Polizeiliche Todesschüsse 2016: Berliner Lücken – „statistisch als offen bewertet“

von Otto Diederichs

Wie bereits im Vorjahr ist auch 2016 die Zahl der Schusswaffeneinsätze gegen Personen und Sachen gestiegen. Davon endeten 13 Fälle tödlich.

Laut der offiziellen Schusswaffengebrauchsstatistik, die die Deutsche Hochschule für Polizei (DHPol) alljährlich im Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) auf der Basis der von den Ländern gemeldeten Zahlen zusammenstellt, kam es 2016 in insgesamt 52 Fällen zum Schusswaffengebrauch gegen Personen (2015: 41). Hinzu kamen 28 Fälle des Schusswaffeneinsatzes gegen Sachen (2015: 17), wobei es sich hier nicht selten um Schüsse auf Fahrzeuge – und somit indirekt auch auf Personen – handelt. Schüsse zur „Fluchtvereitelung bei Verdacht eines Verbrechens oder eines ‚gleichgestellten Vergehens‘“ bildeten mit 16 Fällen den Großteil des Schusswaffengebrauchs gegen Sachen.[1]

Im Ergebnis verzeichnet die offizielle Statistik für 2016 dann 28 Verletzte und 11 Tote. Und hier beginnen die Ungereimtheiten. Im Gegensatz zur IMK-Statistik ergibt die CILIP-Presseauswertung nämlich insgesamt 13 tödlich verlaufene Schusswaffeneinsätze für das Jahr 2016.

Auf unsere detaillierte Nachfrage erklärte die DHPol am 23. Juni, man halte die eigene Statistik weiterhin für korrekt. Da Berlin keine Fälle an die DHPol gemeldet hatte, war nun auch klar, welche tödlichen Schüsse in der IMK-Statistik fehlen, nämlich die beiden Berliner Fälle 1 und 10 in unserer Tabelle. Auf unsere Nachfrage bei der Berliner Polizei erklärte deren Pressestelle: „Nein, es handelt sich nicht um ein Meldeversäumnis … Da die staatsanwaltlichen Ermittlungen zu den beiden Schusswaffengebräuchen von Berliner Polizisten im Jahr 2016 noch nicht abgeschlossen sind, wurden die Fälle statistisch als offen bewertet“.

Einen staatsanwaltlichen Vorbehalt sieht die IMK-Statistik jedoch nicht vor. Die offizielle Zählung vermerkt zwar Zahlen „unzulässiger“ Schüsse, für 2016 einen. Dabei handelt es sich jedoch um polizei-interne Bewertungen. Die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft oder gar die Ergebnisse von Gerichtsverfahren tauchen in der sehr rudimentären Statistik der IMK nicht auf. Die wenigen Gerichtsentscheidungen, die die polizeiliche Version der Ereignisse korrigieren oder in einer Verurteilung der jeweiligen BeamtInnen enden, führen auch nicht zu einer Nachkorrektur der Statistik. Eine weitere Nachfrage, auf welche Rechtsgrundlage sich dieser Vorbehalt stütze und seit wann er angewendet wird, ließ die Berliner Polizei-Pressestelle bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Diesen merkwürdigen Umgang mit Zahlen legen die Berliner Polizei und der Innensenat aber nicht nur gegenüber der DHPol, sondern auch gegenüber dem Parlament an den Tag. Im Februar 2017 fragte die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus nach Daten über den polizeilichen Schusswaffengebrauch seit 2014. Für 2016 heißt es in der Antwort, Berliner PolizistInnen hätten „in 0 Fällen gegen Menschen“ und „in 0 Fällen gegen Sachen“ die Schusswaffe eingesetzt, „in 0 Fällen (seien) Menschen getötet“ und „in 0 Fällen Menschen verletzt“ worden. Darunter folgt jedoch der Satz: „Die offenen Vorgänge werden erst nach Vorliegen des abschließenden Berichtes in Kategorien untergliedert in der Statistik dargestellt“.[2]

Im Fall 10 unserer Tabelle hat die Staatsanwaltschaft zwar Ende Mai 2017 nach rund acht Monaten die Ermittlungen gegen die beteiligten PolizistInnen eingestellt. Allerdings bestreiten die Witwe des Erschossenen, ihre Anwälte und ein Bündnis von Unterstützergruppen, dass der Mann mit einem Messer bewaffnet gewesen sei. Sie fordern die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Ein eventuelles Klageerzwingungsverfahren könnte sich lange hinziehen.[3] Wie auch immer es ausgeht: Fest steht, dass Berliner PolizistInnen 2016 in zwei Fällen tödliche Schüsse abgegeben haben.

[1]      Hinzu kommen weitere 12.656 Schüsse zum Töten gefährlicher, kranker und verletzter Tiere, Statistik 16 v. 18.5.2017
[2]     Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 18/10387 (Anfrage v. 6.2.2017/Antwort v. 27.2.2017)
[3]     Taz v. 6.7.2017; Neues Deutschland v. 11.7.2017; www.kop-berlin.de

 

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