Das Katastrophenschutz-Ergänzungsgesetz: Die Vervollkommnung der Notstandsgesetze

von Christian Busold*

Am 15.11.1989 hat der Bundestag den Regierungsentwurf eines „Katastrophenschutzergänzungsgesetzes“ (BT-Drs. 11/4728) in 2. und 3. Lesung verabschiedet. Sofern der Bundesrat zustimmt bzw. von seinem Einspruchsrecht keinen Gebrauch macht, kann das Gesetz bereits Anfang 1990 in Kraft treten. Dieses „Notstandsrecht“ beinhaltet gravierende neue Befugnisse zu Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Gesamtverteidigung.

1. Das System der Gesamtverteidigung und des Notstandsrechts

Gesamtverteidigung, früher auch als totaler Krieg bezeichnet, meint die Mobilisierung aller staatlichen und gesellschaftlichen Ressourcen zur Kriegsführung bzw. Abschreckung und beinhaltet neben der militärischen auch die zivile Verteidigung. Deren Bedeutung wird von den Verteidigungsplanern zunehmend betont.

Die Aufgaben der zivilen Verteidigung werden üblicherweise in vier Bereiche unterteilt:

* Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen (Gesetzgebung, Rechtspflege, Regierung/ Verwaltung, öffentliche Sicherheit und Ordnung, Informationswesen);
* Zivilschutz (Warndienst, Bunkerbau, Katastrophenschutz, Selbstschutz, Gesundheitswesen, Aufent-haltsregelung, Kulturgüterschutz);
* Versorgung der Zivilbevölkerung (Ernährung, Wasser, Energie, Verkehr, Geld, Fernmeldewesen/ Post, Arbeitskräfte, Instandsetzung);
* Unterstützung der Streitkräfte (Nutzung materieller und personeller ziviler Leistungen, operative Unterstützung).

Die Vorbereitung bzw. Umsetzung all dieser Aufgabenbereiche durch die Zivilbehörden wird einerseits durch entsprechende NATO-Gremien koordiniert und vollzieht sich andererseits auf allen Verwaltungsebenen in enger Abstimmung mit bestimmten militärischen Kommandoebenen von Bundeswehr und NATO („Zivil-Militärische-Zusammenarbeit“ – ZMZ).

Die Planung und Realisierung dieser Kriegsfunktionen erfolgt überwiegend auf Grundlage des Notstandsrechts. Ursprünglich enthielt das Grundgesetz keine be-sonderen Regelungen für Kriegszeiten. Gegen diesen „Notstand“ wurde schon in den 50er Jahren vermehrt eingewendet, in solchen „Stunden der Exekutive“ könne diese nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ verfahren. Im Zuge der Re-militarisierung der BRD (mit NATO-Beitritt, Einführung von Bundeswehr und Wehrpflicht) sowie unter dem Eindruck von Korea-Krieg, Suez- und Kuba-Krise, in deren Verlauf auch hierzulande Weltkriegs- und Versorgungsängste stärker zutage getreten waren, wurden mehr legislative Planungs- und Regelungsvorgaben verlangt. Mit rudimentären Vorläufern 1951 /56/59 wurden zunächst 1965 sog. Sicherstellungsparagraphen für die Bereiche Wirtschaft, Ernährung, Verkehr und Wasserversorgung in Kraft gesetzt. Das 1961 erlassene Bundesleistungsgesetz ermöglichte die Requirierung von Sach- und Werkleistungen schon im Frieden.

Ab Beginn der 60er Jahre führten mehrere Notstands-Gesetz-Entwürfe auf der Straße und im Parlament zum intensiven Streit. Das 1968 verabschiedete Paket an Notstandsgesetzen enthält grundgesetzliche Ermächtigungen für den inneren (Brügerkrieg) und äußeren (Krieg) Notstand mit einem Restchen parlamentarischer Mitsprachemöglichkeiten. Hierauf fußen wiederum zahlreiche „einfache“ Notstandsgesetze, z.B. das Arbeitssicherstellungsgesetz, das Katastrophenschutzgesetz u.a.

Diese erlauben einerseits zwar schon heute diverse Kriegsvorbereitungsmaßnahmen, entfalten jedoch volle Wirksamkeit meist erst ab Feststellung des sogenannten Spannungs- oder Verteidigungsfalls durch Parlament, Regierung oder NATO-Rat.

2. Verteidungs-Themen in CILIP?

Vor der Antwort auf die Frage, wie sich das Katastrophenschutzergänzungsgesetz (offiziell abgekürzt: KatSErgG) in dies System des Notstandsrechts einfügt, noch eine vielleicht notwendige Erläuterung für erstaunte LeserInnen. Tatsächlich erfährt, wer CILIP regelmäßig verfolgt, hierin viel über die Praxis und Entwicklung der sog. inneren, nicht aber der äußeren Sicherheit, also über Verteidigungsfragen. Beide Bereiche haben jedoch ihre Berührungspunkte, nicht nur in der teils gemeinsamen Grundlage der Notstandsgesetze.

Wenn heute z.B. Geheimdienste Telefone abgehören oder Briefsendungen mitlesen, so fußt dies auf den 1968 mitverabschiedeten Befugnissen nach Art.10 Abs.2 GG und nach dem G-10-Gesetz. Der damals geänderte Art.35 GG ermöglicht der Bundeswehr, etwa bei Demonstrationen in Wackersdorf oder anderswo der Polizei per Amtshilfe mit Logistik auszuhelfen. Ebenfalls wuchs dem Bundesgrenzschutz seine heutige Rolle als Polizei des Bundes erst auf Grundlage des Notstandsrechts zu.

Bis 1968 war der BGS dafür organisiert, bewaffnet und ausgebildet worden, im offenen Bürgerkrieg mit Granatwerfern, Panzerfäusten und leichten Kanonen einzugreifen. Seit 1968 ist dies verfassungsrechtlich zur Aufgabe der Bundeswehr erklärt worden. In der Folge wurde der BGS für Einsatzsituationen unterhalb der Schwelle des offenen Bürgerkriegs umgebaut zur Polizei des Bundes.

Ein zweiter Berührungspunkt zwischen Planungen im Rahmen von innerer und äußerer Sicherheit liegt – neben diesen formalen rechtlichen Wurzeln – darin, daß letztere „Ruhe an der Heimatfront“ erfordert, welche von Polizei etc. durchgesetzt werden soll. Denn jegliche Verteidigungsplanungen kalkulieren den Menschen nicht nur als nützliches und notwendiges Rädchen in der Kriegsmaschinerie „Gesamtverteidigung“ ein, sondern auch als potentiellen

Pazifisten, Opponenten oder gar Saboteur in diesem störanfälligen System. Zur Bewältigung dieses „Sicherheitsrisikos Mensch“ sind uns auf dem Gebiet der inneren Sicherheit die Trends zur Präventiv-Polizei, Vorverlagerung des Staatsschutzes, Schaffung von Notstandsgesetzen zum täglichen Gebrauch und ähnliche Stichworte geläufig.

Auf dem Gebiet der Zivilverteidigung sind entsprechend zu nennen die Planungen zur Internierung von Oppositionellen (die im NATO-Bereich immer wieder mal an die Oberfläche drangen), zur Ruhigstellung von Störern mit Hilfe der massenweise bevorrateten Psychopharmaka, zur Unterbindung privater Kommunikation durch Sperrung der Telefonanschlüsse, bis hin zur Aufenthaltsregelung („stay put“), durch die die Aufmarschwege von störenden Flüchtlingen freigehalten werden sollen.

Was hier nur kurz angerissen werden kann, ist ausreichend Anlaß, die CILIP-Leserschaft einmal mit einem anderen – zudem aktuellen – Aspekt von Notstands- und Sicherheitsplanungen zu konfrontieren.

3. Das KatSErgG im System des Notstandsrechts

Das Themenfeld Zivilverteidigung (ZV) war bei den PolitikerInnen seit jeher nicht sonderlich beliebt. Durch öffentliche Initiativen in diesem Bereich, die an die latente Kriegsgefahr erinnerten und ggf. um eine Thematisierung der geheimgehaltenen Repressiv-Planungen nicht herumgekommen wären, war in der Bevölkerung gewiß kein Blumentopf zu gewinnen. Erst ab Ende der siebziger Jahre setzten intensive parlamentarische Überlegungen ein, das ZV-Konzept zu ergänzen, fehlende Befugnisse zu schaffen und eine Bundeszentrale Koordinierung zu stärken. Mitte 1980 forderten die damals im Bundestag vertretenen Altparteien die Bundesregierung einstimmig auf, entsprechende Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung auszuarbeiten. Aufgrund einer mittelfristigen ZV-Richtlinie des NATO-Ministerrats vom Dezember 1988 sind diese inzwischen im Januar 1989 vom Bundeskabinett verabschiedet worden.

Ferner sollte diesem Bundestagsbeschluß zufolge ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, welcher insbesondere eine aktuellere und vollständigere Erfassung und Heranziehung des medizinischen Ergänzungspersonals ermöglichen und das ZV-Recht im übrigen zusammenfassen sollte.

Grund für den erstgenannten Wunsch war eine zutage getretene Lücke im System der ZV. Seit dem 1. Weltkrieg bis zum Vietnamkrieg hatte sich das Verhältnis der Anzahl verletzter Militärs gegenüber Zivilisten umgekehrt. In Erwartung derartiger „Ausfallquoten“ im Hinterland ist natürlich dauerhaft weder die Motivation der Soldaten noch die Zustimmung der Zivilbevölkerung zur geltenden Verteidigungsstrategie zu sichern. Daher „mußten“ die geltenden Möglichkeiten zur gesundheitlichen Versorgung der Zivilbevölkerung ausgebaut werden, insbesondere durch mehr spezialisiertes Personal. Das bestehende Arbeitssicherstellungsgesetz von 1968 ließ zwar die Verpflichtung von Ar-beitskräften aus allen Berufsgruppen zu. Jedoch vermißten die ZV-Planer noch die Befugnis zur Installierung eines Meldesystems, welches mit Informationen über sachliche Qualifikation und aktuelle Wohnadressen von im Gesundheitswesen Beschäftigten die Möglichkeit eröffnen sollte, die „passenden Leute“ im Bedarfsfall zu erreichen und an den richtigen Ort dienstverpflichten zu können.

Seither wurde eine Vielzahl entsprechender Gesetzentwürfe unter wechselnden Titeln vorgelegt: bis zur Wende zwei „Gesundheitssicherstellungsgesetze“ durch sozialdemokratische Gesundheitsministerinnen, ein „Gesundheitsschutzgesetz“ durch die CDU/CSU-Bun-destagsfraktion sowie ein „Zivilschutzgesetz“ durch den damaligen Bundesinnenminister Baum (FDP). Schon zu dieser Zeit führten diese Vorstöße zu breiten Protesten insbesondere aus dem Gesundheitswesen.

Innenminister Zimmermann unternahm 1984/85 drei Anläufe zu einem „Zivilschutzgesetz“, welche u.a. an der massiven Kritik aus der Friedensbewegung scheiterten. Jedoch rügten auch führende Politiker aus SPD und FDP, welche heute hieran nicht mehr erinnert werden mögen, die Vorlagen auffallend heftig.

Ab 1987 wurde eine weitere Serie von Entwürfen unter der irreführenden Bezeichnung „Katastrophenschutz“ produziert, deren letzter nun vom Bundestag verabschiedet worden ist.

4. Wesentlicher Inhalt

Irreführend ist die Überschrift insofern, als der friedensmäßige Katastrophenschutz allein in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen liegt, während der Bund nach Art.73 Nr.1 nur Verteidigungsangelegenheiten einschließlich des „Schutzes der Zivilbevölkerung“ regeln darf. Der Bund hat erstmals 1968 ein Gesetz über die Erweiterung (Kriegsverwendung) des Katastrophenschutzes erlassen. Darin ist den Einheiten des zivilen Katastrophenschutzes als zusätzliche Aufgabe die Beteiligung auch an Kriegseinsätzen auferlegt worden.

Die nun vom Bundestag verabschiedete „Ergänzung“, die zu Ihrer Rechtskraft nur noch der Zustimmung des Bundesrates bedarf, beinhaltet alten Wein in neuen Schläuchen und regelt u.a.:

* daß im „erweiterten Katastrophenschutz“, öffentlichen Feuerwehren, THW, Arbeiter-Samariter-Bund, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser-Hilfsdienst, DRK, DLRG mitwirken ( 7a), ihre Aufgaben auch im Krieg im Bundesauftrag ( 2) sowie unter Aufsicht der kommunalen KatS-Behörden wahrnehmen ( 7) und hierfür vom Bund zusätzlich ausgestattet werden ( 5);
* daß die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk im Ausland sowie auch zu Alltagsaufgaben im eigentlichen Zuständigkeitsbereich der Länder nach Maßgabe gesonderter Regelungen eingesetzt werden darf ( 7b);
* daß im Rahmen einer persönlichen Dienstpflicht Männer und Frauen vom 18. bis vollendeten 60. Lebensjahr verpflichtet werden können, bei Personalmangel bis zu 10 Werktage Dienste zu leisten ( 9a);
* daß die Befugnis zur Aufenthaltsregelung („Hausarrest“) vom gewöhnlichen Wohn- auf den jeweiligen Aufenthaltsort erweitert und erst ab dem Spannungsfall gegeben ist ( 12);
* daß die Gesundheitsbehörden der Länder zusammen mit den Berufsverbänden, Kassen und Einrichtungen im Gesundheitswesen organisatorische Vorbereitungen zu dessen Kriegsausbau vorzunehmen ( 13) und im Einsatzfall umzusetzen haben ( 13 a I);
* daß per Rechtsverordnung eine Meldepflicht auch für die nicht mehr berufstätigen Angehörigen der „Heil- und Heilhilfsberufe“ (Wehrpflichtige und Frauen zwischen 18-55 Jahren) eingeführt werden kann ( 13a II);
* daß pensionierte BeamtInnen zum Kriegseinsatz auch im Ausland reaktiviert werden können (Abschnitt IV).

5. Kritik an einzelnen Regelungen

Die Detailkritik entzündet sich im wesentlichen an den Dienstpflichten für jedermann/ -frau und für BeamtInnen sowie den Maßnahmen im Gesundheitswesen.

5.1 Hilfsdienstpflicht

Die Vorschrift ist klar verfassungswidrig!
a) Es fehlt zunächst an einer grundgesetzlichen Ermächtigung. Die amtliche Begründung stützt sich auf Art.12 Abs.2 GG, wonach trotz des generellen Verbots von Zwangsarbeit „herkömmliche, allgemeine und für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflichten“ zugelassen werden. Um ein solche handelt es sich hier jedoch nicht. Nach überwiegender Auffassung werden hierunter vielmehr nur die traditionell bestehenden Hand- und Spanndienste der Gemeinden sowie Hilfeleistungen für die Feuerwehren verstanden. Allein solche Dienste werden auch in den Länderkatastrophenschutzgesetzen geregelt, wenn auch im einzelnen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Insofern kann sich der Bund mit Blick auf diese Vorschriften nicht auf die Üblichkeit und Übereinstimmung mit seinem Entwurf berufen.

Auch jeglicher Versuch, diese Pläne unter Verweis auf die 1935 von den NS-Machthabern durchgesetzte allgemeine Luftschutzdienstpflicht als „herkömmlich“ i.S. des GG zu rechtfertigen, dürfte sich aus naheliegenden Gründen verbieten.

Die dem Art.12 vorgehende und für Kriegsdienstpflichten spezielle Grundgesetz-Ermächtigung ist vielmehr allein Art.12a GG. Tatsächlich bezogen sich alle Vorgänger-Entwürfe des KatSErgG auch auf diese Norm. Demgegenüber heißt es in der akutellen Fassung, die Befugnis „dürfe nicht mit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht im Zivilschutz auf der Grundlage des Art.12 a GG verwechselt werden.“

b) Hintergrund dieser Frage ist das dringende Bedrüfnis der ZV-Planer, auch Frauen allgemein und über die bestehenden Möglichkeiten hinaus zu Dienstleistunge verpflichten zu können. Aber nach Art.12 a GG können keine Frauen, sondern lediglich wehrpflichtige Männer von 18-45/60 Jahren herangezogen werden, und das auch nur in einen „Zivilschutz-verband“. In den Begründungen der früheren Gesetzesentwürfe hatte es denn auch stets geheißen, „aus verfassungsrechtlichen Gründen“ müsse man sich „auf wehrpflich-tige Männer beschränken“.

c) Die Einziehung von Frauen u.a. zum zivilen oder militärischen Gesundheitsdienst ist gemäß Art.12a Abs.4 GG erst ab förmlicher Feststellung des Verteidigungsfalls (Art.115a GG) möglich.
Das KatSErgG unterläuft diese Begrenzung. In der aktuellen Fassung bleibt unklar, ab wann Dienstverpflichtungen ausgesprochen werden können. Nach den Vorgänger-Entwürfen sollte dies ab dem Spannungs- oder Verteidigungsfall gelten, teils ausdrücklich erst ab deren parlamentarischer Feststellung. Statt einer Heranziehung im Verteidigungsfall o.ä. wird diese nun allgemein ermöglicht zur „Bekämpfung der besonderen Gefahren und Schäden, die im Verteidigungsfall drohen“.

d) Ob damit nun der Einsatz bei Bränden, Verschüttungen u.a. auch im Alltag vorkommenden Unglücke, wie sie von den Ländern befürchtet wurden, ausgeschlossen ist, mag hier offen bleiben. Fest steht jedoch hinsichtlich der Einsatzbereiche, daß die lediglich fakultative Zuweisung der Verpflichtungen an die KatS-Hilfsorganisationen die Möglichkeit offenhält, die Betroffenen z.B. dem BGS, dem THW oder den NATO-Partner zuzuteilen. Aufgrund des „Wartime-Host-Nation-Support“-Abkommens ist die BRD ohnehin verpflichtet, den USA im „Krisenfall“ ziviles Personal zu stellen.
Zur Bekämpfung der kriegstypischen Gefahr von Munitionsmangel wäre schließlich auch die Zuweisung in die Rüstungsproduktion oder zu anderen Zwangsarbeiten nicht auszuschließen.

e) Die vorgesehene Einsatzdauer von 10 Werktagen stellt angesichts aktueller Kriegsszenarien keine wesentliche Begrenzung dar, sondern scheint eher von Realismus gekennzeichnet zu sein.

f) Obwohl das Gesetz lediglich eine Ermächtigung der (kommunalen) Katastrophenschutzbehörden zu solchen Verpflichtungen vorsieht, verbleibt die Initiativmöglichkeit dem Bund: mit Hilfe der in diesem Bereich geltenden Bundesauftragsverwaltung kann er entsprechende Anweisungen erlassen.

g) Gegenüber den bisherigen Möglichkeiten zu Dienstverpflichtungen nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz bringt das KatSErgG einerseits eine personelle Ausweitung auf – dort nicht erfaßte – männliche Ausländer, Staatenlose, Frauen bis 60 (statt bis 55) Jahren. Andererseits wird gänzlich auf die im ArbSiG noch vorgesehenen formellen Anwendbarkeitsvoraussetzungen verzichtet: Feststellung des Spannungs- bzw. Verteidigungsfalls durch Parlament, Regierung oder NATO-Rat. Letzeres dürfte der wahrscheinlichste Fall sein (vgl. zu diesem Einwand bereits oben c).

h) Daß die Einbeziehung von Frauen an den Beschränkungen des Grundgesetzes scheitern muß, wurde bereits unter b) ausgeführt. Doch nach Art.12a Abs.2 GG dürften auch Männer per Bundes-Zivilschutz-Dienstpflicht allenfalls in ein vom Bund getragenes Zivilschutz-Korps, nicht jedoch in die der Länder-Aufsicht unterstehen-den Einheiten des friedensmäßigen Katastrophenschutzes integriert werden. Sonst droht eine verfassungswidrige Mischverwaltung, wie selbst der GG-Kommentator und Ex-Verteidigungsminister Prof. Scholz anerkennt. Die 1965 beschlossene Aufstellung eines solchen Zivilschutzverbandes des
Bundes ist jedoch nie realisiert worden.

5.2 Die vorbereitenden Organisationspflichten der Gesundheitsein-richtungen

Sie lassen strukturelle Unterschiede in der Gesundheitsversorgung in Friedens- und Kriegszeiten außer acht: etwa die dann vorgesehene Nicht-Behandlung nach dem Kriterium zivil-militärischer Weiterverwendbarkeit. Statt dessen suggeriert der vorgesehene bloße „Aufwuchs“ der Friedens-Kapazitäten, die Gesundheitsversorgung im Krieg könne einigermaßen geplant und organisatorisch gewährleistet werden. Zudem fehlen hierfür konkrete Planungsvorgaben aufgrund aktueller Bedrohungsanalysen und Schadensannahmen. Art und Umfang der Mitwirkungs- und Auskunftspflichten der Gesundheitseinrichtungen sind unpräzise; wegen fehlender datenschutzrechtlicher Präzisierungen geht der Bundesdatenschutzbeauftragte davon aus, daß nur Zahlen, aber keine personenbezogenen Angaben verarbeitet werden dürfen.

Auf Anordnung der lokalen Katastrophenschutzbehörden sollen Gesundheitseinrichtungen ihre Kriegsbereitschaft herstellen müssen. Indem diese Anordnungen nach der „Freigabe durch die Bundesregierung“ keiner Billigung des Parlaments bedürfen, sondern lediglich auf dessen Veto hin aufgehoben werden können, wird der grundsätzliche Parlamentsvorbehalt des Art.80a I GG verdreht. Zudem dürfte statt einer Freigabe eher eine Anweisung per Auftragsverwaltung praktisch gewollt sein.

5.3 Meldepflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen

Die Vorschrift ermächtigt die Bundesregierung – unter Widerrufs-Vorbehalt von Bundestag und -rat (siehe obige Kritik) -, ohne formelle Anwendbarkeits-Voraussetzungen per Rechtsverordnung den betroffenen Personenkreis zur Meldung bei den Arbeitsämtern zu verpflichten. Der Bedarfsfall wird lediglich mit dem möglichen Ausbleiben von ausreichend freiwilligen Hilfsangeboten umrissen. Die Meldepflicht ist Bußgeld-bewehrt.

Die Regelung ergänzt die nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz geltende bloße Auskunftspflicht (Problem der aktuellen Erreichbarkeit!) sowie die in den Ländern uneinheitlich praktizierten Erfassungsvorschriften für Berufstätige im Gesundheitswesen. Es muß davon ausgegangen werden, daß hiervon auch ehemalige Zivildienstleistende aus Gesundheitseinrichtungen betroffen sind.

Diese Meldepflicht-Befugnis ist auf besonders breite Kritik gestoßen. So hat der Bundesdatenschutzbeauftragte moniert, daß es sich um eine unzulässige Vorratsspeicherung handele, die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung „erheblich“ berühre. Seiner Forderung, in der Verordnungs-Ermächtigung wenigstens Inhalt und Voraussetzungen der Meldeangaben sowie die Datenverarbeitungsmodalitäten konkret und erschöpfend zu nennen, wurde nicht entsprochen.

5.4 Beamtenrecht

Nach Auffassung von ÖTV- und DGB-Sprechern wären Tarif-Autonomie und Grundgesetz durch diese Normen „teilweise außer Kraft gesetzt“. In zahlreichen Punkten weichen die Regelungen für BeamtInnen von den für ArbeitsnehmerInnen geltenden Vorschriften nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz ab:

* fehlende Verankerung des Freiwilligkeits-Vorrangs ( 1 Satz 2 ArbSiG);
* von 2 Nr.1 ArbSiG abweichende Altersgrenzen für Frauen bez. Kündigungsverboten (bis 65 statt bis 55 Jahren);
* von 2 Nr.2 ArbSiG abweichende Altersgrenzen für die Arbeitsverpflichtung von wehrpflichtigen Beamten (bis 65 statt bis 45/60 Jahren);
* fehlende Beschränkung der Einsatzbereiche für Frauen/ BeamtInnen (entgegen Art.12a IV, VI GG, 2 Nr.3 ArbSiG);
* fehlende Beschränkung der Einsatzbereiche für Männer entsprechend Art.12a III Satz 1 GG (Polizei etc.).

6. Widerstand und Protest

Zahlreiche Organisationen, Verbände, Friedensinitiativen etc. haben während der fast zehnjährigen Diskussion um dieses Vorhaben das Machwerk in allen Einzelaspekten mit dezidierter Kritik zu konfrontieren. Außerdem haben die Bundesländer während der vorbereitenden Beteiligungs- und Anhörungsverfahren im BMI massive Detailkritik geäußert. So wurde etwa die auch hier in den Mittelpunkten gestellten neuen Verpflichtungen von allen Ländern (einschließlich der von CDU/CSU regierten) einhellig abgelehnt. Erst als das BMI auf einer letzten Sitzung Ende Oktober 1988 verdeutlichte, diese Vorschriften seien politisch unverhandelbar, hatten zumindest die Unions-geführten Länder ein „Einsehen“; das Bundesrats-Plenum beschränkte sich danach auf Detail-Einwendungen. Auch dabei wurde jedoch verdeutlicht, daß man sich gegen ein „Hinein-Regieren“ des Bundes in Angelegenheiten des friedensmäßigen Katastrophenschutzes der Länder wehre.

Neben der Internationalen Ärztevereinigung für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) sowie den Ärztekammern Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Berlin wiesen zahlreichen Initiativen und Personen aus dem Gesundheitsbereich insbesondere darauf hin, daß die Folgen eines atomaren oder modernen konventionellen Kriegs – auch angesichts der in Mitteleuropa angesammelten industriellen „Zeitbomben“ – nicht durch Gesetze oder medizinische Vorkehrungen zu bewältigen seien. Verbände von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden monierten die Einplanung von KDVlern für Kriegsdienste ohne Waffe sowie den fehlenden Gewissensschutz. Von den am Katastrophenschutz beteiligten Hilfsorganisationen wurde vielfach zuvor die bedingungslose Ratifizierung der Zusatzprotokolle zum IV. Genfer Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung angemahnt. 1977 bereits unterzeichnet, hatten alle Bundesregierungen die Einleitung der Ratifizierung bisher verzögert, weil das im Abkommen enthaltende Verbot „unterschiedslos tötender Waffen“ die geltende Nuklear-Strategie in Frage gestellt hätte.

Auch wurde seitens einiger Beteiligter verlangt, die vorgelegten Prüfberichte des Bundesrechnungshofs (BRH) zur Organisation des Zivilschutzes stärker zu berücksichtigen. Darin war der BRH zu massiver Kritik und Forderungen nach einschneidenden Veränderungen gelangt. So sollte u.a. das THW aufgelöst, der Bau von Schutzbunkern und Hilfskrankenhäusern eingestellt und Beschaffungen auf ihre Notwendigkeit hin intensiv überprüft werden.

7. Zusammenfassende Kritik

Zivilschutz-Vorkehrungen sind bestenfalls überflüssig, weil die Zivilbevölkerung unter modernen Kriegsbedingungen gemäß geltender Nuklearstrategie nicht wirksam geschützt werden kann; schlimmstenfalls sind sie gefährlich, weil sie Illusionen genau in solche Schutzmöglichkeiten aufbauen und konservieren helfen und damit die notwendigen Anstrengungen zur politischen Friedensssicherung tendenziell schwächen.

Der Ausbau von Sicherstellungs- und anderen Repressiv-Befugnissen im Rahmen der sonstigen Zivilverteidigung schreibt ungeachtet der rasanten Veränderungen im Ost-West-Verhältnis die „Durchhalte-Parolen“ der NATO sowie die mit dem Notstandskonzept einschlagende Linie fort. Hinterfragung und Aktualisierungen von Bedrohungsanalysen erfolgen ebensowenig wie eine kritische Bestandsaufnahme der bestehenden ZV-Kapazitäten.

Die schon aus Akzeptanzgründen betriebene organisatorische und auch sprachliche Vermischung von Alltagsgefahren und kriegsbezogener Zivilverteidigung zu „Katastrophenschutz“ gegen wird weiter verstärkt, je mehr sich die Legitimationskrise des Gesamtverteidigungsapparates beschleunigt. Ange-sichts zunehmender Aufgaben der im Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen sind diese verstärkt auf Zuwendungen des Bundes angewiesen.

Teures Spezialgerät für Nuklearunfälle oder entsprechende Zusatzausbildungen der Helfer finanziert der Bund jedoch nur im Hinblick auf deren Kriegsverwendung, gestattet aber zu Übungszwecken deren Mitnutzung auch bei Alltagsunglücken. Dies ist die „Leimrute“, über die die Organisationen sich auch zur Mitwirkung im und zur Einplanung für den Krieg bereit erklären.

Zur Durchbrechung dieses Systems und zur organisatorischen Abkoppelung der Organisationen aus dem ZV-System haben u.a. die Grünen im Bundestag vorgeschlagen, den friedensmäßigen Katastrophenschutz durch eine Ergänzung von Art.91a GG zur neuen Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern zu machen. Auf Grundlage entsprechender Vereinbarungen über die Kostenverteilung hätte der Bund dann jedenfalls bedingungslos einen höheren Finanzierungsanteil zu entrichten.

Zwar ist die Verringerung industrieller Gefahren-Quellen nach wie vor der beste Katastrophenschutz; auf dem Weg dahin muß den Organisationen jedoch die Freiheit ermöglicht werden, ihrer Kriegseinplanung ohne ökonomische Zwänge zu widersprechen.

Nach entsprechenden Empfehlungen von Verfassungsrechtlern prüft die der Grünen Bundestagsfraktion z.Zt., ob das Katastrophenschutzgesetz per Normenkontrollklage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden soll. Trotz der bisweilen zutage getretenen politischen Grundhaltung der Richter unter den roten Roben scheinen die Chancen einer solchen Initiative nicht schlecht zu stehen.

Daneben muß jedoch künftig auch politisch stärker versucht werden, die Öffentlichkeit über die sie betreffenden Planungen der Zivilverteidigung zu informieren und den Widerstand gegen das Notstandskonzept insgesamt zu intensivieren.

Hinweis:
Soweit möglich ist auf die Angabe von Quellen verzichtet worden. Diese können nachgelesen werden in einem ausführlichen Kommentar des Verf. zum ErwKatSG, der zusammen mit vielen anderen Beiträgen zu anderen Aspekten der Zivilverteidigung enthalten ist in der kürzlich erschienenen Broschüre „Der Tag X hat schon begonnen“, 3. völlig überarbeitete Auflage 1989; Bezug für 6,– DM Schutzgebühr plus 1,– DM Porto über: Die Grünen, Colmantstraße 36, 5300 Bonn 1
* Mitarbeiter der Fraktion „Die Grünen“ im Bundestag