Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Mai 2022 einen zweiten „Lagebericht Rechtsextremisten und ‚Reichsbürger‘ in Sicherheitsbehörden“ vorgelegt. Der 1. Lagebericht vermeldete allein für den Bereich Rechtsextremismus für den Zeitraum 1.1.2017 bis 31.3.2020 insgesamt 377 Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und 1.064 Verdachtsfälle bei der Bundeswehr. Der zweite Bericht[1] über den Zeitraum 1.7.2018 bis 30.6.2021 gibt die Zahl der Prüffälle von Rechtsextremist*innen und „Reichsbürgern“ in Sicherheitsbehörden mit 860 an, 327 davon ergaben tatsächliche Anhaltspunkte (Verdachtsfall). Die neue Terminologie von „Prüffall“ und „Verdachtsfall“ – im ersten Bericht ist nur von „Verdachtsfällen“ die Rede, im zweiten gelten nur noch die „Prüffälle“, die tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, als „Verdachtsfall“ – erschwert einen Vergleich der Zahlen, noch dazu sind die Erhebungszeiträume überlappend.
Auf die geänderte Methodik ist der deutliche Rückgang von Verdachtsfällen im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) von 1.064 auf 108 zurückzuführen. Auch die Bewertung, wann etwas als Verdachtsfall zählt, hat sich geändert. Zwischen dem zuständigen Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und dem für den Gesamtbericht zuständigen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde die „systematische Erhebung optimiert und harmonisiert“. Die „meldepflichtigen Vorfälle im Geschäftsbereich des BMVg (konnten) an die Erhebung der übrigen Sicherheitsbehörden angeglichen werden“, wie es dort weiter heißt. Sprich: das BfV setzte seine höhere Schwelle zur Einordnung als „Verdachtsfall“ gegenüber dem BAMAD durch. Der Anstieg der Zahl der Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden wird auf eine „erhöhte Sensibilität“ und eine „Aufhellung des Dunkelfeldes“ zurückgeführt. Oder: nur wer hinguckt, findet auch etwas.
Ein besonderes Augenmerk des zweiten Berichts gilt möglichen „Netzwerken und Kennlinien“ von „Extremisten“. Von den 327 „Verdachtsfällen“ waren 201 durch Mitgliedschaften, Kennverhältnisse zu Netzwerkakteuren, Teilnahme an Demonstrationen und sonstigen Aktivitäten, Mitgliedschaft in Chat-Gruppen u. ä. an verfassungsschutzrelevante Bestrebungen angebunden. Dies reicht von Kampfsportgruppen bis hin zu Parteien wie der NPD oder „III. Weg“. 157 Bediensteten hatten mit Netzwerkakteur*innen der extremen Rechten persönlichen Kontakt. Erschreckend ist, dass mehr als die Hälfte davon dem gewaltorientierten Rechtsextremismus zuzurechnen sind.