von Norbert Pütter und Jenny Künkel
Dem öffentlichen Raum wird in demokratischen Gesellschaften eine besondere Qualität zugeschrieben: Denn er steht formal allen offen, unabhängig von Stand und Vermögen, und er soll der Ort sein, an dem sich das soziale Leben auch physisch manifestiert. Da gerade Marginalisierte ihr Leben in den öffentlichen Raum verlagern (müssen), entscheidet die Regulierung dieser Sphäre (mit) über ihre gesellschaftliche Teilhabe. Am Umgang mit den offenen Drogenszenen in Deutschland zeigt sich, dass für manche der öffentliche Raum in einen Repressionsraum verwandelt wird.
Dass verschiedene soziale Gruppen in unterschiedlicher Weise auf den öffentlichen Raum angewiesen sind, ist eine Banalität. Die einen nutzen Straßen und Plätze als Wege zwischen den Orten, an denen sich ihr Leben vorrangig abspielt (dem Zuhause, der Arbeit, den kulturellen und sozialen Events). Für andere dient der öffentlich Raum zum Leben, weil sie kein Zuhause haben, in prekären Verhältnissen wohnen oder weil sie auf die Ressourcen angewiesen sind, die die (städtische) Öffentlichkeit bietet (z.B. das Potential, zum informellen Austausch von Waren oder Dienstleistungen zusammenzukommen).[1] Die Konflikte um die Nutzung des öffentlichen Raumes haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen – als Ausdruck der sozialen und sozialräumlichen Polarisierung einerseits sowie der gewachsenen Bedeutung innerstädtischer Räume innerhalb einer neoliberalen Stadtentwicklungspolitik und den städtebaulich-ökomischen Wandlungen des Öffentlichen andererseits. In diesem Kontext sind die Fragen von Kriminalität, Sicherheit und Sicherheitsgefühl sowie Ordnung in den Fokus kommunaler Regulierungen gerückt. „Sicherheit“ – bestehend aus einem schwammigen Konglomerat aus Ordnung und Ordnungsempfinden, störenden Verhaltensweisen bis hin zu kriminalisierten Handlungen – gilt als eine Voraussetzung, den öffentlichen (städtischen) Raum für steuerträchtige Schichten und Nutzungen (wieder) attraktiver zu machen.[2]
In diesem Kontext lokaler Politiken müssen die Praktiken der Polizei und anderer staatlicher Instanzen betrachtet werden. Denn diese stehen gewissermaßen am Ende eines Kontrollarrangements, das die Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum auf Kosten derjenigen „bearbeitet“, die gesellschaftlich am Rande stehen. Weil polizeilich/ordnungsbehördliches Verhalten erst dann in Erscheinung tritt, wenn die vorgelagerten Mechanismen der Ausschließung und des Unsichtbarmachens versagen, wird erst durch den Kontext deutlich, in wessen Auftrag, in Fortsetzung welcher Logik kontrollierend-repressiv gegen Menschen im öffentlichen Raum vorgegangen wird.
Zonen der Sicherheit
Weil in der gegenwärtigen Stadtentwicklungsdiskussion die Zentren der Städte im Vordergrund stehen, ist zunächst von Bedeutung, dass die traditionellen Innenstädte sich in der Defensive befanden. Die Shopping Malls in- und außerhalb der Städte, Retortenstätten mit ungestörter Konsum- und Erlebnisqualität, haben nicht nur den Weg zwischen Geschäften und Cafés etc. vom öffentlichen Raum auf Privatgrundstücke verlegt, sie haben zugleich zu Prozessen der Konzentration und Entleerung von Rändern der traditionellen Einkaufsstraßen beigetragen. Die Umgestaltung der Innenstädte resultierte aus dieser Entwicklung: Unbeschwertes Einkaufs- und Bummelvergnügen bedeutet dann, nicht von Bettler*innen, von Obdachlosen, von „Junkies“, „Alkies“ oder „unflätigen“ Jugendlichen behelligt zu werden. Reglementierung des erlaubten Verhaltens über kommunale Nutzungssatzungen,[3] Modifikationen in Grünbewuchs und Beleuchtung, Installation spezifischer Stadtmöblierungen (um Liegen und „Herumlungern“ zu verhindern), schließlich die Überwachung durch Kameras und uniformiertes Personal sind die Elemente dieser Aufwertungsstrategie.[4]
Angesichts jüngerer Entwicklungen erscheinen diese Arrangements als eher halbherzige Versuche, den öffentlichen Räumen ihre Nutzung bereits durch ihre Gestaltung einzuschreiben. Constanze Petrow beschreibt am Beispiel einiger „Business Improvement Districts“ in Hamburg – also der Umgestaltung städtischer Räume unter maßgeblicher Beteiligung privater Akteur*innen/Investitionen –, dass die Inszenierung des Raums durch die Verwendung bestimmter Baumarten, durch die Verwendung edler Materialien, durch die kühle Unwirtlichkeit, die Nutzung zu anderen Zwecken – etwa zum bloßen Aufenthalt – ausschließt.[5] Mit anderen Worten: Diese Räume sind so gestaltet, dass keine Randgruppe sie aufsuchen, sich freiwillig dort aufhalten möchte. Hier bedarf es keiner staatlichen Ordnungsmacht, die sich um Störendes kümmert. Denn alle potentiell Störenden sind bereits durch den durchgestylten Raum ausgeschlossen – oder, so geschehen im Jahr 2007 an den Bühnen auf dem zentralen Spielbudenplatz, von diesen privaten Akteur*innen mit Sprinkleranlagen vertrieben.[6] So lässt sich leicht eine Hierarchisierung öffentlich genutzter Räume erkennen: An der Spitze jene formal öffentlichen, aber durch exklusive Gestaltung exkludierenden Räume in den Zentren der Innenstädte. Sodann die formal privatisierten „öffentlichen“ Räume (neben den Malls sind hier auch die Bahnhöfe zu nennen), in denen das Hausrecht über die Nutzung entscheidet. Schließlich der „normale“ öffentliche Restraum, in dem die Nutzungskonflikte ausgetragen werden (müssen), weil bestimmte Nutzungen/Nutzer*innen aus anderen Räumen ferngehalten werden und weil Marginalität in der neoliberalen Stadt keinesfalls verschwindet, sondern durch sie zunehmend hervorgebracht wird.
Die Art und Weise, wie dieser öffentliche Raum „policiert“ (im Sinne der alten „Policey“ – der Herstellung „guter Ordnung“) wird, ist im Detail in Deutschland sehr verschieden. Da es um kommunale Antworten geht, sind die Maßnahmen von einer Reihe von Faktoren abhängig: der Größe der Städte, ihrer Attraktivität für bestimmte Phänomene (z.B. Arbeitsmigration), der Problematisierung bestimmter Phänomene im öffentlichen Raum, dem politisch-gesellschaftlichen Selbstverständnis der lokalen Akteur*innen und nicht zuletzt den materiell-personellen und rechtlichen Möglichkeiten, die vor Ort mobilisierbar sind. Angesichts dieser vielen Faktoren unterscheiden sich die Regulierungen des öffentlichen Raumes erheblich, so dass generelle Aussagen schwierig sind, zumal eine umfassende Bestandsaufnahme fehlt. Dies gilt einerseits für die Bündel an Initiativen, Maßnahmen, Instrumenten und deren Erfolge (aus Sicht der Handelnden), andererseits gilt das erst recht für die Folgen, die das mit Sicherheit und/oder Ordnung legitimierte Vorgehen für die Menschen hat, für die der öffentliche Raum von besonderer Bedeutung ist. Trotz dieser Varianz lassen sich sowohl die Grundlinien des Umgangs identifizieren als auch die Folgen für die Betroffenen abschätzen. Exemplarisch soll diese am Beispiel des Umgangs mit lokalen Drogenszenen erfolgen.
Lokale Drogenszenen
Drogenkonsum in der Öffentlichkeit ist aus verschiedenen Gründen ein Problem für die Kommunen: Beschwerden von Anwohner*innen, die sicher in etlichen Debatten überzeichnete Gefährdungen von Unbeteiligten (z.B. durch Spritzen), Vermeideverhalten und Verunsicherung bei der „Normalbevölkerung“, Beschaffungskriminalität, vermehrtes Aufkommen von Müll und Fäkalien durch das Leben auf der Straße und Abwertung des städtischen Raumes. Dabei ist durchaus strittig, inwiefern diese Phänomene nicht Ursache, sondern Folgen gesellschaftlicher Reaktionen auf Drogen sind. Zudem besteht ein großer Konsens unter Drogenhilfeeinrichtungen und oft auch Ordnungskräften dahingehend, dass es sich bei dem auf street level beobachtbaren Personen, um Süchtige (und selbst abhängige Kleindealer*innen) handelt, die der medizinischen Unterstützung bedürfen. „Betäubungsmittelkriminalität“ auf diesem Niveau primär gesundheitlich und nicht kriminalistisch zu rahmen, gehört zur anerkannten Polizeistrategie in Deutschland. Eigentlich sieht die Polizei ihre Aufgabe in der Bekämpfung der „Hintermänner“, der Strukturen des organisierten Rauschgifthandels, während die Kontrollarbeit vor Ort eher als perspektivlose und „schmutzige“ Sisyphos-Arbeit wahrgenommen wird, die aus der Binnenperspektive der Beamt*innen bestenfalls dann interessant wird, wenn auf dem Revier große Langeweile herrscht oder junge Polizeikräfte Übungen machen sollen.[7] Zudem gilt die Sichtbarkeit und Konzentration von Szenen oft auch als Voraussetzung der Kontrollierbarkeit, während eine Verdrängung in wohlhabendere Viertel genauso wenig opportun scheint, wie eine Verstreuung in der Polizei unbekannte Räume.
Trotz dieser strategischen Ausrichtung ist die Polizei an der Kontrolle lokaler Drogenszenen maßgeblich beteiligt. Die Erwartungen zum Einschreiten werden seitens externer lokalpolitischer Akteur*innen, aber manchmal auch von Polizeiführungen, die z.B. hohe Aufklärungsquoten vorweisen wollen, an sie adressiert. Das Legalitätsprinzip zwingt sie zu Ermittlungen. Zudem bieten Konsum- und Kleinhandelsszenen Zugangschancen zu den Strukturen, die man „zerschlagen“ möchte. Insgesamt lassen sich zwei (polizeiliche) Strategien, die gleichzeitig verfolgt werden, identifizieren: (je nach politischem Druck unterschiedlich massive) Kontrollen der Szenen und Beteiligung an sozial unterstützenden Arrangements.
Hans Cousto und Heino Stöver haben vor Jahren gezeigt, dass – unbeschadet der polizeistrategischen Orientierung an den Organisationen des illegalen Drogenhandels – die Polizei sich vor allem und zunehmend mit den Konsumierenden und den „konsumnahen“ Drogendelikten beschäftigt. Vom Ende der 1990er Jahre bis 2016 stieg der Anteil dieser Delikte an allen registrierten Betäubungsmitteldelikten kontinuierlich an (auf 76,6 Prozent). Zugleich zeigt ihre Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik, dass die mit Cannabiskonsum verbundenen Ermittlungsverfahren im letzten Jahrzehnt ständig anstiegen, während jene wegen Handel mit und Schmuggel von Cannabis deutlich abgenommen haben.[8]
Diese Zahlen deuten auf die Kluft hin, die zwischen der vorgeblichen strategischen Orientierung und dem tatsächlichen Mitteleinsatz besteht. Dies ist wenig verwunderlich vor dem Hintergrund des oben skizzierten erstarkten Interesses an gesäuberten Innenstädten und zunehmender Gentrifizierung an den Innenstadträndern und darüber hinaus. Die Kluft und Zahlen weisen jedoch darauf hin, dass die Konsument*innenszenen, auch und gerade leichter Drogen, einem permanenten Verfolgungsdruck ausgesetzt sind.
Vermehrter, je nach Stadt, Zeit, Raum, öffentlichen Debatten unterschiedlich intensiver Polizeieinsatz folgt strategisch dem Ansatz der kleinräumigen „Dispersion“, der Verdünnung oder Zerstreuung des Drogengeschehens im Raum, wobei das offiziell verfolgte Ziel, die örtliche Verfestigung der Szenen zu verhindern, de facto oft bedeutet, dass die Szenen innerhalb bestimmter Räume mittels Repression zu unauffälligem Verhalten angeregt werden sollen, z.B. keine größeren Gruppen bilden oder keinen Lärm machen.[9] Gleichwohl verbleiben die Szenen nach den großen Verdrängungen aus den Shopping-Meilen und Bahnhöfen der 1990er und 2010er Jahre häufig in den letzten noch nicht vollständig gentrifizierten Gebieten.
Was Verfolgungsdruck bedeutet, zeigt sich exemplarisch an den Befragungen von Angehörigen der offenen Drogenszene in Frankfurt am Main. Im jüngsten Bericht des „Monitoring-Systems Drogentrends“ geben 67 Prozent der Befragten an, im vergangenen Jahr mindestens einmal von der Polizei kontrolliert worden zu sein; 28 Prozent wurden 5 Mal oder häufiger kontrolliert. Von den Kontrollierten hatten 41 Prozent einen Platzverweis im letzten Monat vor der Befragung erhalten; vier Prozent aller Befragten hatten sogar mehr als fünf Platzverweise oder Aufenthaltsverbote erhalten. Schließlich gaben 83 Prozent aller Befragten an, mindestens einmal inhaftiert worden zu sein; im Durchschnitt waren die Hafterfahrenen viereinhalb Jahre inhaftiert.[10] Kontroll- und Sanktionserfahrungen, so muss man schlussfolgern, bestimmen den Alltag in der offenen Drogenszene.
Kontrollieren und Helfen
Kaum eine*r glaubt, mit Repression könne das „Drogenproblem“ gelöst werden. Aber selbst die „realistische“ Vision, mit harter Repression könnten die unerwünschten Begleiterscheinungen illegalisierter Drogen wirkungsvoll im Zaum gehalten werden, wird durch die Wirklichkeit regelmäßig widerlegt. So scheiterte der Versuch kläglich, die Drogenszene im Berliner Görlitzer Park durch massive Polizeipräsenz aufzulösen: Ausweichen in die Nachbarschaft und andere Räume, verschärftes Katz-und-Maus-Spielen mit neuen Beschwerden und unerwünschten Wirkungen waren die Folge. Dass die Szene „irgendwo“ hin muss – solange es eine Nachfrage und ein Angebot gibt –, ist offenkundig und allen politisch Verantwortlichen bewusst. Deshalb besteht der Ausweg darin, die Drogenszenen auf bestimmte städtische Räume zu begrenzen („Containment“), sie dort mittels Kontrolldruck auf einem Niveau zu halten, dessen negative Wirkungen für andere sich in Grenzen hält, und gleichzeitig Hilfs- und Unterstützungsstrukturen auszubauen.
Bereits die Etablierung sogenannter „Konsumräume“ folgte dieser Logik. In Frankfurt z.B. war deren Etablierung von Anfang an nicht nur daran gekoppelt, dass Drogenkonsumierende im öffentlichen Raum mehr Repression erfuhren (Repression war eine zentrale Säule des als vergleichsweise liberal geltenden „Frankfurter Weges“), sondern auch daran, dass „auswärtige“ Konsumierende aus anderen Städten von diesen nicht angezogen und aus dem öffentlichen Raum und der Stadt verdrängt werden sollten.[11] Seit der Novellierung des Betäubungsmittel (BtM)-Gesetzes im Jahr 2000 verfügen die Bundesländer über die Möglichkeit, per Rechtsverordnung die Einrichtung von Konsumräumen zu erlauben. Von dieser Möglichkeit haben bisher sieben Bundesländer Gebrauch gemacht; gegenwärtig gibt es 27 Konsumräume in Deutschland (u.a. 6 in Berlin, 4 in Frankfurt am Main und Hamburg, 8 im Ruhrgebiet).[12] Die Räume folgen dem Ansatz der „harm reduction“: Den als krank verstandenen Konsumierenden soll die Möglichkeit gegeben werden, unter hygienisch einwandfreien Bedingungen, ihre mitgebrachten Drogen zu applizieren. Gleichzeitig sollen sie zum Ausstieg und zu weiterführenden Hilfen motiviert werden, und schließlich sollen sie dazu beitragen, „die Belastungen der Öffentlichkeit durch konsumbezogene Verhaltensweisen zu reduzieren“.[13] Die Betreiber*innen der Konsumräume müssen gewährleisten, dass innerhalb der Räumlichkeiten keine BtM-Delikte – jenseits des Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch in geringer Menge – begangen werden. Mit den Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden sind darüber hinaus Grundzüge der Zusammenarbeit festzulegen, und speziell mit der Polizei ist regelmäßig Kontakt zu halten, um Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Umfeld der Konsumräume zu verhindern (so § 8 der Hessischen Verordnung). Dies bedeutet in der Praxis z.B., dass die Einrichtungen angehalten sind, Ansammlungen von Konsument*innen im öffentlichen Raum vor ihrem Gelände zu unterbinden bzw. die Polizei hinzuzuziehen.
Obgleich eingebunden in solche, im lokalen Einzelfall festzulegenden Sicherheitskonzepte, können die Konsumräume nur funktionieren, wenn faktisch auf Strafverfolgung verzichtet wird. Nur wenn die Drogenkonsumierenden sicher sein können, dass die Polizei die Räume und deren Umfeld nicht zu gezielten Kontrollen nutzt, werden sie die Räume in Anspruch nehmen. Drogenkonsumräume sind deshalb Orte kontrollierter Toleranz: „Sauberer“ Drogenkonsum bei Minimierung der Belästigungen für die Allgemeinheit, verbunden mit Angeboten zum Ausstieg oder sonstigen Hilfen. Die Drogenkonsumräume[14] stehen in besonderer Weise für jene Kombination aus toleriertem Konsum in einem engen und labilen Arrangement, in dem repressiv-polizeiliche und sozial helfende Strategien zugleich eingesetzt werden. Das Polizieren im Görlitzer Park in Berlin folgt diesem Muster (weiterhin massiver, wenn auch nicht totaler Kontrolldruck) und gleichzeitig niedrigschwellige Angebote von (Ausstiegs-)Hilfen.[15]
Für die Drogennutzer*innen bedeutet das, dass sie in diesen Zonen möglichst unauffällig, aber durchaus repressiver als bisher verwaltet, in die Drogenkonsumräume und ihrem unmittelbaren Umfeld eingehaust, begrenzt sichtbar im öffentlichen Raum geduldet werden. In liberalen Konzepten wird dies mit einem punktuellen Verzicht auf Polizeikontrollen verbunden, um den Zugang zu Hilfseinrichtungen nicht zu verhindern. In Hamburg wurden diese Einrichtungen zudem konzentriert und am Rande eines einst sehr marginalisierten Viertels verortet, so dass die Szene aus den Wohnstraßen weitgehend verdrängt wurde – in anderen Städten wird dies als ein mögliches Vorbild diskutiert.
In Frankfurt am Main existiert seit 2004 das Projekt OSSIP („Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention“). Polizei, städtisches Ordnungsamt und verschiedene soziale Träger arbeiten hier zusammen.[16] Die Sozialarbeiter*innen bieten unmittelbare Hilfen und Zugang zu lokalen Hilfseinrichtungen für die Angehörigen der Drogenszene. Zugleich sollen sie auch Ansprechpartner*innen für die Anwohner*innen sein („Beschwerdemanagement“) – was sie in die Ordnungsregime einbindet und in die Rolle drängt, Anwohner*innen- oder gar Polizeiinteressen an die Klientel zu vermitteln, ihnen bisweilen aber auch die Möglichkeit bietet, frühzeitig beruhigend auf Beschwerdeführende einzuwirken. Polizei und Ordnungsamt sollen hingegen „öffentlichen Drogenkonsum und Szenenbildung auf der Straße“ verhindern, wobei sie „kommunikativ … von den Streetworkern unterstützt“ werden.[17] Im ersten Schritt sollen die Sozialarbeiter*innen die Drogenabhängigen auffordern, die Druckräume und Hilfseinrichtungen zu nutzen; tun sie das nicht freiwillig, soll die Polizei eingreifen und mittels Platzverweisen den Drogenkonsum in der Öffentlichkeit unterbinden. Die Soziale Arbeit wehrt sich dabei durchaus gegen eine allzu starke Einbindung in das Polizieren (z.B. lehnte sie bei Einführung von OSSIP gemeinsame Streifen ab). Dennoch übernimmt sie, und sei es nur durch die stete Erinnerung, dass sich sonst Anwohner*innen beschweren und die Polizei dementsprechend ungemütlich würde, eine ordnungsstiftende Rolle. Die Polizei zeigt sich angesichts der Beruhigung von Anwohner*innen wie Konsumierenden i.d.R. zufrieden.[18] Zur legitimatorischen Begleitmusik zur Reglementierung der Konsumierenden gehört nichtsdestoweniger die Ankündigung des Frankfurter Polizeipräsidenten: „Wir werden auch den Druck auf die Drogenhändler noch weiter erhöhen.“[19]
Gegenüber der nackten Repression, der Inhaftierung und/oder der Null-Toleranz-Strafverfolgung mögen diese Arrangements einen Fortschritt darstellen. Sie sind aber an den jeweiligen Orten ein Rückschritt; lösen die verschärften Regime der repressiven und kommunikativen Durchsetzung von möglichst wenig Wahrnehmbarkeit der Szenen doch Zeiten ab, in denen zumindest ein bisschen mehr Laissez faire herrschte. Dabei ist allerdings auch ein etwas weniger kontrolliertes Gewährenlassen, die partielle Akzeptanz von Drogenkonsum im öffentlichen Raum, nicht zu zelebrieren. Die Erleichterungen, die solche Regime für die Angehörigen der Drogenszenen schaffen, verändern zwar ihre räumliche Marginalisierung für den Moment, heben sie aber keineswegs auf und ändern vor allem nichts an der sozialen Marginalisierung. Vielmehr ist es so, dass die Etablierung semi-tolerierter Räume mit der konsequenten Vertreibung aus anderen Gebieten verbunden wird, so dass Problemballungen in jenen Zonen zunehmen, die wiederum den Ruf nach repressiver Intervention verstärken. Für die Drogennutzer*innen entsteht so ein labiler Status latenter Strafverfolgung, der den Alltag bestimmt. Nähme man die gesundheitliche Rahmung der Drogensucht ernst, müsste man den Kriminalisierungsdruck auf der User-Ebene reduzieren (statt sie zu erhöhen) – Modelle wie die Entkriminalisierung auch sogenannter „harter“ Drogen für den Eigenbedarf existieren – und der räumlichen Konzentration entgegenwirken (statt sie zu befördern), indem Zugang zu privaten wie öffentlichen Räumen geschaffen wird.