Schlagwort-Archive: Rechtssprechung

Getroffene Hunde bellen – Die alltägliche Repression gegen Fußballfans

von Angela Furmaniak

Im Februar 2010 sollte in den Räumen des Karlsruher Fanprojekts eine Veranstaltung zu „Polizeigewalt im Fußball – Strategien, Initiativen, Missverständnisse“ mit einer Referentin des Fanprojekts Offenbach stattfinden. Nachdem die Polizei jedoch Druck auf das Projekt und dessen Träger, den Stadtjugendring, ausgeübt hatte, sagte die Stadt die Veranstaltung ab.[1]

Um verstehen zu können, weshalb eine Informations- und Diskussionsveranstaltung für Fußballfans in den Augen der Polizei ein solches Gefährdungspotential in sich birgt, dass diese faktisch verboten wird, ist es notwendig, zunächst die in und um die deutschen Stadien allgegenwärtige Repression gegen Fußballfans sowie deren Rechtfertigung durch die Sicherheitsbehörden, Gerichte und Medien näher zu beleuchten.

Die Entwicklung der Polizeigewalt gegen Fußballfans steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Fankultur. War während der 70er und 80er Jahre die Fanlandschaft überwiegend durch „kuttendominierte“ Fanclubs geprägt, so traten in den 80er Jahren in den Stadien zunehmend so genannte Hooligans auf. Nachdem auch dieses Phänomen heute weitgehend aus den Stadien verschwunden ist, sind aktuell die „Ultras“ zur Hauptzielscheibe polizeilicher Maßnahmen geworden.[2] Getroffene Hunde bellen – Die alltägliche Repression gegen Fußballfans weiterlesen

Terrorlisten vor den EU-Gerichten – Zum Stand der europäischen Rechtsprechung

von Heiner Busch und Jan Wörlein

Seit Ende 2001 haben sich die Gerichte der EU mit einer Reihe von Klagen gegen das Regime der Terror-Listen auseinandersetzen müssen.

Die Entscheidungen des Europäischen Gerichts erster Instanz (EuGI) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als Rekursinstanz lassen sich in zwei Fallgruppen unterscheiden. Terrorlisten vor den EU-Gerichten – Zum Stand der europäischen Rechtsprechung weiterlesen

Zweifelhafte türkische Garantien

Am 23. Januar 2007 bewilligte das schweizerische Bundesgericht die Auslieferung von Mehmet Esiyok in die Türkei – vorbehaltlich der ausstehenden Entscheidung über Esiyoks Asylantrag und vorbehaltlich förmlicher „Menschenrechtsgarantien“ der Türkei.

Das Bundesgericht ließ die Auslieferung nur für einen der rund dreißig im türkischen Auslieferungsersuchen enthaltenen Anklagepunkte zu: Danach soll Esiyok 1995 zusammen mit anderen Mitgliedern der PKK die Ermordung eines Dorfwächters angeordnet haben. Alle anderen Tatvorwürfe seien entweder verjährt oder „zu wenig konkretisiert“. Obwohl sie in einem Strafverfahren in der Türkei also nicht berücksichtigt werden dürften, dienen sie dem Bundesgericht als Beleg dafür, dass Esiyok nicht als „legitimer Widerstandskämpfer“ anzusehen sei. Zudem habe der schweizerische Inlandsgeheimdienst, der Dienst für Analyse und Prävention, im einem Gutachten vom März 2006 dargelegt, dass die PKK, deren ZK Esiyok seit 1995 angehörte, seit 1993 in der BRD und später in der EU insgesamt als „terroristische Vereinigung“ verboten gewesen sei. Dass die Schweiz diese Kriminalisierung bewusst nicht nachvollzogen hat, nimmt das Gericht nicht zur Kenntnis. Zweifelhafte türkische Garantien weiterlesen

200 Dollar und ein paar SMS – Ein schweizerischer „Terror-Prozess“

von Heiner Busch

Das erste und bisher einzige „Terrorismusverfahren“, das die schweizerische Bundesanwaltschaft bisher zur Anklage gebracht hat, endete am 28. Februar 2007 mit weitgehenden Freisprüchen. Von den Vorwürfen der Unterstützung für Al Qaida und der Bildung einer kriminellen Organisation blieb nichts übrig.

Die Akten des Verfahrens „Saud“ füllen 290 Ordner. 938.000 Franken (gut 610.000 Euro) Untersuchungskosten, davon 210.000 für Telefonüberwachungen, hatte es bereits verschlungen, als die Bundesanwaltschaft (BA) im September 2006 ihre Anklageschrift beim Bundesstrafgericht in Bellinzona einreichte. Jetzt muss die Bundeskasse zusätzlich für 368.000 Franken Anwaltshonorare und für Haftentschädigungen von zwischen 9.000 und 93.000 Franken für die sieben Angeklagten aufkommen, die bis zu fünfzehn Monate in Untersuchungshaft saßen.[1] Sechs von ihnen verurteilte das Gericht wegen Schlepperei und der damit zusammenhängenden Urkundenfälschung: Sie hatten Personen vorwiegend aus dem Jemen in die Schweiz gebracht und sie mit gefälschten somalischen Papieren ausgestattet. Die meisten Eingeschleusten hatten dann einen Asylantrag gestellt. Eine kriminelle Organisation im Sinne des Art. 260ter Strafgesetzbuch wollte das Gericht nicht erkennen, und es sah auch nicht die von der BA beschworene Verbindung zur Al Qaida. Der angebliche ideologische Kopf der Gruppe, ein ehemaliger Imam aus dem Jemen, erreichte einen kompletten Freispruch. 200 Dollar und ein paar SMS – Ein schweizerischer „Terror-Prozess“ weiterlesen

Auslieferung contra Asyl – Die nie endende Furcht vor Verfolgung

von Jutta Hermanns

Der türkische Staat verfolgt vermeintliche und wirkliche GegnerInnen auch Jahre nach ihrer Flucht. Die Anerkennung als Asylberechtigte schützt die Betroffenen nicht davor, aufgrund eines türkischen Auslieferungsersuchens festgenommen zu werden.

Aus Furcht vor der ihm drohenden Auslieferung an die türkische Militärdiktatur stürzte sich Cemal Kemal Altun am 30. August 1983 aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts. Die Selbsttötung des 23-jährigen türkischen Asylbewerbers erregte damals bundesweites Aufsehen. Altun gilt als Erster in einer Reihe politischer Flüchtlinge, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aus Angst vor der Übergabe an ein Unrechtsregime das Leben nahmen. Sechs Monate nach seiner Selbsttötung erkannte ihn das Verwaltungsgericht als asylberechtigt an – ein verzweifelter, aber nutzloser Versuch einer Wiedergutmachung.[1] Auslieferung contra Asyl – Die nie endende Furcht vor Verfolgung weiterlesen

Hilfloser Datenschutz – Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung

von Heiner Busch

Die Verrechtlichungsspirale dreht sich unaufhörlich und füllt Polizei- und Geheimdienstgesetze mit datenschutzrechtlicher Poesie. Entpolitisiert droht der Datenschutz zum legitimatorischen Beiwerk zu verkommen.

Privacy International (PI) ist eine in London ansässige internationale Datenschutzorganisation. Sie hat die „Big Brother Awards“, jene Negativpreise für die besten Schnüffler, erfunden, die Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen mittlerweile in vielen europäischen Ländern jährlich vergeben. Anfang Oktober 2006 veröffentlichte PI ihren diesjährigen „International Privacy Survey“, der im Unterschied zu den Big Brother Awards durchaus nicht ironisch gemeint ist.[1] Die Bundesrepublik Deutschland hat dabei nicht nur im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten, sondern weltweit die besten Noten für ihren Datenschutz erhalten. Selbst im Bereich „Law enforcement“ erzielte sie einen Spitzenplatz. Wir gratulieren. Hilfloser Datenschutz – Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung weiterlesen

Falsche Rechtsgrundlage – Rechtswidriger Austausch von Fluggastdaten mit den USA

von Mark Holzberger

Vor drei Jahren hatten die EU und die USA im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ein Abkommen über die Weitergabe von Fluggastdaten geschlossen. Dieses ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) rechtswidrig.[1]

Nach dem 11. September 2001 hatten die US-Behörden von Fluggesellschaften, die in die USA oder über deren Territorium fliegen, unter Androhung von Sanktionen Zugang zu deren „Passenger Name Records“ (PNR) verlangt. Nach langen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf 34 zu übermittelnde personenbezogene Daten. Diese sollten die US-Behörden in der Regel dreieinhalb Jahre speichern. Falsche Rechtsgrundlage – Rechtswidriger Austausch von Fluggastdaten mit den USA weiterlesen

Neue Technik, altes Recht – Zum Doppelpassspiel von Exekutive und Gesetzgeber

von Alfred Becker

Die technische Entwicklung macht neue Formen der Überwachung und der heimlichen Datenbeschaffung möglich. Deren Einsatz richtet sich weniger nach den Vorstellungen eines aktiv gewordenen Gesetzgebers als vielmehr nach den „Wünschen der Praxis“. Die dadurch geschaffenen Fakten legalisiert der Gesetzgeber regelmäßig dadurch, dass er nachträglich Eingriffsbefugnisse schafft.

Der so genannte IMSI-Catcher erlaubt es, die Kenn-, Anschluss- und SIM-Kartennummern aller Mobiltelefone in seiner Umgebung festzustellen. Das Gerät simuliert eine Funkzelle, so dass alle im Umkreis befindlichen Handys sich bei dieser einbuchen. Der Einsatz dieses Apparates betrifft infolgedessen nicht nur eine oder mehrere Zielpersonen, sondern regelmäßig zahlreiche Dritte. Nach der Herstellung bzw. Markteinführung der Geräte ist nur wenig Zeit vergangen, bis die Polizei spätestens seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Technik im Rahmen der Strafverfolgung zu nutzen begann. Eine gesetzliche Grundlage dafür gab es zunächst nicht. Zwar gingen Teile der Exekutive davon aus, dass der Einsatz bereits durch die (damals bestehenden) Normen zur Telekommunikationsüberwachung – die Paragraphen 100a und folgende der Strafprozessordnung (StPO) – gedeckt waren. Dies wurde jedoch von vielen Seiten bestritten, und selbst die Bundesregierung hielt es im September 2001 in ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP für notwendig, die Sache zu klären und eine eigenständige Rechtsgrundlage zu schaffen.[1] Angesichts des wachsenden Drucks und da die Polizei auf ihre neue Ermittlungsmöglichkeit nicht mehr verzichten wollte, nahm der Bundestag ein Jahr später mit dem § 100i eine eigene Rechtsgrundlage für den IMSI-Catcher in die Strafprozessordnung auf.[2] Neue Technik, altes Recht – Zum Doppelpassspiel von Exekutive und Gesetzgeber weiterlesen