Schlagwort-Archive: Großbritannien

Warnungen aus Großbritannien – Zunehmende Überwachung von Migrant*innen

von Lucie Audibert

Seit 10 Jahren strebt die britische Regierung danach, Menschen, die nach Großbritannien einwandern, im Rahmen der Politik der „feindlichen Umgebung“ das Leben so unangenehm wie möglich zu machen. Neben vielen anderen Instrumenten und Praktiken werden dazu neuen Technologien und die Daten der Menschen genutzt. Die Beschlagnahmung von Handys und die GPS-Ortung sind zwei eindrucksvolle Beispiele. Dieser Artikel diskutiert, wie die Instrumente unter menschenrechtlicher Perspektive infrage gestellt und angegangen werden können.

Vor zehn Jahren kündigte in Großbritannien die damalige Innenministerin Theresa May die Strategie einer „feindlichen Umgebung“ an, um die sogenannte „illegale Einwanderung“ zu bekämpfen.[1]  Warnungen aus Großbritannien – Zunehmende Überwachung von Migrant*innen weiterlesen

Strategische Überprüfungen – Zivilgesellschaftliche Polizeikontrolle in Großbritannien

von Genevieve Lennon

Der Artikel gibt einen Überblick über das Kontrollinstrument der strategischen, oft auch thematisch genannten Überprüfungen (englisch: „strategic reviews“), welche die Aufsichtsgremien der britischen Polizei durchführen können. Anhand von Fallstudien aus England und Wales wird aufgezeigt, wie die Überprüfungen initiiert werden können, welche Befugnisse die Kontrollinstanzen haben, wie die Ergebnisse veröffentlicht werden, und – soweit relevant und möglich – wie die Polizei darauf reagiert.

Um das Instrument der thematischen Überprüfungen zu erläutern, führt der Artikel zunächst in die britischen Polizeistrukturen und Aufsichtsgremien ein. Die wichtigsten Polizeien in England und Wales sind die 43 „Home Office“ Polizeipräsidien, die so genannt werden, weil sie gemäß dem Police Act 1996 dem Innenministerium unterstehen. Die zivilgesellschaftliche Kontrolle wird gemäß Police Reform and Social Responsibility Act 2011 von sogenannten „Police and Crime Commissioners“ (PCC), zu Deutsch: Beauftrage für Polizei und Verbrechen, ausgeübt.[1] Diese werden von der lokalen Bevölkerung direkt gewählt und sind für die Ernennung und Abberufung des/der Polizeipräsident*in zuständig. Zudem erarbeiten sie einen strategischen Fünfjahresplan für das Themenfeld „Polizei und Kriminalität” und können dessen Einhaltung gegenüber der Präsidiumsleitung einfordern. In Städten, die groß genug sind, um Bürgermeister*innen zu haben, üben die stellvertretenden Bürgermeister*innen diese Funktion aus. Strategische Überprüfungen – Zivilgesellschaftliche Polizeikontrolle in Großbritannien weiterlesen

Privilegierter Drittstaat nach dem Brexit: Die EU-Sicherheitszusammenarbeit mit Großbritannien

von Matthias Monroy

Britische Behörden nehmen im Bereich Justiz und Inneres weiterhin an vielen EU-Instrumenten teil. Die Kooperation geht teilweise sogar weiter als mit den Schengen-Staaten Norwegen, Island oder der Schweiz. Der Ausstieg aus Europol und dem Schengener Informationssystem könnte die Geheimdienste stärken.

Mit dem Austritt aus der Europäischen Union hat Großbritannien ab dem 1. Januar 2021 den „Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verlassen, das Land wurde aus EU-Sicht zu einem Drittstaat. Damit endete auch die Kooperation im Rahmen des Schengener Abkommens. Die Regierung in London hat somit ihren Platz als eine der wichtigsten Partner*innen in der EU-Sicherheitsarchitektur verloren. Besonders schwer wiegen dürfte das Ende der Teilnahme am Schengener Informationssystem (SIS II). 2019 hatten britische Polizeien und Geheimdienste dort rund 37.000 Personen- und 4,5 Millionen Sachfahndungen gespeichert.[1] Aus Großbritannien stammte auch ein beträchtlicher Teil der verdeckten Artikel-36-Ausschreibungen, mit denen die Po­lizei und der Inlandsgeheimdienst die Bewegungen gesuchter Personen EU-weit nachvollziehen können. 2019 lagen die britischen Ausschreibungen mit 17.109 Personen nach Frankreich und Spanien an dritter Stelle. Privilegierter Drittstaat nach dem Brexit: Die EU-Sicherheitszusammenarbeit mit Großbritannien weiterlesen

220 Abfragen pro Sekunde: Das Schengener Informationssystem wächst dynamisch

Die größte europäische Fahndungsdatenbank ist in den letzten Jah­ren ausgebaut worden. Die Zahl der Speicherungen und Abfra­gen steigt deutlich. Jetzt werden schrittweise weitere Funktionen eingeführt, und der Kreis der Zugriffsberechtigten wird erweitert.

Das Schengener Informationssystem (SIS) wird seit 25 Jahren von Grenz-, Polizei-, Zoll- oder Ausländerbehörden genutzt, auch Geheimdienste greifen lesend und schreibend zu. Am heutigen SIS II sind 26 EU-Mitglied­staa­ten (alle außer Irland und Zypern) sowie Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz beteiligt. Obwohl Einträge in der größten europäischen Fahndungsdatenbank einer Speicherfrist unterliegen, nimmt ihre Zahl deutlich zu. Zum 1. Januar 2020 waren mehr als 90 Millionen Personen und Gegenstände im SIS II gespeichert.[1] 2018 waren es noch 82 Millionen, 2017 etwa 76 Millionen. Die meisten Einträge (rund 22 Millionen) kamen 2018 aus Italien, gefolgt von Frankreich (15 Millionen) und Deutschland (fast 12 Millionen).[2] 220 Abfragen pro Sekunde: Das Schengener Informationssystem wächst dynamisch weiterlesen

Ich wurde von einem Undercover-Polizisten missbraucht. Aber wie weit oben war diese Täuschung bekannt?

Ich dachte, Mark Kennedy wäre mein Liebhaber und Freund, aber er manipulierte mich. Seine Vorgesetzten logen sogar in ihrer Entschuldigung bei mir.

Dieser Offene Brief von Kate Wilson erschien in einer früheren Form zuerst im britischen Guardian.

Im Jahr 2003 habe ich mich in einen Mann verliebt, der nicht existiert hat. Er war charismatisch und romantisch und teilte viele meiner Interessen und Träume. Wir lebten mehr als ein Jahr lang als LiebhaberInnen zusammen. Wir sind gereist. Er stand meiner Familie nahe und war im Mittelpunkt meiner Welt. Wir waren sieben Jahre lang die engsten FreundInnen. Ich habe ihn zuletzt im August 2010 gesehen. Er lud mich zum Abendessen ein, und danach gingen wir am Fluss entlang und sprachen über unser Leben. Ich wurde von einem Undercover-Polizisten missbraucht. Aber wie weit oben war diese Täuschung bekannt? weiterlesen

Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle

von Les Levidow

Das PREVENT-Programm hat mit der Verpflichtung öffentlicher Einrichtungen, mutmaßliche „ExtremistInnen“ zu melden, ein System der kollektiven Schnüffelei und Denunziation geschaffen. Das Ergebnis ist ein Klima der Angst und Stigmatisierung. Trotz erheblichen Protestes plant die Regierung eine weitere Verschärfung.

Bereits unter Premierminister Gordon Brown von der Labour Party hatte sich die britische Regierung von der martialischen Rhetorik des „Krieges gegen den Terror“ verabschiedet. Dennoch verlängerte sie dessen antidemokratische Ziele durch eine neue Agenda der „Extremismusbekämpfung“. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfungsstrategie CONTEST entwickelte die Regierung in den Jahren 2006/07 das Programm „Preventing Violent Extremism“ (PREVENT).[1] Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle weiterlesen

Nach den Unruhen von 2011 – Die Veränderung der britischen Polizeilandschaft

von Val Swain

Die Auswirkungen der Austeritätspolitik sind im Vereinigten Königreich seit Jahren zu spüren. Nach den großen Demons­trationen von 2010 und den Unruhen im August 2011 betreiben die Regierung und die 43 regionalen Polizeien eine Aufrüstung sowohl des Gewalt- als auch des Überwachungsarsenals.

Das Vereinigte Königreich verfügt bereits seit Langem sowohl über ein umfassendes gesetzliches Instrumentarium zum Umgang mit „unfriedlichen Zusammenrottungen“ als auch über ausgedehnte Videoüberwachungsnetze, die zum Teil direkt von der Polizei kontrolliert werden. Automatische Lesegeräte erfassen die Bewegungen von Autos in großen Teilen des Landes. Jedes Fahrzeug, das in die Londoner Innenstadt fährt, wird von den für die Erhebung der City-Maut installierten Kameras registriert. Nach den Unruhen von 2011 – Die Veränderung der britischen Polizeilandschaft weiterlesen

Stop and Search – Ethnische Unverhältnismäßigkeit in Großbritannien

Interview mit Rebekah Delsol

Immer wieder von der Polizei angehalten und durchsucht zu werden, ist eine erniedrigende Erfahrung, die vor allem Angehörige von Minderheiten machen müssen, sagt Rebekah Delsol. Heiner Busch befragte die Mitarbeiterin von StopWatch über die britische Variante der willkürlichen Kontrolle.

Willkürliche Kontrollen werden umso eher möglich, wenn das Recht der Polizei keine Grenzen setzt. Das ist die Erfahrung, die wir mit den Bestimmungen zur Identitätsfeststellung in den deutschen Polizeigesetzen gemacht haben. Wie sieht die rechtliche Situation in Großbritannien aus?

Im Vereinigten Königreich konnte die Einführung von Identitätskarten bzw. Personalausweisen bisher verhindert werden. Daher gibt es anders als auf dem Kontinent auch keine polizeilichen Befugnisse zur Identitätsfeststellung. Die Polizei darf hier Leute anhalten und befragen: warum sie sich an einem bestimmten Ort aufhalten, was sie da tun, warum sie sich so oder so verhalten etc. Das wird als „Stop-and-account“ bezeichnet (übersetzt etwa: anhalten und nach einer Rechtfertigung fragen, d. Red). Eine eigentliche gesetzliche Grundlage gibt es dafür nicht. Aber die Rechtslage ist reichlich konfus und die Leute, die da angehalten werden, wissen oft nicht, dass sie keine Fragen beantworten müssen und einfach ihres Weges gehen können. Stop and Search – Ethnische Unverhältnismäßigkeit in Großbritannien weiterlesen