Alle Beiträge von Dirk Burczyk

EU-Innenpolitik in der „Zeitenwende“: Eine Einleitung

Die Politik der „Inneren Sicherheit“ in der EU ist seit Jahrzehnten von wechselnden Feindbildern geprägt. Die höchste Kontinuität hat dabei die „irreguläre“ Migration. Sie ist zugleich zentrales Politikfeld der extremen und konservativen Rechten, die national und europäisch von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen. Der aktuelle Rechtsruck in allen Gremien der EU – Kommission, Rat und Parlament – trifft dabei mit dem neuen zentralen Feindbild „hybride Bedrohung“ und der inneren Mobilmachung für einen EU/NATO-Krieg mit Russland zusammen.

Die vergangenen Jahre haben einen klaren parteipolitischen Rechtsruck im Wahlverhalten in den Staaten der Europäischen Union gezeigt. In Italien, Finnland, der Slowakei, Ungarn, Kroatien und Tschechien stellen sie die Regierung oder sind Teil einer Koalition, in Schweden tolerieren sie die Regierungskoalition (Schwedendemokraten). In sieben weiteren Mitgliedsstaaten – Deutschland, Frankreich, Estland, Lettland, Belgien, Österreich und Polen – sind Parteien vom rechten Rand stärkste oder zweitstärkste politische Kraft. In Österreich wäre die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) nach den Wahlen im vergangenen Jahr fast wieder Regierungspartner geworden, in Polen hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) lange mitregiert und stellt nun zumindest wieder den mit weitreichenden Vetorechten ausgestatteten Präsidenten, in den Niederlanden hat die Partij voor de Vrijheid (PvV) die Koalition im Mai dieses Jahres verlassen. Somit ist fast in der Hälfte der Mitgliedstaaten eine Regierung unter Einschluss rechtsautoritärer Kräfte entweder bereits Realität oder jedenfalls für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Fast besorgniserregender als das Erstarken rechtsautoritärer Kräfte ist der Rechtsruck der konservativen Parteien und jedenfalls vereinzelt die Übernahme offen flüchtlingsfeindlicher Positionen durch die Sozialdemokratie.

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Bundeskriminalamtsgesetz kleinteilig nachgebessert

Nach einer teilweisen erfolgreichen Klage[1] der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen Normen des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) mussten Teile des Gesetzes neu gefasst werden. Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Befugnis zur Datenerhebung bei Kontaktpersonen im Bundeskriminalamtgesetz“[2] wurde im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) klargestellt, dass sich polizeiliche Maßnahmen nur dann gegen Kontaktpersonen richten dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr durch die eigentliche Anlassperson vorliegen. In einem zweiten „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Regelungen über den polizeilichen Informationsverbund im Bundeskriminalamtgesetz“[3] sollten Anforderungen des BVerfG zur vorsorgenden Speicherung der Daten von Beschuldigten und Tatverdächtigen im polizeilichen Informationsverbund (IVP), also klassischerweise in Datenbanken wie „INPOL“, umgesetzt werden. Bundeskriminalamtsgesetz kleinteilig nachgebessert weiterlesen

G10-Maßnahmen im Jahr 2022

Am 17. Dezember 2024 legte das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) seinen Bericht über die Abhör- und Postkontrollmaßnahmen der Geheimdienste des Bundes (Bundesamt für Verfassungsschutz – BfV, Bundesnachrichtendienst – BND und Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst – BAMAD) nach dem Artikel 10-Gesetz (G10) für das Jahr 2022 vor.[1] Über die Maßnahmen selbst wird in der G10-Kommission des Bundestages entschieden, sowohl über die erstmalige Anordnung als auch die Fortführung alle drei Monate, sofern diese von den Diensten beantragt wird. Diese unterrichtet wiederum das PKGr, dem die allgemeine Kontrolle über das G10-Gesetz obliegt. G10-Maßnahmen im Jahr 2022 weiterlesen

Polizei und Kolonialismus: Eine Einleitung

Die Geschichte der Polizei in den Kolonien des 19. und 20. Jahrhunderts ist eng mit der Entwicklung der Polizei als zentraler Institution von „Sicherheit und Ordnung“ an sich verwoben. Kolonialpolizeien waren dabei nicht einfach Kopien einzelner Polizeimodelle wie der Gendarmerie. Wie für den Kolonialismus insgesamt, waren für die Polizeiarbeit rassistische Zuschreibungen, Disziplinierungstechniken und die Durchsetzung geostrategischer Interessen prägend.

Schon Frantz Fanon macht in seiner berühmten Schrift „Die Verdammten dieser Erde“ auf die Rolle der Polizei im Kolonialismus aufmerksam: „Die koloniale Welt ist in zwei geteilt. Die Trennungslinie, die Grenze, wird durch die Baracken und Polizeistationen repräsentiert. In den Kolonien ist der offizielle, der legitime Vertreter, der Sprecher für den Kolonisierer und das Unterdrückungsregime der Polizeioffizier oder der Soldat …“.[1] Im Weiteren beschreibt Fanon die Mittel brutaler Gewalt gegen die kolonisierte Bevölkerung. Polizeihistorisch stellt sich die Frage, wie die koloniale Polizei geformt wurde, was ihr Auftrag war und wie sich ihr Verhältnis zur kolonisierten Bevölkerung entwickelte und wie sich ihre Erfahrungen in der Entwicklung der europäischen (und US-) Polizei niederschlugen. Polizei und Kolonialismus: Eine Einleitung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Mit dem Auftreten der „Black Lives Matter“-Bewegung und der folgenden Debatte über rassistische Polizeigewalt wurde auch die Rolle der Polizei in den Kolonien thematisiert. Anlass auch für die CILIP-Redaktion, sich dieses Themas anzunehmen. Das deutsche Kolonialreich hatte eine Ausdehnung von immerhin 2,9 Mio. Quadratkilometern, in denen damals ca. 12.3 Mio. Menschen lebten. Es reichte vom heutigen Namibia (Deutsch-Südwestafrika) bis nach Ozeanien (Deutsch-Samoa). Dennoch spielt es in der öffentlichen Gedenkpolitik fast keine Rolle – oder wird auf den Genozid an den Herero und Nama sowie den Raub historischer Artefakte und kulturellen Eigentums reduziert. Völkermorde gedenkpolitisch einzuhegen, damit kennt man sich aus in Deutschland. Aber dass das Verbrechen bereits mit der Enteignung und Ausbeutung, mit alltäglicher Gewalt und Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung begann, gerät dabei aus dem Blick.

Gewalt im modernen Staat ist auch immer Sache der Polizei: weil sie private Gewalt duldet und stützt oder weil sie selbst Gewalt anwendet. Nirgendwo wurde diese doppelte Verflechtung deutlicher als in den Kolonien. Imperialistisch motiviert und rassistisch unterlegt stützten die Polizeien die Herrschaft des Kolonialstaats und der weißen Siedler, auch mit den Mitteln brutaler und entgrenzter Gewalt. Das vorliegende Heft wirft aus unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf die Geschichte der Polizei im Kolonialismus in Europa und den USA und damit auch auf die Geschichte der Polizei insgesamt. Dabei wird es auch um die Spuren gehen, die die Ausübung der Staatsgewalt in annektierten und besetzten Ländern, aber auch in den Zentren der Kolonialreiche hinterlassen hat. Redaktionsmitteilung weiterlesen

TKÜ-Bilanz für 2022

Im Frühjahr 2024 veröffentlichte das Bundesamt für Justiz neue Zahlen zu elektronischen Überwachungsmaßnahmen.[1] Demnach wurden 2022 15.451 Abhörmaßnahmen gegen Telefonanschlüsse angeordnet, davon 13.035 Erstanordnungen (insgesamt 1.774 weniger Anordnungen als im Vorjahr). Mehr als ein Drittel der Anordnungen ergingen in Ermittlungen gegen mutmaßliche Drogenhändler*innen, weitere Schwerpunkte waren Betrugskriminalität (2.230), Mord und Totschlag (1.858), bandenmäßige Begehung von Diebstahl und Einbrüchen (1.452) sowie Staatsschutzdelikte (1.052). In 49 Fällen (2021: 24) erfolgte die Abhörmaßnahme durch einen Eingriff in ein informationstechnisches System, als so genannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Die Zahl der Anordnungen lag mit 94 (2021: 35) etwa doppelt so hoch. Ein Hinweis darauf, dass den Ermittler*innen die Durchführung technisch nicht immer möglich ist. TKÜ-Bilanz für 2022 weiterlesen

Zahl erfasster Flugpassagierdaten steigt weiter an

In Deutschland werden immer mehr Daten von Flugpassagier*innen erfasst, die in die EU einreisen oder innereuropäische Flugverbindungen nutzen. Das ist das Ergebnis einer Kleinen Anfrage[1] der Gruppe Die Linke im Bundestag. Wurden 2022 noch 424,3 Mio. Daten­­sätze an das Fluggastdaten-Informationssystem übermittelt, waren es 2023 453,7 Mio. Datensätze. Betroffen waren 125,7 Mio. Fluggäste. Die Fluggastdaten (Passenger Name Records, PNR) werden mit den Daten aus der Fahndungsdatenbank INPOL und dem Grenzfahndungsdatenbestand, dem Schengener Informationssystem, dem EU-Visa-Informationssystem und der Datei über gestohlene und verlorene Reisedokumente (Stolen & Lost Travel Documents, SLTD) von Interpol abgeglichen. Festgestellt wurden 377.363 „technische“ Treffer, also Überein­stimmungen bei einzelnen Datenpunkten (2022: 441.608). Zahl erfasster Flugpassagierdaten steigt weiter an weiterlesen

Abschiebungen zu jedem Preis

Im Jahr 2023 wurden 16.430 Personen aus Deutschland abgeschoben, davon 13.477 auf dem Luftweg. Normale Linienflüge sind dabei nur noch in knapp der Hälfte der Fälle das Standardmittel, um Menschen außer Landes zu schaffen. Für die andere Hälfte organisierte die Bundespolizei 198 sogenannte Sammelchartermaßnahmen mit 6.447 rechtlich Ausreise-pflichtigen.[1] Hierbei wurden Menschen aus bis zu acht Bundesländern in einem Flug zusammengeführt. 50 der Flüge steuerten zwei Zielstaaten an, zum Beispiel erst Nordmazedonien und dann Serbien. Durch beide Maßnahmen sollen Abschiebungen insgesamt effizienter werden. Abschiebungen zu jedem Preis weiterlesen

Europäische Polizeikooperation bei der Fußball-EM

Mit der Errichtung des „International Police Cooperation Center“ (IPCC) am 10. Juni in Neuss wurde die Zentrale für internationale Polizeikooperation bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland eingeweiht. Dort sind 230 Beamtinnen und Beamte aus anderen europäischen Ländern eingesetzt, um an der Erstellung eines ständig aktualisierten Lagebilds zur Sicherheit der EM mitzuwirken. Bei der EM in den Niederlanden 2020 waren im IPCC lediglich 40 Verbindungsbeamt*innen eingebunden. Während das IPCC damals direkt bei Europol in Den Haag angesiedelt war, ist Europol diesmal lediglich mit Expert*innen für Sportwettbetrug, Cyber-Crime, Betrugsdelikte und organisierten Diebstahl im IPCC vertreten. Neben Fußball-Hooligans und Terrorismus wird in diesen Feldern die größte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit während der EM gesehen. Europäische Polizeikooperation bei der Fußball-EM weiterlesen

Übermittlungsvorschriften an die Polizei neu geregelt

Mit dem „Gesetz zum ersten Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts“ hat die Koalition von SPD, Grünen und FDP im Bund Ende 2023 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2354/13 v. 28.9.2022) zu den Übermittlungsvorschriften der Dienste an die Polizei umgesetzt.[1] Die Richter hatten die vorherigen Regelungen als zu unbestimmt und unverhältnismäßig gewertet. Erhebungsschwellen der Polizei drohten, durch geheimdienstliche Ausforschung und anschließende Übermittlung unterlaufen zu werden.

Das Gesetzgebungsverfahren verlief einigermaßen holprig. Die Koalition hatte noch umfangreiche Änderungen am ursprünglichen Entwurf aus dem Bundesinnenministerium vornehmen müssen. In einer gewohnt umständlichen Formulierung hat nun auch die aus dem Polizeirecht bereits bekannte „drohende Gefahr“ ihren Weg in das Nachrichtendienstrecht gefunden. Wenn „Tatsachen im Einzelfall auf die Entstehung einer konkreten Gefahr hinweisen“, darf der Verfassungsschutz seine Erkenntnisse an die Polizei übermitteln (§ 19 Abs. 2 BVerfSchG), bei unmittelbarer Gefahr ist er dazu nun verpflichtet. Übermittlungsvorschriften an die Polizei neu geregelt weiterlesen