Terrorlisten vor den EU-Gerichten – Zum Stand der europäischen Rechtsprechung

von Heiner Busch und Jan Wörlein

Seit Ende 2001 haben sich die Gerichte der EU mit einer Reihe von Klagen gegen das Regime der Terror-Listen auseinandersetzen müssen.

Die Entscheidungen des Europäischen Gerichts erster Instanz (EuGI) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als Rekursinstanz lassen sich in zwei Fallgruppen unterscheiden.

Klagen gegen die Umsetzung der UN-Listen in EU-Recht

Mit einer Ausnahme (Fall C-117/06, siehe unten) fordern die KlägerInnen allesamt, die Verordnung 467/2001 des Rates oder deren jeweils aktualisierte Fassung für nichtig oder hilfsweise für nicht anwendbar zu erklären. Sie beklagen die Verletzung von Grundrechten und Verfahrensgarantien und machen insbesondere geltend, dass ihnen die Gründe für die Ächtung und das Einfrieren ihrer Gelder nicht mitgeteilt und sie dazu auch nicht angehört wurden. Sowohl das EuGI als auch der EuGH haben bisher alle Klagen mit dem Hinweis auf die völkerrechtliche Verpflichtung der EU zur Umsetzung von Resolutionen des UN-Sicherheits­rats abgewiesen. Deren Über­prüfung auf eine Vereinbarkeit mit den in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehenen Grundrechten sei nicht möglich. Damit ist jeglicher Rechtsschutz ausgeschlossen.

Im Fall Ayadi (T-253/02, Urteil v. 12. Juli 2006) hat das EuGI seine bis dahin wortgleichen Ausführungen modifiziert: Es weist die Klage zwar wiederum ab, verpflichtet aber die Mitgliedstaaten, die Anträge ihrer BürgerInnen auf Streichung von der Liste „loyal“ zu prüfen. Sie dürfen eine Übermittlung an das UN-Sanktionskomitee nicht allein deswegen verweigern, weil die Betroffenen in Unkenntnis der konkreten Vorwürfe keine genauen Angaben machten. Die Betroffenen können gegen die Entscheidung ihrer Regierung, einen Antrag nicht weiterzuleiten, vor den nationalen Gerichten klagen. Die Sanktionen des Sicherheitsrates selbst bleiben jedoch weiterhin unanfechtbar.

Aden, Abdirisak; Ali, Abdulaziz; Yusuf Ahmed; Al-Barakaat Schweden

EuGI – T-306/01: Klage vom 10.12.2001; Beschluss des EuGI-Präsi­den­ten vom 7.5.2002: Ablehnung einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Sanktionen bis zum Urteil in der Hauptsache; Urteil vom 21.9.2005: Abweisung der Klage. Nachdem Aden und Ali bereits am 22.8.2002 von der UN-Liste gestrichen wurden, zieht Yusuf am 23.11.2005 das Urteil zum EuGH weiter (C-415/05). Am 24.8.2006 wird auch er von der Liste gestrichen.

Kadi, Yassin (Saudischer Geschäftsmann)

EuGI – T-315/01: Klage vom 18.12.2001; Urteil vom 21.09.2005: Abweisung der Klage.

Othman, Omar (Jordanier, wohnhaft in London zur Zeit in Auslieferungshaft)

EuGI – T-318/01: Klage vom 17.12.2001, bisher noch kein Urteil.

Ayadi, Chafiq (wohnhaft in Irland)

EuGI – T-253/02: Klage vom 22.8.2002; Urteil vom 12.07.2006: Abweisung der Klage.

Faraj, Hassan (wohnhaft in Großbritannien)

EuGI – T-49/04: Klage vom 12.2.2004; Urteil vom 12.7.2006: Abweisung der Klage.

El Sayyed, Hani; Yusef, Elsebai (wohnhaft in Großbritannien)

EuGI – T-2/06: Klage vom 6.1.2006; Urteil vom 31.05.2006: Abweisung. Die Frist zur Annullierung der Verordnung sei abgelaufen.

Al-Faqih, Al-Baschir

EuGI – T-135/06: Klage vom 15.7.2006; bisher noch kein Urteil.

Sanabel Relief Agency (mit Sitz in Großbritannien)

EuGI – T-136/06: Klage vom 5.5.2006; bisher noch kein Urteil.

Abdrabba, Ghunia (wohnhaft in Großbritannien)

EuGI – T-137/06: Klage vom 5.5.2006; bisher noch kein Urteil.

Nasuf, Taher (wohnhaft in Grobritannien)

EuGI – T-138/06: Klage vom 5.5.2006; bisher noch kein Urteil.

Gerda und Christiane Möllendorf

(betrifft El Rafei, Salem-Abdul; Rafehi, Kamal; Ageel, Al Ageel)

EuGH – C-117/06: Vorlage zur Vorabentscheidung vom 21.2.2006 durch das Kammergericht Berlin. Betrifft die Umschreibung eines Grundbucheintrags an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, zu der eine Person gehört, die nach Abschluss des Kaufvertrages und nach Zahlung des Kaufpreises auf die UN-Liste gesetzt wurde. Bisher noch kein Urteil.

Klagen gegen die EU-eigene Liste

Anders als in den obigen Fällen geht es hier um Maßnahmen der Europäischen Union bzw. der Gemeinschaft, die auch Personen und Organisationen als „terroristisch“ ächtet und ihre Gelder einfriert, die nicht auf der Liste der UN stehen. Dennoch brauchte das EuGI bis zum Urteil im Fall der iranischen Volksmudjahedin vom Dezember 2006 (T-228/02, siehe unten) um festzustellen, dass das Verfahren zur Aufnahme in die EU-Liste rechtswidrig ist, weil es „bestimmte grundlegende Rechte und Garantien, u.a. die Verteidigungsrechte, die Begründungspflicht und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“ verletzt.

Die Wahrung der Verteidigungsrechte setze aber nicht voraus, dass die Betroffenen vor den Sanktionen angehört würden, sondern nur, dass ihnen „die genauen Informationen bzw. die einschlägigen Akten so weit wie möglich mitgeteilt werden“ und der Rat seine Entscheidung begründet. Allerdings habe der Rat einen weiten Ermessensspielraum, weswegen die Kontrolle der Rechtsmäßigkeit durch das EuGI (bzw. den EuGH in der zweiten Instanz) äußerst beschränkt sein müsse – nämlich auf die Frage, „ob die Verfahrensvorschriften und die Begründungspflicht beachtet worden sind, der Sachverhalt richtig ermittelt wurde und kein offensichtlicher Fehler in der Beurteilung der Tatsachen oder Ermessensmissbrauch vorliegt.“

PKK und andere kurdische Organisationen

Gegen die Aufnahme der Kurdischen Arbeiterpartei und ihrer Nachfolgeorganisationen auf die EU-Terror-Liste richten sich mehrere Klagen:

EuGI – T-206/02: Klage des Kurdischen Nationalkongresses (KNK, vertreten durch Serif Vanly) vom 2.7.2002; der KNK steht selbst nicht auf der Liste, ist aber durch die Ächtung seiner größten Mitgliedsorganisation mittelbar betroffen. EuGI – T-229/02: gemeinsame Klage des KNK und der PKK (letztere vertreten durch Osman Öcalan) vom 31.7.2002; beide Klagen verweisen darauf, dass die PKK seit 1989 eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts suche. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 15.2.2005 weist das EuGI die Klagen als unzulässig ab: Da sich die PKK 2002 aufgelöst habe, sei auch keine Klage in ihrem Namen möglich. Der KNK könne nicht im Namen einer seiner ehemaligen Mitgliedsorganisationen sprechen. Am 18.2.2005 ziehen beide Orga­nisationen die Klage an den EuGH weiter (C-229/05), der der Beschwer­de am 18.1.2007 statt gibt. Das EuGI muss nun in der Sache entscheiden.

EuGI – T-253/04: Klage der Kongra-Gel (vertreten durch Zübeyir Aydar u.a.) vom 25.6.2004; Kongra-Gel wird als Nachfolgeorganisation der PKK ebenfalls auf der EU-Liste geächtet. Bisher noch kein Urteil.

Organisationen der baskischen Linken

Eine ganze Reihe von baskischen Organisationen sind seit 2002 als angebliche Untergliederungen von ETA auf der EU-Terror-Liste. Zwei haben bisher dagegen geklagt: Die Gefangenenhilfsorganisation Gestoras Pro Amnistía und als deren Mitglieder Juan Mari Olano und Julen Zelarain Errasti (T-333/02 Klage vom 20.9.2002) sowie die Jugendorganisation SEGI mit Araitz Zubimendi Izaga und Aritza Galarraga ((T-338/02 Klage vom 13.11.2002): In beiden Fällen wurden 1,2 Millionen Euro Schadenersatz gefordert. Mit gleichlautenden Beschlüssen vom 7.6.2004 lehnte das EuGI beide Klagen als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet ab. Zum einen sei ein Schadenersatz im Gemeinsamen Standpunkt nicht vorgesehen und zum anderen habe die Gemeinschaft und damit der Gerichtshof keine Zuständigkeit für Fragen von Polizei und Sicherheit. Gegen die Urteile reichten die KlägerInnen am 17.8.2004 Beschwerden (C-354/04 und C-355/04) beim EuGH ein, die am 27.2.2007 ebenfalls abgewiesen wurden.

Volksmudjahedin des Iran (MEK)

EuGI – T-228/-2: Klage vom 26.7.2002; Urteil vom 12.12.2006: das Gericht annulliert den Ratsbeschluss zur Aufnahme der MEK in die Terrorliste; der Beschluss verletze die Verteidigungsrechte, die Begründungspflicht und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Nachdem der Rat die MEK dennoch nicht von der Liste nahm, reicht die Organisation am 9.5.2007 eine weitere Klage beim EuGI ein (T-157/07) und fordert die Durchsetzung des Urteils. Bisher noch kein Urteil.

José Maria Sison

EuGI – T-47/03 – Klage vom 6.2.2003; mit Beschluss vom 15.5.2003 lehnt der EuGI-Präsident zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Sanktionen bis zum Urteil in der Hauptsache ab. Am 24.3.2003, 30.4.2003 und 12.12.2003 erhebt Sison erneut Klage vor dem EuGI (T-110/03; T-150/03; T-405/03) und fordert die Annullierung der Entscheidungen, mit denen der Rat nacheinander drei Anträge auf Offenlegung sämtlicher Dokumente, die zur Aufnahme Sisons und der NPA (National People’s Army) auf die Terrorliste geführt hatten, abgelehnt hat. Mit identischen Urteilen weist das EuGI am 26.4.2005 alle drei Klagen ab: Die Verordnung 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten erlaube es nicht nur den EU-Organen, die Offenlegung von Unterlagen in bestimmten Fällen – z.B. bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit – zu verweigern, sondern verpflichte vielmehr zur Geheimhaltung, wenn ein Dokument unter eine der Ausnahmeregelungen falle. Dies gelte auch dann, wenn die Dokumente die Person des Antragstellers individuell betreffen. Am 27.6.2005 erhebt Sison Beschwerde beim EuGH (C-266/05), die der Gerichtshof mit Urteil vom 1.2.2007 verwirft. Am 11.7.2007, drei Jahre nach Einreichung, gibt das EuGI der ursprünglichen Klage Sisons statt und erklärt den Beschluss für seine Aufnahme in die Liste für rechtswidrig. Die Begründung ist dieselbe wie im Fall der Volksmudjahedin. Sison steht ebenfalls weiter auf der Terrorliste der EU.

Stiftung Al Aqsa

EuGI – T-327/03: Klage vom 19.9.2003; Urteil vom 11.7.2007: Annullierung des Beschlusses; gleiche Begründung wie in den Fällen Sisons und der MEK.