Archiv der Kategorie: CILIP 118-119

Innere Sicherheit & Soziale Bewegungen (Juni 2019)

Automatisierte Identitätsprüfung: Im BAMF urteilen zunehmend Computer über Geflüchtete

von Anna Biselli

Seit einigen Jahren setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zunehmend auf IT-Systeme, um die Identität von Geflüchteten zu bestimmen und zu verifizieren. Doch die Systeme machen Probleme: Sie sind fehleranfällig und greifen teilweise tief in die Privatsphäre der Schutzsuchenden ein. Die Asylverfahren werden weiter entmenschlicht, Schicksale werden zunehmend Maschinen überlassen.

In der ersten Hälfte des Jahres 2016 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fast 400.000 Asylanträge gestellt. Die Behörde kam mit der Bearbeitung der Anträge nicht mehr hinterher, unerledigte Asylverfahren stapelten sich. Mehrere Tausend neue Mitarbeiter*innen sollten helfen, die Anträge schneller abzuarbeiten. Stattdessen brachten sie neue Probleme: Laut einer internen Auswertung des BAMF aus dem Jahr 2017 hatten nur rund 20 Prozent die vorgesehene Grundausbildung durchlaufen. Es kursierten interne Zielvorgaben, die kaum zu schaffen sind: 3,5 Entscheidungen oder drei Anhörungen pro Tag sollten die Angestellten jeweils bewältigen.[1] Nicht viel Zeit, um sich mit den Schutzsuchenden auseinanderzusetzen, von denen alle ihre eigene Flucht- und Verfolgungsgeschichte mitbrachten. Automatisierte Identitätsprüfung: Im BAMF urteilen zunehmend Computer über Geflüchtete weiterlesen

Racial Profiling in Deutschland: Keine Frage individuellen Fehlverhaltens

von Bafta Sarbo

Als Racial Profiling werden rassistische Polizeikontrollen bezeichnet, bei denen Menschen anhand von phänotypischen Merkmalen, insbesondere der Hautfarbe, polizeilichen Maßnahmen unterzogen werden. Trotz aller Kritik bleibt es eine ständige Praxis der Polizei.

Den Begriff Racial Profiling und die Diskussionen darüber kennen viele vor allem aus den USA, aber auch in Deutschland und allen anderen europäischen Ländern gibt es sie. Allerdings hat Racial Profiling in Deutschland eine andere Grundlage als in den USA. Hier geht es seltener darum, Drogendelikte festzustellen, sondern in der Regel um Migrationskontrolle, also darum illegale Einreisen, unerlaubte Grenzübertritte festzustellen. Eine zentrale Rechtsgrundlage sind dabei die §§ 22 und 23 des Bundespolizeigesetzes (BPolG), die es der Bundespolizei erlauben, nicht nur an Grenzen, sondern insbesondere an Bahnhöfen, Flughäfen und in Zügen Menschen zu kontrollieren.[1] Racial Profiling in Deutschland: Keine Frage individuellen Fehlverhaltens weiterlesen

Bürgerrechte in Bewegung: Die Demokratie auf der Straße verteidigen

von Elke Steven

Seit 40 Jahren informiert CILIP über die vielen gesetzlichen und technischen Entwicklungen in der Überwachung der Bürger*innen. Die Aufgabe der Bürgerrechts- und der neuen sozialen Bewegungen ist es, deren Auswirkungen auf die Grund- und Menschenrechte zu analysieren und Formen des Protests zu entwickeln.

Eine „kurze“ Geschichte der neuen sozialen Bewegungen kann es hier nicht geben. Die vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen, die Kämpfe auf der Straße, die gerichtlichen Erfolge und deren Umkehrung in Repression kann ich nur mit willkürlich gewählten Schwerpunkten und sehr pointillistisch aufzeigen. Bürgerrechte in Bewegung: Die Demokratie auf der Straße verteidigen weiterlesen

Summaries

40 Years of CILIP

Transformation and Continuity – Four Decades of Critique of “Internal Security”
by Norbert Pütter

Founded in 1978, CILIP is a child of the seventies which were marked by the experience of the fight against terrorism, the occupational bans against left wing people and a technocratic police reform. The subjects and focal points of the journal varied over the years – from protest policing to covert police methods to – once again since 2001 – anti-terrorism. Civil liberties as guiding principles meant not only search for new forms of monitoring of police and intelligence services, but also reflections on alternatives to police or at least a fundamental reform. Summaries weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Literatur zum Thema „Vier Jahrzehnte Bürgerrechte & Polizei/Cilip“ ließe sich auf verschiedenem Wege besprechen: Einer könnte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre beginnen, als in der Bundesrepublik langsam und spärlich die Polizei, die Apparate des Gewaltmonopols im Innern, politisch und sozialwissenschaftlich entdeckt und die staatstragenden juristischen Apologien mit Alternativen kon­fron­tiert wurden. Diese Lage hat sich deutlich verändert: Die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit der Staatsgewalt im Innern hat ein an­sehnliches Ausmaß angenommen (nicht zuletzt durch den mit der Akademisierung der Polizeiausbildung bewirkten Ausbau von Forschung über die Polizei); soziale Bewegungen protestieren dauerhaft und öffentlichkeitswirksam gegen den Ausbau der Apparate; und innerhalb der Rechtswissenschaft haben sich Traditionslinien entwickelt, die die Ideen rechtstaatlich-demokratisch-liberaler Verfassungsstaaten gegen Politiken verteidigen, die in immer neuen Versionen versuchen, die staatlichen Zwangsgewalten auf Kosten von Grund- und Freiheitsrechten auszubauen. Literatur weiterlesen

Wandlungen und Kontinuitäten: Vier Jahrzehnte Kritik der „Inneren Sicherheit“

„Innere Sicherheit“ zu versprechen, das ist in Deutschland gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern. Anders als durch den Eingriff in und den Abbau von Grundrechten scheint „Sicherheit“ nicht herstellbar. Je hilfloser die Politik gegenüber gesellschaftlichen Problemen ist, desto intensiver forciert sie den Ausbau des kontrollierend-strafenden Staates. Und desto wichtiger ist bürgerrechtliche Beobachtung als Voraussetzung des Widerstands.

Im März 1978 erschien die „Nummer 0“ von CILIP, dem „news-letter on civil liberties and police development“. Unter der Überschrift „Wozu ein Informationsdienst zur Polizeientwicklung“ wird im Editorial auf die Gefahr hingewiesen, dass – verglichen mit dem Militär – die „Polizei-Entwicklung über Gebühr verharmlost wird“. „Veränderungen der liberalen Demokratie, die durch den Funktionswandel der Polizei und ihre veränderten Instrumente bewirkt werden können oder schon bewirkt worden sind, fallen nicht auf.“ Der Informationsdienst wolle eine „kritische Öffentlichkeit herstellen“, denn „alles, was angesichts beobachtbarer Tendenzen getan werden kann, um rechtsstaatliche Verfahren bezogen auf die Substanz der Grund- und Menschenrechte zu verteidigen bzw. ihre Gefährdung zu dokumentieren, sollte man versuchen.“[1] Wandlungen und Kontinuitäten: Vier Jahrzehnte Kritik der „Inneren Sicherheit“ weiterlesen

Die Lage im Lager – Leerstellen zur Arbeit im Wach- und Sicherheitsgewerbe

von Volker Eick

Zwischen der Norsk-Data-Straße im schönen Bad Homburg und der Friedrichstraße im Ostzentrum Berlins ist die Rechtsabteilung des Bundesverbands der Deutschen Sicherheitswirtschaft (BDSW) gerade schwer beschäftigt. Nach Angaben von Berthold Stoppelkamp, Leiter des BDSW-Hauptstadtbüros, wird dort gerade an einem Gesetzentwurf für das deutsche Wach- und Sicherheitsgewerbe gebastelt.

Der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer habe signalisiert, dass ein solcher Entwurf noch 2019 zu einem Bundesgesetz gerinnen könne.[1] Die Lage im Lager – Leerstellen zur Arbeit im Wach- und Sicherheitsgewerbe weiterlesen

Wissen über rassistische Polizeigewalt – Es ist nicht passiert, solange niemand darüber spricht

von Johanna Mohrfeldt und Schoreh Golian für die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP)

Wie Albrecht Funk schon vor 26 Jahren feststellte, entzieht sich auch heute noch die „Wirklichkeit der Interaktionen zwischen Polizeibeamten und ‚Ausländern’ … weitgehend einer öffentlichen oder statistischen Erfassung“.[1] Es fehlt nach wie vor an polizeilichen Statistiken, Daten und bundesweiten Studien sowie einem breit gefächerten, zivilgesellschaftlichen Interesse, die Erfahrungen von People of Color mit der Polizei nachzuvollziehen.

Bisweilen hat es den Anschein, dass die „Wirklichkeit der Interaktionen“ deshalb nicht näher untersucht wird, weil Missstände gar nicht erst sichtbar werden sollen. Wissen über rassistische Polizeigewalt – Es ist nicht passiert, solange niemand darüber spricht weiterlesen