Archiv der Kategorie: CILIP 070

(3/2001) Terrorismusbekämpfung – alte und neue Irrwege

Editorial

von Wolf-Dieter Narr

Das zweite, füllig gepackte Paket der Gesetze, das nach dem 11. September gegen allen Terrorismus und für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik und der Europäischen Union geschnürt worden ist, um noch dieses Jahr gesetzlich unter Dach und Fach gestellt zu werden, ist noch nicht geschlossen. Zur Zeit, da dieses Editorial geschrieben wird, das sich darauf konzentriert, einzelne neue gesetzliche Gaben genauer unter die Lupe zu nehmen (10./11.12.2001), haben etliche Bundesländer noch Einwände geäußert. Diese Bundesländer, ein Zeichen des exekutivischen, nicht des demokratischen Föderalismus der Bundesrepublik, verlangen, dass auch die Landesverfassungsschutzämter Auskunftskompetenzen bei Post, Telekom und Banken erhalten sollen, so wie das die Koalitionsvorschläge bereits für das Kölner Bundesamt vorsehen. Editorial weiterlesen

Der „weiche Unterleib“: Das Grenzkontrollregime an der Meerenge von Otranto

von Derek Lutterbeck[1]

Flüchtlinge aus Albanien und der Schmuggel von Drogen, Zigaretten und Waffen machen die Meerenge von Otranto in den Augen der italienischen (und europäischen) Behörden zum „weichen Unterleib der EU“. Nicht umsonst ist der Küstenstreifen zum Experimentierfeld der Grenz- und Migrationskontrolle geworden. Zwei Tendenzen lassen sich dabei beobachten: Die Vorverlagerung der Kontrollen auf die albanische Seite sowie die Vermischung von militärischen und polizeilichen Aufgaben. Der „weiche Unterleib“: Das Grenzkontrollregime an der Meerenge von Otranto weiterlesen

Kein Erfolg für die Mannstopper – Im ordentlichen Polizeidienst bleibt die Schweiz bei Vollmantelmunition

von Catherine Weber

Anders als in Deutschland1 sollen in der Schweiz PolizeibeamtInnen im normalen Dienst nicht mit Deformationsgeschossen ausgerüstet werden. Mit dieser Empfehlung beugte sich die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) auf ihrer Herbsttagung am 8. November in Lenzburg dem öffentlichen Druck – vorerst.

„Mit Bedauern haben wir den Beschluss der KKJPD zur Kenntnis genommen,“ erklärt Johannes Wyss, Pressesprecher der Firma RUAG Munition in Thun. Die RUAG war bis vor wenigen Jahren noch voll in der Hand des Eidgenössischen Verteidigungsdepartements, heute ist sie formell eine private Gesellschaft, deren Anteile aber zu 100% dem Bund gehören. Zwar ist die Armee immer noch Hauptkundin der Gesellschaft, dennoch strebt die RUAG nach einem neuen Abnehmerkreis, insbesondere unter den Polizeibehörden. Sie produziert neben allerlei definitiv tödlichen und angeblich „nicht-tödlichen“ Waffen für Sonderkommandos und Anti-Terror-Einheiten auch Munition, die für den normalen Polizeidienst gedacht ist. Für das Kaliber 9 Millimeter werden sowohl Vollmantel- als auch neuerdings Deformationsgeschosse angeboten. Kein Erfolg für die Mannstopper – Im ordentlichen Polizeidienst bleibt die Schweiz bei Vollmantelmunition weiterlesen

Summaries

Enabling Acts (Editorial)
by Wolf-Dieter Narr
The anti-terror-laws, which were rushed through parliamentary debate, are Enabling Acts. A weak parliament agrees to a further reduction of its controlling powers. The 11th September serves as an all-inclusive legitimisation for a large-scale extension of powers for police and secret services. Summaries weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Im Unterschied zu Veröffentlichungen über „den Terrorismus“ ist die Literatur über die staatliche „Terrorbekämpfung“ spärlich. Für die deutschen Anti-Terror-Reaktionen, auf die wir uns in diesem Heft konzentrieren, gilt dies uneingeschränkt. Die drei Jahrzehnte, in der Politik, Gesetzgebung, Polizei und Geheimdienste auf die RAF, die Bewegung 2. Juni, Revolutionäre oder Anti-Imperialistische Zellen etc. reagierten, haben bislang zu keiner Gesamtbilanz geführt. Was vorliegt, sind Teilstudien oder Einblicke in einzelne Maßnahmen, Verfahren oder Vorgänge. Es ist kennzeichnend für die gegenwärtige Anti-Terror-Politik, dass sie diese Bilanzen nicht vermisst. Noch bevor man sich darüber im Klaren ist, was Strategien und Maßnahmen „gebracht“ haben, werden im Schnellverfahren die alten Rezepte herausgekramt und „aktualisiert“. Für die gegenwärtige Auseinandersetzung sei auch an dieser Stelle auf unsere Homepage verwiesen, auf der wir unter www.cilip.de/terror neben den aktuellen Gesetzentwürfen eine Reihe kritischer Stellungnahmen bereitstellen. Im Folgenden können wir nur Hinweise auf wenige wichtige Veröffentlichungen geben. Vollständig verzichten wir auf die Darstellungen einzelner Vorgänge und Verfahren, die in Buchform u.a. zum Schmücker-Verfahren, zum Celler Loch, zum Multiagenten Werner Mauss, zur Stasi-RAF-Connection oder zum „RAF-Phantom“ vorliegen. Literatur weiterlesen

Chronologie

von Petra Schmittner

Juli 2001

03.07.: Unterlagen zurück an Mahler: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entscheidet, dass NPD-Anwalt Horst Mahler die am 11.6. beschlagnahmten Unterlagen „unverzüglich“ zurückbekommen müsse, um das NPD-Verbotsverfahren nicht zu beeinträchtigen. (Az.: 2 BvB 1/01, 2/01, 3/01)

04.07.: Geldwäsche-Urteil gegen Strafverteidiger: Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt die Verurteilung zweier Anwälte zu Bewährungsstrafen von neun Monaten. Das Landgericht (LG) Frankfurt/M. hatte entschieden, dass Anwälte für ihre Dienste kein Geld entgegennehmen dürfen, das aus einer Straftat herrührt. (Az.: 2 StR 513/00)
Keine Veröffentlichung von Kohls Stasi-Akten: Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin gibt der Klage des Alt-Bundeskanzlers statt. Die Gauck-Behörde darf künftig personenbezogene Akten nur mit Kohls Erlaubnis an Medien oder Wissenschaftler geben. (Az.: VG 1 A 389.00) Chronologie weiterlesen

The War on Terrorism – US-Terrorismusbekämpfung und „Nationale Sicherheit“

von Albrecht Funk

Die USA führten in Afghanistan eine „Polizeiaktion mit den Mitteln des Militärischen“, meinte Verteidigungsminister Rudolf Scharping kurz nach Beginn der Bombardements.[1] Er täuscht sich. Für die US-Regierung ist der „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ eine Frage der „Nationalen Sicherheit“ und dabei dominieren militärische Konzepte.

Beim Krieg gegen den internationalen Terrorismus (IT) handelt es sich weder um Strafverfolgung mit militärischen Mitteln noch um symbolische Politik. Die US-Regierung hat einen Krieg gegen den IT ausgerufen und führt ihn in Afghanistan und anderswo mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Dieser Krieg erklärt sich nicht mit den Tausenden von Menschenleben, die den Anschlägen in New York und Washington zum Opfer fielen. Terrorismus ist für die Bush-Administration keine „Makrokriminalität“ und deshalb auch keine Frage der Strafverfolgung. Im Gegenteil, die Bush-Administration schließt mit der Ausrufung eines „Krieges gegen den IT“ ganz bewusst die Möglichkeit aus, den Terrorismus als ein völkerrechtlich wie national gebrandmarktes Verbrechen strafrechtlich und polizeilich zu verfolgen (und sei es auch mit einer von der internationalen Staatengemeinschaft legitimierten Polizeiaktion im Sinne Scharpings). Sie beruft sich auf ihr Recht zur Selbstverteidigung, zur Vernichtung des Gegners und zur Aburteilung von Gefangenen durch Militärtribunale. Formen und Strategien dieses Krieges erklären sich vielmehr aus der institutionellen Konzeption von „national security“ und den in den Agenturen Nationaler Sicherheit nach dem Ende des Kalten Krieges entstandenen Bedrohungsvorstellungen. The War on Terrorism – US-Terrorismusbekämpfung und „Nationale Sicherheit“ weiterlesen

Durchmarsch in Brüssel – Die EU reagiert auf den 11. September

von Mark Holzberger

Seit den Anschlägen vom 11. September legen auch die EU-Gremien einen hektischen gesetzgeberischen Aktionismus an den Tag. Sie nutzen die Gunst der Stunde, um Polizei und Geheimdiensten Kompetenzen zu eröffnen, die bislang nicht durchsetzbar erschienen.

Genau eine Woche nach den Terror-Anschlägen in New York und Washington präsentierte die EU-Kommission ihren seit längerem vorbereiteten Entwurf für einen sog. Rahmenbeschluss über die Einführung eines europäischen Haftbefehls, der künftig in der EU an die Stelle von Auslieferungsverfahren treten soll.[1]

Insbesondere die Auslieferung mutmaßlicher „Terroristen“ hatte zwischen den EU-Staaten immer wieder für Ärger gesorgt. Politische StraftäterInnen dürfen nämlich nach der Europäischen Auslieferungskonvention von 1957 nicht ausgeliefert werden. Seit 1977 hatte man sich daher mit dem Terrorismusbekämpfungsabkommen des Europarates (EuTerrÜ) geholfen. Darin wird Terrorismus über einen Katalog von Straftaten definiert (vom Mord bis zu Sachbeschädigung, bei der Menschen gefährdet werden). Diese Delikte sollten fortan in Auslieferungsverfahren nicht mehr als politische Straftaten angesehen werden. Zudem hatte die EU 1995 und 1996 zwei Abkommen zur Vereinfachung von Auslieferungen beschlossen.[2] Durchmarsch in Brüssel – Die EU reagiert auf den 11. September weiterlesen