Privilegierter Drittstaat nach dem Brexit: Die EU-Sicherheitszusammenarbeit mit Großbritannien

von Matthias Monroy

Britische Behörden nehmen im Bereich Justiz und Inneres weiterhin an vielen EU-Instrumenten teil. Die Kooperation geht teilweise sogar weiter als mit den Schengen-Staaten Norwegen, Island oder der Schweiz. Der Ausstieg aus Europol und dem Schengener Informationssystem könnte die Geheimdienste stärken.

Mit dem Austritt aus der Europäischen Union hat Großbritannien ab dem 1. Januar 2021 den „Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verlassen, das Land wurde aus EU-Sicht zu einem Drittstaat. Damit endete auch die Kooperation im Rahmen des Schengener Abkommens. Die Regierung in London hat somit ihren Platz als eine der wichtigsten Partner*innen in der EU-Sicherheitsarchitektur verloren. Besonders schwer wiegen dürfte das Ende der Teilnahme am Schengener Informationssystem (SIS II). 2019 hatten britische Polizeien und Geheimdienste dort rund 37.000 Personen- und 4,5 Millionen Sachfahndungen gespeichert.[1] Aus Großbritannien stammte auch ein beträchtlicher Teil der verdeckten Artikel-36-Ausschreibungen, mit denen die Po­lizei und der Inlandsgeheimdienst die Bewegungen gesuchter Personen EU-weit nachvollziehen können. 2019 lagen die britischen Ausschreibungen mit 17.109 Personen nach Frankreich und Spanien an dritter Stelle.

Zur Bekämpfung und Verfolgung von grenzüberschreitender Kriminalität und Terrorismus sollen britische Behörden aber weiterhin im Bereich Justiz und Inneres (JI) an wichtigen EU-Informationssystemen teilnehmen und auch mit Agenturen kooperieren dürfen. So regelt es das vorläufige „Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland“ („EU–UK Trade and Cooperation Agreement“ – TCA),[2] das die Beteiligten vor dem vergangenem Jahreswechsel in letzter Minute ausgehandelt hatten.

Neue Sonderrolle

Letztendlich schreibt das TCA die Sonderrolle Großbritanniens im EU-JI-Bereich fort. So profitierte das Land seit dem Vertrag von Amsterdam von einer Sonderregelung hinsichtlich des Schengen-Besitzstands.[3] Irland und Großbritannien waren daran nicht gebunden und konnten be­antragen, dass nur einzelne Bestimmungen auch auf sie Anwendung fin­den sollen. Mit dem Vertrag von Lissabon und der Vergemeinschaftung der polizeilich-justiziellen Zusammenarbeit erhielt die Regierung in Lon­don die Möglichkeit, aus allen bisherigen Regelungen aus- und in einzel­ne, neu erlassenen Regelungen selektiv wieder einzutreten. Aus der Teil­nahme an rund 100 Rechtsakten hat sich Großbritannien mit diesem „Block-Opt-out“ zurückgezogen. Ab 2014 erfolgte dann die selektive Teilnahme an einzelnen Instrumenten in fünf Bereichen: Zusammenar­beit der Behörden der Mitgliedstaaten, Informationsaustausch und Da­tenschutz, spezielle Straftatbestände, Einrichtungen und Agenturen auf europäischer Ebene sowie Verfahrensharmonisierung.

Das nun ausgehandelte TCA besteht aus sieben Teilen, darunter Regelungen für die Kooperation in den Bereichen Handel, Verkehr und Fischerei, die Einhaltung fairer Wettbewerbsbedingungen sowie die Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen.[4] Die Bestimmungen zur Kooperation im Bereich Justiz und Inneres werden im dritten Teil des Abkommens in einzelnen „Titeln“ aufgeführt.[5] Längst sind nicht alle Durchführungsbestimmungen des TCA festgelegt; für die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit im JI-Bereich haben die Unterzeichner*innen einen Sonderausschuss für Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und Justiz eingerichtet.

Prüm, PNR und kleine „Schwedische Initiative“

Zur privilegierten Partnerschaft gehört die weitere Teilnahme Großbritanniens an den Prüm-Beschlüssen von 2008, in denen die EU-Mitglied­staaten die Abfrage und den Austausch von DNA-Daten, Fingerabdruck- und Fahrzeugregisterdaten von Verdächtigen und Verurteilten vereinbart haben.[6] Als assoziierte Schengen-Staaten sind auch Island, Norwegen und die Schweiz an die Prümer Polizeikooperation angeschlossen. Großbritannien ist der erste Nicht-Schengen-Staat des Abkommens. Im Rahmen des Block-Opt-out, in dem die britische Regierung aus zahlreichen Zusammenarbeitsformen mit der EU austrat, nahm Großbritannien 2014 zunächst auch die Teilnahme an den Prüm-Beschlüssen zurück und erkannte diese erst 2016 wieder an.[7] Eigentlich handelt es sich im Rahmen des TCA um einen erneuten Wiedereintritt und keine Fortsetzung der Teilnahme, deshalb müsste die Zusammenarbeit zunächst in einer Folgenabschätzung neu geprüft werden. Als Kompromiss haben die Beteiligten deshalb vereinbart, den Austausch für zunächst neun Monate mit anschließend möglicher Verlängerung auf weitere neun Mo­nate übergangsweise fortzuführen und die Evaluierung parallel zu betreiben. Die EU-Regierungen planen die Erweiterung des Prüm-Systems auf Gesichtserkennung, möglicherweise sollen auch Polizeiakten und die nationalen Waffenregister über dieses „Next generation Prüm“ (Prüm.ng) vernetzt werden. Die Änderung des damit verbundenen Rechtsrahmens, die den Plänen zufolge ebenfalls innerhalb der nächsten 18 Monate erfolgt, müsste Großbritannien nachvollziehen.

Auch der Austausch von Passagierdaten (PNR) zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien wird fortgesetzt. Die Kontaktstelle in London bleibt hierfür an das Netzwerk der Zentralstellen für EU-Fluggastdatensätze angeschlossen. Großbritannien verpflichtet sich im Gegenzug, daraus erstellte Analysen mit den Agenturen Europol und Eurojust sowie den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten zu teilen. Als eine Besonderheit betont die Kommission die Einhaltung der Standards, die der Europäische Gerichtshof 2017 anlässlich des letztlich gescheiterten EU-PNR-Abkommens mit Kanada vorgegeben hat. So sollen die erhaltenen Daten gelöscht werden, wenn die Passagiere Großbritannien wieder verlassen. Allerdings muss dafür die britische Passagierdatenzentralstelle technisch neu aufgestellt werden, wofür das TCA eine Übergangsfrist von bis zu drei Jahren ab Inkrafttreten gewährt. PNR-Daten dürfen bei anderen Zentralstellen ausschließlich zur „Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung oder Verfolgung von Terrorismus oder schweren Straftaten“ abgefragt werden, ihre Weiterverarbeitung kann aber auch zu anderen Zwecken erfolgen.[8]

Unter dem Titel „Austausch operativer Informationen“ bestimmt das TCA einen Rahmen für einen zügigen Informationsaustausch zwischen Polizei, Zoll und anderen Behörden. Er wird als eine „abgespeckte Version“ des EU-Rahmenbeschlusses über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der EU-Länder („Schwedische Initiative“) interpretiert.[9] Die Zwecke der Vereinbarung sind weit gefasst, die Rechtshilfe soll etwa gewährt werden zur Verhinderung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten, zur Vollstreckung von strafrechtlichen Sanktionen, zum Schutz vor und Verhinderung von Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit sowie zur Verhinderung und Bekämpfung der Geldwäsche und der Finanzierung des Terrorismus. Wie unter den Teilnehmenden des SIS II können auch Informationen über gesuchte und vermisste Personen bzw. Gegenstände angefordert werden. Die Fristen zur Erledigung von Ersuchen sollen abhängig von ihrer Art maximal 90 Tage betragen.

Europol und Eurojust

Einer der schmerzhaften Verluste für britische Behörden ist vermutlich der Austritt aus Europol, dies hatte der damalige britische Direktor der Polizeiagentur bereits vor und nach der Brexit-Abstimmung 2016 in zahlreichen Interviews geäußert.[10] Die Anzahl der aus Großbritannien stammenden Daten im Europol Informationssystem (EIS) lag nicht über dem Durchschnitt, ob dies auch für die Analyseprojekte gilt, die bei Europol zu verschiedenen Kriminalitätsbereichen eingerichtet wurden, ist aber unklar. Laut einem Bericht der Regierung in London nutzte Großbritannien die Dienste von Europol vor fünf Jahren „mehr als fast jedes andere Land“.[11] Möglicherweise wird der Abschied aus Europols Informationssystemen aber durch neue Kooperationen ausgeglichen. Zwar verliert die Regierung in London ihr Mitspracherecht zu Belangen der Polizeiagentur, Europol soll gemäß dem TCA aber weiterhin eng und intensiv mit Großbritannien zusammenarbeiten. Die beiden Partner wollen entsprechende Arbeitsabkommen aushandeln, ob diese über den Rahmen der Bestimmungen für Drittländer hinausgehen, ist derzeit noch unklar. In jedem Fall könnten britische Behörden anschließend weiterhin Analysen, Lageberichte und andere Produkte von Europol er­halten, den SIENA-Kommunikationskanal nutzen, Verbindungsbe­amt­*innen entsenden und sich sogar an gemeinsamen Einsätzen, Ermittlungsteams und Analyseprojekten beteiligen. Der Zugang zum EIS bleibt jedoch verwehrt.

Ähnliches gilt für die Fortsetzung der operativen Zusammenarbeit mit der Agentur für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust). Wie bei der Kooperation mit Europol soll Großbritannien eine/n Verbindungsstaatsanwält*in an die Agentur entsenden. Diese Person ersetzt das nationale Mitglied, das Großbritannien wie alle EU-Mitgliedstaaten zu Eurojust entsandt hatte. Außerdem können britische Justizbehörden am Austausch von nicht personenbezogenen und personenbezogenen Daten mit Eurojust teilnehmen. Für „Terrorismusfragen“ richtet Großbritannien eine „Interne Anlaufstelle“ ein, an die Ersuchen und Mitteilungen gerichtet werden können. Nach Zustimmung der übrigen nationalen Mitglieder dürfen britische Behörden auch an „operativen Sitzungen“ teilnehmen. Näheres zu Aufgaben, Rechte und Pflichten sowie der Übernahme von Kosten soll ein noch abzuschließendes Arbeitsabkommen regeln.

Auslieferung und Rechtshilfe

Auch der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl ist hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Großbritannien nicht mehr anwendbar, allerdings können noch Ersuchen erledigt werden, die vor dem 1. Januar 2021 ausgestellt oder vollstreckt wurden. Britische Behörden können Fahndungen zur Festnahme nicht mehr in das SIS II einstellen, stattdessen muss der Interpol-Kanal genutzt werden. Der dritte Teil des TCA enthält allerdings unmittelbar weiter geltende Regelungen zur Aus­lieferung zwischen einem EU-Mitgliedstaat und Großbritannien. Diese orientieren sich an dem 2006 geschlossenen Auslieferungsabkommen zwischen der EU und Island und Norwegen.[12] Wie beim Europäischen Haftbefehl gibt es eine Liste von Straftaten, bei denen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt, auch die Ablehnungsgründe ähneln jenen des Rahmenbeschlusses. Möglich ist es aber, Haftbefehle wegen diskriminierender Verfolgung zurückzuweisen oder Garantien zu den Haftbedingungen von Betroffenen zur Bedingung ihrer Übergabe zu machen. Sollen politische Straftaten verfolgt werden, muss die ersuchende Regierung dies in einem gesonderten Verfahren erklären. Wird eine Auslieferung abgelehnt, müssen die betreffenden Staaten gemäß des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens von 1959 selbst für die Strafverfolgung der Betroffenen sorgen.

Im TCA einigen sich Großbritannien und die EU-Mitgliedstaaten außerdem auf die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen. Die Vereinbarungen sollen das Europäische Rechtshilfeübereinkommen des Europarates und seine beiden Zusatzprotokolle von 1978 und 2001 durch konkrete Fristen ergänzen. Ein entsprechendes Formular soll noch vom Son­derausschuss für Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und Justiz erstellt werden. Ersuchen können direkt zwischen den Staatsanwaltschaften Großbritanniens und der EU-Mitgliedstaaten übermittelt werden, in dringenden Fällen können die Behörden die Kommunikationskanäle von Europol und Eurojust nutzen. Möglich ist außerdem die Teilnahme an gemeinsamen Ermittlungsgruppen, wenn britische Behörden von EU-Mitgliedstaaten hierzu eingeladen werden.

Großbritannien behält auch seinen Zugang zum Europäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS). Es enthält Informationen zu Verurteilungen, die von Staatsanwaltschaften und Gerichten EU-weit abgefragt werden können. Eine Sonderregelung verdoppelt die Frist, in der Ersuchen erledigt werden müssen, auf 20 Tage. Mindestens einmal im Monat müssen sich Großbritannien und die EU-Mitgliedstaaten gegenseitig über Verurteilungen ihrer Staatsbürger*innen informieren. Der Verbleib im ECRIS hat Symbolkraft, denn bislang nehmen selbst die Schengen-assoziierten Staaten nicht daran teil.

„Nachdenken vor dem Aussetzen“

Außerdem regelt der dritte Teil des TCA die fortgesetzte Zusammenarbeit im Bereich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Der Text bleibt hierzu weitgehend unkonkret. So heißt es, dass die Vertragspartner*innen „relevante Informationen“ austauschen können, darunter et­wa Hinweise zu verdächtigen Transaktionen oder Personendaten zu de­ren Beteiligten. Britische Behörden bleiben hierfür an das Netzwerk zen­traler Meldestellen angeschlossen, die für die Bekämpfung der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zuständig sind. Die Unterzeichner­*innen haben sich zudem auf ein Regelwerk zu Ermittlungen und Verfahren zum Einfrieren von Vermögensgegenständen geeinigt.

Titel XIII des dritten Teils enthält einen Rahmen mit Streitbeilegungs-, Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen. Mit dem EU-Austritt verlässt Großbritannien die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs, dieser kann also nicht zur Konfliktlösung angerufen werden. Die Unterzeichner*innen bekräftigen aber ihren Willen zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im Bereich der justiziellen und polizeilichen Kooperation erfolgt die Streitbeilegung unter dem Motto „think before you suspend“. Im Vordergrund steht nicht die Feststellung und Verfolgung einer Vertragsverletzung, sondern die Frage, ob die Zusammenarbeit beendet werden muss. Zur Routine gehört deshalb zunächst eine gegenseitige Konsultation, wonach die Partner*innen in­nerhalb von drei Monaten nach Lösungen suchen sollen. Bleibt dies er­folglos und werden die Vertragsverletzungen für erheblich gehalten, können die Maßnahmen ausgesetzt werden.

„Regelmäßiger Dialog“ für „operative Zusammenarbeit“

Anders als geplant erstreckt sich das Brexit-Abkommen nicht auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, äußere Sicherheit und Verteidigung. Jedoch behält Großbritannien den Zugang zu den Satellitenüberwachungsdiensten der Europäischen Union, darunter dem Dienst „Copernicus“. Das Land bleibt außerdem an dem EU-For­schungsrahmenprogramm „Horizont Europa“ beteiligt.

Schließlich haben sich Großbritannien und die EU-Mitgliedstaaten auf einen „regelmäßigen Dialog“ geeinigt, um Informationen über „einschlägige politische Entwicklungen“ auszutauschen. Genannt werden die Bereiche internationale Sicherheit, Sicherheit neu entstehender Technologien, Verwaltung des Internet, Cybersicherheit, Cyberverteidigung und Cyberkriminalität. Einer Zusammenarbeit im Bereich irregulärer Migration hat sich die Regierung in London verweigert, Vorschläge zur Überstellung unbegleiteter Minderjähriger oder der Rückübernahme wurden hingegen von einzelnen EU-Mitgliedstaaten abgelehnt.

Gemeinsame Maßnahmen zur „Terrorismusbekämpfung“ sind im sechsten Teil des TCA festgelegt. Dort versprechen die Beteiligten, „auf bilateraler, regionaler und internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, um terroristische Handlungen in allen ihren Formen und Erscheinungsformen“ zu verhindern und zu bekämpfen. Auch hier soll ein „regelmäßiger Dialog“ eingerichtet werden, der auch die „operative Zusammenarbeit und Informationsaustausch“ umfassen kann. Dort soll auch die Abstimmung über die „Zusammenarbeit im Rahmen von multilateralen Organisationen“ koordiniert werden. Um welche Organisationen es sich dabei handelt, bleibt unklar. Für den Austausch und Schutz von Verschlusssachen haben Großbritannien und die EU-Mitgliedstaaten ergänzend zum TCA ein Geheimschutzabkommen geschlossen.

Stärkung der Geheimdienste

Das Handels- und Kooperationsabkommen schreibt die Sicherheitskooperation mit Großbritannien also in zahlreichen wichtigen Bereichen fort. „Verluste“ wie der Ausstieg aus dem SIS II und den Europol-Datenbanken stärken vermutlich die Geheimdienstzusammenarbeit. Dies betrifft den europäischen Zusammenschluss „Berner Club“ und seine „Counter Terrorism Group“ (CTG), an dem der britische Inlandsdienst MI5 teilnimmt. Mit immer mehr Maßnahmen weitet die CTG ihre Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung mit Europol aus.[13]

Großbritannien bleibt auch Mitglied der „Police Working Group on Terrorism“ (PWGT), in der sich polizeiliche Staatschutzabteilungen oder Geheimdienste aller EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen, Island und der Schweiz organisieren. Die PWGT ist ein informeller Zusammenschluss und gehört nicht zur EU. Anders als es der Name suggeriert, befasst sich der informelle Zusammenschluss nach einer Aufgabenerweiterung auch mit „extremistischen Straftaten“. Auch diese Zusammenarbeit im Halbdunkel dürfte durch den Brexit gestärkt werden.

Probleme mit Datenschutz und Gibraltar

Mit dem Brexit tritt Großbritannien auch aus der Datenschutz-Grund­verordnung und der EU-Datenschutz-Richtlinie im Bereich Justiz und Inneres (JI-Richtlinie) aus. Deshalb müssen auch die Bestimmungen zum Austausch und zur Verarbeitung von Daten für Firmen und Behörden neu geregelt werden. Übergangsweise haben sich die Parteien geeinigt, Datentransfers aus der EU sechs Monate lang nicht als Übermittlungen in einen Drittstaat zu betrachten. In dieser Zeit arbeitet die EU-Kommission an sogenannten Adäquanzentscheidungen, die den Datenschutz in Großbritannien als vereinbar mit EU-Standards erklären sollen. Einen Entwurf dieser Angemessenheitsbeschlüsse hat die Kommission im Februar 2021 vorgelegt.[14] Bis Ende April 2021 soll der Europäische Datenschutzausschuss hierzu eine Bewertung abgeben, anschließend beginnt das sogenannte Komitologieverfahren. Noch vor der Sommerpause könnten die Adäquanzentscheidungen dann durch den Rat angenommen werden. Mögliche Ablehnungsgründe könnten in der bekanntlich engen Zusammenarbeit der britischen Geheimdienste im Rahmen der „Five Eyes“ bestehen.[15] Der Inlandsdienst GCHQ gibt massenhaft überwachte Telekommunikationsdaten an die Partner in den USA, Australien, Neuseeland und Kanada weiter, der Europäische Gerichtshof hat dies als nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar erklärt. Im Vorschlag für die Adäquanzentscheidungen geht die Kommission vorsorglich auf das Problem ein und schreibt, das massenhafte Datensammeln durch den GCHQ sei keine „Massenüberwachung“, da dessen Tätigkeiten ausreichend kontrolliert würden.[16]

Dissens gibt es auch hinsichtlich der Stellung von Gibraltar. Seit über 300 Jahren gehört der südliche Zipfel der Iberischen Halbinsel zu Großbritannien.[17] Mit dem Brexit hätte die spanische Regierung deshalb ab dem 1. Januar 2021 Grenzkontrollen für Waren und Personen, die aus der britischen Exklave kommen, einführen müssen. Großbritannien und Spanien schlagen deshalb in einer vorläufigen Grundsatzerklärung vor, dass Gibraltar dem Schengen-Raum beitreten kann. Dann muss Gibraltar den Schengen-Besitzstand anwenden, dies betrifft die Grenzkontrolle und -überwachung sowie die Vergabe von Aufenthaltsgenehmigungen. In der Grundsatzerklärung heißt es zwar, dass alle Amtshandlungen von gibraltarischen Behörden verantwortet werden. Zuerst prüfen Grenzbeamt*innen aus Gibraltar anhand von eigenen Datenbanken, ob Personen zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind. Anschließend fragen aber spanische Beamt*innen EU-Datenbanken (und vermutlich auch spanische Informationssysteme) ab und können anschließend eine Einreise verweigern. Die Emotionen der britischen Bevölkerung in Gibraltar kochen deshalb hoch, die Regionalregierung fürchtet den Verlust ihrer Souveränität. Gibraltars Ministerpräsident Fabian Picardo El Pais fordert, dass diese Grenzkontrollen nicht durch spanisches Personal, sondern ausschließlich durch Frontex erfolgen sollen. Es wäre der erste Einsatz der nagelneuen „Ständigen Reserve“, mit der die EU-Grenz­agentur in Warschau seit 1. Januar 2021 eine Truppe unter eigenem Kommando befehligt. Frontex hat diesem Ansinnen noch nicht zugestimmt. Würde die Grundsatzerklärung in ein endgültiges Abkommen gegossen, wäre die spanische Guardia Civil auch für die Seegrenze des britischen Überseegebietes zuständig. In dem Papier heißt es dazu, dass Behörden aus Gibraltar und Spanien „durch eine nahtlose polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit eine gemeinsame Außengrenzenüberwachung durchführen“ sollen. Das könnte bedeuten, dass britische und gibraltarische Einheiten innerhalb der Hoheitsgewässer und die spanische Guardia Civil außerhalb von diesen patrouillieren. Bei derartigen Manövern gab es in der Vergangenheit immer wieder Konflikte und Zusammenstöße der verschiedenen Küstenwachen.

Nur EU?

Das TCA muss noch von beiden Seiten formell angenommen werden. Die Kommission und der Juristische Dienst des Rates sind sich einig, dass das TCA als „EU-only“ geschlossen werden kann. Der Begriff meint Abkommen, die keine Regelungsbereiche mit ausschließlicher Zuständigkeit der Mitgliedstaaten enthalten. Dieser Auffassung zufolge handelt es sich nicht um ein „gemischtes Abkommen“, der Abschluss liege daher in ausschließlicher EU-Zuständigkeit. Die Parlamente der Mitgliedstaaten werden an dem Ratifizierungsverfahren deshalb nicht beteiligt.

Großbritannien hat diesen Prozess am 31. Dezember 2020 mit einer „königlichen Zustimmung“ abgeschlossen, dort firmiert das Abkommen nun als „European Union (Future Relationship) Act“. Aufseiten der EU muss zunächst das Europäische Parlament konsultiert werden, erst dann kann das TCA vom Rat angenommen werden. Ursprünglich sollte dies bis zum 28. Februar 2021 erfolgen, diese Übergangsfrist wurde bis zum 30. April 2021 verlängert. Nach einer Annahme durch den Rat träte das Abkommen dann am ersten Tag des Folgemonats in Kraft.

Ob und unter welchen Bedingungen das EU-Parlament dem TCA zustimmt, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht absehbar. Anfang März 021 2haben die Abgeordneten eine Abstimmung aus Protest verschoben, nachdem Großbritannien die Lebensmittelkontrollen in Nordirland nicht wie im TCA vorgesehen einstellen wollte.[18] Angeblich könne die Regierung die Bestimmungen aus dem Abkommen nicht so schnell umsetzen wie geplant, hieß es dazu in London.

[1]   BT-Drs. 19/16723 v. 23.1.2020. Eigentlich hätte das Land längst aus dem SIS II ausgeschlossen werden müssen, da britische Polizei- und Grenzbehörden das System seit 2015 missbräuchlich genutzt hatten. Dies ergaben zwei Überprüfungen, die zu den „größeren Mängeln“ das Vorhalten einer „beträchtlichen Anzahl vollständiger oder teilweiser Kopien“ des SIS II zählen, vgl.: Monroy, M.: Britische Mängel im Schengener Informationssystem bleiben bestehen“, https://netzpolitik.org/2020/britische-maengel-im-schenge­ner-informationssystem-bleiben-bestehen.
[2]   Deutsche Fassung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CE­LEX:22020A1231(01)&from=DE
[3]   Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Möglichkeiten für eine zukünftige Zusammenarbeit der EU mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit auf den Politikfeldern Inneres & Justiz, Berlin 2016, www.bundestag.de/resource/blob/ 476044/1390db1c6ecd1b638a141fabc0a40340/pe-6-131-16-pdf-data.pdf
[4]   Fragen und Antworten: Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_2532
[5]   vgl. http://brexitlegal.ie/category/eu-uk-agreement/criminal-cooperation
[6]   Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23.6.2008 und Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23.6.2008
[7]   vgl. Beschluss (EU) 2016/809 der Kommission vom 20.5.2016
[8]   BT-Drs. 19/26311 v. 29.1.2021
[9]   Brexit: EU-UK Trade and Cooperation Agreement – Impacts on PIF and JHA in a Nutshell, https://eucrim.eu/news/brexit-eu-uk-trade-and-cooperation-agreement-impacts-on-pif-and-jha-in-nutshell; vgl. auch Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006
[10]  vgl. „Europol chief: Brexit would be a mistake for UK security“, Guardian v. 24.3.2016; „Europol head fears loss of UK influence after Brexit“, BBC v. 31.1.2018
[11] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign_policy_and_security_issues.pdf vgl.
[12]  2006/697/EG: Beschluss des Rates vom 27.6.2006
[13]  Jirát, J.; Naegeli, L.: Geheimdienstgilde außer Kontrolle: Der Club de Berne“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 121 (April 2020), S. 75-84
[14]  Europäische Kommission: Datenschutz: Europäische Kommission leitet Verfahren zu Übermittlungen personenbezogener Daten in das Vereinigte Königreich ein, Pressemitteilung v. 19.2.2021, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/document/print/de/ip_21_661/IP_21_661_DE.pdf
[15]  Brexit highlights the EU and UK data protection regimes, about:intel v. 1.3.2021, htt­ps://aboutintel.eu/brexit-data-protection
[16]  Fanta, A.: EU-Kommission gibt Okay für Datenflüsse nach Großbritannien, netzpolitik.org v. 19.2.2021
[17]  Monroy, M.: Streit um spanische Grenzkontrollen in Gibraltar, Telepolis v. 12.1.2021, www.heise.de/tp/features/Streit-um-spanische-Grenzkontrollen-in-Gibraltar-5021178.html
[18]  Brexit-Drama um Nordirland, Deutsche Welle vom 4.3.2021

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