Terroristische Vereinigung im Ausland? Politische Justiz gegen türkische und kurdische Linke

Interview mit Franziska Nedelmann und Lukas Theune

Lukas Theune vertritt den der PKK-Mitgliedschaft beschuldigten Ali Hidir Dogan vor dem Kammergericht Berlin. Franziska Nedelmann ist die Verteidigerin von Mehmet Yeşilçalı, einem der zehn Angeklagten im TKP/ML-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Tom Jennissen und Heiner Busch befragten die beiden AnwältInnen zu ihren Erfahrungen mit dem § 129b StGB.

Der § 129b StGB wurde 2002 eingeführt. Er war Teil der Anti-Terror-Pakete nach dem 11. September 2001. Haben Sie einen Überblick, welche Organisationen davon betroffen waren?

Franziska Nedelmann: Die meisten Verfahren richten sich gegen islamistische Gruppen, aber natürlich sind auch viele andere Vereinigungen im Visier der Behörden. Seit 2002 hat das Bundesjustizministerium (BMJV) 90 Verfolgungsermächtigungen erteilt. Was die Türkei anbetrifft, geht das ganz klar gegen linke Organisationen, gegen die PKK, die DHKP-C und jetzt auch gegen die TKP/ML. Es läuft zwar auch ein Verfahren gegen die rechtsextremen „Grauen Wölfe“, die „Ülkücü-Bewe­gung“. Das Bundesjustizministerium „prüft“ da schon eine ganze Weile, sieht aber noch keine „zureichenden Anhaltspunkte“ für eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft. Mit anderen Worten: Gegen die Rechten haben wir hier noch gar nichts, obwohl deren Betätigung in Deutschland nun wirklich nicht ohne ist.

„Terroristische Vereinigung im Ausland“ – das tönt nach Morden und Anschlägen. Was wird Ihren Mandanten denn vorgeworfen?

Lukas Theune: Eine politische Betätigung in Europa und insbesondere in deutschen Städten. In der Regel geht es dabei um die Organisation von Demos und Kulturfestivals oder die Anreise. Hinzu kommt für 2015 der Vorwurf, Wahlkampf für die HDP gemacht zu haben. Daraus wird dann auf eine Mitgliedschaft in der PKK geschlossen.

F.N.: Auch keinem unserer Mandanten wird die Beteiligung an einer Gewalttat vorgeworfen. Anders als die PKK ist die TKP/ML weder in Deutschland verboten noch steht sie auf einer Terror-Liste der EU. Sie gilt nur in der Türkei als terroristische Vereinigung. Den zehn Angeklagten wird die politische Betätigung in Deutschland bzw. in Europa vorgeworfen. Sie seien die Westeuropa-Organisation der TKP/ML, die sich über politische Diskussionen und Schulungen, Spendensammlungen und kulturelle Veranstaltungen einbringt. Mehr ist da nicht. In der Anklage wird dann auf „Bezugstaten“ verwiesen, die in der Türkei begangen worden sein sollen, mit denen unsere Mandanten aber nicht persönlich in Verbindung gebracht werden.

Im Falle der TKP/ML stellt sich die Frage, warum gerade jetzt dieses Verfahren angestrengt wird. Die Partei existiert ja schon seit Jahrzehnten. Und auch die jetzt Angeklagten sind schon Jahre in Europa. Mehmet Yeşilçalı erhielt vor sechs Jahren Asyl in der Schweiz.

F.N.: Warum genau jetzt – das wissen wir auch nicht. Seit 2006 läuft ein Ermittlungsverfahren gegen die TIKKO, die türkische Arbeiter- und Bauernbefreiungsarmee, und die erste Verfolgungsermächtigung gab es auch in dem Jahr. 2007 ist die dann auf die TKP/ML ausgeweitet worden. Auslöser könnte eine Festnahme- und Durchsuchungsaktion der französischen Polizei 2005 gewesen sein, von der auch ein deutscher Staatsbürger betroffen war. Frankreich hatte damals deutsche Behörden angefragt. Dann wurde neun Jahre lang ermittelt – das volle Programm. Erst 2015 wurden Haftbefehle gegen elf Personen beantragt. Griechenland hat in einem Fall die Auslieferung verweigert. Unser Mandant wurde in der Schweiz festgenommen und ein Jahr später ausgeliefert. Vermutlich will die deutsche Regierung Erdoğan mit diesem Verfahren schlicht einen Gefallen tun.

In Bezug auf die PKK ist das anders. Hier gibt es einen langen Vorlauf.

L.T.: Für die deutschen Gerichte war eigentlich immer klar, dass die PKK verfolgt werden müsse. Das geschah in den 90er Jahren mithilfe des § 129a StGB – terroristische Vereinigung. Zentral war dabei das Großverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, das sich von 1989 bis 1994 hinzog. 1996 verkündete die PKK den Gewaltverzicht für Europa. In einem etwas undurchsichtigen Deal erklärte die Bundesanwaltschaft damals, wenn hier keine Gewalt mehr zu beobachten ist, dann werden wir nur noch den § 129 StGB, also Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gegen euch anwenden. Das lief seit 1998 so. Ein Kollege von uns schrieb in einer guten Revisionsbegründung, eigentlich habt ihr keine Straftat mehr festgestellt, die ihr der PKK in Deutschland oder Europa zurechnen könnt. 2010 entschied der Bundesgerichtshof (BGH): Stimmt, einer Verurteilung nach § 129 StGB ist damit die Grundlage entzogen. Aber die PKK ist in Europa keine eigenständige Organisation, sondern sie ist zentral gesteuert. Mit dem § 129b StGB, der acht Jahre zuvor eingeführt worden war, können wir die PKK auch als terroristische Vereinigung im Ausland bestrafen. Und dafür brauchen wir gar keine Anknüpfungsstraftat in Deutschland oder Europa mehr. Wir machen es uns leicht, wir nehmen Bezug auf Aktionen der PKK auf türkischem Staatsgebiet und rechnen das den deutschen Angeklagten zu. Der BGH hat damit eine klare politische Entscheidung getroffen: Wenn hierzulande keine Straftaten mehr erkennbar sind, dann ändern wir das Konstrukt und erklären die PKK insgesamt zur Vereinigung im Ausland.

Eine politische Entscheidung

Sie haben es schon erwähnt: Der § 129b StGB ist eine der wenigen Strafbestimmungen, bei denen eine Verfolgungsermächtigung des BMJV erforderlich ist. Wie sieht so etwas konkret aus?

L.T.: Das ist ein einziger Satz, den das Ministerium an die Bundesanwaltschaft schreibt. In unserem Verfahren steht da: In Bezug auf die PKK wird die nach § 129b StGB erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung ab der Ebene der so genannten Gebietsleiter erteilt. Eine Begründung gibt es nicht. Der Gesetzgeber wollte die auch nicht, denn das BMJV soll ja nicht der gerichtlichen Entscheidung vorgreifen.

Mit anderen Worten: die Bundesanwaltschaft stellt den Antrag, nachdem sie schon eine Ewigkeit ermittelt hat.

L.T.: Ja, die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft sind vorgelagert. Und die fragt dann das Justizministerium an, wir haben hier das und das ermittelt, erteilt uns bitte die Ermächtigung, Anklage zu erheben. Es gibt zwei Arten von Verfolgungsermächtigung: eine konkret auf den Einzelfall zugeschnittene und eine, die allgemein für eine Organisation erteilt wird. So ist das auch bei uns. Da wird für Mitglieder der PKK, die noch gar nicht feststehen, die Ermächtigung zur Anklage erteilt.

Bei der Einführung des § 129b hieß es, mit der Einbindung des Justizministeriums verhindere man, dass jede Organisation, die irgendwo anders einen vielleicht legitimen bewaffneten Kampf führt, als terroristische Vereinigung verfolgt wird. Ist das tatsächlich eine Begrenzung?

L.T.: Das eigentliche Problem ist ein anderes. Dieser Straftatbestand ist so weit gefasst, dass wenn irgendwo ein Anschlag begangen wird, zehntausende Menschen in ganz Europa als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung gelten und nach § 129b StGB betraft werden sollen. Um so einen Straftatbestand aufzufangen, ist die Verfolgungsermächtigung völlig unzureichend, auch wenn sie gelegentlich mal abgelehnt wird – meist wird sie erteilt.

F.N.: Die Verfolgungsermächtigung ist keine Beschränkung, sondern eine politische Entscheidung. Das ganze rechtliche Konstrukt des § 129b StGB ist ja ein Abschied von der regulären Gewaltenteilung. Mit der Verfolgungsermächtigung wird die Strafverfolgung von einer rein exekutiven Entscheidung abhängig gemacht, die wir – jedenfalls nach herrschender Meinung – nicht gerichtlich überprüfen können. Das BMJV begründet die Verfolgungsermächtigung nicht, aber bevor es entscheidet, beteiligt es das Kanzleramt – also den BND, das Innenministerium – und damit den Verfassungsschutz, und auch das Auswärtige Amt. Die Frage dabei lautet: Ist das außenpolitisch für uns wichtig, im Inland bestehende Strukturen, bei denen es hierzulande gar keine Gewalttaten gibt, zu verfolgen? Bei seiner Entscheidung soll das BMJV laut Gesetzestext in Betracht ziehen, „ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind …“. Was wir derzeit aus der Türkei hören, spricht nun kaum dafür, dass dieser Staat die Würde der Menschen achtet.

Ist denn die Repression in der Türkei ein Thema in den Verfahren oder ist das den Gerichten egal?

L.T.: Das Lieblingsargument in unserem Verfahren ist, dass es völlig unerheblich sei, was seit dem Putschversuch in der Türkei passiert. Zu diesem Zeitpunkt sei der Angeklagte ja schon in Haft gewesen. Wenn wir das thematisieren, grummelt der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, er wisse schon, dass die Menschenrechtslage in der Türkei nicht besonders ist, aber was hat das mit dem hier Angeklagten zu tun? Anklage und Gericht versuchen das Thema aus dem Prozess rauszuhalten. Wir haben im Dezember einen Beweisantrag gestellt, den HDP-Abgeord­neten für den Kreis Sirnak der gleichnamigen kurdischen Provinz in der Türkei zu hören. Faysal Sariyildiz ist in Deutschland, weil er wegen eines Haftbefehls und der drohenden Verfolgung nicht zurück kann. Er ist gleich mit zum Gericht gekommen und sollte berichten, was in Cizir, türkisch Cisre, während der Ausgangssperren im Herbst und Winter 2015/2016 passiert ist, wie Armee und Sondereinheiten der Polizei dort gewütet haben und Zivilisten umbrachten. Während wir unseren Antrag vorbrachten, hat der Vorsitzende immer mit seinem Kugelschreiber auf die Uhr getippt. Das Gericht hat den Beweisantrag zunächst nicht beschieden. Der Abgeordnete musste wieder antraben und wurde erst im Januar vernommen.

F.N.: Schockierend war im Münchner Verfahren ein Beschluss des Senats außerhalb der Hauptverhandlung. Da ging es um die Übersetzung von Dokumenten, die sich sowohl mit dem Putsch von 1980 als auch mit aktuellen Geschehnissen in der Türkei befassen. Der Senat entschied, die Übersetzungskosten nicht zu tragen, weil die Struktur der Türkei und der Putsch von 1980 mit dem Verfahren nichts zu tun hätten. Dabei hält die Anklageschrift fest, dass die Mehrheit unserer Mandanten 1980 festgenommen und gefoltert wurden, lange in türkischen Gefängnissen saßen und beim Todesfasten, den Hungerstreiks gegen die Isolationshaft, dabei waren. Wir hatten schon zuvor die Einstellung des Verfahrens beantragt, weil die aktuellen Ereignisse zeigen, dass der türkische Staat die Würde des Menschen nicht mehr achtet und dies nach dem Wortlaut des § 129b ein Verfahrenshindernis darstellt. Die Antwort des Senats: Stimmt, was da passiert, ist sehr bedenklich. Aber die Bundesanwaltschaft habe in der Anklage Bezugstaten aufgelistet, bei denen Zivilisten zu Tode kamen. Das zeige die terroristische Prägung der Vereinigung. Wenn man Zivilisten umbringt, sei das auf keinen Fall legitim.

Spielt denn der türkische Staat in den Verfahren eine konkrete Rolle? Liefert er Informationen? Versucht er, das Verfahren zu beeinflussen?

L.T.: Bei uns habe ich den Endruck, dass das Bundeskriminalamt sehr aufpasst und sich den Anschein geben will, dass es keine Infos aus der Türkei verwertet. Man stellt eigene Internetrecherchen an. Die zuständige Frau im BKA, die auch als Zeugin aufgetreten ist, schlägt jeden Tag die Homepage der HPG, also der Guerilla, auf, markiert dann den ganzen Text und gibt ihn in den Google-Translator ein. Sie schaut dann, ob da irgendwas von Anschlägen steht. Das wird uns als Ermittlungsmethode des BKA präsentiert. Die türkische Regierung spielt bei uns eher indirekt eine Rolle, indem sie immer wieder darauf besteht, dass die PKK in Europa und insbesondere in Deutschland verfolgt wird. Sonst könnt ihr’s knicken mit dem Flüchtlingsdeal, lautet die Drohung.

F.N.: Das ist bei uns wirklich ganz anders. Das Verfahren vor dem OLG München ist ja das erste gegen die TKP/ML. Das Gericht muss überhaupt erst feststellen, ob es sich bei der TKP/ML um eine „ausländische terroristische Vereinigung“ handelt. Und dazu muss es auch Beweise erheben über sogenannte Bezugstaten in der Türkei, die das begründen könnten. Zunächst haben Bundesanwaltschaft und BKA selbst recherchiert. Wie sie das gemacht haben, wissen wir noch nicht, denn wir ha­ben noch keine Zeugen gehört. Dann wurden mit konkreten Rechtshilfeersuchen an die Türkei Ermittlungsakten angefordert. Unter den Akten, die übersandt wurden, gibt es aber keine einzige gerichtliche Entscheidung, bei der ein Mitglied der TKP/ML für eine bestimmte Gewalttat verurteilt wurde. Wir haben stattdessen Ermittlungsakten noch und nöcher, und in vielen Fällen werden diese Ermittlungen gegen unbekannt geführt. Zusätzlich hat die Bundesanwaltschaft Recherchen auf den einschlägigen Homepages und in Zeitschriften, wo dann steht, wir haben ein Bekennerschreiben erhalten von xy und in dem soll es heißen, zu dieser oder jener Tat habe sich die TKP/ML bekannt. Hinzu kommen Informationen aus dem internationalen polizeilichen Datenaustausch, aus Treffen von deutschen und türkischen Strafverfolgungsbehörden, wobei in der Türkei auch der Geheimdienst den Strafverfolgungsbehörden zugeordnet wird und an dem Datenaustausch beteiligt ist. Wir haben in den Akten auch Berichte von Anti-Terror-Abteilungen, die zusammentragen, was die TKP/ML so alles gemacht haben soll. Die berichten interessanterweise auch, wie die Organisation in Deutschland strukturiert sein soll. Da fragen wir uns natürlich, wie der türkische Geheimdienst zu diesen Erkenntnissen kam. Das Gericht muss sich nun entscheiden, was von alledem überhaupt als Beweis verwertbar ist. Viele Unterlagen wurden übrigens von Staatsanwälten und Ermittlungsbeamten erstellt, die nach dem Putsch-Versuch als angebliche oder wirkliche Anhänger der Gülen-Bewegung verhaftet wurden – u.a. wegen Beweismittelfälschung.

Wie ist das Klima in dem Verfahren? Laut Presseberichten gab ziemlichen Ärger wegen der Übersetzungen.

F.N.: Das betraf zum einen die Dolmetscher im Gericht, die einfach nicht in der Lage, waren simultan zu übersetzen oder aber ein so veraltetes osmanisches, rassistisches Türkisch benutzt haben, dass schon allein die Benutzung bestimmter Worte eine Beleidigung unserer Mandanten darstellte. Und dann gibt es noch ein anderes Problem mit Übersetzern: Dadurch, dass das ein Terrorismus-Verfahren ist, wird sämtliche Post der Angeklagten kontrolliert, auch die Verteidigerpost. Da unsere Mandanten nicht ausreichend Deutsch sprechen, ist das alles auf Türkisch. Und das bedeutet, dass sich auch der Kontrollrichter alles übersetzen lassen muss. Nun gibt es Erkenntnisse, dass er Verteidigerpost an Übersetzerbüros geschickt hat – ohne den Hinweis, dass das streng vertraulich zu behandeln ist. Diese Büros haben das aber per E-Mail weitergeleitet an Übersetzer in der Türkei, die niedrigere Preise verlangen. Unter Sicherheitsgesichtspunkten ist das skandalös. Der Senat zog aber keine Konsequenzen. Das beeinträchtige unser Verfahren nicht. Ansonsten ist das Klima für ein Staatsschutzverfahren durchaus freundlich.

Das volle Programm der Überwachung

In dem PKK-Verfahren vor dem Kammergericht vertritt die Berliner Staatsanwaltschaft die Anklage. Warum nicht die Bundesanwaltschaft?

L.T.: Weil es zu viele Verfahren gegen die PKK gibt. Die Bundesanwaltschaft führt die Strukturermittlungen – was macht die PKK in der Türkei? – und sie leitet auch die Ermittlungen in Deutschland. Aber wenn sie eine Weile lang ermittelt hat, gibt sie die Verfahren gegen die untergeordneten Kader, die sie für die Gebietsleiter hält, an die Generalstaatsanwaltschaften der Länder ab.

Heißt das auch, dass die polizeilichen Ermittlungen nicht mehr vom BKA geführt werden, sondern von den Landeskriminalämtern?

L.T.: Nein, die Strukturermittlungen zur PKK als Organisation, sowohl in Europa als auch in der Türkei und im Nordirak, führt das BKA, Personenermittlungen hingegen führt das jeweilige Landeskriminalamt. Unser Mandant wurde überwacht durch das Berliner LKA.

Stichwort Überwachung. Die Erfahrungen mit dem § 129a – terroristische Vereinigung im Inland – haben gezeigt: Es gab zwar relativ wenige Anklagen und Verurteilungen, aber viele Ermittlungsverfahren, bei denen alle möglichen verdeckten und technischen Überwachungsmethoden zum Einsatz kamen. Wie sieht das hier aus?

L.T.: Wir haben mit umfassenden Telekommunikationsüberwachungen zu tun, mit dem Einsatz von IMSI-Catchern, mit Observationsteams und Kameraüberwachung von kurdischen Vereinen. Das BKA und die Landeskriminalämter fragen immer in Wohnungen gegenüber den Eingängen der Vereine, ob sie eine Kamera postieren dürfen. Es gibt Anzeichen, dass der Verfassungsschutz seine Kamera in der gleichen Wohnung hat. Und dann halten sie die da drauf – und zwar lange. Ein ganzes Jahr lang wurden alle Leute gefilmt, die den kurdischen Verein in Berlin-Wedding betreten haben. Die Filme werden gespeichert, und der Staatsschutz des LKA setzt dann Pfeile mit Namen dazu, wenn sie die Bilder zuordnen können. Da sind Hunderte von Leute betroffen. Was wir nicht in den Akten haben, sind große Lauschangriffe.

Da sind also nicht nur PKK-Leute im engeren Sinne, sondern auch alle möglichen kurdischen Vereine betroffen?

L.T.: Für das BKA sind PKK und kurdische Freiheitsbewegung Synonyme. Der zuständige Sachgebietsleiter sagte im Prozess, er verstehe nicht, warum die Verwaltungsgerichte diese feinsinnige Unterscheidung zwischen legalen kurdischen Vereinen und illegalen Untergrundstrukturen machen. Für ihn gibt es nur die PKK. Und der rechnet er auch die kurdischen Selbstorganisierungsstrukturen in Syrien, die PYD, die Demokratischen Gesellschaftszentren zu und die HDP zum Grossteil auch.

F.N.: Bei den Ermittlungen gegen die TKP/ML gab es den großen Lauschangriff, eine längerfristige akustische Wohnraumüberwachung. Wenn klar war, wo ein Treffen stattfinden würde, wurden gezielt Mikros installiert. Wir haben eine unglaubliche Menge an Protokollen von gesprochenem Wort – natürlich auch aus normalen Telekommunikationsüberwachungen. Es gab längerfristige Observationen, PKW-Ortungen und selbst PKW-Innenraum-Überwachungen, die zum Teil weiterliefen, wenn das Auto ins Ausland fuhr. Das zu arrangieren, war für die Bundesanwaltschaft schon ein bisschen Arbeit. Also, die haben schon alles aufgefahren, was möglich war.

Richtet sich das Augenmerk hier auch auf Immigrantenvereine?

F.N.: Ja schon, aber die Überwachung wurde relativ klar an einzelnen Personen festgemacht, wobei bei einem Lauschangriff oder einer Telefonüberwachung natürlich immer das ganze Umfeld in Mitleidenschaft gezogen wird. Darüber hinaus läuft gegen die TKP/ML ein Strukturverfahren weiter. Was da weiter passiert, wissen wir nicht. Aber zu befürchten ist, dass das weitere linke Migrantenvereine betrifft.

Das Umfeld der linken türkischen und kurdischen Organisationen hierzulande ist ja sehr groß. Wie kommen die Strafverfolgungsbehörden gerade auf diese Angeklagten?

L.T.: Im Falle der PKK gehen die Strafverfolgungsbehörden davon aus, dass die Organisation in Europa aufgeteilt ist in – so nennen sie das – Sektoren und Gebiete. In Deutschland soll es vier Sektoren geben und unterhalb dieser Ebene vierzig Gebiete, und für die Sektoren und Gebiete jeweils Ko-Vorsitzende, immer eine Frau und einen Mann. In Bezug auf diese Leute ist die Verfolgungsermächtigung des BMJV erteilt und sie stehen auch im Fokus der Personenverfahren. Immer im Juni gibt es Kongresse und die Strafverfolgungsbehörden gehen davon aus, dass dort jeweils die Ko-Gebiets- oder SektorleiterInnen gewählt werden. Im Juli achten sie bei ihren Überwachungen immer darauf, ob da eine Telefonnummer aufläuft, die sie noch nicht kennen. Das läuft sehr routinemäßig. Und weil das für sie so praktisch ist, nehmen BKA und Landeskriminalämter auch die Veränderungen in der Struktur der Organisation nicht wahr. Es gibt sehr wohl Hinweise darauf, dass es da basisdemokratischer zugeht, dass es auch nicht mehr diese Vorsitzfunktion gibt, sondern dass die Verantwortung auf vielen Schultern verteilt wird.

F.N.: Die Bundesanwaltschaft präsentiert die Organisation der TKP/ML ganz ähnlich, nur noch nicht mit so einer Routine. Auch hier soll es ein Auslandskomitee für Westeuropa geben, dem eine gewisse Anzahl von Personen angehört. Und unterhalb dieses Komitees soll es dann auch Gebiete geben. Gemäß der Logik der Bundesanwaltschaft sitzen auf der Anklagebank in München die Mitglieder dieses Auslandskomitees, also diejenigen, die auf der Ebene Westeuropa gearbeitet haben.

Wie sieht es denn mit der Solidarität aus?

F.N.: Von der deutschen Linken ist bisher nur vereinzelt Interesse sichtbar. Aber von Seiten der türkischen linken Community ist man sehr solidarisch. Etwa einmal im Monat gibt es eine größere Kundgebung mit 100 bis 200 Leuten vor dem Gericht. Es kommen auch viele Leute zur Prozessbeobachtung. Wir hatten auch schon eine kleine Anwaltsdelegation aus der Türkei, HDP-Abgeordnete waren da. Für die Angeklagten ist das eine wichtige Unterstützung.

L.T.: Bei uns ist leider nur wenig Solidarität zu sehen. Es kommen schon immer 10-15 Leute zum Prozess. Aber da in ganz Deutschland parallel Prozesse mit jeweils nur einem Angeklagten geführt werden – derzeit sechs –, ist es für eine kurdische und linke Bewegung sehr aufwendig, die Verfahren zu begleiten. Insofern hat die Bundesanwaltschaft auch aus der Erfahrung des Düsseldorfer Großverfahrens Anfang der 90er Jahre gelernt. Sie setzt auf eine Strategie der Vereinzelung.

Und danach: die ausländerrechtliche Strafe

Das Strafverfahren ist das eine. Was käme nach einer Verurteilung der Angeklagten denn auf asyl- und ausländerrechtlicher Ebene zu?

F.N.: Mehmet Yeşilçalı, den wir vertreten, hat vor Jahren in der Schweiz Asyl erhalten. Ich befürchte, dass die Rechtslage dort ähnlich ist wie in Deutschland. Bei einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung droht der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft. Und dann stellt sich die Frage der Abschiebung. Die ist nicht möglich, wenn Folter oder gar die Todesstrafe droht – über deren Wiedereinführung wird ja gerade in der Türkei diskutiert. Die bloße Gefahr einer Strafverfolgung in der Türkei würde aber einer Abschiebung nicht entgegenstehen. Abschiebung in oder Auslieferung an die Türkei halte ich derzeit für eher unwahrscheinlich.

Gab es Abschiebungen oder Auslieferungen von verurteilten PKK-Leuten?

L.T.: Auslieferungen nicht und Abschiebungen wohl auch nicht. Aber bei einem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft müssen die Betroffenen mit einer Duldung leben. Das ist eine sehr prekäre Situation, die auch Jahre nach der Haftentlassung noch andauern kann und die den Leuten ziemlich zusetzt. Sie können sich dann auch nicht mehr politisch betätigen.

F.N.: An eine Aufenthaltsverfestigung ist da gar nicht zu denken.

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