«Meine Damen und Herren, wir sind in der Tat eine offene Gesellschaft, aber zum Schutz dieser offenen Gesellschaft braucht es einen starken Staat, der bestmöglich für die Sicherheit und Freiheit der Menschen einsteht.» Das sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann am 19. Juli 2017 in der Landtagsdebatte. Einen Tag, bevor sich das Parlament des Freistaates in die Sommerpause davon machte, hat es noch schnell Geschichte geschrieben. Es verabschiedete in zweiter und dritter Lesung eine Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG), mit der das Bundesland einmal mehr demonstriert, dass ihm in Sachen Härte der Sicherheitsgesetzgebung kein anderes den Rang ablaufen kann: Bei «drohenden Gefahren» kann die Bayerische Polizei in Zukunft nicht nur schweres Geschütz zur Überwachung, nämlich Staatstrojaner, einsetzen. Sie kann die Freiheit von Personen einschränken, indem sie ihren Aufenthalt per «elektronischer Fußfessel» überwacht. Und sie kann Menschen diese Freiheit – präventiv – gleich ganz entziehen.
Das alles muss jeweils ein Richter oder eine Richterin genehmigen. Bisher erlaubte das bayerische PAG einen polizeilichen Gewahrsam von vierzehn Tagen und bewegte sich schon damit an der oberen Grenze dessen, was Polizeigesetze in Deutschland zulassen. Jetzt werden diese Grenzen gesprengt: Die präventive Freiheitsentziehung kann zunächst für drei Monate angeordnet werden – eine Frist, die der Richter oder die Richterin jeweils um weitere drei Monate verlängern kann, theoretisch bis zum St. Nimmerleinstag.
Aber der Reihe nach: am Beginn der Geschichte dieses Gesetzes steht ein «Kompromiss» über die gesetzgeberischen Folgen aus dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche, den Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein Kollege aus dem Justizressort, Heiko Maas, am 10. Januar verkündeten. Dazu gehörte eine weitere Verschärfung des BKA-Gesetzes. Hier sollten nicht nur die diversen Überwachungsmethoden abgesichert werden, deren Normierung das Bundesverfassungsgericht beanstandet hatte. Darüber hinaus sollte das BKA künftig Aufenthalts- und Kontaktverbote gegen «Gefährder» verhängen und diese per «elektronischer Aufenthaltsüberwachung» – vulgo Fußfessel – durchsetzen können. Klar war dabei, dass der Terminus «Gefährder» allenfalls ein polizeilicher Arbeitsbegriff ist, der auch durch seine rechtliche Fixierung nicht genauer wurde. Es geht eben nicht um Verdächtige einer Straftat und auch nicht um «Störer», also Verursacher einer konkreten Gefahr im Sinne des klassischen Polizeirechts, sondern um Personen, von denen die Polizei annimmt, dass sie möglicherweise in Zukunft eine terroristische Straftat begehen könnten.
Weil aber die meisten dieser «Gefährder» von den Landeskriminalämtern gemeldet und überwacht werden, forderte De Maizière die Länder auf, dem Beispiel des Bundes zu folgen. Der Bundestag verabschiedete die BKA-Gesetzesnovelle im April, aber bereits im Februar hatte das Bayerische Innenministerium seinen Gesetzentwurf «zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen» Änderungen am 19. Juli verabschiedete.
Das PAG greift den «Gefährder»-Begriff des BKA-Gesetzes auf und formuliert daraus eine neue polizeiliche Aufgabe: die Verhinderung einer «drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut»: Die Polizei kann demnach nun die «notwendigen Maßnahmen treffen … um … die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Gewalttaten von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind.»
Nicht verstanden? Kein Wunder, denn das juristische Wortgeklappere setzt sich zusammen aus unbestimmten Rechtsbegriffen, die allesamt nur eines ausdrücken: Die Polizei entscheidet, wann eine solche Gefahr drohen könnte und wann sie an den zuständigen Amtsrichter oder die Amtsrichterin herantritt, um sich entsprechende Maßnahmen genehmigen zu lassen – vom Trojanereinsatz bis hin zur «Unendlichkeitshaft». Und die Erfahrung lehrt: Je grösser die beschworene Gefahr, desto eher werden die Richter*innen dem polizeilichen Ansinnen folgen.
Im Unterschied zum BKA-Gesetz setzt das bayerische PAG aber nicht nur an drohenden terroristischen Gefahren an, sondern bereits bei möglichen Schädigungen «erheblicher Eigentumspositionen» oder «Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt». Und weil es gerade so gut passte, mischte der bayerische Innenminister die «Anschläge in Großbritannien, in Manchester und in London, aber auch das Chaos bei dem G-20-Gipfel in Hamburg» in einen Topf. «Die Bürgerrechte werden in diesem Land doch nicht vom Staat bedroht, sondern von Extremisten und Chaoten.»
Bayern ist mit seinem PAG erneut «Vorreiter» in der deutschen Polizeigesetzgebung. Es hat bewiesen, dass es möglich ist, selbst über das unmögliche und unsägliche BKA-Gesetz hinauszugehen und selbst eine bis ins Unendliche verlängerbare Präventivhaft «rechtsstaatlich» abzusegnen. «So gehen wir eben mit dem Thema der inneren Sicherheit um», sagt Joachim Herrmann, der nach der Bundestagswahl gerne Bundesinnenminister werden möchte.