittlungen
Auch im digitalen Bereich sollen die Befugnisse für verdeckte Ermittlungen erweitert werden. In seiner Stellungnahme erwähnt Bundespolizeipräsident Romann ausdrücklich die Kommunikation von „Schleusern“ im Internet und in Sozialen Netzwerken sowie im „allgemein schwer zugänglichen, sogenannten Dark Net“. Bisherige Instrumente, darunter die Überwachung der Telekommunikation, würden in diesem Deliktsbereich immer weniger greifen. Der Einsatz von VE würde laut Romann neben dem Eindringen in die Organisationsstrukturen auch frühzeitig Informationen über Kommunikationsmittel abschöpfen.
Staatliche Schadprogramme (Trojaner) setzt die BPol soweit bekannt bisher nicht ein. Aber mit anderen Methoden der verdeckten technischen Überwachung ist sie nicht zimperlich: Das Mittel der „Stillen SMS“, mit dem Bewegungsprofile von Mobiltelefon-InhaberInnen erstellt werden, nutzt die BPol in stark wachsendem Maße (2. Halbjahr 2015: 41.671 Fälle; 1. Halbjahr 2016: 92.027 Fälle).[16] Unklar ist, ob diese Verdoppelung auf die intensivierte „Schleuser“-Verfolgung zurückzuführen ist. Gestiegen ist auch die Zahl der Einsätze sogenannter IMSI-Catcher zur Lokalisierung und möglicherweise zum Abhören von mobiler Kommunikation (2. Hj. 2015: 25 Fälle, 1. Hj. 2016: 36 Fälle).[17]
Schließlich geraten auch Internetauftritte von profitorientierten FluchthelferInnen zunehmend ins Visier der Ermittlungen. Die Beobachtung und gegebenenfalls Entfernung von Inhalten digitaler Medien wird mittlerweile auch von der „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol übernommen. Ursprünglich mit Blick auf „islamistischen Terrorismus“ eingerichtet, wurde das Arbeitsfeld der Abteilung auf „Schleusungskriminalität“ erweitert. Nach eigenem Bekunden geht Europol jetzt gegen Internetauftritte von „Menschenschmugglern“ vor. 122 Accounts, die mit „illegaler Migration“ in Verbindung stehen sollen, hat Europol bei den Providern zur Entfernung gemeldet. Die fraglichen Nutzerdaten wurden nicht von der „Meldestelle“ ermittelt, sondern von vom „Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“, in dem auch die BPol äußerst aktiv ist, beigebracht.