Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation Interpol will zehntausende Haftbefehle auf einen möglichen Missbrauch zur politischen Verfolgung überprüfen. Interpol ist nach Artikel 3 der Statuten jede „Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters“ untersagt. Die internationalen Fahndungen zur Festnahme (die sogenannten „Rotecken“) dürfen diese Politik nicht unterlaufen. Viele Länder nutzen den Interpol-Kanal trotzdem zur politischen Verfolgung.
Interpol speichert Angaben zu ausgeschriebenen Personen, Sachen oder Ausweisdokumenten in sogenannten ASF-Datenbanken („Automated Search Facility“). Die ASF-Datei für die Personenfahndung heißt „Nominals“. Dort sind derzeit mehr als 200.000 Personen gespeichert, seit 2014 ist ihre Zahl um 30 Prozent gestiegen.
Die Untersuchung betrifft nur jene Haftbefehle, die zwischen 2014 und 2016 ausgestellt worden sind. Die Bundesregierung gibt deren Zahl mit 80.000 an. Zuerst werden 3.700 auf der Interpol-Webseite veröffentlichte „Rotecken“ überprüft.[1] Nicht durchgesehen werden die „Buntecken“ in den Farben Blau („Bitte um den Aufenthaltsort der Ausgeschriebenen“) oder Grün („Warnungen“), die von Staaten ebenso zur politischen Verfolgung genutzt werden könnten.
Zur Überprüfung des „Fahndungsaltbestands“ hat Interpol eine Arbeitsgruppe „Notices and Diffusion Task Force“ eingerichtet, an der sich neben einer Juristin des Bundeskriminalamts auch Behörden aus der Slowakei, Kroatien, Schweden und der Ukraine beteiligen.[2] Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erwägt ebenfalls eine Entsendung von Personal aus den Landesjustizverwaltungen.[3]
Im Juni 2014 hatte das Interpol-Sekretariat beschlossen, eingehende Haftbefehle zukünftig genauer zu prüfen. Auch die deutschen Regeln zum Umgang mit Interpol-Ersuchen wurden nach der umstrittenen Festnahme des ägyptischen Journalisten Ahmed Mansour im Jahre 2015 geändert.[4] Das Bundeskriminalamt (BKA) hat seitdem in mehr als 26.000 Fällen dem Bundesamt für Justiz oder dem Auswärtigen Amt Fahndungsersuchen von „besonderer Bedeutung in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung“ zur Begutachtung vorgelegt. Wie zu diesen Fällen entschieden wurde, kann das Bundesinnenministerium nicht erklären; hierüber seien keine Statistiken geführt worden.
Seit 2014 erhielten die nationalen Zentralbüros in 130 Fällen eine Empfehlung des Interpol-Generalsekretariates zur Rücknahme von Fahndungen. Jedoch entschied die Bundesregierung, fünf Ersuchen trotz schwerwiegenden Verdachts nicht auszusondern, sondern als nationale Haftbefehle weiterzuführen.