Kein Erfolg für die Mannstopper – Im ordentlichen Polizeidienst bleibt die Schweiz bei Vollmantelmunition

von Catherine Weber

Anders als in Deutschland1 sollen in der Schweiz PolizeibeamtInnen im normalen Dienst nicht mit Deformationsgeschossen ausgerüstet werden. Mit dieser Empfehlung beugte sich die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) auf ihrer Herbsttagung am 8. November in Lenzburg dem öffentlichen Druck – vorerst.

„Mit Bedauern haben wir den Beschluss der KKJPD zur Kenntnis genommen,“ erklärt Johannes Wyss, Pressesprecher der Firma RUAG Munition in Thun. Die RUAG war bis vor wenigen Jahren noch voll in der Hand des Eidgenössischen Verteidigungsdepartements, heute ist sie formell eine private Gesellschaft, deren Anteile aber zu 100% dem Bund gehören. Zwar ist die Armee immer noch Hauptkundin der Gesellschaft, dennoch strebt die RUAG nach einem neuen Abnehmerkreis, insbesondere unter den Polizeibehörden. Sie produziert neben allerlei definitiv tödlichen und angeblich „nicht-tödlichen“ Waffen für Sonderkommandos und Anti-Terror-Einheiten auch Munition, die für den normalen Polizeidienst gedacht ist. Für das Kaliber 9 Millimeter werden sowohl Vollmantel- als auch neuerdings Deformationsgeschosse angeboten.
„Das 9 mm SM SWISS P SeCa Geschoss wurde für Polizeieinsätze im städtischen Raum entwickelt und kombiniert eine kontrollierte Stopp-Wirkung mit einer minimalen Gefährdung für die Umgebung des Ziels“, heißt es auf der Homepage. „Das Label SeCa steht für die einzigartige Kombination von Eigenschaften: Security Cartridge/Safe Environment, Controlled Action.“2

Noch vor wenigen Monaten schien es so, als könnte die RUAG bei den schweizerischen Polizeien ein ordentliches Geschäft machen. Im Frühjahr hatte die Polizeikommandantenkonferenz empfohlen, die Polizei flächendeckend mit der neuen Munition auszurüsten. Zur Begründung musste ein eher peinlicher Bericht der Schweizerischen Polizeitechnischen Kommission herhalten, wonach die helvetischen OrdnungshüterInnen im Zweifel eher daneben schießen. Laut dem Bericht, den zunächst das Nachrichtenmagazin „Facts“ aufgriff, waren zwischen 1990 und 1998 von 1.146 im Einsatz abgegebenen Schüssen 211 Warnschüsse, 849 „gingen ins Leere – oder sind befremdlicherweise nicht genau dokumentiert.“ Aber auch nach den 86 „Treffern“ hätten die Getroffenen in 50% der Fälle fliehen können.3 Letzteres war für die Polizeikommandanten Anlass genug, dem deutschen Beispiel folgen zu wollen und mehr „Mannstopp-Wirkung“ zu fordern.

Der Bericht des Magazins über die „Killer-Munition aus Thun“ mobilisierte nicht nur die anderen Zeitungen, sondern auch linke PolitikerInnen. Die Polizeikommandanten, die normalerweise Fragen der Ausrüstung der kantonalen bzw. städtischen Korps alleine entscheiden, sahen sich mit einem Mal einer ganzen Reihe von parlamentarischen Vorstößen gegenüber – Grund genug, um die Entscheidung über die neue Munition nicht alleine zu treffen, sondern sie an die politischen Entscheidungsträger, die PolizeidirektorInnen zu delegieren.4 Die Tatsache, dass eine Munition, die im „weichen Zielmedium“ aufpilzt und damit erheblich größere und gefährlichere Verletzungen bewirken kann als die normale Vollmantelmunition, wurde zu einem Politikum.

Krieg und Frieden

Dies um so mehr, als die Schweiz bei sämtlichen internationalen Abkommen, die seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts den Einsatz von Waffen und Munition, die „unnötigerweise Leiden verursachen“, verbieten, eine führende Rolle spielte. Dieses Verbot gilt zwar formell nur für kriegführende Parteien. Bereits 1986 musste der Bundesrat (Landesregierung) aber auf eine Anfrage des sozialdemokratischen Nationalrats Paul Rechsteiner erklären, dass „an der Einhaltung des Völkerrechts auf dem Territorium der Schweiz kein Zweifel“ bestehen dürfe.5

In der Sommersession des Parlaments konnte Rechsteiner seine alte Anfrage wiederholen, die sich damals gegen die Anschaffung von Softpoint- oder Hollowpoint-Munition, auch dies Deformationsgeschosse, richtete. Die Antwort ist unmissverständlich: „Es ist zwar richtig, dass das Verbot des Einsatzes von Deformationsgeschossen sich nur auf bewaffnete Konflikte bezieht und ein Verbot für den innerstaatlichen Polizeieinsatz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Es würde jedoch im Ausland kaum verstanden, wenn die Schweiz sich für eine Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts einsetzt, gleichzeitig aber im eigenen Land die Verwendung von Deformationsgeschossen für den ordentlichen Polizeidienst zulassen würde.“ Die gefährliche Munition sei auf Sondereinsätze, etwa bei Geiselnahmen, zu beschränken.6

Die Empfehlung der Polizeidirektorenkonferenz vom 8. November ist nicht mehr als eine Bestätigung dieser Position, eine Frage der „politischen Klugheit“, so der Präsident der Konferenz, der Basler Polizeidirektor Jörg Schild, auf der Pressekonferenz. Mediale Aufmerksamkeit und politischer Widerstand haben dieses Mal Erfolg gehabt. Dennoch kann sich die Linke nicht auf diesem Erfolg ausruhen: Erstens muss sie dafür sorgen, dass auch der bisher einfache Erwerb der Deformationsmunition durch Privatpersonen verboten wird.7 Zweitens muss sie gewährleisten, dass die Empfehlung der KKJPD von allen Kantonen tatsächlich umgesetzt wird. Und drittens hat sie wachsam zu bleiben, denn die KKJPD will die Entwicklung in Deutschland weiter beobachten.

Catherine Weber ist Geschäftsführerin der Demokratischen JuristInnen Schweiz und Stadträtin des Grünen Bündnisses in Bern.