Abdel-Halim Khafagy
Abdel-Halim Khafagy, ein Ägypter, der seit 1979 mit seiner Familie als Verleger in München lebt, wurde zwei Wochen nach dem 11. September 2001 in Sarajevo vermutlich von SFOR-Soldaten unter Terrorverdacht festgenommen. Der damals 69-Jährige war mit seinem jordanischen Schwager geschäftlich unterwegs, um in einer bosnischen Druckerei, die für seinen Verlag arbeitete, den Produktionsprozess zu kontrollieren. Mitten in der Nacht vom 25. September 2001 stürmten vermummte Männer das Hotelzimmer der beiden und schlugen Khafagy so brutal mit dem Gewehrkolben am Kopf, dass die Wunde mit mehr als zwanzig Stichen genäht werden musste. Später notierte der Bundesnachrichtendienst (BND), der in diesen Fall involviert war, dass ein „Großteil“ der dabei „von US-Seite beschlagnahmten Dokumente extrem blutverschmiert“ gewesen sei.[1] Nach Angaben des Magazins „stern“ hätten die US-Amerikaner einen der beiden für den Al-Qaida-Kommandeur Abu Zubaydah gehalten. Khafagy und sein Schwager wurden in den US-Stützpunkt „Eagle Base“ in Tuzla gebracht. Was in der Eagle Base genau geschah, ist bislang nur bruchstückhaft bekannt. Khafagy selbst sprach gegenüber dem Fernsehmagazin „Kontraste“ von Schlafentzug, Isolation, Einschüchterungen und täglichen Verhören, zu denen er mit verbundenen Augen geführt wurde. Aus seiner Zelle konnte er laute Schreie und Weinen anderer Häftlinge hören. Außerdem sei seine Kopfwunde ohne Betäubung genäht worden.[2]
Nur wenige Tage nach der Festnahme reisten zwei Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) und ein Dolmetscher des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf Anfrage der US-Amerikaner nach Bosnien, um zunächst die beschlagnahmten Unterlagen durchzusehen. Angeblich sollten sie prüfen, ob es Verbindungen zu einem deutschen Terrorverfahren im Zusammenhang mit dem 11. September gab. Gegen Khafagy selbst wurde jedoch nicht ermittelt. Die in Sarajevo gesichteten blutverschmierten Papiere Khafagys sowie die Beschreibungen der Haftbedingungen und Vernehmungsumstände in der Eagle Base durch einen amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter ließen die drei Beamten zurückschrecken: Für die BKA-Beamten stand fest, dass Schlafentzug, Isolationshaft in abgedunkelten Zellen in geräuschloser Umgebung, Einschüchterungen bei Vernehmungen und die Verweigerung von Rechtsbeiständen klare Verstöße gegen die Strafprozessordnung und Menschenrechtsverletzungen waren. Sie verließen die Eagle Base, ohne Khafagy oder dessen Begleiter gesehen zu haben, und erstatteten nicht nur ihren Vorgesetzten im BKA Bericht, sondern sollen auch eine Vorlage für die nachrichtendienstliche Lagebesprechung im Bundeskanzleramt geliefert haben, an der neben den Präsidenten der Sicherheitsbehörden auch regelmäßig der damalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier teilnahm.[3]
Wenn dies so zutrifft, hätte die Bundesregierung bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, also einen Monat nach den Anschlägen vom 11. September, gewusst, wie die USA mit Terrorverdächtigen umgehen, sie misshandeln und wie sie ihnen elementare Menschenrechte vorenthalten. Bislang jedoch hat sie behauptet, von Geheimgefängnissen in Europa und von Misshandlungen und Folter im Anti-Terror-Kampf nur durch Medienberichte zu wissen.[4] In ihrem Bericht an das Parlamentarische Kontrollgremium „zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des Internationalen Terrorismus“ (PKGr-Bericht) vom Februar 2006 wird Khafagy gar nicht erst erwähnt.
Der Fall, der nur durch Zufall bekannt wurde und nun auch auf der Agenda des BND-Untersuchungsausschusses steht, ist nach wie vor aufklärungsbedürftig, zumal es Hinweise gibt, dass möglicherweise doch deutsche Beamte – des BND oder des Militärischen Abschirmdienstes – Gefangene in der Eagle Base vernommen haben könnten.[5]
Khafagy wurde kurze Zeit nach dem Besuch der BKA- und des BND-Beamten nach Ägypten abgeschoben und ist ungefähr drei Wochen später traumatisiert und mit noch sichtbaren Verletzungsspuren nach München zurückgekehrt.
Murat Kurnaz
Murat Kurnaz, ein gebürtiger Bremer mit türkischem Pass, reiste am 3. Oktober 2001 nach Pakistan, um dort, wie er selbst angab, den Islam zu studieren. Im November 2001 wurde der damals 19-Jährige bei einer Routinekontrolle von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und für 3.000 US-Dollar an US-Streitkräfte verkauft. Diese brachten ihn zunächst in das Gefangenenlager im afghanischen Kandahar. Im Februar 2002 wurde er nach Guantánamo Bay ausgeflogen und dort bis Ende August 2006 als „feindlicher Kämpfer“ ohne Anklage festgehalten. Kurnaz berichtete, dass er in Kandahar und Guantánamo von US-Amerikanern unter anderem durch Schläge, an Ketten aufhängen, Hitze und Kälte gefoltert wurde.[6]
Deutsche Behörden wussten spätestens Anfang Januar 2002 von der Inhaftierung Kurnaz’ durch die USA. Dem in Kandahar stationierten Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und dem BND wurde damals schon angeboten, ihn zu befragen. Ende September 2002 flogen schließlich zwei Beamte des BND und einer des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zusammen mit einem CIA-Mitarbeiter nach Guantánamo, um Kurnaz’ Wissen über eine möglicherweise existierende Bremer Terror-Zelle abzuschöpfen. Ursprünglich wollte auch das BKA Beamte mitschicken, dies wurde aber verworfen: offiziell, da kein Ermittlungsverfahren des BKA gegen Kurnaz lief, so der damalige BKA-Präsident Ulrich Kersten vor dem BND-Untersuchungsausschuss; inoffiziell werden es wohl eher die Umstände einer Vernehmung in einem – auch von der Bundesregierung – als (völker-)rechtswidrig betrachteten Gefangenenlager gewesen sein. Zuvor waren den deutschen Behörden jedoch Vernehmungsergebnisse von US-Seite aus Guantánamo zugegangen. Die deutsche Seite hatte ihrerseits verschiedenen US-Sicherheitsbehörden spätestens im Januar 2002 Erkenntnisse über Kurnaz und sein Umfeld übermittelt; außerdem waren mehr als ein Dutzend FBI-Beamte unmittelbar in der nach dem 11.9.2001 eingerichteten Sonderkommission, der „Besonderen Aufbauorganisation (BAO) USA“, tätig und konnten so direkt auf Ermittlungsergebnisse zugreifen. Kurnaz berichtete vor dem BND-Untersuchungsausschuss, dass ihm bereits während der Folterverhöre in Kandahar Einzelheiten vorgehalten worden seien, die nach Aussagen seines Anwalts nur aus den Bremer Ermittlungsakten stammen konnten.
Obwohl die deutschen Guantánamo-Vernehmer von Kurnaz’ Unschuld überzeugt waren und festgestellt hatten, dass er keinerlei Kontakte ins terroristische Milieu hatte, verweigerten ihm die Spitzen von BND, BKA und Bundeskanzleramt die von den USA im Herbst 2002 in Aussicht gestellte Freilassung nach Deutschland. Durch die öffentliche Diskussion gedrängt, begründet die Bundesregierung dies heute damit, Kurnaz sei ein Sicherheitsrisiko gewesen. Sämtliche Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz, seinen Freund Selçuk Bilgin, der ihn damals nach Pakistan begleiten wollte, und weitere Personen aus seinem Moschee-Umfeld sind mangels Beweisen zum Teil schon im Oktober 2002 eingestellt worden.
Mohammed Haydar Zammar
Der aus Syrien stammende Mohammed Haydar Zammar wuchs in Hamburg auf und erhielt 1982 die deutsche Staatsbürgerschaft. Bereits Ende der 90er Jahre soll Zammar Kontakt zu Personen aus der für die Attentate des 11. September 2001 verantwortlichen „Hamburger Zelle“ – zu Marwan al-Shehhi, Mohammed Atta, Ramzi bin al Shibb und Said Bahaji – gehabt und außerdem in Verbindung mit Bin Ladens Chef-Planern gestanden haben. Das BKA beobachtete ihn deshalb seit Jahren und hörte sein Telefon ab. Nach dem 11. September wurde Zammar von der Polizei vernommen, es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen ihn eingeleitet. Die Anhaltspunkte genügten aber offenbar nicht für eine Festnahme. Aus den Observationen wusste das BKA, dass Zammar am 27. Oktober 2001 über die Niederlande nach Marokko fliegen und am 8. Dezember nach Deutschland zurückkehren wollte. Die Reisedaten, dazu noch Zammars Lebenslauf und Angaben über Verwandte in Syrien und Marokko übermittelte das BKA an das FBI und die CIA. Die USA wiesen daraufhin die marokkanischen Behörden an, Zammar am Tag seiner geplanten Rückreise festzunehmen. Zwei Wochen später wurde er von der CIA von Marokko nach Syrien ausgeflogen und im berüchtigten Foltergefängnis Far Filastin inhaftiert.[7]
Die deutschen Behörden erfuhren angeblich zunächst nichts davon, erst im Juni 2002 seien sie von der US-Seite in Kenntnis gesetzt und zum Stillhalten gedrängt worden. Laut einem Bericht des „Spiegel“ ergebe sich dies aus einem Gesprächsvermerk der deutschen Botschaft in Washington, demzufolge weder Deutschland noch die EU „Schritte gegen Marokko, gegebenenfalls wegen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Verhaftung Zammars“ unternehmen sollten, denn „Marokko habe entschieden auf dringende Bitte der USA gehandelt“.[8] Die Bundesregierung schwieg und wusste weiterhin über Verschleppungen nur aus den Medien.
Um dem Verdacht zu entgehen, an etwaigen Folterungen in syrischer Haft beteiligt zu sein, sollen die USA wie auch deutsche Behörden den Syrern zunächst nur Fragenkataloge übermittelt haben.[9] Mit dem BND wurde vereinbart, dass er „am Ergebnis der syrischen Befragungen partizipieren“ solle.[10] Wohl nicht so recht zufrieden mit der syrisch-deutschen Kooperation, wollten BKA und Geheimdienste im Herbst 2002 Zammar selbst vernehmen. Jedoch erst ein Deal mit der syrischen Regierung ermöglichte den direkten Zugang zu dem Gefangenen. Im Gegenzug schlug der Generalbundesanwalt ein bereits eröffnetes Strafverfahren gegen syrische Agenten nieder.[11]
Vom 20. bis 23. November 2002 reisten je zwei Beamte von BND und BfV und einer des BKA nach Damaskus und befragten Zammar insgesamt über 15 Stunden lang. Gegenüber den deutschen Beamten hat Zammar angegeben, dass er nach seiner Verhaftung in Marokko und in Syrien geschlagen worden sei. Außerdem teilte der Fallführer des syrischen Geheimdienstes den Deutschen mit, dass Zammar „drei Tage lang auf die Befragung im Interesse einer konstruktiven Haltung vorbereitet wurde“.[12] Die Beamten notierten das zwar, fuhren aber mit der Befragung fort. Die Befragung durch das BKA habe nur Informationszwecken gedient, so rechtfertigte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, im Dezember 2005 das Vorgehen des Amtes. Zammar sei schließlich nicht als Beschuldigter verhört worden.[13] Bis dahin war die gesamte deutsch-syrisch-amerikanische Zusammenarbeit geheim gehalten worden, was auch Auswirkungen auf die Hamburger Terrorprozesse gegen Mounir El Motassadeq und Abdelghani Mzoudi hatte. In den Verfahren hatte die Verteidigung die Vernehmung Zammars zur Entlastung der Angeklagten beantragt. Das Oberlandesgericht lehnte dies mit der Begründung ab, man wisse nicht, wo sich Zammar aufhalte. Das Bundeskanzleramt hatte Sperrerklärungen für den Aufenthaltsort Zammars und die Inhalte der bis dahin stattgefundenen Zeugenvernehmungen abgegeben, um die „überragenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ zu schützen, eine Preisgabe gefährde das „vertrauensvolle Verhältnis“ zu anderen Geheimdiensten.[14]
Am 11. Februar 2007 ist Zammar vom Staatssicherheitsgericht in Damaskus wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft (nicht etwa wegen Zugehörigkeit zu Al Qaida oder der Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September) zunächst zum Tode verurteilt worden; das Gericht wandelte die Strafe jedoch in eine 12-jährige Haftstrafe um. Auch das BKA soll für den Prozess belastendes Material geliefert haben.[15]
Khaled el Masri
Khaled el Masri, im Libanon aufgewachsen und seit 1994 deutscher Staatsangehöriger, reiste kurz vor dem Jahreswechsel 2003/2004 nach einem Ehekrach von seiner Heimatstadt Ulm aus alleine nach Mazedonien, um dort ein paar Tage zu verbringen. An der serbisch-mazedonischen Grenze wurde der 40-Jährige festgenommen und zunächst rund drei Wochen von mazedonischen Sicherheitskräften in einem Hotel in Skopje festgehalten und verhört. Diese übergaben ihn am 23. Januar 2004 der CIA, die ihn per Flugzeug über Bagdad nach Kabul verschleppte. Dort wurde er in einem Geheimgefängnis vier Monate ohne Anklage festgehalten, misshandelt, Nahrungs- und Schlafentzug ausgesetzt und immer wieder verhört. Die US-amerikanischen Vernehmer wie zuvor ihre mazedonischen Kollegen in Skopje hielten ihm Namen und Details aus seinem Ulmer Umfeld und der Moschee in Neu-Ulm, in der er verkehrte, vor.[16] Zum Ende der Gefangenschaft wurde el Masri von einem deutsch-sprechenden Mann, der sich als „Sam“ vorstellte, vernommen. Dieser begleitete ihn am 28. Mai 2004 auf dem Rückflug nach Albanien, wo el Masri schließlich an der albanisch-mazedonischen Grenze ausgesetzt wurde. Bislang ist die Identität des „Sam“ ungeklärt; el Masri ist sich jedoch sicher, dass es sich bei „Sam“ um einen deutschen Beamten handelt.
Mitte Dezember 2005 bestätigte die Bundesregierung, was die „Washington Post“ schon am 4. Dezember enthüllt hatte – dass nämlich der damalige US-Botschafter Daniel Coats Bundesinnenminister Otto Schily am 31. Mai 2004 (Pfingstmontag) vertraulich über die Entführung und Freilassung el Masris informiert hatte. Nach offizieller Darstellung habe es sich bei der Verschleppung um eine Verwechslung mit einem namensgleichen Al-Qaida-Mitglied gehandelt.
Im Zuge der Ermittlungen des BND-Untersuchungsausschusses wurde bekannt, dass ein BND-Mitarbeiter bereits im Januar 2004 in einer Behördenkantine in Skopje von der Entführung eines Deutschen namens el Masri erfahren, dies aber angeblich nicht weitergemeldet hatte. Ebenfalls im Januar hatte nach eigenen Angaben ein hochrangiger deutscher Vertreter einer Telefongesellschaft in Skopje von der Festnahme eines Deutschen erfahren und dies der deutschen Botschaft in Skopje gemeldet. Dort habe man ihn jedoch mit der Erklärung abgewimmelt, dass die Festnahme bekannt sei. In der Botschaft will jedoch niemand diesen Anruf entgegengenommen haben.
Inwiefern deutsche Behörden in die Entführung verwickelt waren oder zumindest frühzeitig davon wussten, ist bislang nicht restlos aufgeklärt. Unklar ist neben der Identität des „Sam“ insbesondere, warum el Masri Opfer der Entführung wurde und woher die Vernehmer ihre genauen Kenntnisse über el Masris Umfeld hatten. Hat die CIA selbst in Ulm/Neu-Ulm ermittelt oder wurden ihr möglicherweise von deutschen Behörden, etwa dem bayerischen bzw. baden-württembergischen LKA oder dem Verfassungsschutz, Informationen über el Masri weitergegeben?
(sämtlich: Martina Kant)
Abou Elkassim Britel
Abou Elkassim Britel, ein italienischer Staatsbürger marokkanischer Herkunft, wurde am 10. März 2002 auf dem Flughafen von Lahore verhaftet. Die pakistanische Polizei beschuldigte ihn – zu Unrecht –, im Besitz eines falschen Passes zu sein. Auf dem Flughafen-Polizeirevier begann für ihn eine Geschichte von Folter und Misshandlung, an der diverse Dienste verschiedener Staaten beteiligt waren. Auf dem Revier wurde er zum ersten Mal angekettet und geschlagen. Zehn Tage später überstellte man ihn der Kriminalpolizei, dem Criminal Investigation Department (CID), in Lahore. Fünf Tage dauerte das Verhör – Misshandlungen, Gewalt und Schlafentzug inbegriffen. Der CID reichte Britel schließlich weiter an den pakistanischen Geheimdienst in Islamabad, wo er im Laufe des Monats April zwei weitere Male Folterungen ausgesetzt war. In Islamabad verhörten ihn auch Agenten der CIA, die ihn am 24. Mai 2002 mit Handschellen gefesselt und mit verbundenen Augen nach Rabat transferierten. Er landete in einem Geheimgefängnis in Temara, das der Leitung des marokkanischen Inlandsgeheimdienstes (Direction de la Surveillance du Territoire – DST) untersteht. Auch dort wurde er nach eigenen Angaben gefoltert. Erst im Februar 2003 entließ man ihn schließlich.
Als er sich drei Monate später auf der Rückreise nach Italien befand, wurde er jedoch am spanisch-marokkanischen Grenzposten in Nador/ Melilla erneut verhaftet. Man verurteilte ihn wegen terroristischer Aktivitäten zu einer Haftstrafe, die im Berufungsverfahren von ursprünglich 15 auf neun Jahre herabgesetzt wurde. Grundlage des summarischen Prozesses bildeten Informationen, die durch Folter erzwungen worden waren, sowie Berichte der italienischen Presse über angebliche terroristische Verstrickungen Britels.
Diese Presseberichte bezogen sich auf eine Strafuntersuchung, die nach mehrjährigen Ermittlungen schließlich am 28. Juli 2006 endgültig eingestellt wurde. Die Einstellungsverfügung konstatierte einen „absoluten Mangel an begründeten Beweisen, dass die unter Ermittlung stehenden Personen an einer islamistischen Terrororganisation beteiligt waren.“ In einem Brief an die italienischen Behörden, den Britel aus dem Gefängnis von Casablanca schrieb, erklärte er seine Zwangslage. Er wies darauf hin, dass seine Verurteilung nicht von marokkanischer Seite veranlasst worden sein konnte, weil ihn die marokkanischen Behörden doch bereits im Februar 2003 entlassen hatten, ohne Anklage zu erheben. Britel berichtete wie andere Gefangene von „grausamen“ Folterungen und betonte, dass die italienischen Behörden ständig über seine Lage unterrichtet waren, ihn aber „in vollständiger Gleichgültigkeit aufgegeben“ hätten. Die Dokumente, die Britels Anwalt Allessandro Longhi dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments vorlegte, zeigen, dass das italienische Innenministerium und die Justizbehörden sogar zu einem Zeitpunkt detailliert informiert waren, an dem Britels Frau und Familie verzweifelt nach dem Mann suchten. In seinem Bericht rief der Ausschuss „die italienische Regierung auf, konkrete Schritte zur Erwirkung der sofortigen Freilassung Abou Elkassim Britels einzuleiten.“ Im Dezember 2006 beteuerte Unterstaatssekretär Li Gotti vor dem Parlament, umgehend Maßnahmen mit dem Ziel seiner „sofortigen Entlassung“ zu unternehmen. Bisher blieben das leere Worte.[17]
Nasr Oussama Mustafa Hassan (Abu Omar)
Am 17. Februar 2003 wurde der Ägypter Abu Omar, Imam einer Moschee in Mailand, entführt, als er am hellichten Tag eine Straße entlangging. Man zerrte ihn in einen Transporter und brachte ihn zur US-Airbase Aviano, wo er verhört und misshandelt wurde, bevor man ihn über den in Rheinland-Pfalz gelegenen US-Stützpunkt Ramstein nach Ägypten ausflog. Über ein Jahr lang befand er sich dort in Haft, ohne dass seine Familie über seinen Aufenthaltsort informiert war. Am 20. April 2004 ließen ihn die ägyptischen Behörden frei, nahmen ihn aber bereits am 15. Mai wieder fest. Weil er seine Familie unterrichtete, habe er die Sicherheitsbestimmungen verletzt. Erst am 11. Februar 2007 kam der Mann wieder frei, darf aber nach eigenen Angaben das Land nicht verlassen.
Nach seiner Freilassung betonte er, die Sicherheitsbestimmungen bewusst unterlaufen zu haben, um andere zu warnen. Während der Folter sei er auch vergewaltigt worden. Zudem habe man ihm angeboten, nach Italien zurückkehren zu können und gegen Bezahlung Muslime für die italienischen Geheimdienste auszuspionieren. Zwei Italiener seien es auch gewesen, die ihn in den Van gezerrt hätten.
Die Regierung Berlusconi – im Amt bis 2006 – hatte derartige Vorkommnisse wiederholt bestritten. Im Laufe der von der Mailänder Justiz angestrengten Untersuchung begann sich jedoch schnell abzuzeichnen, dass der militärische Geheimdienst SISMI eine zentrale Rolle bei der Operation gespielt hatte. Das Hauptverfahren, das im Juni 2007 gegen 33 Angeklagte begann, ist gegenwärtig ausgesetzt, bis das Verfassungsgericht über eine Frage entschieden hat, die ihm die Regierung Prodi vorlegte. Die Regierung will wissen, ob die Mailänder Strafverfolger mit der Überwachung von Telefonaten zwischen Geheimdienstmitarbeitern und der Verwendung geheimer Dokumente nicht ihre Kompetenzen überschritten haben.
26 US-Bürger – 25 mutmaßliche CIA-Offiziere und ein Sicherheitsbeamter des Stützpunktes in Aviano – haben das Land verlassen und sind in Abwesenheit angeklagt. Eine Reihe von hohen SISMI-Offizieren muss damit rechnen, wegen Beteiligung an der Planung oder Ausführung der Entführung verurteilt zu werden. SISMI-Direktor Nicolò Pollari wird beschuldigt, der Aufforderung des Chefs der CIA-Residentur in Rom, Jeff Castellis, gefolgt zu sein, sich an der Operation zu beteiligen. Er habe zudem die Verantwortung für die Rolle, die seine Untergebenen bei der Entführung gespielt haben. Sein Stellvertreter Marco Mancini, verantwortlich für die SISMI-Zentren in Norditalien, muss sich dem Vorwurf stellen, in Vorbereitung der Entführung die Kooperation von anderen SISMI-Beamten und Verbindungsleuten des Geheimdienstes sichergestellt zu haben. Beschuldigt sind ferner der SISMI-Direktor von Triest Lorenzo Pillinini, sein Kollege aus Padua Maurizio Regondi, der als der eigentliche Chef des Mailänder SISMI-Zentrums gilt, Giuseppe Ciorra und Luciano Di Gregori – zwei weitere Beamte aus Mailand – und Raffaele Di Troia aus Turin. Zusammen sollen sie Abu Omars Gewohnheiten studiert und die praktische Ausführung der Entführung geplant haben. Zwei Angeklagte haben sich auf einen Deal mit dem Gericht eingelassen: Der Carabiniere Luciano Pironi, der Abu Omar zu Beginn der Operation anhielt und nach seinem Ausweis fragte, und der Journalist Renato Farina, der auf der Gehaltsliste des SISMI stand und in dessen Auftrag den Informationsstand der Untersuchungsrichter auskundschaften sollte. Beide erhielten eine sechsmonatige Haftstrafe, die nach Zahlung eines Bußgelds auf 21 Monate zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Zum Zeitpunkt seiner Entführung lief gegen Abu Omar und andere ein Ermittlungsverfahren, in dem ihnen vorgeworfen wurde, Attentäter für den Irak angeworben zu haben. Bei der Eröffnung des Prozesses gegen seine Entführer erklärten seine Anwälte, ihr Mandant werde in Ägypten weiterhin bedroht. Die dortigen Behörden würden ihm verbieten, sich öffentlich zu dem Fall zu äußern und wollten auch sein Auftreten vor Gericht verhindern. „Abu Omar ist bereit, vor dem Gericht in Mailand als Zeuge auszusagen, obwohl ihm in Italien die Festnahme droht.“[18]
(beide: Yasha Maccanico)
Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery
Am 18. Dezember 2001 verhaftete die schwedische Polizei die beiden ägyptischen Asylsuchenden Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery in ihren Stockholmer Wohnungen. Sie wurden mit Ketten an Händen und Füßen gefesselt, ihnen wurden die Augen verbunden. Man brachte sie zum Flughafen Bromma, wo bereits ein Flugzeug wartete, das sie nach Ägypten verfrachten sollte – eine Gulfstream 5 mit der Registrierungsnummer N379P. Sie gehörte einer Tarnfirma der CIA und wurde in diesen Jahren immer wieder für „extraordinary renditions“ eingesetzt. Acht maskierte US-Agenten nahmen die Gefesselten in Empfang. Man schnitt ihnen die Kleider auf, führte ihnen gewaltsam ein Abführmittel in den Darm ein und band ihnen Windeln um. Sie bekam eine Dreieickshaube über den Kopf und wurden für die Dauer des Fluges in Ledergurte eingespannt. In Ägypten angekommen, übergab man sie den dortigen Behörden.
Erst zweieinhalb Jahre später, am 17. Mai 2004, enthüllte „Kalla Fakta“, ein schwedisches Fernsehprogramm, den Fall und seine Hintergründe.[19] Als Drahtzieher der Entführung, die rechtlich als Ausweisung im Eilverfahren verpackt wurde, wirkte die schwedische Geheimpolizei (SÄPO). Sie blockierte nicht nur die zu erwartende positive Entscheidung der schwedischen Asylbehörden, sondern sorgte auch dafür, dass die Ausweisung wegen angeblichen Terrorverdachts vom Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Göran Persson bestätigt wurde und die Anwälte der Betroffenen keine Chance hatten, zu intervenieren und die Vorwürfe zu entkräften. Der Verdacht stützte sich auf Angaben des ägyptischen Geheimdienstes, zu dem die SÄPO, wie einer ihrer Repräsentanten in der „Kalla Fakta“-Sendung angab, „vertrauensvolle Beziehungen“ unterhält. Danach sollte der 1999 aus seinem Heimatland geflohene Agiza unter dem Verdacht stehen, an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat beteiligt gewesen und deswegen 1999 in Abwesenheit verurteilt worden zu sein. Behauptet wurde weiter, Agiza habe Beziehungen zu Osama Bin Ladens Stellvertreter Ayman al Zawahiri. Den hatte er Anfang der 90er Jahre in ägyptischen Oppositionskreisen kennen gelernt, ihn aber seither nicht mehr getroffen und sich außerdem deutlich von ihm distanziert. Verurteilt worden war er tatsächlich – in einem Schnellverfahren zusammen mit 106 anderen Personen wegen Mitgliedschaft in der verbotenen Organisation Talal al Fatah. Was die angeblich führende Rolle des im Jahre 2000 geflohenen al-Zery in derselben Organisation anbetrifft, haben – so Kalla Fakta – weder die SÄPO noch die ägyptische Staatssicherheit Beweise.
Einen Auslieferungsantrag stellte Ägypten außerdem erst, nachdem Schweden im Jahre 2001 Informationen über die beiden Asylsuchenden eingeholt hatte. Die Klippen der UN-Anti-Folter-Konvention, die eine Ausweisung oder Auslieferung in ein Land, in dem den Betroffenen Folter droht, verbietet, glaubten die schwedischen Behörden dadurch umschiffen zu können, dass sie sich von Ägypten diplomatische Zusicherungen geben ließen. Der Folterstaat sagte demnach zu, sich in diesem Falle an die internationalen Konventionen – insbesondere an die Anti-Folter-Konvention und an die Europäische Menschenrechtskonvention – halten zu wollen. Es war absehbar, dass diese Garantien nichts wert waren. al-Zery und Agiza wurden in den Monaten, die ihrem Transfer nach Ägypten folgten, regelmäßig gefoltert. Schwedische Diplomaten, die sie in der Haft besuchten, bestätigten in mittlerweile veröffentlichten Protokollen die Misshandlungen. Dennoch teilte die schwedische Regierung noch 2002 und 2003 dem UN-Antifolterkomitee (CAT) und dem Parlament mit, es gäbe keine Hinweise auf Folter.
2003 wurde al-Zery ohne eine weitere Gerichtsverhandlung entlassen. Er darf sein Dorf nicht verlassen und steht unter ständiger Beobachtung. Agiza hingegen wurde im April 2004 durch einen Militärgerichtshof wegen Al-Qaida-Mitgliedschaft zu 25 Jahren Haft verurteilt, die nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens auf 15 Jahre reduziert wurden. 2005, nachdem die Medien sich mit dem Fall beschäftigt hatten, kritisierte ein Untersuchungsbericht des schwedischen Parlaments die Entscheidung der Regierung. Im Mai desselben Jahres rügte das CAT das Vorgehen der schwedischen Behörden. Die Ausweisungen wurden rückgängig gemacht. Personelle und politische Folgen gibt es trotz des klaren Bruches schwedischer Gesetze und internationaler Verträge nicht.
Bisher al-Rawi und Jamil al-Banna
Der irakische Staatsbürger Bisher al-Rawi und sein Geschäftspartner, der jordanische Flüchtling Jamil al-Banna, beide wohnhaft in London, wurden am 8. November 2002 auf dem Flughafen von Banjul, der Hauptstadt von Gambia, durch die Geheimpolizei des Landes verhaftet. Schon am Londoner Flughafen Gatwick waren die beiden durch die britische Polizei fünf Tage festgehalten worden. Als Grund teilte man ihnen mit, in ihrem Gepäck befände sich ein verdächtiges Gerät, das sich bei einer näheren Untersuchung jedoch als harmloses Batterieladegerät entpuppte, so dass man ihnen schließlich gestattete, einen neugebuchten Flug anzutreten.
Die folgenden zwei Monate hielten gambische Polizisten sie in einem Haus in Banjul fest, wo sie von CIA-Agenten befragt wurden. US-amerikanische Agenten verfrachteten sie im Dezember 2002 nach Afghanistan und inhaftierten sie für einige Wochen in der Bagram Airbase bei völliger Dunkelheit und Frosttemperaturen in einer ungeheizten Zelle. Im März 2003 verlegte man sie nach Guantánamo. Die britische Regierung, namentlich der damalige Außenminister Jack Straw, weigerte sich zugunsten der Entführten einzugreifen mit der Begründung, es handle sich nicht um britische Staatsbürger. Es läge im Verantwortungsbereich ihrer Heimatländer zu intervenieren. Vier Monate vor Straws Erklärung hatte die Koalition der Willigen den Irak besetzt. Im Falle al-Rawis gab es keine Regierung, die hätte intervenieren können. Al-Banna war bewusst vor den Interventionen seiner Regierung geflohen.
Am 25. September 2004 lud man al-Banna in Guantánamo vor ein Militär-Tribunal. Dort hieß es, ein spanischer Staatsanwalt beschuldige ihn, Mitglied von Al-Qaida zu sein. Außerdem habe er in Gambia versucht, einen selbstgebauten Apparat ins Flugzeug zu schmuggeln. Vor allem aber pflege er die Bekanntschaft mit dem Londoner Imam Abu Qatada,[20] dem die britischen Behörden Beziehungen zu Al-Qaida vorwerfen. Die Anklage war offensichtlich konfus: So waren die Geschäftsreisenden in London wegen des mitgeführten Gerätes festgenommen worden, nicht in Gambia. Zwar hatte al-Banna Kontakt zu Abu Qatada – er war Prediger seiner Gemeinde – doch waren sie nicht eng befreundet.
Auch Bisher al-Rawi wurde wegen seiner Kontakte zu Abu Qatada vor einem Militär-Tribunal belangt. Al-Rawi hatte tatsächlich näheren Kontakt zu dem Imam. So überwies er die Spenden seiner Heimatgemeinde in London regelmäßig an den Vater Abu Quatadas, der sie in Jordanien an Bedürftige verteilte. Als der Imam im Dezember 2001 untertauchen musste, war es al-Rawi, der ihm eine Wohnung im Süden Londons verschaffte. Er war es allerdings auch, der den MI5, für den er zuvor schon als Übersetzer gearbeitet hatte, über den Aufenthaltsort Abu Qatadas informierte. „Ich habe tatsächlich gedacht, ich könnte zwischen beiden Seiten vermitteln“, sagte al-Rawi im Juli 2007 gegenüber dem „Observer“.[21] Im Frühsommer 2002 weigerte sich Abu Qatada, mit dem MI5 weiter zusammenzuarbeiten und tauchte endgültig unter. Al-Rawi konnte keine Informationen mehr liefern und der Geheimdienst brach den Kontakt ab. Wenige Tage vor dem Abflug nach Gambia war auch al-Banna telefonisch vom MI5 kontaktiert worden. Man bot ihm Geld für eine Zusammenarbeit. Er weigerte sich jedoch.
Beiden war während ihrer Haft mitgeteilt worden, der MI5 habe ihre Entführung veranlasst. Da der britische Geheimdienst sich weigerte, seine Kontaktmänner zu al-Rawi zu identifizieren, konnten diese auch nicht als Zeugen vor das Militär-Tribunal geladen werden. Fast alle „Beweise“ der Anklage wurden als geheim eingestuft und weder dem Verteidiger noch den Beschuldigten vorgelegt. Das Tribunal entschied schließlich, beide Angeklagte als „feindliche Kombattanten“ einzustufen und legitimierte so ihre weitere Inhaftierung auf Guantánamo.
Am 20. April 2006 begann die britische Regierung, mit den USA über die Freilassung al-Rawis zu verhandeln. Diese erfolgte schließlich am 3. April 2007. Al-Banna wird noch immer festgehalten. Die britische Regierung gab am 7. August 2007 bekannt, auch in seinem Fall intervenieren zu wollen. Die Verhandlung könne jedoch Monate dauern.
Byniam Mohammed al-Habashi
Der in Großbritannien lebende äthiopische Asylsuchende Byniam al-Habashi wurde am 20. April 2002 durch pakistanische Sicherheitskräfte in Karatchi verhaftet. Während seiner Inhaftierung in Karatchi befragten ihn sowohl Agenten der CIA als auch des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Nach eigenen Angaben war der 22-Jährige nach Afghanistan und Pakistan gereist, um die muslimischen Länder „mit eigenen Augen“ zu sehen und sein Drogenproblem zu bekämpfen. Konfrontiert mit der Anschuldigung, in Afghanistan ein Al-Qaida-Ausbildungscamp besucht zu haben, lachte er zunächst, denn der in London Aufgewachsene spricht kein Arabisch. Die pakistanischen Polizisten verprügelten ihn daraufhin und drohten ihn zu foltern.
Am 20. Juli 2002 vollzogen maskierte US-Soldaten an ihm das übliche Verfahren der „extraordinary rendition“: Er wurde ausgezogen, seine Körperöffnungen wurden untersucht, man fotografierte ihn, steckte ihn in einen Trainingsanzug, fesselte ihn, verband ihm die Augen und setzte ihm Kopfhörer auf. Ziel des Transfers war Marokko. Dort teilte man ihm mit, man erwarte von ihm Aussagen gegen den in Guantánamo inhaftierten José Padilla und weitere Al-Qaida-Spitzen. Ihn selbst halte man für den Vordenker der Terrorgruppe. 18 Monate lang wurde er in Marokko festgehalten und durch eine maskierte Gruppe von Männern auf unterschiedliche Weise gefoltert. Dazu gehörten Schlafentzug, Dauerbeschallung, Verabreichung von Drogen und tägliches Prügeln. Einmal im Monat wurde er an Fleischerhaken aufgehangen und mit einem Skalpell in die Brust und den Intimbereich geschnitten. Während der Verhöre zeigte man ihm Bilder von Personen aus einer West-Londoner Moschee, die man vom britischen Geheimdienst MI5 erhalten habe.
Am 22. Januar 2004 flog ihn die CIA nach Kabul aus, wo er wiederum gefoltert und verhört wurde. Man hing ihn an einer Stange auf, beschallte ihn mit lauter Musik und erlaubte ihm nur jeden zweiten Tag zu schlafen. Im Mai 2004 wurde dem Internationalen Roten Kreuz zum ersten Mal ein Besuch gestattet.
Vier Monate später wurde er nach Guantánamo transferiert. Am 10. November 2004 wurde er mit 169 anderen Inhaftierten vor ein Militär-Tribunal geladen, das seinen Kombattantenstatus feststellen sollte.[22] Ein Jahr später erweiterte man die Beschuldigung um den Vorwurf der Verschwörung: Er habe mit José Padilla und anderen eine „schmutzige Bombe“ in den USA konstruieren wollen.
In einer Pressemitteilung vom 13. Dezember 2005 gestand der ehemalige britische Außenminister ein, dass es tatsächlich der MI6 gewesen war, der Mohammed in Pakistan an die CIA übergab. Erst zwei Jahre später am 7. August 2007 teilt die britische Regierung mit, dass sie sich um die Freilassung von Byniam Mohammed bemühen wird, warnte aber gleichzeitig, dass solch eine Verhandlung Monate dauern kann.
Maher Arar
Maher Arar, ein kanadischer Staatsbürger syrischer Herkunft, war am 26. September 2002 auf der Rückreise von einem Familienurlaub in Tunesien auf dem Flughafen New York zwischengelandet, als Beamte der Einwanderungskontrolle ihn beiseite nahmen. Seine Fingerabdrücke wurden genommen, Fotos wurden gemacht und eine mehrstündige Befragung durch das FBI und die New Yorker Polizei begann. Ein Telefonat mit Angehörigen wurde ihm verweigert, und auf die Frage, ob er einen Anwalt kontaktieren könne, teilte man ihm mit, dieses Recht stünde nur US-Bürgern zu. An Händen und Füßen gefesselt brachte man ihn am nächsten Tag ins Metropolitan Detention Center, ein Hochsicherheitsgefängnis, wo er fünf weitere Tage befragt wurde, bevor man ihm gestattete, seine Schwiegermutter zu benachrichtigen. Arars Forderung, ihn nach Kanada abzuschieben, wurde abgelehnt. Stattdessen wurde er nach zwölf Tagen über Rom nach Jordanien ausgeflogen, in einem Transporter über die Grenze nach Syrien gebracht und schließlich dem syrischen Militärgeheimdienst übergeben.
Arar war 1988 im Alter von 17 Jahren mit seinen Eltern aus Syrien nach Kanada übersiedelt, um dem Militärdienst zu entgehen. Drei Jahre später erhielt er die kanadische Staatsbürgerschaft. Er studierte Ingenieurswissenschaften und Informatik. Die Konstruktion eines Terrorverdachts gegen den bis dahin unbescholtenen Mann resultierte aus einer Serie von Zufällen, die allerdings typisch für die Arbeit von Staatsschutz- und Geheimdiensten ist: Die Zufälligkeiten begannen, als Arar den Bruder eines Arbeitskollegen kennen lernte: Abdullah Almalki, ebenfalls ein Ingenieur, hatte in den neunziger Jahren für ein Projekt der Vereinten Nationen in Afghanistan gearbeitet. Dessen Leiter, Ahmed Said Khadr, stand im Verdacht, Projektgelder für Al-Qaida abgezweigt zu haben. Während der kanadische Geheimdienst (Canadian Security Intelligence Service – CSIS) und eine Sondereinheit der Gendarmerie (RCMP) Almalki wegen seiner Kontakte zu Khadr observierten, geriet Arar ins Visier der Überwacher, weil er ein – wenn auch nur flüchtiger – Bekannter von Almalki war.
Der Verdacht war zwar konstruiert, erwies sich aber über die kanadischen Grenzen hinaus als folgenreich. Während der Verhöre in New York wurde ihm die Verbindung zu Almalki und damit zu Khadr und letztlich zu Al-Qaida vorgehalten. Als „Beweis“ wurden ihm Dokumente der kanadischen Behörden präsentiert. In den zwölf Monaten seiner Inhaftierung in Syrien wurde Arar kontinuierlich mit unterschiedlichen Methoden gefoltert und mißhandelt, bis er am 5. Oktober 2003 ohne Anklage entlassen wurde.
Im Januar 2004 reichte er vor einem New Yorker Gericht Klage gegen die Spitzen der US-amerikanischen Repressionsbürokratie ein: gegen die mittlerweile abgetretenen Minister John Ashcroft (Justiz) und Tom Ridge (Heimatschutz) sowie den noch immer amtierenden FBI-Direktor Robert Mueller. Ein Jahr später blockierte die US-Regierung das Verfahren mithilfe des „State Secrets Privilege“:[23] Sie weigerte sich, Informationen über den Fall Arar vor Gericht offenzulegen, weil dies angeblich die Nationale Sicherheit und die Interessen der US-Außenpolitik gefährdet hätte. Am 16. Februar 2006 wies das Gericht die Klage Arars ab.
Erfolgreicher war Arar jedoch in Kanada: Ein interner RCMP-Report bestätigte im Februar 2004 die unrechtmäßige Weitergabe von Dokumenten an die US-Behörden. Die daraufhin eingesetzte Untersuchungskommission der kanadischen Regierung veröffentlichte am 18. September 2006 ihren Abschlussbericht, indem sie weitreichende Fehler der kanadischen Behörden eingestand.[24] In der Folge entschuldigten sich sowohl der kanadische Premierminister Stephen Harper als auch RCMP-Präsident Giuliano Zaccardelli. Letzterer trat von seinem Posten zurück. Des Weiteren hat die kanadische Regierung Arar 11,5 Millionen Kanadische Dollar an Entschädigung zugesprochen und eine Protestnote an die US-Regierung gesandt. Unklar bleibt, ob die Entscheidung, Arar nach Syrien zu überstellen, allein von US-amerikanischen Stellen getroffen worden war. Die US-Regierung verweigert bis jetzt jegliche Zusammenarbeit, bezeichnet Arar weiterhin als Terroristen und hat eine Einreisesperre gegen ihn verhängt.
Die „Algerischen Sechs“
Bensayah Belkacem, Boudella el Hajj, Lakmar Boumediene, Sabir Mahfouz Lahmar, Mustafa Ait Idr und Mohammad Nechle – sechs Bosnier algerischer Herkunft – wurden am 17. Januar 2002 auf den Stufen des Zentralgefängnisses von Sarajevo verhaftet, aus dem sie der Oberste Gerichtshof des Landes gerade entlassen hatte. Schon ihre erste Verhaftung am 8. Oktober 2001 und die Strafuntersuchung wegen angeblicher Planungen für ein Attentat auf die US-Botschaft waren dem Druck der USA geschuldet, deren Geschäftsträger in Bosnien seinerzeit mit der kompletten Einstellung des amerikanischen Engagement in Bosnien gedroht hatte. Auch nach 100 Tagen Untersuchungshaft hatten weder die USA Beweise gegen die Sechs vorgelegt noch hatten sich irgendwelche Indizien finden lassen, so dass sich die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens gezwungen sah.
Die zweite Verhaftung stand klar im Gegensatz zu einer einstweiligen Verfügung der bosnischen Menschenrechtskammer und diente auch nicht einem Strafverfahren. Die Polizeibeamten übergaben die sechs Männer an die im Camp Butmir als Teil der internationalen Friedensgruppe (SFOR) stationierten US-Streitkräfte. Von dort wurden sie nach Tuzla gebracht und schließlich über Zwischenstopps in Ramstein und in der Türkei nach Guantánamo verfrachtet. Die Entführung fand mit vollem Wissen und mit Duldung der „internationalen Gemeinschaft“ statt. Wolfgang Petritsch, damals Hoher Repräsentant der UN in Bosnien-Herzegowina, erklärte am 20. November 2006 vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments seine passive Haltung damit, dass er zwischen „dem kleineren Übel – dem Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit – und dem größeren Übel – dem Rückzug der USA von den Friedenssicherungsbemühungen“ habe wählen müssen.[25] Wozu und in wessen Auftrag sich SFOR-Soldaten der Bundeswehr im Sommer 2003 als Journalisten ausgaben und die verzweifelte Ehefrau von Belkacem „interviewten“, ist bis heute unklar.[26]
Im Oktober 2004 wurden die sechs Gefangenen erstmals vor ein Militär-Tribunal gestellt, das sie erwartungsgemäß zu feindlichen Kombattanten erklärte und dieses Urteil auch seither bei allen halbjährlichen Überprüfungen wiederholte.[27] Die Beschuldigungen zeigen die Ausweglosigkeit dieser Verfahren. Boumediene etwa soll Mitglied des „Groupement Islamique Armée“ (GIA) sein. Im Oktober 2004 fragte ihn einer der „Richter“: „Wir wissen nicht, warum sie angeklagt sind, Mitglied der GIA zu sein. Haben sie eine Idee, warum sie mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht werden?“ Boudella soll mit Osama Bin Laden im Dezember 2001 in den Bergen von Tora Bora gekämpft haben, zu einem Zeitpunkt, da er auf Initiative der USA in Sarajevo inhaftiert war. Der ursprüngliche Hauptvorwurf, die unbewiesenen Attentatspläne auf die US-Botschaft in Sarajevo, scheinen seit Herbst 2005 vom Tisch zu sein, an der Lage der Gefangenen hat sich jedoch nichts geändert.
Bereits am 2. Februar 2005 hatte die bosnische Regierung vergebens um die Freilassung und Rückkehr ihrer Staatsangehörigen ersucht. Die von den USA geforderte Überwachung der strafrechtlich entlasteten Männer lehnt sie ab.[28] Auch sämtliche juristischen Anstrengungen in den USA sind bisher gescheitert.[29] In einem neuerlichen Brief an das US-Außenministerium bat die bosnische Regierung am 23. August 2007 schließlich, die Gefangenen nicht zu foltern und nicht zum Tode zu verurteilen.
(sämtlich: Jan Wörlein)