Ausländergesetz: 2. Referentenentwurf: Wenig Integration – viel Abschottung

von Germán Meneses Vogel*/Dieter Liehmann**

Nachdem die Neufassung des Ausländerrechts unter dem früheren Innenminister Zimmermann (Referentenentwurf vom 1.2.88) erst in der Öffentlichkeit zerpflückt, dann auch innerhalb der Regierungskoalition zu Fall gebracht wurde, liegt mit Datum vom 27.09.89 ein weiterer Referentenentwurf des BMI für ein neues Ausländergesetz vor. Die Voraussetzungen sind dieses Mal anders; be-reits im Frühsommer einigte sich eine Arbeitsgruppe aus den Koalitionsparteien auf sogenannte „Eckwerte“ und steckte damit den Rahmen für den neuen Entwurf ab.

Um eine Beurteilung vorwegzunehmen: Zwar wurde im neuen „Schäuble-Entwurf“ auf allzu nationalen Pathos verzichtet („Bewahrung des deutschen Volkstums“), aber ansonsten knüpft er nahtlos an den Zimmermann-Entwurf an – den Inhalten, dem Zweck und der Zielsetzung nach. Das neue Ausländergesetz soll, so die Referenten des BMI in ihrer Einleitung, zu mehr Erwartens- und Rechtssicher-heit führen.

Erstens gehe es um die „aufenthaltsrechtliche Sicherung der Integration“ für diejenigen Ausländer, die bereits dauerhaft in der Bundesrepublik leben und hier bleiben wollen. Die „Integrationszusage“ richtet sich in erster Linie an die Ausländer(generationen), die, zum Teil mit ihren Familien, vor dem Anwerbestopp von 1973 bewußt von den damaligen Bundesregierungen ins Land geholt wurden, um die Nachfragelücken nach Arbeitskräften zu schließen. Bei der damaligen Anwerbung handelte es sich, so die Autoren des Entwurfs, um einen „historisch“ in diesem Umfang „einmaligen, das heißt endlichen Vorgang“, mit dem die These von der Bundesrepublik als „Einwanderungsland“ nicht begründet werden könne.

Die Integrationszusage gilt nach wie vor für diejenigen Ausländer, die sich als integrationsfähig und -bereit erweisen, sich nicht der deutschen Umwelt und Kultur verschließen und die ihre „überkommene kulturelle Identität“ nicht zum Vorwand nehmen, eine „rein negative Abwehrhaltung gegen deutsche kulturelle Einflüsse“ einzunehmen.

Die im Zimmermann-Entwurf angeschlagenen deutsch-nationalen Töne fehlen zwar, aber in der Sache hat sich nicht viel geändert. Die bereits erfolgte und abgeschlossene Integration im Sinne einer Akzeptanz bundesdeutscher Sitten und Normen wird zur Voraussetzung einer „Integrationszusage“ gemacht.
Zweitens diene das neue Ausländerrecht der „Förderung der grenzüberschreitenden internationalen Zusammenarbeit“. Die Bundesrepublik Deutschland im Zentrum Europas und als ein wichtiges Ziel- und Transitland benötige eine „weltoffene und liberale Ausländerpolitik“. Weltoffenheit, so die Autoren, bedeute jedoch nicht den Verzicht auf Zuwanderungsbeschränkungen, sondern „setzt diese notwendig voraus“.

„Weltoffenheit“ bezieht sich ausschließlich auf den befristeten, vorübergehenden Aufenthalt, der auf gar keinen Fall zu einem Daueraufenthalt von Ausländern führen darf.

Drittens schließlich gehe es im neuen Ausländerrecht darum, die „Zuwanderung weiterer Ausländer aus Nicht-EG-Staaten“ zu begrenzen.

Punkt 1 und Punkt 3 decken sich vollständig mit dem zurückgezogenen Zimmermann-Entwurf, in dem die integrativen und die den weiteren Zuzug beschränkenden Aufgaben des Ausländerrechts in zwei Gesetzesteile, dem Ausländerintegrations- und dem Ausländeraufenthaltsgesetz zerlegt wurden. Zumindest darauf haben die Referenten nunmehr verzichtet.

Schon vom Umfang her unterscheidet sich der neue Ausländergesetzentwurf vom geltenden Ausländergesetz aus dem Jahre 1965; bestand letzteres aus insgesamt 51 Paragraphen, so umfaßt der Schäuble-Entwurf 95, wobei ein großer Teil bestehender Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Ausländergesetzes in das Gesetzeswerk integriert wurden.

Im folgenden soll der Schäuble-Entwurf einer kritischen Würdigung im einzelnen unterzogen werden, wobei folgende Parameter ausgewählt wurden: (1) Inwieweit entsprechen die vorgeschlagenen Einreiseregelungen der selbst proklamierten „Weltoffenheit“? (2) Erfüllt das Gesetz das Ziel der Integration? (3) Inwieweit wird das Ziel einer Zuzugsbegrenzung erreicht und inwieweit wird damit das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt?

1. Einreise

Die Einreisebestimmungen werden zum Teil erheblich verschärft und tragen dem absoluten Vorrang der nicht näher definierten „öffentlichen Interessen“ Rechnung.

Grundsätzlich ist bei der Einreise von Nicht-EG-Ausländern eine Paß- und Sichtvermerkspflicht (Visum) vorgeschrieben ( 3), nach wie vor auch für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren (der diesbezügliche 2 II des geltenden Ausländerrechts, der diese Personengruppe von der Aufenthaltser-laubnis ausdrücklich ausnahm, wurde erst vor kurzem von der Regierungskoalitionsmehrheit gestrichen).

Neu ist auch, daß die Grenzbehörden zu „erkennungsdienstlichen Maßnahmen“ bei der Einreise von Ausländern berechtigt sind ( 4 III), um – gerade in Fällen der mehrmaligen Einreise – eventuellen Paßfälschungen oder anderen Un-regelmäßigkeiten auf die Spur zu kommen. Dieser Passus ist auch insofern von Belang, als mit dem angestrebten EG-weiten Abbau der Grenzkontrollen die datenmäßige Erfassung und der damit verbundene personenbezogene Datenaustausch über Ausländer zur Verhinderung von angeblichen Mißbräuchen noch erheblich zunehmen wird. (Siehe hierzu die Kritik am Entwurf eines Ausländerzentralregistergesetzes in dieser Ausgabe.)

In 6 werden weitere „Versagungsgründe“ für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung genannt, wobei sich die Behörden weiter Ermessensspielräume bedienen können. So kann eine Genehmigung verwehrt werden, „wenn der Aufenthalt des Ausländers aus einem sonstigen Grunde Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet“ ( 6 II 4.). Was ist ein „sonstiger Grund“? Und vor allem: was ist unter einer bloßen „Beeinträchtigung“ der Interessen dieses Staates zu verstehen?

Grundsätzlich wird eine Aufenthaltsgenehmigung nur noch befristet erteilt ( 11); sie kann auch nachträglich mit Auflagen versehen werden ( 11 und 13). Ausdrücklich aufgenommen wurde die Auflage, daß Dritte „den Unterhalt des Ausländers und die erforderlichen Ausreisekosten zu tragen bereit“ sind ( 13 I 2.).

Dieser Punkt ist bereits geltende Praxis gegenüber polnischen Touristen, die im Falle ihrer Einreise 50 DM pro Tag nachweisen müssen und deren Angehörige in der Bundesrepublik im Falle von Verwandtenbesuchen von der Ausländerbehörde daraufhin überprüft werden können, ob sie für den Unterhalt ihrer polnischen Gäste aufzukommen in der Lage sind.

Doch damit nicht genug. Das als „weltoffen und liberal“ bezeichnete Ausländergesetz sieht eine Zurückweisung eines Ausländers an der Grenze bereits dann vor, wenn ein bloßer, nicht näher begründeter „Verdacht“ eines möglichen Ausweisungsgrundes vorliegt oder wenn vom Ausländer „nicht ausgeräumte Zweifel bestehen, daß sein Aufenthalt dem angegebenen Zweck dient“ ( 57 II 1 und II 2). Solche bloßen „Verdachtszurückweisungen“ widersprechen jedem rechtsstaatlichen Verständnis.

Neu einreisende Ausländer, die erst hierzulande eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, werden so behandelt wie Asylsuchende; ihr Aufenthalt wird räumlich beschränkt, ansonsten kann ausgewiesen werden. Außerdem ist der betreffende Ausländer nur „geduldet“, er hält sich also nach dem Verständnis der Referenten rechtswidrig in der Bundesrepublik auf ( 65 II). Nach geltendem Recht gilt der Aufenthalt nach einer Antragstellung als vorläufig erlaubt und unterliegt in der Regel keinen räumlichen Beschränkungen.

Auch Flüchtlingen wird die Möglichkeit, bei uns Zuflucht zu suchen, weiter erschwert. Gelingt es einem zur Flucht Entschlossenen, die gut bewachte bundesdeutsche Botschaft zu erreichen und dort ein Visum zu beantragen, dann kann ihm dieses ohne Begründung, ohne Rechtshilfemittelbelehrung und ohne schriftliche Form der Ablehnung verwehrt werden ( 67). Auch ein Widerspruch gegen die Entscheidung der Auslandsvertretung ist ausdrücklich ausgeschlossen ( 68).

In Anlehnung an den geltenden 18 IV AuslG werden die Beförderungsunternehmen noch stärker an die staatliche Kandarre genommen. Fluggesellschaften dürfen Ausländer nur noch befördern, wenn diese einen gültigen Paß und ein Visum besitzen; die Fluggesellschaften können neuerdings dazu verpflichtet werden, die Reisepässe ihrer Passagiere vor Abflug einzusammeln, um sie bei Ankunft in der Bundesrepublik sogleich dem Bundesgrenzschutz zur Überprüfung vorzulegen.

Hält sich die Fluggesellschaft nicht daran, wird sie mit 2.000 DM pro Person bestraft; außerdem ist das Beförderungsunternehmen nach wie vor dazu verpflichtet, die zurückgewiesenen Flüchtlinge unverzüglich wieder außer Landes zu bringen. Diese Verpflichtung gilt für 3 Jahre und auch dann, wenn Flüchtlinge einen Asylantrag stellen, dann aber doch ausgewiesen werden ( 75).

In Anlehnung an das Schweizer Rotationsmodell sollen ausländische Arbeitskräfte aus Nicht-EG-Staaten, die künftig zur Nachfragedeckung benötigt werden – von diesem Bedarf gehen alle maßgeblichen Wirtschaftsforschungsinstitute einschließlich des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ (IW) aus – nur noch eine zeitlich befristete Aufenthaltsbewilligung erhalten, um von vornherein einen Daueraufenthalt auszuschließen. Eine entsprechende Regelung über eine eventuelle Arbeitskräftebedarfsdeckung behät sich der Bundesminister per Rechtsverordnung vor, „soweit es zur Wahrung von Interessen der Bundesrepublik Deutschland … erforderlich ist“ (vgl. 7). Mit dieser Regelung wird nochmals unterstrichen, daß die sogenannte „Integrationszusage“ nur für die vor 1973 angeworbenen Arbeitsimmigranten gilt und eine etwaige Wiederholung unter allen Umständen ausgeschlossen werden soll. Theoretisch ist es also denkbar, daß ausländische Arbeitskräfte sich zweckgebunden 10 Jahre in der Bundesrepublik aufhalten, hier arbeiten und leben, Steuern zahlen usw. und dennoch ausgewiesen werden können, denn eine Umwandlung einer befristeten, zweckgebundenen Aufenthaltsbewilligung in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ist nur möglich, „wenn es im öffentlichen Interesse geboten ist“ (Begründung zu 18 III).

Von einer „weltoffenen und liberalen“ Ausländergesetzgebung kann schon im Falle der Einreisebestimmungen mitnichten gesprochen werden. Im Gegenteil, die Einreisekontrollen und -voraussetzungen werden weiter perfektioniert, alle Ausländer müssen ein grenz- und ausländerpolizeiliches Raster überwinden, und den Flüchtlingen wird allein schon durch die erschwerte Sichtvermerksgewährung in den bundesdeutschen Auslandsvertretungen, dem generellen Visumszwang usw. ihr Grundrecht auf Asyl genommen – weil es ihnen kaum noch möglich sein wird, die ersehnten bundesdeutschen Grenzhindernisse zu überwinden.

2. Die Integration

Aus dem Zimmermann-Entwurf übernommen und noch weiter verfeinert haben die Referenten die stärkere Differenzierung der Aufenthaltstitel. Sie sortiert Ausländergruppen nach bestimmten Kriterien, verbunden mit der Erfüllung bestimmter Bedingungen, Auflagen und Voraussetzungen. Die Unterscheidung zwischen der Aufenthaltserlaubnis, -berechtigung, unbefristeten -erlaubnis, -bewilligung, -befugnis, der Duldung und der Familienaufenthaltsgenehmigung (FAG) soll, so die Begründung, einen „Zugewinn an Klarheit“ für die betreffenden Ausländer bringen. Tatsächlich handelt es sich um einen regelrechten Normen-Dschungel.
Grob läßt sich zwischen den Aufenthaltstiteln, die der Integration dienen oder zu einem Daueraufenthalt führen können, und den Titeln, die einen nur befristeten Aufenthalt normieren, unterscheiden.

Weniger als halbherzig trägt der Entwurf dem Ziel Rechnung, eine „Integrationszusage“ an Generationen von Arbeitsimmigranten umzusetzen. Als „integriert“ und mit einem gesicherten Daueraufenthaltsstatus versehen dürfen sich diejenigen Ausländer bezeichnen, die die verschiedenen Hürden und Stufen von Rechtsansprüchen und Auflagen überwunden haben. Da ist zunächst die Aufenthaltserlaubnis ( 14), die geltendem Recht entspricht, nicht zweckgebunden erteilt wird, ein selbständiges Aufenthaltsrecht begründet und eine Option auf den Daueraufenthalt enthält. Auch Bezieher von Arbeitslosengeld können neuerdings eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis erwirken ( 14 II).

Schon stärker ist die unbefristete Aufenthaltserlaubnis ( 16). Auf sie hat einen Rechtsanspruch, wer sich seit mindestens 5 Jahren im Bundesgebiet aufhält, eine gültige Arbeitserlaubnis nach 19 VI Arbeitsförderungsgesetz besitzt, sich in deutscher Sprache verständigen kann, über „ausreichenden Wohnraum“ verfügt, gegen den keine Ausweisungsgründe vorliegen und dessen Kinder ihrer Schulpflicht nachkommen. Die unbefristete Erlaubnis ist auch dann zu gewähren, wenn ein Ausländer binnen 2 Jahren seinen Lebensunterhalt aus Arbeitslosengeld und -hilfe bestreitet; er muß jedoch den Nachweis erbringen, daß sein künftiger Lebensunterhalt vor Ablauf dieser 2 Jahre durch unbefristete und ungekündigte Arbeitsverhältnisse gesichert ist. Ansonsten kann ihm die unbefristete Erlaubnis auch nachträglich wieder entzogen werden ( 16). Wehe also dem Ausländer, der angesichts der heutigen Wohnungsnot keinen „ausreichenden Wohnraum“ nachweisen kann; wehe dem, der einen der bei dem Arbeitgebern beliebten befristeten Arbeitsverhältnisse eingeht oder gar auf Sozialhilfe angewiesen ist. Hier endet die „Integrationszusage“ des Staates abrupt – auch für Menschen, die hier bereits 7 Jahre leben.

Der nach wie vor stärkste Aufenthaltstitel ist wie bisher die Aufenthaltsberechtigung ( 17), die es nunmehr erst nach 8 Jahren (bisher: 5 Jahre) gibt: vorausgesetzt, die Auflagen aus 16 (unbefristete Erlaubnis) sind erfüllt worden.

Ein „Quereinstieg“ ist möglich über die sogenannte Aufenthaltsbefugnis, die die de-facto-Flüchtlinge erhalten sollen. Nach 33 („Daueraufenthalt aus humanitären Gründen“) können diese Ausländer mit einer 6jährigen „Befugnis“ zunächst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bei Erfüllung der entsprechenden Auflagen erhalten und nach 3 Jahren „Bewährungszeit“ schließlich auch die Aufenthaltsberechtigung. Doch halt, so einfach ist das nicht. Um dem vorgeschriebenen „Zugewinn an Klarheit“ zum Durchbruch zu verhelfen, muß man wissen, daß mit der Befugnis ausdrücklich kein Rechtsanspruch verbunden ist, sondern diese allein eine Ermächtigung des Staates darstellt ( 28); einer Befugnis vorausgehen muß eine mindestens einjährige „Duldung“, solange Abschiebungshindernisse der Ausreisepflicht entgegenstehen ( 53 und 54).

Nach diesem „Duldungsjahr“ kann ein Flüchtling, der z.B. wegen Folter in seinem Land nicht abgeschoben werden darf, eine Befugnis erhalten, die jedoch „keine rechtsbegründende Funktion“ beinhaltet. Die Verlängerung um jeweils 1 Jahr ist möglich, falls die „Abschiebungshindernisse“ noch fortbestehen. Ein Flüchtling, der bei uns zunächst „geduldet“, dann „befugt“ sein soll, sich hier aufzuhalten, muß also mindestens 7 Jahre im Ungewissen leben, immer – nach der jährlichen Überprüfung – die drohende Ausweisung oder Abschiebung vor Augen.

Wer meint, diese Regelungen seien etwa inhuman, wird bald eines besseren belehrt. Nein, der Staat möchte „um der echten privaten Barmherzigkeit keine unnötigen Schranken (zu) setzen“, aber auch der „Allgemeinheit“ keine zusätzlich Kosten aufzubürden, auch solchen Flüchtlingen eine Befugnis gewähren, für die Dritte eine mindestens 8jährige Bürgschaft übernehmen (im Zimmermann-Ent-wurf: 10 Jahre) und für diesen Zeitraum die (einklagbaren) Kosten für den Lebensunterhalt, die eventuelle Abschiebung usw. tragen – Subsidiarität einmal anders.

Der staatlich eingeräumten Barmherzigkeit, sofern sie den Staat entlasten, könnten sich allerdings nicht nur die Kirchen bedienen. Mißbrauch durch zwielichtige Firmen oder durch die Halb- und Unterwelt ist nicht auszuschließen, wenn solche Institutionen oder Personen Ausländer gewissermaßen als Geiseln benutzen.

Der Zugang zum Daueraufenthalt ist all denen verbaut, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen ( 18); sie ist grundsätzlich zeitlich befristet und zweckgebunden. Studierende etwa oder Arbeitskräfte mit befristeten Verträgen erhalten die „Bewilligung“ für zunächst 2 Jahre. Sie wird um jeweils zwei weitere Jahre verlängert, wenn „der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist“ ( 18, Begründung).

Die „Integrationszusage“ gilt, allerdings in einem engen Sinne, auch für junge Ausländer, die bei uns aufwuchsen, in ihr Herkunftsland zogen und sich dort nicht mehr zurechtfinden. Die sogenannte Wiederkehroption bezieht sich auf Ausländer, die seit 8 Jahren im Bundesgebiet leben und mindestens 6 Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht haben, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten oder dieser durch Dritte für 5 Jahre gesichert ist und wenn ein Antrag auf eine FAG (Familienaufenthaltsgenehmigung) zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr „vor Ablauf von 5 Jahren seit der Ausreise gestellt wird“ ( 15).

In 15 IV findet sich eine weitere wichtige Einschränkung des Rechts auf Wiederkehr: die Aufenthaltserlaubnis wird nämlich nur befristet verlängert, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert werden kann oder die Unterhaltsverpflichtung (beispielsweise der Eltern) entfallen ist.

Nach wie vor wird die Einbürgerung nicht als Anfangs-, sondern als Endpunkt einer fortgeschrittenen Integrationsbereitschaft und -fähigkeit aufgefaßt. Eine „erleichterte Einbürgerung“ gilt für Ausländer zwischen 16 und 21 Jahren, wenn sie ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben (also eine klare Absage an die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft), wenn sie seit 8 Jahren im Bundesgebiet leben (nach den bisherigen Einbürgerungsrichtlinien nach 10 Jahren), und die Schule für 6 Jahre (davon 4 Jahre allgemeinbildende Schulen) besuchten. Straftaten – außer einigen „Jugendsünden“ – schließen eine Einbürgerung aus, die Inanspruchnahme von Sozialhilfe soll hingegen dem nicht mehr entgegenstehen. Es bleibt also fast alles beim alten: Wer hier geboren und aufgewachsen ist, hat keinen Anspruch auf einen deutschen Paß – im Unterschied etwa zum Nachbarn Frankreich. Und wer sich einbürgern lassen will, muß nicht nur nach wie vor hierzulande hohe Gebühren entrichten, sondern obendrein mit den Behörden des Heimatlandes um die Entlassung aus der bisherigen Staatsbürgerschaft ringen, denn eine doppelte Staatsbürgerschaft wird nur dann „hingenommen“, wenn eine Entlassung aus der bisherigen nicht zu erwirken ist ( 79 bis 81).

Hinsichtlich des Nachzugs von Ehegatten und Kindern und des Anspruchs auf eine eigenständige Aufenthaltsgenehmigung ( 19 bis 27) sind gewisse Fortschritte zu verzeichnen. Voraussetzung für den Nachzug bleibt allerdings der „ausreichende Wohnraum“, der „gesicherte Lebensunterhalt“ und die „Herstellung und Wahrung der häuslichen Gemeinschaft“ ( 19).

In den Genuß eines eigenständigen Aufenthaltsrechts kommen Ehegatten bei „Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft“, wenn die Ehe seit mindestens 4 Jahren im Bundesgebiet bestand (in Härtefällen auch 3 Jahre), oder im Falle des Todes des Ehepartners.

Kinder dürfen bis zum 16., in Ausnahmefällen bis zum 18. Lebensjahr nachziehen und haben Anspruch auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, wenn sie seit 8 Jahren hier leben, die deutsche Sprache sprechen und sich in Arbeit oder Ausbildung befinden ( 23 bis 24).

3. Ausweisung

Während
– die „Integrationszusagen“ nach frühestens 5 respektive 8 Jahren zu einem halbwegs gesicherten Daueraufenthalt führen können, dabei allerdings erheblichen staatlichen Restriktionen unterliegen,
– die Möglichkeiten der Einbürgerungen nicht wesentlich erleichtert und an das Ablegen der bisherigen Staatsbürgerschaft geknüpft sind,
– der Erwerb eines eigenständigen Aufenthaltsrechts – in der überwiegenden Mehrheit für die ausländischen Frauen – eher die Ausnahme von der Regel bleibt,
sind die staatlichen Ausweisungsnormen über das schon bestehende Ausmaß hinaus weiter verschärft worden.
Die Referenten knüpfen gerade in diesen Punkten reibungslos an den Zimmermann-Entwurf an und geben den hiesigen Behörden ein weit gefächertes Instrumentarium in die Hand, auch jahrzehntelang hier lebende Ausländer außer Landes zu weisen. Hier seien nur die wichtigsten Neuregelungen angeführt.
So ist staatlich-präventiv ein Verbot oder eine Beschränkung der politischen Betätigung von Ausländern vorgesehen, wenn sie „geeignet ist, die politische Willensbildung … oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern, … die öffentliche Sicherheit oder Ordnung … zu beinträchtigen“ ( 36 I), wenn gegen die bundesdeutsche Rechtsordnung verstoßen wird und wenn sie „den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen kann“. Begriffe wie „beeinträchtigen“ oder „Interessen zuwiderlaufen kann“ sind auch im juristischen Sinne höchst vage und bewußt so gewählt worden, um ein ausreichendes (und willkürliches) staatliches Abschreckungsinstrumentarium bereit zu halten.

Das setzt sich fort, wenn Ausländern die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen untersagt werden kann ( 36 II), oder wenn nach 36 III Ausländern ein anderer Aufenthaltsort zugewiesen werden kann, um Veranstaltungen oder hohe ausländische Staatsgäste zu schützen. Wenn z.B. der türkische Staatspräsident die Bundesrepublik besucht, können zwar alle bundesdeutschen Staatsbürger dagegen demonstrieren, nicht jedoch etwa Türken oder Kurden.
In 40 wird eine bestehende Ausreisepflicht mit einer 6-monatigen Frist verbunden, um eine „mißbräuchliche“ Verlängerung des Aufenthalts zu verhindern. In Bezug auf die Rechtsangleichung des Ausländerrechts im Rahmen der EG setzt die Ausreise eines Ausländers in ein anderes EG-Land deren Einreiseerlaubnis voraus ( 40 III). In Absatz 5 des gleichen Paragraphen wird die Paßhinterlegungspflicht im Falle der Ausreise auf alle ausreisepflichtigen Ausländer ausgedehnt; bisher wurden die Pässe von Asylbewerbern ( 26 Asylverfahrensgesetz) in Verwahrung genommen, um die Ausreise auch durchzusetzen.
In den 43 bis 46 wird zwischen der Kann-, Regel- und Ist-Ausweisung unterschieden. Es „kann“ demnach ausgewiesen werden, wenn auch „sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt“ sind. „In der Regel“ kann auch ein lange Jahre hier lebender Ausländer bei der Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder bei „wiederholtem widerrechtlichen Verhalten“ ausgewiesen werden; die Ist-Ausweisung erfolgt im Falle schwerer Straftaten. Um eventuell vorhandene liberale „Schlupflöcher“ zu schließen – etwa im rot-grünen Berlin – bedarf es ausdrücklich des Einvernehmens mit dem Bundesinnenminister, wenn eine oberste Landesbehörde nicht oder in der Regel nicht ausweist ( 43). Dies wird vordergründig mit der „Wahrung der Bundeseinheitlichkeit“ begründet.

Über die Abschiebung bzw. die Abschiebungshindernisse wird noch unter dem Stichwort „Flüchtlinge“ zu reden sein, und auf die Möglichkeit der Zurückweisung an der Grenze auf den bloßen Verdacht hin ( 57) ist bereits eingangs hingewiesen worden.

Es zeigt sich also, daß die Staatsräson absolut über den persönlichen Interessen der Ausländer steht. Die gemachte „Integrationszusage“ wird durchgängig durch die in jedem Fall höherrangigen „öffentlichen Interessen“ der Bundesrepublik stark relativiert, so daß der dauernde Aufenthalt eines Ausländers schon fast einem Gnadenakt gleichkommt. Daß dem so ist, begründen die Schäuble-Referenten selber. Ein Aufenthalt eines Ausländers, so die Autoren, könne auch dann versagt werden, „wenn die Anwesenheit des einzelnen Ausländers öffentliche Interessen nicht beeinträchtigt“ (Hervorhebung durch uns).

4. Die Flüchtlinge

Bekanntlich hat die CSU ihre Zustimmung zum neuen Ausländerrecht von der Beschränkung des Asylrechts abhängig gemacht. Diesem Junktim trägt der neue Entwurf in vielen Punkten Rechnung.
Die vom Gesetzgeber geforderte Zuzugsbegrenzung kommt in der generellen Sichtvermerkspflicht zum Ausdruck, wobei die bundesdeutschen Botschaften ohne Angabe von Gründen, ohne schriftlichen Beleg und ohne Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten der Betroffenen die Visumserteilung verweigern können ( 67 und 68). Flüchtlinge mit gültigem Visum können darüber hinaus noch an der bundesdeutschen Grenze aus bloßen Verdachtsgründen zurückgewiesen werden. Diese Regelung dürfte kaum mit der grundgesetzlichen Rechtsweggarantie (Artikel 19, 4) in Einklang zu bringen sein.

Doch sollte es ein Flüchtling dennoch schaffen, hiesigen Boden zu erreichen und einen Asylantrag stellen, kommen neue Hürden auf ihn zu.
Nach 11 etwa gelten die bestehenden zeitlichen und räumlichen Beschränkenden für Asylsuchende fort. Der 10 schließt ausdrücklich die Möglichkeiten aus, daß sich Asylbewerber über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung einen längerfristigen Aufenthalt sichern könnten. (Das ist zwar eh kaum möglich, aber sicher ist sicher, dachten sich wohl die Referenten.) Nach 20 gilt die Familienaufenthaltsgenehmigung nicht für Angehörige von Asylsuchenden; auch ein Familiennachzug wird nahezu ausgeschlossen ( 29).

Nach Asylantragstellung erhält ein Flüchtling zunächst eine Aufenthaltsgestattung mit Arbeits- und Reiseverbot; er hat sich einer Unterbringung in Sammellagern und Gemeinschaftsverpflegungzu unterwerfen. Sodann kann eine Duldung erteilt werden, solange eine Abschiebung aus rechtlichen (laufendes Asylverfahren) oder materiellen (Abschiebungshindernisse) Gründen nicht möglich ist ( 53 und 54).

Duldung ist und bleibt demnach die Aussetzung der Abschiebung; die Ausreisepflicht besteht nach wie vor ( 53). Ist die Abschiebung rechtskräftig, dann ist eine Abwendung nur noch durch eine richterliche Anordnung möglich; es gibt außerdem keine Möglichkeit mehr, durch das Vorbringen neuer Gründe eine Neuaufnahme des Asylverfahrens zu erreichen, was rechtlich mehr als bedenklich ist.

Nach einjähriger überstandener Duldung kann einem Flüchtling eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, wenn nach wie vor Abschiebungshindernisse, die er nicht zu vertreten hat (z.B. Folter in seinem Land), bestehen oder wenn Dritte für 8 Jahre beim Staat eine Bürgschaft übernehmen ( 28 und 32). Die Befugnis hat keine „rechtsbegründende Funktion“, sondern wird ausschließlich im Ermessen der Behörden erteilt, wenn „dringende humanitäre Gründe“ oder „außergewöhnliche Härten“ die Abschiebung nicht möglich machen ( 28 II).

Auch bereits abgelehnte Asylantragsteller können eine Befugnis erhalten, wenn eine Abschiebung binnen eines Jahres erfolglos versucht wurde ( 28 VI). Die Befugnis wird um jeweils ein Jahr verlängert, wenn die Abschiebungshindernisse fortbestehen ( 32); erst nach einer 6jährigen Überprüfungstortur ist die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis möglich ( 33).

„Politisch Verfolgte genießen Asyl“, heißt es im Grundgesetz. Von einem „Genuß“ kann wirklich keine Rede mehr sein, wenn hinter dem Flüchtling das drohende Damoklesschwert der Abschiebung aufrechterhalten wird. Der Entwurf macht Flüchtlinge zu Menschen unter Abschiebevorhalt.

Nach dem neuen 30 kann der Bundesinnenminister aus „humanitären Gründen“ Ausländern aufgrund 28 des Entwurfs (siehe oben) eine Aufenthaltsbefugnis im Einvernehmen mit den Bundesländern erteilen. Dies soll der Bundeseinheitlichkeit dienen und somit ausschließen, daß einzelne Länderbehörden „humanitärer“ verfahren als andere. Angesichts der derzeitigen politischen Machtverhältnisse in diesem Land kann dies nur eine Nivellierung zuungunsten der Flüchtlinge bedeuten; so werden derzeit etwa polnische, tamilische oder palästinensische Flüchtlinge in sehr unterschiedlichem Ausmaße in den jeweiligen Bundesländern geduldet – oder eben auch nicht.

Im 49 I wird der geltende 14 AuslG wörtlich übernommen, wonach ein Flüchtling auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden darf, wenn sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner „Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“.

Nach wie vor bleibt es aber dabei, daß die Abschiebung trotzdem angedroht wird. Neu ist jedoch, daß Ausländer, die sich auf dieses Abschiebungsverbot berufen und keinen Asylantrag stellen, künftig dem Asylverfahren und damit automatisch der Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf unterliegen sollen ( 49 I).

Neu ist auch, daß das Bundesamt über jene Fälle entscheidet, in denen neue Verfolgungsgründe zum Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung auftreten, wenn also aktuell z.B. in einem Herkunftsland ein Militärputsch stattgefunden hat. Dabei hat das Bundesamt generell die Abschiebungshindernisse (ob also Verfolgungsgründe vorliegen oder nicht) „hinreichend“ zu klären ( 50).

Die Tatsache, daß nunmehr auch Flüchtlinge, die keinen Asylantrag stellen, sondern sich allein auf die von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte Genfer Flüchtlingskonvention berufen (also die de-facto-Flüchtlinge), dem normalen Asylverfahren unterzogen werden, hat fatale Konsequenzen, die sich aus anderen Paragraphen des Gesetzentwurfs ergeben.

Derzeit ist es so, daß Asylantragsteller und de-facto-Flüchtlinge, die keinen Antrag vorbringen, unterschiedlich behandelt werden. Die ersten unterliegen dem Asylverfahren, dem 5jährigen Arbeitsverbot usw., die zweiten den jeweiligen Ermessensentscheidungen der Ausländerbehörden. Häufig ist es so, daß etwa iranischen Flüchtlingen ausdrücklich geraten wird, keinen Asylantrag zu stellen, da die Anerkennungsquote sehr niedrig liegt. Die einzige Möglichkeit zur Zuflucht bleibt dann die Berufung auf das Verbot der Abschiebung. Wird diese Gruppe von Flüchtlingen nunmehr dem Asylverfahren unterzogen, so ist zu befürchten, daß viele der sogenannten de-facto-Flüchtlinge nach den sehr restriktiven Anerkennungskriterien des Bundesamtes in Zirndorf mit ihrer Abschiebung rechnen müssen.

Daß dem so sein wird, falls dieser Entwurf Gesetzeskraft erlangen sollte, ist aus den 66 und 70 herzuleiten. Denn demnach trägt der betreffende Flüchtling allein die Darlegungslast und Beweisführung über die bestehenden Abschiebungshindernisse wie etwa Folter oder Verfolgung in seinem Herkunftsland. 66 befreit ausdrücklich die bundesdeutschen Botschaften vom Amtsermittlungsprinzip, das heißt von der Pflicht, zur Sachverhaltsaufklärung der Lage in den Herkunftsländern beizutragen, da dies einen „unvertretbaren Verwaltungsaufwand“ und eine „unvertretbare Verzögerung der ausländerrechtlichen Entscheidung“ bedeuten würde ( 66, Begründung). Bisher waren die Auslandsvertretungen noch zur Amtshilfe verpflichtet.
Einen, allerdings nur scheinbaren, Bonbon halten die Autoren im 51 („Abschiebungshindernisse“) bereit. Demnach „kann“ ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn 1. die konkrete Gefahr besteht, „der Folter oder einer sonstigen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden“ ( 51 I), oder wenn 2. „feststeht“, daß die „erhebliche Gefahr der Todesstrafe besteht“ ( 51 II).

Hier fließen sowohl Art. 3 der UN-Konvention gegen Folter, die die Bundesrepublik erst kürzlich ratifiziert hat, als auch Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein, wobei das Abschiebungshindernis jedoch ausdrücklich eine „individuell konkrete“ Gefahr voraussetzt und eine „generelle Gefahr“ nicht genügt. Damit soll ein generelles Abschiebungsverbot gerade verhindert werden.

Und es ist ausgeschlossen, daß Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten nicht abgeschoben werden dürfen. Ein kurdischer oder tamilischer Flüchtling etwa, der auf die Zustände in seinem Land hinweist, muß eine individuelle Verfolgung oder Bedrohung geltend machen. Auch im Falle der Todesstrafe reicht als Begründung der Hinweis, daß diese dort praktiziert wird und auch dem betroffenen Flüchtling drohen könnte, nicht aus; verlangt wird von den hiesigen Behörden der konkrete Nachweis, daß der Verfolgerstaat den Geflohenen bereits zum Tode verurteilt oder die Todesstrafe angedroht hat. Damit entfallen Abschiebungshindernisse etwa für viele iranische Flüchtlinge.

Es sei hier am Rande vermerkt, daß die rechtliche Gleichstellung von Asylbegehrenden mit Flüchtlingen, die den Schutz vor Abschiebung suchen, entsprechende Änderungen im Asylverfahrensgesetz nach sich zieht. Auch daran haben die Referenten, gewissenhaft wie deutsche Beamte nun einmal sind, gedacht.
Die Neuregelungen sind in sich widersprüchlich und werfen eine Reihe von Fragen auf. Zum einen ist es vom Ansatz her durchaus zu begrüßen, daß Flüchtlinge nicht mehr über zwei rechtliche Verfahrenswege selektiert werden: in diejenigen, die einen Asylantrag stellen, und in jene, die sich auf den Abschiebungsschutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention berufen. Eine solche Regelung müßte dann aber eine generelle Infragestellung und Neuformulierung der Anerkennungskriterien nach sich ziehen. Dies würde etwa bedeuten, daß alle Flüchtlinge, die Krieg, Bürgerkrieg, Katastrophen, wirtschaftliche Not, geschlechtsspezifische Verfolgung geltend machen, auch als Asylberechtigte anerkannt werden.

Flüchtlinge dürften generell nicht mehr gegen ihren erklärten Willen abgeschoben werden. Statt dessen sollen nun auch die Flüchtlinge, die Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat suchen, vom Bundesamt in Zirndorf einem individuellen Asylverfahren unterzogen werden. Erstens ist zu fragen, nach welchen Kriterien das Bundesamt in diesen Fällen entscheidet, und zweitens, ob solche Entscheidungen allein auf der Basis von amtsinternen Lageberichten des Auswärtigen Amtes, die vielfach geschönt sind, gefällt werden sollen. Denkbar wäre z.b. auch, Berichte von Menschenrechtsorganisationen – wie amnesty international – in die Entscheidung miteinzubeziehen.

Widersprüchlich bleibt, daß dieses Verfahren vom Bundesinnenminister per Ermächtigung aufgehoben werden kann, wenn „humanitäre Gründe“ vorliegen.
In jedem Fall wird für die sogenannten de-facto-Flüchtlinge nicht mehr, sondern entschieden weniger „Rechtssicherheit“ über ihren Aufenthalt geschaffen, denn sie unterliegen nach diesem Gesetzentwurf entweder dem normalen Asylverfahren aufgrund Artikel 16, 2 Grundgesetz, dem Verfahren nach 49 und 51 Schäuble-Entwurf oder direkt dem Gnadenakt des Bundesinnenministers ( 52).

Wie weit die nahezu vollständige Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl bereits geht, wird an dem Zurückweisungs-Paragraphen 57 deutlich. Flüchtlinge besitzen demnach „kein materielles Zufluchtsrecht in das Bundesgebiet“, heißt es in der Gesetzesbegründung zu 57 IV; verboten ist nur die unmittelbare „Rücküberstellung“ eines Flüchtlings in den Staat, in dem Gefahr für Leib, Leben und Freiheit besteht. „Die Zurückweisung (an der Grenze) in andere Staaten ist uneingeschränkt zulässig“. Damit raubt dieser Staat auf bloßen „Verdacht“ hin dem Flüchtling das Recht, hier Asyl oder Schutz vor Verfolgung zu suchen.

Mit 91 enthält der Entwurf eine sogenannte „Altfallregelung“ für ehemalige Asylbewerber. Wenn sich diese Personen seit mindestens 8 Jahren „geduldet“ oder rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ohne als asylberechtigte anerkannt worden zu sein, „kann“ nach Ermessen der Behörden eine Aufenthaltsbefugnis (!) erteilt werden. Von „liberal“ oder gar „human“ kann in diesem Fall wohl kaum gesprochen werden, wenn rechtskräftig abgelehnte, aber bereits seit 8 Jahren bei uns lebende Asylbewerber unter die Kuratel einer nur auf ein, höchstens 2 Jahre befristete „Befugnis“ mit Abschiebungsoption gestellt werden.

5. Resumee

Es bleibt zu hoffen, daß die öffentlichen Proteste der Oppositionsparteien, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen sich mit gleichem Erfolg gegen den Schäuble-Entwurf richten werden wie einst gegen die Zimmermann-Fassung. Denn die Tücken sind geblieben: – Nur halbherzige, an bestimmte Voraussetzungen, Bedingungen und Auflagen geknüpfte „Integrationszusagen“ an lange Jahre bei uns lebende Ausländer und ihre Familienangehörigen,
– das Rotationsprinzip für künftige Arbeitsemigranten
– und meterhohe Hürden gegenüber den Ausländern und besonders den Flüchtlingen, die künftig einreisen wollen bzw. Zuflucht suchen.
Der Schäuble-Entwurf ist die Fortsetzung der Zimmermann-Politik mit den gleichen Referenten.
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gerster, hat schon Recht: dieser Gesetzentwurf dient mitnichten einer „weltoffenen und liberalen Ausländerpolitik“, sondern „der Befriedung der deutschen Bevölkerung“.

* MdB, Fraktion Die Grünen
** wiss. Mitarbeiter der Fraktion Die Grünen