Neu-alte Fremdenpolizei: Mit staatlicher Gewalt gegen Geflüchtete und MigrantInnen

von Heiner Busch

Das Ausländer- und Asylrecht war immer auch Sicherheitsrecht. Befeuert von abstrusen Bedrohungsszenarien hat die Regierungskoalition jedoch seit dem Herbst 2015 massive Verschärfungen durchgesetzt.

Es klingt wie die ethnisierte Version der „gefährlichen Klassen“, vor denen sich das Bürgertum im 19. Jahrhundert fürchtete. Am 19. August 2016, kurz vor den Wahlen in Mecklenburg-Vor­pom­mern und Berlin verabschiedeten die Innenminister aus den Reihen der CDU/CSU ihre Berliner Erklärung: „Gefahr terroristischer Anschläge“, „fundamentalistische Islamisten“, die „Silvesternacht in Köln“, „Wohnungseinbrüche“, „Parallelgesellschaften“, „Vollverschleierung“ – das waren nur einige der Horrorszenarien, die sie zu einem kruden Mix an Forderungen verwursteten, die vom Einsatz der Bundeswehr im Innern über den Ausbau der Videoüberwachung bis hin zum Burka-Verbot reichten.[1] Ein „Teil der nach Deutschland zugewanderten Menschen“ sei „nicht in unserer Gesellschaft angekommen“, heißt es in dem Pamphlet. „Er identifiziert sich nicht mit unserem Land, akzeptiert unsere Lebensweise nicht und lässt jeglichen Respekt für staatliche Institutionen vermissen“.

Während die CDU/CSU mit der ganzen „Härte des Rechts­staates“ drohten, hatte die sozialdemokratische Bundesarbeitsministerin bereits im Januar 2016 die finanzielle Keule hervor geholt: „Wer hierherkommt, bei uns Schutz sucht und ein neues Leben beginnen will, muss sich an unsere Regeln und Werte halten … Wer signalisiert, dass er sich nicht integrieren will, dem werden wir die Leistungen kürzen.“[2]

Sie sind zu viele, und sie sind gefährlich. Das ist das Motto, dem die asyl- und ausländerpolitische Debatte in Deutschland – wieder einmal – folgt. Während Neonazis wie jüngst in Bautzen pogromartige Hetzjagden veranstalten, die Angriffe und Anschläge auf Asylunterkünfte nicht abreißen, „besorgte BürgerInnen“ alles daran setzen, den Einzug von Geflüchteten in ihr Dorf oder ihren Stadtteil zu verhindern, und die AfD bei Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse erzielt, üben sich die Koalitionsparteien darin, die „Ängste der Bevölkerung“ ernst zu nehmen.

Seit dem Herbst letzten Jahres steht die Gesetzgebungsmaschinerie nicht mehr still. Verabschiedet wurden das Asylpaket 1 und 2, das Datenaustauschverbesserungsgesetz, das Integrationsgesetz und zwei Verschärfungen des Ausweisungsrechts.[3] Eine vollständige Inhaltsangabe könnte Seiten füllen, zumal es sich durchgehend um Artikelgesetze handelt. Einige Stichworte müssen daher genügen: neue „sichere Herkunftsstaaten“, schnelle Abwicklung von Asylverfahren in Erstaufnahme- oder in Sonderzentren, Kürzung von Unterstützungsleistungen, um nicht „kooperierende“ oder Asylsuchende mit schlechter „Bleibeperspektive“ abschiebbar zu machen, Abschiebungen ohne Ankündigung und erleichterte Abschiebung von Kranken, eingeschränkter Familiennachzug für bloß „subsidiär“ geschützte Kriegsflüchtlinge, „Wohnsitzauflagen“ selbst für anerkannte Flüchtlinge … Auch da, wo „Integration“ versprochen wird, geht es um Zwang – zum Beispiel um 80-Cent-(statt 1,05 Euro-)Jobs. Man darf sicher sein, dass die Große Koalition noch weitere „Kompromisse“ finden wird. Denn eine „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen mag zwar verfassungswidrig sein, aber eine Obergrenze für symbolische Gesetzgebung mit habhaften, gar gewaltsamen Folgen für die davon Betroffenen ist vorerst nicht in Sicht.

Polizei und mehr

Die Umsetzung dieser Politik ist nur zum Teil Aufgabe der Polizei im engeren Sinne, vor allem der Bundespolizei. Sie kontrolliert die Grenzen und nimmt Zurückschiebungen in „sichere Drittstaaten“ vor. Sie mischte – wie auch die Landespolizeien – bei der recht chaotischen Aufnahme der Flüchtlinge mit. Und sie betreibt die Abschiebungen. Sie ist zudem zuständig für die Strafverfolgung von „Schleusern“. Schleierfahndungsparagraphen im Polizeirecht des Bundes und der Länder garantieren ferner, dass AusländerInnen (oder „ausländisch“ aussehende Menschen) in stärkerem Maße kontrolliert werden als der Rest der Bevölkerung. Polizei und Geheimdienste benutzen zudem seit langem sowohl das Ausländerzentralregister als auch die europäischen Informationssysteme im Migrationsbereich – vom Schengener über das Visa-Infor­ma­tions­system bis hin zu Eurodac – als Datenreservoire.

Die zentrale Rolle in diesem Bereich kommt jedoch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Ausländerbehörden zu, die bis Mitte der 1980er Jahre noch schlicht Ausländerpolizei hießen und deren MitarbeiterInnen zu einem großen Teil ganz selbstverständlich auch in den Polizeigewerkschaften (und nicht etwa beim ver.di-Vor­läu­fer ötv) organisiert waren. Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von Dezember 1983 bewirkte nur eine formale Trennung von der Polizei.

Auch das rechtliche Handwerkszeug, das Ausländerrecht, war und ist spezielles Polizeirecht. Daran hat sich auch nichts Grundsätzliches geändert, seit das alte Ausländergesetz im Jahre 2005 durch das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ersetzt wurde. Sein Zweck besteht in der „Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ (§ 1 AufenthG). Die Migrationspolitik sollte sich nun auf die AusländerInnen, „die uns nutzen“, konzentrieren.[4] Aber schon der Begriff Zuwanderung, der erst Ende der 1980er Jahre Einzug ins Bürokratendeutsch hielt, macht deutlich, dass Deutschland eben doch noch kein Einwanderungsland sein sollte. Die Erwartungen eines rechtlichen Fortschritts, den die seinerzeitige rot-grüne Koalition mit der Debatte um ein „Zuwanderungsgesetz“ geweckt hatte, wurden enttäuscht – umso mehr als nach dem 11. September 2001 „Sicherheitsüberlegungen“ erneut in den Vordergrund traten.[5]

Von der Verpolizeilichung blieb auch das Asylrecht nicht verschont, auch wenn es zunächst nur das Verfahren regeln sollte, mit dem Verfolgte Zugang zum „Genuss“ ihres Grundrechts erhalten sollten. Die Drittstaaten-Regelungen und die Europäisierung der Asylpolitik führten seit Anfang der 1990er Jahre dazu, dass die Feststellung der Identität und der Reisewege von Asylsuchenden und damit auch die Erfassung und der Abgleich ihrer Daten zum zentralen Gegenstand der Verfahren wurden. Spätestens nachdem Deutschland nicht mehr über eine EU-Land-Außengrenze verfügte, sorgte diese Politik dafür, dass die Zahl der Asylanträge niedrig blieb.

Der zeitweilige Zusammenbruch des Dublin-Systems im vergangenen Jahr und der sprunghafte Anstieg der Antragszahlen mussten deshalb auch das BAMF in die Krise führen. Die langen Bearbeitungszeiten sollen nun durch New-Public-Management-Konzepte und eine massive Aufstockung des Personals wieder verkürzt werden. Neue Mitarbeiter­Innen erhielten Schnellschulungen von ein paar Wochen. Die Standards für AnhörerInnen und DolmetscherInnen bei den Interviews wurden massiv abgesenkt. Behördeninterne Qualitätskontrollen blieben aus. In den bundesweit neu eingerichteten Ankunftszentren wurden nun Schnellverfahren betrieben. Und ein mit dem „Integrationsgesetz“ eingeführter § 24 Abs. 1a des Asylgesetzes erlaubt nun auch, PolizistInnen für die Anhörungen im Asylverfahren anzuheuern.

Die letzten Monate haben aber auch gezeigt, dass der Weg zurück in die Beschaulichkeit des EU-Binnenstaates nur mit Zwang und Gewalt möglich ist: durch mehr Abschiebungen und durch mehr unmittelbare Zurückschiebungen an den Grenzen, durch die Schließung der Balkanroute und den schmutzigen Deal mit der Türkei und vielleicht bald auch mit weiteren „sicheren“ Drittstaaten. Auch das gehört zur neuen Fremdenpolizei.

[1] www.regierung-mv.de/serviceassistent/_php/download.php?datei_id=1577972
[2] siehe den Gastbeitrag von Andrea Nahles in faz.net v. 31.1.2016
[3] zum Datenaustauschverbesserungsgesetz und zum Ausweisungsrecht siehe die Beiträge von Dirk Burczyk und Anja Lederer in diesem Heft, Asylpaket 1: Bundesgesetzblatt Teil I (BGBl. I) 2015 Nr. 40 v. 23.10.2015, Asylpaket 2: BGBl. I 2016 Nr. 12 v. 11.3.2016, Integrationsgesetz: BGBl. I 2016, Nr. 39 v. 31.7.2016; weitere Materialien unter www. fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/AsylG_2015.html#AsylG
[4] „Weniger, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen“, so der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), Welt v. 11.7.2000.
[5] vgl. Pelzer, M.: Zurück zum Fremdenpolizeirecht?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 80 (1/2005), S. 21-26

Beitragsbild: Protest gegen Flüchtlingsabschiebung vom Flughafel Berlin Tegel nach Pakistan Berlin TXL am 29. Juli 2013 (Oliver Feldhaus).

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