Polizeirecht der Länder – Der aktuelle Stand

Ende 1989/Anfang 1990 sind in den Ländern NRW, Saarland und Hessen Neuregelungen im Bereich des Polizeirechts in Kraft getreten. Sie orientieren sich allesamt an der letzten Fassung des Musterentwurfs für ein einheitliches Polizeigesetz des Bundes und der Länder (MEPolG; Stand 12.3.1986; dokumentiert in: Cilip 24). In Berlin liegt von Seiten der rosa/grünen Senatsverwaltung für Inneres ein bisher nicht veröffentlichter, völlig neuer Entwurf zur Änderung des ASOG vor (ÄndG-ASOG). Kernstücke der Novellierungen sind die Befugnisse zur präventiven Datenerhebung und -speicherung, zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, sowie die Aufgabenzuweisung im Bereich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung.

1. Eine generelle Bewertung

Im Anschluß an das Volkszählungsurteil des BVerfG (VZU) waren die Gesetzgeber der Länder in der Pflicht, die illegale und nur vom sogenanten Übergangsbonus gedeckte Praxis der Polizei im Bereich der Datenerfassung entsprechend den Anforderungen des Urteils nachträglich zu legitimieren. Die breit geführte Diskussion um die Problematik der Datensammelei, die fortschreitende Ausstattung der Polizei mit nachrichtendienstlichen Befugnissen und ihre damit verbundene Entwicklung zu einer „Geheimpo-lizei“ haben in den verabschiedeten Gesetzen jedoch keinen restriktiv wirksamen Niederschlag gefunden. Befugnisse und Zuständigkeiten sind mit der Begründung wachsender orga-nisierter Kriminalität generell erwei-tert worden, alternativen Konzepten wurde eine klare Absage erteilt.

2. Die Aufgabenerweiterung

Alle Änderungsgesetze (einschließlich des Berliner Entwurfs) ermöglichen es den Polizeibehörden, zukünftig im Bereich der vorbeugenden Verbre-chensbekämpfung und damit unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr tätig zu werden ( 4 Abs.4 ÄndG-ASOG; 44 Abs.1 Nr. 3 SOG, 1 Abs.1 PolG NW). Einzig das Saarländische PolG regelt diese Zuständigkeit nicht in Form einer generellen Aufgabenzuweisung, sondern jeweils einzeln in den erweiterten Standardbefugnissen, z.T. mit der Beschränkung auf enumerativ aufgezählte Straftatbestände ( 26 ff. SPolG).

3. Datenerhebung

Die offene Erhebung peronenbezogener Daten ist grundsätzlich ermöglicht, die z.T. sehr weit formulierten allgemeinen Regeln der Datenerhebung lassen sie ohne besondere Beschränkung zu ( 14c ÄndG-ASOG; 44a SOG, 9 Abs. 4 und 5 PolG NW; 25 SPolG). Lediglich die verdeckte Erhebung ist auf alle Fälle be-schränkt, in denen ohne diese Erhebungsform die Erfüllung der ord-nungsbehördlichen Aufgabe der Polizei nicht gewährleistet wäre – eine sehr schwache Einschränkung, die den Behörden weite Ermessensspielräume eröffnet.

4. Standardbefugnisse

Das für die Datenerhebung zur Verfügung stehende Instrumentarium wurde erheblich erweitert bzw. die bisher rechtlich zumindest zweifelhafte Praxis legitimiert.
Über die Standardbefugnisse hinaus wurde eine generelle Auskunfts- und Befragungspflicht ( 14a ÄndG-ASOG; 16a SOG, 9 PolG NW; 11 SPolG), sowie die Möglichkeit der Datenerhebung auf öffentlichen Veranstaltungen festgeschrieben ( 15a ÄndG-ASOG; 44b SOG, 15 PolG NW; 27 SPolG).

Als besondere Formen der Erhebung sind vorgesehen die Observation und der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und zur Aufzeichnung des gesprochenen Wortes ( 15b ÄndG-ASOG; 44c SOG, 16,17,18 PolG NW; 28 SPolG). Die in langen Vorschriften z.T. sehr detailliert formulierten Voraussetzungen des Einsatzes besonderer Mittel der Datenerhebung erlauben ihren Einsatz in fast allen denkbaren Situationen. Die Anordnung des Einsatzes der besonderen Mittel zur Datenerhebung erfolgt durch den Behördenleiter bzw. Landeskriminalpolizeidirektor (Berlin). Für das Abhören und Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes bedarf es der Anord-nung des Richters.

Alle Gesetze sehen den Einsatz von V-Leuten vor, den Einsatz verdeckter Ermittler regeln nur Berlin, NRW und das Saarland ( 15c ÄndG-ASOG; 44d SOG, 19 u. 20 PolG NW; 28 Abs 2 SPolG). Während in Hessen der Einsatz von V-Leuten, in NRW von V-Leuten und verdeckten Ermittlern auf die vorbeugende Bekämpfung enumerativ aufgezählter Straftaten von erheblicher Bedeutung be-schränkt ist ( 44d Abs.1 Nr. 1-4 SOG, 19 Abs.1 Nr. 2 in Verbindung mit 8 Abs.3 PolG NW), ist der Einsatz im Saarland und in Berlin nicht durch einen Katalog von Straftaten beschränkt.

In NRW, Hessen und dem Saarland wird der Polizei die Befugnis verliehen, personenbezogene Daten zur polizeilichen Beobachtung zu speichern ( 44e SOG, 21 PolG NW; 29 SPolG), die Befugnis zur Rasterfahndung ist lediglich im PolG-NW vorgesehen ( 31 PolG NW).
Durch erkennungsdienstliche Behandlung gewonnene Daten sollen zukünftig in allen vier Ländern aufbewahrt und zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung verwandt werden können ( 16 Abs.2 ÄndG-ASOG; 44f Abs.3 SOG, 14 Abs.2 PolG NW; 10 Abs.2 SPolG). Diese bisher zwar vom Bundesverwaltungsgericht über 81 b 2. Alternative StPO legitimierte (BVerGE 26, 179; 66, 202), von einigen unterinstanzlichen Gerichten nach dem Volkszählungsurteil aber bereits angezweifelte Praxis (VG Frankfurt NJW 87, 2248) erhält so ihre gesetzliche Grundlage.

Alle Änderungen normieren mit allgemeinen Regeln die Voraussetzungen der Speicherung, Veränderung und Nutzung von erhobenen Daten ( 17 ÄndG-ASOG; 44g SOG, 22, 23, 24 PolG NW; 30 SPolG). Die Regelungen beziehen sich auf die Dauer der Speicherung, die Zweckbindung ihrer Nutzung sowie auf die Vor-gangsverwaltung und den Datenabgleich ( 17e ÄndG-ASOG; 44l und m SOG, 25 PolG NW; 36, 37 SPolG).

Einheitliche Normen bestehen auch hinsichtlich der Datenübermittlung im öffentlichen Bereich und an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs ( 17a ÄndG-ASOG; 44h-j SOG, 26, 27, 28 PolG NW; 32, 33, 34 SPolG).

Für die Errichtung von automatisierten Dateien sind einheitliche Errich-tungsanordnungen vorgeschrieben, die in Berlin und im Saarland an im Gesetz selbst geregelte Mindeststandards gebunden sind ( 17g ÄndG-ASOG; 39 SPolG), während in NRW und Hessen auf die Landesdatenschutzgesetze verwiesen wird ( 44o SOG, 33 PolG NW). Berlin, Hessen und das Saarland gewähren dem Betroffenen ein Akteneinsichtsrecht, soweit öffentliche Belange den schutzwür-digen Interessen nicht vorgehen ( 17h ÄndG-ASOG; 44p SOG, 40 SPolG). Auch dies ist also eine Ermessensvorschrift, die die bisherige Auskunftspraxis sicherlich nicht groß verändern wird.

Quellen und Abkürzungen:
– Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen [PolG NW], Landtags-Drs.: 10/3997 vom 24.1.89 in Verbindung mit der Drs.: 10/5071 vom 15.1.90;
– Gesetz Nr. 1252 zur Neuordnung des Saarländischen Polizeirechts vom 8.11.1989 [SPolG]
– Gesetz zur Änderung des hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung [SOG], GVBl. Hessen 1989 Teil I, S. 469ff.