„Rocker“ im Fokus – Kuttenverbot für „kriminelle Rocker“ in Kraft

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in Deutschland von gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Rockerszene, von Razzien in Clubs und Privaträumen, Verbindungen zu Drogenkrimi­nalität, Zuhälterei und Menschenhandel berichtet wird. Kaum ein vergleichbares Milieu bietet sich derart an, zum Objekt symbolischer Politik in der Verbrechensbekämpfung gemacht zu werden.

Es ist der 12. Dezember 2016. Eine spannungsgeladene Atmosphäre herrscht auf der Zuschauertribüne des Anhörungssaals im Paul-Löbe-Haus, in dem die Ausschüsse des Deutschen Bundestags Sitzungen abhalten. Drei bis vier Beamte der Bundestagspolizei befinden sich auf der Besuchertribüne, weitere außerhalb des Sitzungssaals. Der Grund ihrer Aufregung sind einige Rocker, die sich dort eingefunden haben. Nicht irgendwelche Rocker: bekannte Vertreter der „Bandidos“, des „Gremium MC“ und der „Hells Angels“ lauschen in friedlicher Eintracht – lässig und vollkommen gegen jeden parlamentarischen Anstand auf die Balustrade gelehnt – den Sachverständigen einer Anhörung des Innenausschusses.

Es geht an diesem Nachmittag schließlich um eine für die Rockerszene existenzielle Frage. Sachverständige des Innenausschusses begutachten einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem das Kennzeichenverbot der Embleme verbotener Vereine umfassender und konsequenter umgesetzt werden können soll als bislang. Und sowohl in der Gesetzesbegründung als auch in den Reden zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Plenum besteht kein Zweifel, gegen wen sich dieses Kennzeichenverbot zuvorderst richten soll: „kriminelle Rockergruppierungen“. Die Verwendung von Kennzeichen ist zukünftig schon allein dann verboten, wenn Kennzeichen oder Kennzeichenteile „im Wesentlichen“ die gleiche Form haben wie die Kennzeichen eines verbotenen Vereins. Damit fällt zukünftig der bislang geforderte Nachweis, dass der ein Kennzeichen tragende nicht verbotene Verein die Ziele des verbotenen Vereins teilt. Vereins- und Kennzeichenverbot werden so entkoppelt. Selbst die einzige Sachverständige der Koalition in dieser Anhörung, die nicht aus einem Landeskriminalamt kam, Prof. Kathrin Groh von der Bundeswehruniversität München, kritisierte die Norm als zu unbestimmt und vermisste jede grundrechtliche Abwägung in der Begründung.[1]

Polizei und Innenminister geben den Ton vor

Die nun in Kraft getretene Verschärfung knüpft an zahlreiche Bestrebungen an, den vermeintlich kriminellen Rockergruppierungen das Leben schwer zu machen. 2010 wurden in einem Dokument der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) die in den Ländern geübten Ansätze in einer „Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität – Rahmenkonzeption“ zusammengefasst. Es geht um nicht weniger als die „Entwicklung eines ganzheitlichen und länderübergreifenden strategisch-taktischen Rahmenkonzepts zur Bekämpfung der Rockerkriminalität“. Eine Rockergruppierung wird im Text definiert als ein „Zusammenschluss mehrerer Personen mit strengem hierarchischen Aufbau, enger persönlicher Bindung der Gruppenmitglieder untereinander, geringer Bereitschaft mit der Polizei zu kooperieren und selbst geschaffenen strengen Regeln und Satzungen. Die Zusammengehörigkeit der Gruppenmitglieder wird durch das Tragen gleicher Kleidung oder Abzeichen nach außen dokumentiert.“[2] So weit, so zutreffend für eine ganze Reihe von Gruppierungen und Milieus, die sich dem eigenen Selbstverständnis nach von der Gesellschaft abgrenzen und ihren subkulturellen Zusammenhalt pflegen wollen.

Nun wird allerdings dieser Gruppe in besonderem Maße zugeschrieben, für ein gehöriges Maß an Kriminalität verantwortlich zu sein. Die Definition der „Rockerkriminalität“ ist dann aber schon gar nicht mehr so trennscharf. Es fallen alle möglichen Straftaten darunter, die von einzelnen oder mehreren Gruppenmitgliedern begangen werden und in irgendeinem Zusammenhang zur Gruppe stehen. „Für die Zuordnung reicht die durch kriminalistische Erfahrung untermauerte Betrachtung des Tatgeschehens.“[3] Findet sich dabei genug belastendes Material, mit dem der tatsächliche Zusammenhang von Rockergruppe und kriminellen Handlungen belegt werden kann, soll ein Vereinsverbot angestrebt werden. Damit soll „sowohl der Rockerszene als auch der Öffentlichkeit vermittelt (werden), dass staatliche Organe willens und in der Lage sind, zur Verfügung stehende rechtliche Instrumentarien zum Schutz der Allgemeinheit konsequent anzuwenden.“[4]

Vereins- und Kuttenverbote

Tatsächlich hat die Zahl der Vereinsverbote seit der Vorlage der „Rahmenkonzeption“ rapide zugenommen. Insgesamt 37 stehen aktuell zu Buche, davon nur zwei vor 2010. Die Mutter aller Verbote bleibt bis heute das Verbot der „Hells Angels“ in Hamburg durch den Bundesinnenminister 1983. Mit dem Verbot eines Vereins geht auch immer ein Verwendungsverbot für seine Kennzeichen einher. Doch konnten diese Kennzeichenverbote durch Namenszusätze auf den Kutten (meist mit lokalem Bezug) umgangen werden. Zuletzt versuchte die damalige SPD/Grünen-Koalition 2002 das mit dem Vereinsverbot einhergehende Kennzeichenverbot auf alle Gruppen mit „ähnlichen“ Kennzeichen auszudehnen – was vor dem Bundesgerichtshof schließlich scheiterte.[5] Die nun in Kraft getretene Änderung des Vereinsgesetzes ist der erneute Versuch, doch noch zu einem umfassenderen Kennzeichenverbot gegen die „Outlaw Motorcycle Gangs“ zu kommen. Es muss nun nicht mehr geprüft werden, ob der nicht verbotene Verein auch tatsächlich die Ziele des bereits verbotenen Vereins teilt. Sobald das verwendete Kennzeichen dem des verbotenen Vereins „zum Verwechseln ähnlich“ sieht, ist seine Verwendung in der Öffentlichkeit und bei Versammlungen verboten. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, werden die Kutten der „Hells Angels“, des „Gremium MC“ und der „Bandidos“ sowie einiger Unterstützergruppen („Supporter“) der Vergangenheit angehören.[6] Damit wird auch eine neue Welle von Razzien und Beschlagnahmungen einhergehen, durch die die Polizei ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen kann.

Um im Einzelfall drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – etwa durch provokatives „Schaulaufen“ rivalisierender Rockergruppen – abwehren zu können, würden die geltenden polizeilichen Befugnisse ausreichen. Regelmäßig werden beispielsweise bei Großveranstaltungen im Ruhrgebiet wie der „Cranger Kirmes“ solche „Kuttentrageverbote“ erlassen, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen „Bandidos“ und „Hells Angels“ von vornherein zu unterbinden. Doch die polizeilichen ExpertInnen stören sich schon generell an der durch die „Kutten“ vermeintlich „zur Schau gestellten Machtentfaltung“. In besagter Sachverständigenanhörung wurde von einem LKA-Vertreter der Begriff der „suggestiven Militanz“ eingebracht – schon das öffentliche Tragen der Kutte mit Abzeichen und Name des MC solle also den BetrachterInnen Angst und Schrecken einjagen. Auch der Gesetzentwurf spricht in seiner Begründung nebulös von „Gefahren, die aus der Verwendung solcher Kennzeichen erwachsen, die auf strafbare Aktivitäten oder verfassungsfeindliche Bestrebungen hindeuten“. Kurz: Weil mit bestimmten Abzeichen die Angst vor Kriminalität verbunden ist, sollen die Abzeichen verboten werden.

Rechtsstaat mit allen Mitteln

Die Rahmenkonzeption lässt keinen Zweifel daran, dass man auch unabhängig von Vereins- und Kuttenverboten mit allem, was man hat, gegen Rocker vorzugehen gedenkt. Dabei wird kein Zweifel daran gelassen, dass aus polizeilicher Sicht das gesamte Rockertum das Problem darstellt, nicht nur einzelne Mitglieder, lokale Gruppen oder einschlägige Clubs wie „Hells Angels“ oder „Bandidos“. Im Vordergrund stehen dabei selbstverständlich polizeiliche Maßnahmen: Bei allen einschlägigen Veranstaltungen – Rockerfeste, organisierte Ausfahrten, Konzerte u.ä., die Ausstrahlung weit über die einzelnen Clubs hinaus haben – sollen Kontrollstellen zur Personen- und Fahrzeugkontrolle eingerichtet werden. Sie sollen dazu dienen, Personen und Personengruppen zu erkennen, das Einbringen gefährlicher Gegenstände zu verhindern, die Einhaltung verkehrsrechtlicher Bestimmungen zu kontrollieren, Platzverweise durchzusetzen, Reisebewegungen festzustellen. Selbst die Durchsetzung der Markenrechte von „Harley Davidson“ ist der Polizei ein willkommener Anlass, mit wahnwitzigem Personaleinsatz intensive Kontrollen durchzuführen. Unter anderem gefälschte Starrrahmen waren der Polizei in Baden-Württemberg im Jahr 2011 in 14 Fällen Anlass, Maschinen aus dem Verkehr zu ziehen. Beschäftigt wird mit solchen Kontrollen ein 24-köpfiges „Kompetenzteam“.[7]

Doch nicht nur die Polizei soll aktiv werden. Durch „Sensibilisierung“ zahlreicher Kommunalbehörden soll der Druck auf die Rockerszene erhöht werden: durch restriktive gewerberechtliche Prüfungen bei Gastronomie und Wachgewerbe, steuerrechtliche Prüfungen beispielsweise der Umsätze in Vereinsheimen. Überhaupt eignen sich die Vereinsheime für zahlreiche Maßnahmen im Bauordnungs-, Immissionsschutz- und Infektionsschutzrecht. Auch die verbreitete Haltung von Kampfhunden und legaler Waffenbesitz bieten im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen Anknüpfungspunkte, Rockern und ihren Clubs das Leben schwer zu machen. Selbst auf Unternehmen soll die Polizei zugehen, um vor der Zusammenarbeit mit Firmen zu warnen, deren Inhaber oder Mitarbeiter als „Rocker“ geführt werden. Und schließlich soll bei jedem Einsatz gegen Rocker die Öffentlichkeit besonders beteiligt werden. Durch eine „offensive, aktive Öffentlichkeitsarbeit“ sollen „Gefahren“ aufgezeigt und andererseits „nachhaltig das staatliche Gewaltmonopol verdeutlicht“ werden.[8]

„Sensibilisierung“ von Behörden und Öffentlichkeit

Wie dieses Zusammenspiel von polizeilichen Maßnahmen und öffentlich-medialer Hysterisierung funktioniert, zeigen Beispiele aus der Provinz. So titelte am 20. Oktober 2016 die Rheinische Post: „Hells Angels: Polizei findet Waffen“. Tatsächlich gefunden wurden bei Personen- und Fahrzeugkontrollen anlässlich einer Geburtstagsfeier in einem Clubheim der Hells Angels in Haan (Kreis Mettmann) ein Kampfmesser und ein Teleskopschlagstock. Probleme bei den Kontrollen gab es nicht. Überhaupt, so die Polizei, seien der Club und seine Mitglieder noch nicht problematisch aufgefallen. In Bielefeld gab es im vergangenen August einen Großeinsatz der Polizei, bei dem hunderte Rocker Kontrollen unterzogen wurden – nur die erwarteten Kontrahenten eines angeblich bevorstehenden „Rockerkriegs“ wurden nicht angetroffen. Aus polizeitaktischer Sicht egal: Ziel war ohnehin „das Gewinnen von Erkenntnissen“, wie der Polizeisprecher anschließend einräumte.[9] In Passau fand die Gemeindeverwaltung einen Passus im Bauordnungsrecht, der den Rausschmiss einer Rockergruppierung aus einem von der Bahn aufgelassenen Bahnhofsgebäude ermöglichte – obwohl sich die Rocker nicht einmal eine Lärmbelästigung zuschulden kommen ließen.[10]

Rocker als Inbegriff der OK

Die Polizei sieht sich aus Politik und Medien mit der Erwartung konfrontiert, etwas gegen die „Organisierte Kriminalität“ zu unternehmen. Nun ist das mit der „organisierten Kriminalität“ so eine Sache: ihr wesentliches Strukturmerkmal ist, dass sie im Verborgenen agiert. Die „Outlaw Motorcycle Gangs“ dagegen sind sichtbar, sie spielen selbst mit dem Bild des Verruchten und Verbotenen und ziehen allerlei Selbstdarsteller und Nonkonformisten an. Ihre Kutten kann man zählen, ihre Strukturen ausleuchten, jede Anzeige und jedes Strafverfahren in beeindruckende Statistiken einpflegen. Durch ihre internationalen Kontakte eignen sie sich besonders für die agitatorische Rahmung der internationalen Polizeizusammenarbeit.[11] Für den angestrebten Ausbau von Befugnissen und Ressourcen zur Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ bieten sie sich als sinnlich fassbare Symbolfiguren geradezu an. Mit dem angestrebten Kennzeichenverbot wird das allerdings nicht einfacher: Denn dann tauchen auch die „kriminellen Rocker“ in jenes diffuse Dämmerlicht, das für die „Organisierte Kriminalität“ als Ganzes kennzeichnend ist. Ob den Polizeibehörden damit wirklich einen Gefallen getan ist, wird die Zukunft zeigen.

[1]    Gesetzentwurf: BT-Drs. 18/9758 v. 26.9.2016; zum Protokoll der Anhörung und den Stellungnahmen: www.bundestag.de/ausschuesse18/a04/anhoerungen/98-sitzung-inhalt/483634; Überblick über die parlamentarischen Beratungen: http://dipbt.bundes-tag. de/ extrakt/ba/WP18/762/76257.html
[2]    Bund-Länder-Projektgruppe des UA FEK (Unterausschuss Führung Einsatz Kriminalitätsbekämpfung der IMK): Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität – Rahmenkonzeption, Stand: 7.10.2010, S. 9; abrufbar bspw. unter https://cryptome.org/2012/09/biker-crime.pdf
[3]    ebd.
[4]    ebd., S. 61
[5]    BGH: Urteil v. 9.7.2015, Az.: 3 StR 33/15; www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/15/3-33-15.php
[6]    Gegen all diese Clubs sind seit 1983 bestandskräftige Vereinsverbote einzelner Gruppen ergangen.
[7]    Bikers News, Januar 2012, S. 14
[8]    Bund-Länder-Projektgruppe a.a.O (Fn. 2), S. 55
[9]    Westfalenblatt v. 31.8.2016
[10]  Alt-Neuöttinger Anzeiger v. 28.6.2016
[11]  Hierzu sehr erhellend: Heitmüller, U.: Europol und die Rockerdatei, in: Schelhorn, L.; Heitmüller, U.; Kruse, K.: Jagd auf die Rocker, Mannheim 2016, S. 248ff.

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